"Ich hätte mir interne Kritik gewünscht"

Andre Schürrle bereitete beim deutschen WM-Sieg 2014 das Siegtor per Flanke vor
© getty

32 Millionen Euro ließ sich der VfL Wolfsburg im Winter 2015 die Dienste von Andre Schürrle kosten. Seitdem hinkt der Weltmeister den Ansprüchen hinterher. Im Interview vor dem Hinspiel im Champions-League-Achtelfinale bei KAA Gent (20.45 Uhr im LIVETICKER) spricht Schürrle über die anhaltende Kritik an ihm, das permanente Schwanken zwischen den Extremen, seine Probleme beim FC Chelsea und die Besonderheiten von Jose Mourinho.

Anzeige
Cookie-Einstellungen

SPOX: Herr Schürrle, Sie haben in der Bundesliga schon für drei Vereine gespielt, eine Auslandsstation hinter sich und sind Weltmeister geworden. Das ist für einen 25-Jährigen eine ganze Menge, oder?

Andre Schürrle: Wenn man auf meine bisherigen Stationen schaut und wie alles aufeinander aufgebaut hat, dann könnte das bei manchem in der Tat auch für eine gesamte Karriere reichen. Es ist in meiner Zeit als Profi schon extrem viel in kurzer Zeit passiert. Jeder Schritt, den ich gegangen bin, hat sich für mich richtig angefühlt. Wenn man solche für einen jungen Spieler seltenen Chancen bekommt, dann sollte man sie auch nutzen. Ich bin mit meinem Werdegang zufrieden.

SPOX: Wenn Sie Ihre Kumpels oder andere gleichaltrige Jungs sehen, erkennen Sie da Unterschiede zu sich?

Schürrle: Ich denke, dass man als Persönlichkeit einfach etwas schneller reift, wenn man bereits sehr früh alleine und dazu noch eine Zeit lang im Ausland lebt. Ich war gewissermaßen gezwungen, auf eigenen Beinen zu stehen. Auch Ereignisse wie die Teilnahme an einer Europa- oder Weltmeisterschaft bringen einen nicht nur sportlich, sondern auch charakterlich voran. Ich habe jetzt schon eine Menge unterschiedlicher Erfahrungen sammeln dürfen und mich dadurch vielleicht etwas zügiger entwickelt als andere meines Alters.

SPOX: Wie sehr sehnen Sie sich nach zwei Jahren bei Bayer Leverkusen und eineinhalb beim FC Chelsea danach, dauerhaft für einen Klub zu spielen?

Schürrle: Jeder Fußballer träumt irgendwie davon, sehr lange bei einem Top-Verein zu spielen, von den Fans vollkommen anerkannt und das Gesicht des Klubs zu werden. Das ist sicherlich mehr als erstrebenswert. Ich möchte auch mal einen solchen Weg gehen, doch man sollte die einzelnen Entwicklungsschritte und Stationen nicht außer Acht lassen. Wenn man die Möglichkeit hat, sich sportlich zu verbessern oder einen Schritt zu wagen, der nicht alltäglich ist, dann wägt man ab und ergreift sie, wenn man wirklich überzeugt davon ist. So war es bei mir.

SPOX: Sie haben die Weltstadt London kennengelernt, derzeit lassen Sie sich auf das Kontrastprogramm in Wolfsburg ein. Was liegt Ihnen mehr?

Schürrle: Ich bin grundsätzlich schon ein Großstadtkind. Das Flair in London war überragend. Ich habe dort viele Freunde gefunden, vor allem viele Londoner. Zu Wolfsburg ist das natürlich ein Unterschied, aber das Ruhige und Idyllische gefällt mir auch ziemlich gut. Die Menschen hier sind extrem freundlich und man hat einen beinahe täglichen Austausch mit ihnen. Ich habe mich eigentlich überall immer relativ schnell heimisch gefühlt.

SPOX: Seit Ihrer Rückkehr nach Deutschland ist viel auf Sie eingeprasselt, die sportliche Leistungskurve hat ein paar Dellen abbekommen. Wie sehr wünschen Sie sich, dass wieder etwas mehr Normalität einkehrt?

Schürrle: Man will in erster Linie seinen Job gut erledigen. Dazu benötigt man im Idealfall eine gewisse Ruhe. Es ist schade, dass sich mittlerweile vieles nur noch in Extremen bewegt. Es gibt kaum noch Zwischentöne. Ich bin früh Nationalspieler geworden, die Augen waren schon immer auf mich gerichtet. Dass es dann in einem für mich extrem schwierigen Jahr wie 2015 auch Kritik hagelt, ist verständlich. Ich kenne es nicht anders und habe damit grundsätzlich auch kein großes Problem.

SPOX: Wieso gibt es denn in Ihren Augen diese Zwischentöne nicht mehr?

Schürrle: Das hängt wohl auch damit zusammen, was man bislang in seiner Karriere erreicht hat. Bei den Nationalspielern, die 2014 Weltmeister geworden sind, wird es wohl weiter zwischen den Extremen schwanken. Entweder Depp oder Held, um es mal salopp zu sagen. Dazwischen wird es nichts mehr geben. So ist leider das Geschäft und damit hat man als Profi einfach umzugehen. Das ist schade, aber machbar. (lacht)

SPOX: Ihr Mitspieler Max Kruse meinte nach Ihren beiden Treffern in der Champions League bei ZSKA Moskau, Sie hätten sich selbst ein bisschen in ein Loch geredet. Hat er damit Recht?

Schürrle: Ich weiß, was er damit meint. Wenn man mal ein paar Wochen schlechter spielt und es von außen Kritik gibt, dann redet man sich vielleicht auch bis zu einem gewissen Maß die Dinge selbst ein, die von den Medien kritisiert werden. Diese Gefahr besteht zumindest, da das alles natürlich nicht spurlos an einem vorbei geht.

SPOX: Ist es als Profifußballer überhaupt möglich, die Gedanken auszuschalten?

Schürrle: Da ist wohl jeder etwas anders. Manche juckt das alles gar nicht, die können in jeder Phase problemlos ihre Qualitäten auf den Platz bringen. Gerade die junge Spielergeneration ist in meinen Augen so gestrickt, dass sie sich mehr Gedanken macht, wie man sich in schwachen Phasen verbessern kann. Das ist an sich ja auch kein verkehrter Weg. Für mich war diese schwierige Zeit sehr lehrreich.

SPOX: Glauben Sie, die Kritik wäre grundlegend anders ausgefallen, wenn der VfL Wolfsburg nur ein Drittel der Ablösesumme für Sie gezahlt hätte?

Schürrle: Selbstverständlich. Ich selbst kann für die Ablöse ja nichts, aber ich habe die Erwartungen auch noch nicht erfüllt. Es gab in Deutschland noch nicht so viele Transfers dieser Größenordnung, man steht daher ganz anders unter Beobachtung und wird deutlicher wahrgenommen.

SPOX: Sowohl Trainer Dieter Hecking als auch Manager Klaus Allofs haben Sie öffentlich kritisiert. So etwas kommt in dieser Deutlichkeit selten vor. Wie haben Sie das aufgenommen?

Schürrle: Zunächst einmal hat man als Trainer und Manager natürlich das gute Recht, öffentlich zu kritisieren. Ich hätte mir allerdings interne Kritik gewünscht. Das habe ich Dieter Hecking und Klaus Allofs auch gesagt, wir haben darüber ausführlich gesprochen. Damit war die Sache auch erledigt.

Inhalt: