Zu viel Gegenwart für eine Zukunft

Xherdan Shaqiri ist bei den Bayern nur zweite Wahl
© getty

Xherdan Shaqiri wollte weg, doch die Bayern legten unisono ein Veto ein. Shaq gehöre die Zukunft beim Rekordmeister, sagen sie - doch weiter entfernt von der ersten Elf wie jetzt war der Schweizer noch nie. Bekommt das Sorgenkind der Münchner in der Champions League gegen ZSKA Moskau (18 Uhr im LIVE-TICKER) die nächste Chance zur Eigenwerbung?

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Die Anfield Road war verlockend. Dort wäre er aufgelaufen, während 45.000 Menschen "You'll never walk alone" gesungen hätten. Champions League hätte er dort spielen können, wie auch bei Juventus. Inter wollte ihn angeblich auch. Er wäre ein Star, eine Schlüsselfigur gewesen bei den neuen Nerazzurri. Oder Atletico. In Spanien hätte er seinen ehemaligen Teamkameraden Mario Mandzukic getroffen.

Viel war in der Sommerpause diskutiert worden, viele Gerüchte rankten sich um Xherdan Shaqiri. Bewahrheitet hat sich davon nichts. Die Gegenwart für den Schweizer heißt nicht England, Italien oder Spanien, sondern Bayern. Und anstatt Schlüsselspieler zu sein, heißt es: Bank drücken und auf Joker-Einsätze hoffen.

Nicht mehr nur Hoffnung sein

23 Jahre wird Shaqiri am 10. Oktober alt. Das ist sogar für einen Fußballer noch jung, dennoch steht der Schweizer an einer richtungsweisenden Stelle seiner Karriere. Shaq muss sich in der dritten Saison in München endlich frei machen vom Mantel der Zukunftshoffnung und in seiner Entwicklung wieder sichtbare Schritte nach vorne machen.

Als Publikumsliebling ad hoc kam er vor gut zwei Jahren für rund zwölf Millionen Euro aus Basel. Triple-Sieger darf er sich mittlerweile nennen, letztes Jahr gewann er das Double - und das mit noch nicht einmal 23. Dennoch ist die aktuelle sportliche Situation höchstgradig unbefriedigend.

Zweimal in sechs Spielen durfte der Rechtsaußen in der Bundesliga von Beginn an ran, zweimal war vom quirligen Angreifer, vom "besten Einwechselspieler, den ich kenne", wie sein ihn sein Coach Pep Guardiola noch letztes Jahr betitelte, nichts zu sehen. 1:1 gegen Schalke und 0:0 gegen den HSV hieß es am Ende. Es waren die einzigen Male, dass die Bayern in der laufenden Spielzeit Punkte liegen ließen.

"Ich lebe in der Gegenwart"

Wurde er in seinem zweiten Jahr noch von mehreren Muskelproblemen ausgebremst, schien heuer alles angerichtet zu sein: Schwung durch eine gute WM, die langwierige Verletzung von Franck Ribery, dann noch der Ausfall von Arjen Robben. Doch der Schweizer hat die große Chance, die WM-Nachwehen für sich zu nutzen, verstreichen lassen. Null Tore, null Vorlagen sind es vor dem Königsklassen-Duell in Moskau (18 Uhr im LIVE-TICKER) in allen Wettbewerben. Jetzt, wo Franck Ribery bald zurückkommt, wo das Remis in Hamburg Peps Rotationen heftige Kritik einbrachte hat sich die Lage nicht verbessert - im Gegenteil.

Und Shaqiri hat nicht nur sportlich an Boden verloren. Auch der Zuspruch von den eigenen Anhängern litt den Sommer über. Die sahen es freilich nicht gern, dass der Spieler, dem die Vereinsoberen mantrahaft eine große Karriere bei den Münchnern prophezeiten, plötzlich öffentlich mit einem Wechsel kokettierte.

"Ich lebe in der Gegenwart, nicht in der Zukunft", twitterte Shaq als Reaktion auf Sportdirektor Matthias Sammer, der erklärte, dass dem gebürtigen Kosovaren eben jene beim Rekordmeister gehöre. Bruder und Berater Erdin machte keinen Hehl daraus, sich Angebote anderer Topklubs anzuhören.

Die Bayern taten das nicht. "Wir hatten Anfragen für ihn von mehreren Klubs aus England und Italien. Ich habe kein Gespräch mit diesen Klubs geführt, weil wir kein Interesse haben, den Spieler abzugeben", sagte Karl-Heinz Rummenigge. Shaqiri reagierte patzig, schob bei der Verkündung seines Verbleibs hinterher: "Der Verein hat gesagt, dass ich bleiben muss."

