"Ich bin nicht das van-Gaal-Double"

Von Interview: Stefan Rommel
Frank de Boer ist seit 2010 Trainer von Ajax Amsterdam
© Getty

Frank de Boer hat als Aktiver auf Klubebene fast alles gewonnen, was es zu gewinnen gibt. Jetzt mischt er als Trainer von Ajax Amsterdam die so genannte Todesgruppe D auf und trifft mit seinem Team am Mittwoch auf den BVB (Mi. 20.30 Uhr im LIVE-TICKER). SPOX traf die Ajax-Ikone am Rande des Länderspiels beim Mercedes-Benz Sportpresseclub im Hafen seiner Heimatstadt. Ein Gespräch über die Probleme des Ausbildungsstandorts Amsterdam, Dortmunder Gegenpressing und Ziehvater Louis van Gaal.

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SPOX: Herr de Boer, als Sie 1995 mit Ajax Amsterdam die Champions League gewonnen haben, standen neun Spieler aus Ajax' eigener Jugendakademie auf dem Rasen. Als der FC Chelsea nach fast zehn Jahren Anlauf im Sommer die Champions League gewonnen hat, war mit Ryan Bertrand ein einziger Spieler aus der eigenen Jugendabteilung dabei. Was haben Sie über den Champions-League-Sieger FC Chelsea gedacht?

Frank de Boer: Wenn sie am Ende die Hände am Pokal haben, dann ist es auch verdient. Das Finale war sicherlich das Ende eines Dramas in Chelseas Champions-League-Saison, die ja in den Runden davor schon oft auf der Kippe stand. Aber sie haben den Titel geholt und den kann ihnen niemand mehr nehmen. Punkt.

SPOX: Die Entwicklung verärgert gerade Sie nicht, der Sie doch ein Trainer bei einem vergleichsweise unterdurchschnittlich alimentierten Verein sind?

De Boer: Man muss immer schauen, womit man investieren kann. Einige haben nahezu unbegrenzte finanzielle Mittel. Ajax Amsterdam dagegen musste schon immer kreativ sein und andere Wege finden. Wir sind ein kleines Land, in der Eredivisie ist kaum Geld in der Fernsehvermarktung zu verdienen. Also beschreiten wir andere Wege. Wir werden uns nie mit ManCity oder Chelsea messen können. Wenn andere Stars einkaufen, müssen wir sie ausbilden.

SPOX: Was macht es so schwierig für einen Klub wie Ajax, mit den Großen in Europa mitzuhalten?

De Boer: Das Bosman-Urteil war für einen Klub wie unseren natürlich ein schwerer Rückschlag. Als ich Ajax damals verlassen habe, war ich 29. Ich war reif genug, hatte hier viele Erfolge. Heute sind mit Ajax die ganz großen Erfolge kaum zu erreichen. Potente ausländische Klubs ködern unsere Spieler und die gehen mit 21, 22 Jahren schon wieder weg. Ein Alter, wo sie mitten in der Entwicklungsphase stecken und zu wenig Erfahrung mitbringen. ich bin der Meinung, dass ein talentierter Spieler eher mit 25 oder 26 Jahren wechseln sollte.

SPOX: Aber Sie können den Aderlass Ihrer besten Spieler nicht verhindern.

De Boer: Schauen Sie Jan Vertonghen an. Er war mein Kapitän, war auf dem Weg zum Leader meiner Mannschaft zu werden, mehr Verantwortung zu übernehmen. Und dann ist er plötzlich weg. Also müssen wir wieder von vorne anfangen, den nächsten 21-Jährigen aufbauen und ihn auf so ein hohes Level bringen. Das ist mit das Schwierigste an unserer Arbeit. Aber wir wissen um diese Problematik und halten deshalb auch strikt an unserer Philosophie fest.

SPOX: Macht es Sie nicht müde, immer wieder von Neuem anzulaufen?

De Boer: Ich sehe das eher als Herausforderung an. Die Wahrscheinlichkeit, dass Christian Eriksen nächste Saison nicht mehr bei Ajax spielt, ist sehr hoch. Also müssen wir jetzt schon nach dem neuen Eriksen sichten und ihn ersetzen.

SPOX: Ajax hat vor einigen Jahren auch auf die veränderten Bedingungen im weltweiten Scouting reagiert und mit Ajax Cape Town einen Tochter-Klub in Südafrika erworben. Vorrangig, um beim Ringen um afrikanische Spieler gut aufgestellt zu sein. Wie läuft der Austausch mit den Kollegen ab?

De Boer: Uns gehören 51 Prozent am Klub, wir haben dort Trainer installiert, die zuvor hier in Amsterdam bei Ajax gearbeitet haben. Ich muss aber zugeben, dass der Austausch und der Fluss an Informationen besser sein könnte. Afrika ist ein großer Kontinent, Kapstadt liegt nicht wirklich zentral. Das ist ein Problem. Aber ich sehe das Unternehmen auch, um Ajax als Marke weltweit zu platzieren; als eine Art Ausstellungsstück.

SPOX: Geradezu vorbildhaft fährt Ajax Amsterdam die Strategie, ehemalige Spitzenspieler wieder in den Verein zu integrieren und ihnen wichtige Funktionen anzuvertrauen. Was steckt hinter dieser Philosophie?

