Löw: "Das Offensivpotenzial führt zu Schwächen"

SID
Joachim Löw gesteht nach dem 4:4 gegen Schweden eigene Fehler ein
© Getty

Nach dem 4:4 der deutschen Nationalmannschaft gegen Schweden hat Bundestrainer Joachim Löw in einem Interview mit den deutschen Nachrichtenagenturen eigene Fehler im WM-Qualifikationsspiel gegen Schweden eingeräumt, das Problem seiner Mannschaft erklärt und seinen grundsätzlichen Kurs verteidigt.

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Frage: Wie haben Sie die scharfe Kritik an der deutschen Nationalmannschaft und auch an Ihnen nach dem 4:4 gegen Schweden aufgenommen?

Joachim Löw: Diese Debatten kann ich natürlich nachempfinden. Auch bei uns saß der Stachel tief. Wir konnten uns auch nicht vorstellen, dass wir nach so einem grandiosen Spiel ein 4:0 noch aus der Hand geben. Wir waren auch alle fassungslos. Die Erkenntnis ist: Dieses unglaubliche Offensivpotenzial führt fast zwangsläufig auch zu Schwächen. Sie sind nicht erst jetzt, sondern schon im gesamten Jahr aufgetreten. Die Weichen jetzt richtig zu stellen, ist mir lieber, als wenn wir im Herbst 2013 feststellen müssen, dass wir in so eine negative Situation rutschen.

Frage: Sie sprachen nach dem Spiel von einem "Lernspiel". Welche Lehren werden Sie ziehen?

Löw: An Lektionen, die auf dem Platz so eindringlich sind, kann man auch wachsen. Das wird uns nicht mehr so passieren, da bin ich mir sicher. Bei der EM hatten wir bis auf das Italien-Spiel eine gute Balance. Gegen Österreich haben wir schon defensive Schwächen gehabt. Gegen Schweden war es in den letzten 30 Minuten so schlecht, dass man sich das nicht vorstellen konnte.

Frage: Sie sprechen bei Ihrer Mannschaft oft von einer Entwicklung. Aber ist diese gradlinig? Macht die Mannschaft Rückschritte?

Löw: In einer Entwicklungsphase gibt es immer mal Rückschläge. Absolut. Wir haben ein unglaubliches Kreativ- und Offensivpotenzial wie vielleicht seit Jahrzehnten nicht mehr. Das sollten wir als große Chance begreifen. Aber diese Gegentore und Defensivschwächen kann und will ich nicht akzeptieren.

Frage: Werden Ihre Korrekturen, die Sie bereits angedeutet haben, größer ausfallen als vor dem 4:4 vorgesehen?

Löw: Ich stehe zu dieser Generation mit all den Stärken und Schwächen, an denen wir arbeiten müssen. Das Potenzial ist hervorragend. Wie wir 60 Minuten gegen Schweden gespielt haben, das hat mich schon sehr zufriedengestellt. Ich muss mir auch an die eigene Nase fassen, dass wir an Lösungen arbeiten, dass wir nicht mehr in solche Situationen kommen. Vielleicht müssen wir einen Automatismus entwickeln: Was ist zu tun, wenn wir ein Spiel dominieren und dann einen Anschlusstreffer kassieren? Da haben wir in den letzten Spielen gewisse Schwächen gezeigt. Wir haben die Gegner einige Male völlig unnötig wieder ins Spiel gebracht, obwohl wir so dominant waren.

Frage: Werden Sie Ihre personelle Auswahl für die Mannschaft ändern?

Löw: Alle haben ein Riesenpotenzial. Es gab verletzungsbedingte Ausfälle von Spielern, die uns in so einem Spiel sicher gut getan hätten. Sami Khedira, Mats Hummels und die beiden Benders waren verletzt. Personell gesehen haben wir alle Möglichkeiten. Wir müssen an gewissen taktischen Dingen arbeiten. Wenn das Spiel zu kippen droht, müssen wir Schlüsselpunkte hart einfordern: hinter den Ball, Grundordnung nicht verlassen, einzelne Aktionen und die Zweikämpfe wieder gewinnen - und das zum richtigen Zeitpunkt. Das müssen wir lernen.

Frage: Ein Vorwurf an Sie lautet, Sie selbst hätten in der Schlussphase nicht mehr souverän gehandelt und auch auf die dritte Auswechslung verzichtet, die die Mannschaft zur Besinnung gebraucht hätte.

Löw: Das ist natürlich ein Vorwurf an mich, absolut. Ich konnte auch nicht glauben, dass das Spiel kippt. Ich hätte in der Schlussphase mit einer Auswechslung ein Signal an die Mannschaft senden und noch etwas stoppen können. So etwas habe ich in 20 Jahren auch noch nicht erlebt. Daraus lerne auch ich. Mein Plan war zuerst, als das Spiel etwas aus den Fugen geraten ist, ballsichere Spieler zu bringen, um wieder die richtige spielerische Qualität zu haben und die Schweden von unserem eigenen Tor wegzuhalten. Aber das ist nicht aufgegangen. Also wäre es vielleicht besser gewesen, Spieler für die Defensive einzuwechseln. Das ist natürlich auch der Vorwurf an mich.

Frage: War das Spiel nicht eine Bestätigung für die Kritiker, dass es Ihrer Mannschaft an Führungsspieler mangelt?

Löw: Wir haben genügend Spieler, die eine Dominanz ausstrahlen. Wir müssen mit diesen Spielern daran arbeiten, dass ein positives, aggressives, dominantes Auftreten unter Druck gezeigt wird, wenn die spielerische Ausrichtung nicht mehr stimmt. Man darf sich nicht so zurückziehen, wir hätten diesem Druck standhalten können. Wenn man meint, dass uns derjenige fehlt, der dazwischen haut, auf Freund und Feind einschlägt, um etwas zu bewegen, den haben wir nicht. Darüber bin ich aber auch nicht böse, weil solche Spielertypen können auch viel kaputt machen.

Frage: Reicht bei Ihnen noch die Kraft, wie schon gefragt wurde? Oder wird Ihre Reaktion sein, Ihren Kurs noch kompromissloser zu gehen, weil es Ihre letzte Chance ist als Bundestrainer noch einen Titel zu erreichen?

Löw: Die Spieler wissen, was wir Trainer erwarten. Ich denke, den Weg kann man klar erkennen, sonst kann man auch nicht gegen Irland 90 und gegen Schweden 60 Minuten diesen Fußball spielen. Unser Umgang mit den Spielern ist von Respekt geprägt. Ich halte nichts von einem Ton wie auf dem Kasernenhof. Das entspricht auch nicht meine Persönlichkeit. Wir setzen auf Kommunikation, natürlich geben wir die Richtung vor.

Frage: Auch die Teamführung müsse sich ehrlich hinterfragen, hat Oliver Bierhoff nach dem 4:4 gesagt. Wie wird das passieren?

Löw: Unseren Entscheidungen gehen immer intensive Diskussionen voraus. Das hat nichts mit einem schlechten Spiel zu tun. Ich bin nicht einverstanden, wenn es heißt, ist der Bundestrainer beratungsresistent oder kann er keine Fehler zugeben? Wer mich kennt, weiß, dass ich zu meinen Fehlern stehe oder zu einer nicht aufgegangenen Strategie. Wir besprechen viele Ratschläge in unserem Trainerteam. Wir gehen nicht über alles hinweg, wir prüfen sie , da wir auch nicht frei sind von Selbstkritik in den letzten Jahren. Ist dieser Weg richtig? Was und wo können wir uns noch verbessern? Wir alles sind nicht fehlerfrei. Das wissen die Spieler, das wissen die Trainer. Ich persönlich bin immer gesprächsbereit.

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