Das Stehaufmännchen

Von Arne Behr
Marcell Jansen wurde von Joachim Löw für die WM-Qualifikation erneut ins DFB-Team berufen
© getty

In seiner Karriere hat Marcell Jansen schon einige Rückschläge verkraften müssen, zurückgekämpft hat er sich jedes Mal. Für die WM-Qualifikationsspiele gegen Irland (Fr., 20.30 Uhr im LIVE-TICKER) und Schweden wurde er von Bundestrainer Joachim Löw erneut in den DFB-Kader berufen. Weil viele Verletzte zu beklagen sind. Aber auch, weil Löw weiß, was er an Jansen in erster Linie hat: Einen unermüdlichen Fighter.

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Marcell Jansen ist ein praktisch denkender Mensch. Direkt vor dem Wohnzimmer hat er sich vor Jahren einen privaten Kunstrasenplatz anlegen lassen. Der 27-Jährige ist in seiner Freizeit aber auch begeisterter Tennisspieler. Und wenn ihm der Sinn mehr nach der gelben Filzkugel steht, wird der Bolz- in wenigen Minuten zum Tennisplatz umfunktioniert.

Natürlich gibt es da keinen Knopf oder dergleichen, der ein Tennisnetz oder gleich den ganzen Platz aus dem Boden fahren lässt, wie es in amerikanischen Dokumentationen über reiche Spitzensportler und ihre wahnwitzigen Luxusdomizile bisweilen zu sehen ist. Der HSV-Profi würde seine Anschaffung vielleicht als schöne kleine Spielerei bezeichnen, mehr nicht.

Eine derartige Exzentrik wie die skizzierte würde auch nicht zu Jansen passen, wenngleich schon ein wenig zur bisherigen sportlichen Laufbahn des gebürtigen Mönchengladbachers. Geprägt von zahlreichen Verletzungen und anderen sportlichen Rückschlägen ist sie, aber auch von ebenso vielen Comebacks. Womit sie dem Ideal des amerikanischen Traums irgendwie schon recht nahe kommt.

Keine zweite Chance

Vor sieben Jahren sah das noch ganz anders aus. Damals, als 20-Jähriger, wechselte der gefeierte Jungnationalspieler Marcell Jansen von Borussia Mönchengladbach für vier Jahre zum großen FC Bayern München. Sämtliche Experten orakelten ihm damals eine glänzende Karriere in der Liga und in der Nationalmannschaft. Doch nur ein Jahr später unterschrieb er in Hamburg.

Natürlich sei es durch die Konkurrenz in München extrem schwer für Talente. Von einer stetigen Unsicherheit, dass der Klub einem jeden Tag einen gestandenen Weltstar vor die Füße setzen könne, spricht er, wenn es um sein schwieriges Jahr in München geht. Und von der Skrupellosigkeit, die vonnöten sei, wenn man mal die Chance bekommt, zu spielen, die aber so vielen jungen Spielern einfach abgehe.

Dennoch kam der Wechsel zum Bundesliga-Dino damals für viele etwas überraschend. 17 Spiele hatte er für die Bayern bestritten, die meisten auch über die volle Distanz. Den Verein verließ er als deutscher Meister.

Bittere Pleiten

Doch Jansen wollte sich in Ruhe entwickeln können und der HSV schickte sich gerade an, endlich wieder auch international zu neuen Höhenflügen anzusetzen. Beihnahe zeitgleich mit der Verpflichtung von Marcell Jansen wurde mit dem Holländer Martin Jol im Juli 2008 auch ein neuer Trainer an Bord geholt. Es folgte die erfolgreichste Saison der Hamburger seit 26 Jahren.

Allerdings auch eine Spielzeit, deren Ausgang bitterer für Jansen und die Hamburger kaum hätte sein können. Sowohl im DFB-Pokal als auch im neu etikettierten UEFA-Cup, seit der Saison 2008/09 als Europa League firmierend, scheiterte der HSV in denkwürdigen Fußballschlachten an Erzfeind Werder Bremen. Einer der Hauptprotagonisten aus dem Europa League-Rückspiel, eine Papierkugel, befindet sich heute im Werder-Museum.

Oder ein Jahr später, zur gleichen Zeit am gleichen Ort: Das Ausscheiden der Hamburger im Halbfinale gegen den eigentlich chancenlosen FC Fulham gehört sicher zu den Spielen, für die in Hamburg bis heute kaum jemand eine Erklärung parat hat.

Das Stehaufmännchen

Neben den zahlreichen kleinen und großen Verletzungen, die Marcell Jansen immer wieder zurückwarfen, sind es auch solche überwältigenden persönlichen Tragödien, die seine Karriere immer wieder heimsuchten. Nach solchen Erlebnissen wieder aufzustehen und weiter zu arbeiten, kostet Kraft.

Seit fünfeinhalb Jahren wohnt Jansen nun in der Hansestadt, ist mit dem Hamburger SV in dieser Zeit über manche Höhen, vor allem aber eben hauptsächlich durch tiefe Talsohlen gegangen.

Nicht zuletzt eine Statistik im Zusammenhang mit seiner Nationalmannschaftskarriere aber ist bezeichnend für das Kämpferherz, das im 27-Jährigen schlägt: Bis auf die EM 2012 wirkte Jansen bei allen großen Turnieren seit 2006 mit und kam auch bei allen Turnieren auf seine Spielzeiten.

Auf dem Weg zur WM 2014

Die Nominierung durch Bundestrainer Joachim Löw für die Qualifikationsspiele der Nationalmannschaft gegen Irland und in Schweden ist nun das neueste Kapitel der höchst wechselhaften Karriere des Fußballspielers Jansen. Einem, der schon oft abgeschrieben wurde, der aber immer wieder eine Antwort findet.

Seit fast zwei Jahren ist er jetzt bereits verletzungsfrei. Schon die Nominierung Löws im März dieses Jahres hatte große Freude und Stolz, aber auch Demut in ihm ausgelöst. Es war die erste nach zweieinhalb Jahren Abstinenz. Nun vertraut Löw ihm erneut und die Chance, bei der WM in Brasilien im nächsten Sommer dabei zu sein, ist realer denn je.

Das letzte Quäntchen

Jansens neunter Trainer beim HSV heißt Bert van Marwijk, und der Holländer betrachtet ihn als eine der "Säulen im Team". Lob, das der linke Außenverteidiger sicher gerne hört. Noch lieber dürfte ihm allerdings sein, dass er nicht wieder ins linke Mittelfeld beordert wird, denn auch van Marwijk scheint auf den gelernten Verteidiger mit der Nummer Sieben als Abwehrspieler zu setzen.

Insgesamt könnte es für Jansen gerade kaum besser laufen, vielleicht mal abgesehen von der Tabellensituation des HSV. Der neue Besen van Marwijk scheint aber gut zu kehren, wie die ersten Spiele zeigen.

Doch der passionierte Pokerspieler hat in seiner Karriere schon zu viel gesehen und mitgemacht, als dass er sich durch derartige Momentaufnahmen würde in Sicherheit wiegen lassen. Und zu hart geschuftet, um ein ums andere Mal zurück zu alter Stärke zu finden.

Ob er es erwartet hätte, noch mal hier zu sitzen, wurde Jansen kürzlich auf einer Pressekonferenz des DFB gefragt. Seine einzig plausible Antwort: "Im Fußball braucht man auch ein bisschen Glück."

Marcell Jansen im Steckbrief

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