De Boer: Erstens erreicht man dadurch bei den jungen Spielern ein sehr hohes Maß an Identifikation mit dem Klub. Das ist gerade im Hinblick auf die finanziellen Verlockungen, die immer früher an die Jugendlichen herangetragen werden, ein unschlagbares Pfund. Und dann kennen wir Ehemaligen den Klub natürlich in- und auswendig. Wir kennen die Standards, die hier verlangt werden und können unser Wissen weitergeben. Wir haben den langen Weg einst schließlich selbst beschritten. Dabei geht es nicht darum, persönliche Eitelkeiten zu befriedigen oder sich zu profilieren. Es geht um Ajax, es geht darum, einen jungen Spieler auf ein Level zu bringen, das wir selbst einst hatten. Darauf verschwenden wir enorm viel Energie, um in ein paar Jahren dann sagen zu können: 'Ja, wir haben hier einen tollen Job gemacht.'

SPOX: Wann haben Sie Jahr für Jahr zumindest ein Etappenziel erreicht?

De Boer: Wenn wir mindestens zwei Spieler im Schnitt vom Jugendbereich in die Profimannschaft bringen. Da kann es natürlich Schwankungen geben. Einmal schafft keiner oder nur einer den Sprung, dann aber wieder vier Spieler auf einmal.

SPOX: Louis van Gaal hat Anfang der 90er Jahre für neue Strukturen im Verein gesorgt, von denen Ajax heute noch zehrt.

De Boer: Er hat den Klub verändert und den Leuten gezeigt, wie der Weg für Ajax sein muss. Van Gaal war der Vorreiter der Idee, die wir hier bis heute verfolgen und umsetzen wollen.

SPOX: Sie galten als Spieler als van Gaals verlängerter Arm auf dem Feld. Wie ist Ihr Verhältnis zu ihm heute?

De Boer: Sehr gut. Im Prinzip ist es immer noch so wie vor 20 Jahren.

SPOX: Van Gaal gilt nicht gerade als einfacher Charakter.

De Boer: Er akzeptiert eine andere Meinung zu einhundert Prozent - aber sie muss fundiert sein. Wenn ich eine Sache anders sehe als er, dann sage ich ihm das auch völlig offen. Er ist offen für die Ansichten anderer. Aber sie müssen inhaltlich nachvollziehbar sein.

SPOX: Wie viel Trainer van Gaal steckt denn im Trainer de Boer?

De Boer: Er hat mir zehn Jahre lang als mein Trainer alles gezeigt. Ich habe unheimlich viel von ihm gelernt. Aber ich bin nicht das van-Gaal-Double. Ich nehme mir von den Sachen, die ich gut finde, das Beste mit. Wenn Sie mir einen guten Vorschlag machen, übernehme ich den in meine Handlungsweisen. Ich selektiere und wäge ab. Nur so schaffe ich meine eigene Identität als Trainer. Louis van Gaal war mein bester Trainer und ein toller Mensch. Aber ich will ihn nicht kopieren.

SPOX: Jose Mourinho wagte neulich die These, dass kein Klub Borussia Dortmund zweimal hintereinander schlagen könne. Wie sehen Sie das?

De Boer: Für mich gehört die Borussia zu den Mannschaften, die mindestens das Halbfinale erreichen können. Dortmund hat eine unheimlich starke Mannschaft, die in der Tat sehr schwer zu schlagen ist. Aber wir waren im Hinspiel in Dortmund schon nahe dran.

SPOX: Was für eine Art Spiel erwarten Sie am Mittwoch?

De Boer: Ich erwarte Dortmund so wie immer: Mit schnellem Umschalten in die Offensive, das die eine große Stärke ist. Da müssen wir sehr gut aufpassen, dass sie uns nicht kalt erwischen.

SPOX: Was sehen Sie als Dortmunds andere große Stärke?

De Boer: Ihr Verhalten, wenn sie den Ball nicht haben oder eben verloren haben. Ich kenne das deutsche Wort dafür nicht...

SPOX: Es hat sich der etwas eigenwillige Begriff Gegenpressing etabliert.

De Boer: Okay, ihr Gegenpressing ist eines der besten der Welt. Vielleicht derzeit das beste. Jeder weiß genau, was er zu tun hat. Sie überlassen da nichts dem Zufall. Im Umschalten in beide Richtungen sind sie mit führend in der Welt.

SPOX: Ajax hat in der Liga bereits 16, in der Champions League auch schon acht Gegentore hinnehmen müssen. Ist das der Preis, den Sie für Ihre offensive Spielweise zahlen müssen?

De Boer: Man muss unterscheiden. In der Liga sind 16 Gegentore aus 13 Spielen viel zu viel, da bleibt kein Deutungsspielraum. Aber in der Champions League kann so etwas gegen diese Gegner passieren. Da spielen die besten Stürmer der Welt gegen dich, die aus einer halben Chance zwei Tore machen. Wir ändern deshalb aber nicht unseren Stil. Wir haben drei tolle Spiele abgeliefert. Nur das Heimspiel gegen Real Madrid war sehr enttäuschend. Da haben wir aber vier der acht Gegentore kassiert. Bleiben also vier in drei Spielen gegen den deutschen und den englischen Meister. Dabei haben wir eine ziemlich unerfahrene Truppe auf dem Platz stehen mit einigen Verteidigern, die erstmals in der Champions League spielen. Ich finde die Quote angesichts dessen sehr ordentlich.

SPOX: Sie werden am Mittwoch also nichts an Ihren gewohnten Vorgaben ändern?

De Boer: Wir sind Ajax Amsterdam. Wenn wir mit Selbstbewusstsein spielen und an uns glauben, können wir eine sehr unangenehme Mannschaft sein. Unsere drei guten Spiele verliefen immer auf Messers Schneide. Manchmal genügt eine Kleinigkeit, um die Münze in eine Richtung fallen zu lassen. Wollen wir mal hoffen, dass sie diesmal in unsere Richtung fällt.

Der Kader von Ajax Amsterdam