Sorgen in der Schweiz

Das ewige hin und her, die wenigen Einsätze und überschaubaren Leistungen werden in Shaqs Heimatland dagegen mit Bedenken verfolgt. "In der Nationalmannschaft ist er trotzdem unantastbar", sagt "Blick"-Experte Michael Wegmann im Gespräch mit SPOX. "Aber auch wenn er beim FC Bayern auf diesem Niveau mit diesen Spielern trainieren kann - Spielpraxis ist immer noch das wichtigste und nicht zu ersetzen."

Bei den Eidgenossen geht die Angst um, in nächster Zeit nicht mehr in den Genuss herausragender Auftritte wie dem 3:0 bei der WM zu kommen, als der 22-Jährige im abschließenden Gruppenspiel gegen Honduras einen Hattrick schnürte. "Natürlich würden sich die Fans freuen, wenn er mehr Spielpraxis bekommt", erklärt Wegmann. "Er ist für die Nati ein unheimlich wichtiger, wenn nicht der wichtigste Spieler."

"Er ist Gott in seinem Heimatland", drückte es Guardiola einmal übertrieben aus, aber wohl in dem Wissen um den Stellenwert des Schweizers in der Heimat. Beim Spanier konnte er sich den nicht erarbeiten. Dabei scheint der 1,69-Meter-Mann - auf den Zentimeter so groß wie ein gewisser Lionel Messi - eigentlich wie geschneidert für Pep. Klein, wendig, dribbelstark, mit dem Auge für den tödlichen Pass und gefährlich im Abschluss.

Xherdan Shaqiris Statistiken in der Bundesliga

"Weiß nicht, was ich noch tun kann"

"Er ist ein spezieller Spieler für einen Trainer. Immer wenn er kommt, spielt er sehr gut und kreiert einen Assist oder ein Tor", lobte ihn der Trainer noch in der letzten Saison, ernannte ihn sogar zum besten Standardschützen der Mannschaft. Nicht erst nach der unglücklichen wie blutleeren Vorstellung als Joker gegen Köln ist davon nicht viel übrig geblieben.

"Es war okay, ich habe 15 Minuten gespielt", sagte Shaqiri noch im Bauch des Rhein-Energie-Stadions, rang sich ein Lächeln ab und relativierte sofort: "Da kommt man aber nicht weiter, weil das Spiel schon fast durch war."

Shaqiri steckt in einem Teufelskreis fest. "Wenn man nicht zum Einsatz kommt, ist man immer enttäuscht", gibt er zu. Wenn er dann zum Einsatz kommt, kann er nicht überzeugen, was die Einsätze noch seltener macht. Der beste Ausweg schien im Sommer ein Wechsel zu sein. Und jetzt? Ein Achselzucken. "Ich weiß nicht, was ich sonst noch tun kann."

Resümee im Winter - und dann?

Dabei scheint er die viel zitierte Perspektive selbst nicht mehr zu sehen. Dazu ist die Gegenwart zu deprimierend. "Die Gefahr ist, dass ihm die Lust abhanden kommt", meint auch Wegmann. An den Robbens, Riberys und Götzes dieser Welt gibt es für ihn, vor allem in der aktuellen Verfassung, kein Vorbeikommen.

Unzufriedenheit wird beim Rekordmeister dennoch nicht geduldet. "Ich habe lieber einen etwas größeren Kader und gehe mit der normalen Unzufriedenheit eines Spielers um, als keine Alternativen und Misserfolg zu haben", lautete die Ansage von Sammer in der "FAS". Vor dem Köln-Spiel legte er noch nach: "Wenn wir am Ende des Jahres einen finden, der nicht viel Einsatzzeit hatte und ein Stinkstiefel war, dann wirst du auch nicht Meister."

Die Frage ist, ob Shaqiri bis dahin überhaupt noch das rotblaue Trikot trägt. Schon im Mai kündigte er an, dass er so ein Jahr "nicht wieder will". Bruder Erdin sprach im "Kicker" von einem "Resümee" im Winter: "Wir werden schauen, auf wie viele Spiele Xherdan dann gekommen ist."

Die Fähigkeiten und das Talent für einen der größten Klubs der Welt wie den FC Bayern hat der "Kraftwürfel" ohne Zweifel. Doch vielleicht sucht er sein Glück woanders. Bei Liverpool, Juve, Inter? Oder Atletico.

Xherdan Shaqiri im Steckbrief