Real Madrid: Besonnen in der Apokalypse

Von Oliver Wittenburg
Real wartet weiter auf den zehnten Champions-League-Sieg. Nummer neun stammt von 2002
© Imago

Zum sechsten Mal in Folge ist Real Madrid im Achtelfinale der Champions League gescheitert. Die spanische Presse erklärt das Projekt für gescheitert. Die Verantwortlichen selbst mahnen sich zu Besonnenheit - und Manuel Pellegrini soll Trainer bleiben. Neue Töne aus Madrid oder nur die Ruhe vor dem Sturm?

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Ausmaß und Intensität von Hohn und Spott richten sich immer nach der Fallhöhe. Wer eine Viertelmilliarde Euro in Spieler investiert und jeden neuen Star wie den Messias persönlich feiert, der macht sich angreifbar.

Und wer dann im Achtelfinale der Champions League an Olympique Lyon scheitert, der weiß auch, dass nur die Apokalypse selbst eine größere Katastrophe darstellen könnte.

Video von ran: Real - Lyon: Die Highlights

Von einer Schmach und einem Fiasko war in der spanischen Presse die Rede, nachdem Real Madrid im sechsten Jahr in Folge im Achtelfinale der europäischen Königsklasse ausgeschieden war.

Real im schwarzen Loch

"Die Galaktischen fallen in ein schwarzes Loch", schrieb etwa "Publico".  Und die Krise sei natürlich nicht sportlich und das Scheitern bitter, sondern habe galaktische Ausmaße, wie "El Mundo Deportivo" befindet.

Der Schluss sei klar: Real ist am Ende. Wieder einmal. 300 Millionen Euro hätten sich als Schuss in den Ofen erwiesen, Florentino Perez' ehrgeiziges Projekt, in seiner zweiten Amtszeit die Galaktischen wieder auferstehen zu lassen, die Anfang des Jahrtausends Europa beherrschten, sei grandios gescheitert. So analysiert "La Razon".

Guti kritisiert Mitspieler

Zu aller Endzeitstimmung gesellte sich Selbstzerfleischung. So maulte Guti: "Es ist eine Schande. Wieder mal haben wir in einem großen Spiel keinen Killerinstinkt gezeigt. Wir hätten mehr als Team auftreten sollen und nicht wie eine Gruppe von Individualisten."

Sehr individuell verarbeitete Kaka seine Auswechslung kurz nach dem Ausgleichstreffer der Franzosen durch Miralem Pjanic in der 75. Minute.

So diskutierten die mySPOX-User während des Spiels

Kaka-Berater macht Stunk

Wutentbrannt stapfte der 60-Millionen-Euro Mann vom Platz. An sich nichts Außergewöhnliches, doch legte Kakas PR-Berater Diogo Kotscho via Twitter nach, indem er Real-Trainer Manuel Pellegrini als "Angsthasen" und "inkompetent" bezeichnete.

Kaka selbst bemühte sich am Tag danach, das Thema zu beruhigen. Er sei nicht über seine Herausnahme unzufrieden gewesen, sondern mit dem Spiel an sich und der Gesamtsituation.

Der Ruf nach Mourinho

Überhaupt ist der Ruf nach einem neuen Trainer noch verhältnismäßig leise. Auf der Internetseite der "Marca" findet sich lediglich eine Meldung der englischen "Times", wonach nun nur noch Jose Mourinho die Rettung bringen könnte.

Pellegrini selbst geht die Weltuntergangsstimmung zu weit. Er nehme nicht an, dass das Aus ihn nun direkt seinen Job kosten würde und erinnert daran, für den Fall, dass es jemand vergessen haben könnte, dass Real im Sommer einen kompletten Umbruch vollzogen habe.

"Man kann ein Projekt solcher Größe nicht nach sechs Monaten abschließend bewerten", sagte der Chilene, der schon die eine oder andere Krise in der laufenden Saison überstanden hat. "Ich werde nicht hinwerfen, sondern weiterkämpfen. Ich glaube nicht, dass dieses Projekt nur auf ein Jahr beschränkt ist."

Valdano: Pellegrini soll bleiben

Das sieht man auch an höherer Stelle so. "Er hat einen Vertrag auch für die nächste Saison und der Plan ist, dass er unser Trainer bleibt", sagte Generaldirektor Jorge Valdano. "Die Saison ist noch nicht zu Ende und es gibt immer noch Ziele, für die es zu kämpfen lohnt."

Die Stimme der Vernunft sprach auch aus Torhüter Iker Casillas: "Wir sind jetzt schwer angeschlagen, aber wir müssen ruhig bleiben. Wir brauchen jetzt Besonnenheit. Von jetzt ab müssen wir uns auf die Liga konzentrieren."

Und dort in der Primera Division ist alles im Lot. Am vergangenen Wochenende löste man Titelverteidiger Barcelona an der Spitze ab und ist im Unterschied zur vergangenen Saison auf Augenhöhe mit dem verhassten Erzrivalen.

Versagensangst gewinnt die Überhand

Nüchtern betrachtet fehlte ja auch gegen den Angstgegner aus Lyon (3 Niederlagen, 3 Remis in der Champions League) nicht viel.

Die erste Halbzeit war beeindruckend und hätte schon die Vorentscheidung bringen können. Doch mehr als Cristiano Ronaldos Tor in der 5. Minute sprang nicht heraus. Gonzalo Higuain hätte freilich das 2:0 machen müssen, doch traf der Argentinier nicht ins leere Tor, sondern nur dessen Pfosten (28.).

Der Traum vom Finale im eigenen Stadion und der Rückkehr auf Europas Thron wäre weitergegangen. So aber kam eine erschreckend schwache zweite Halbzeit, in der eine Mischung aus einer gewissen Überheblichkeit und nachlassender Laufbereitschaft irgendwann in Angst vor dem Versagen mündete.

Als das nach dem Seitenwechsel deutlich besser organisierte Lyon dann traf (75.), zerfiel Real in seine Einzelteile. Außer Guti schien sich keiner gegen das drohende Aus stemmen zu können oder zu wollen.

Aus Stolz wird Größenwahn

Kein Klub auf der Welt eignet sich so vorzüglich, um apokalyptische Szenarien zu zeichnen. Kein Klub gibt sich so bereitwillig zum Abschuss frei in seinem Hang zur Selbstinszenierung hart an der Grenze, an der Stolz zu Größenwahn wird.

Und kein Klub muss so harte Schläge einstecken, wenn der Erfolg ausbleibt. Es wäre etwas Neues, wenn sich Real tatsächlich die Zeit nehmen würde, das im Sommer begonnene Projekt weiterzuführen, wie Valdano in Aussicht stellt, und besonnen zu agieren, wie Casillas fordert.

Doch Real wäre nicht Real, wenn es nicht auch ganz anders kommen könnte. In seiner ersten Amtszeit (2000 bis 2006), als die Königlichen letztmals die Champions League gewannen, feuerte Perez sechs Trainer in drei Jahren. Die Fallhöhe war einfach zu groß.

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