Die Kontinuität steht über allem

Von Stefan Rommel
Das dienstälteste Duo der Liga: Werder-Coach Thomas Schaaf (l.) und Manager Klaus Allofs
© Getty

Wenige Tage vor dem Start der Bundesliga stellt SPOX alle 18 Klubs in der großen Vorschau-Serie vor - mit allen Transfers, Hintergründen und der Saison-Prognose. Diesmal: Werder Bremen.

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Kaum ein anderer Verein in der Bundesliga steht so sehr für Kontinuität wie Werder Bremen. Die "Politik der ruhigen Hand" wurde einst von Deutschlands Bundeskanzler als Schlagwort und Schutzschild zugleich benutzt, hinter dem er sich verstecken konnte - in Bremen erfährt der schöne Satz seit Jahren schon seine Umsetzung in die Realität.

Lange Zeit war es relativ ruhig in Bremen, bis die Weltmeisterschaft einen der Angestellten ins Rampenlicht rückte und eine heftige Debatte auslöste: Geld oder Leistung.

Mesut Özil bestimmt seit etlichen Wochen die Schlagzeilen und reduziert Werder in der Außendarstellung auf den Verein, der jetzt eine grundlegende Entscheidung fällen muss. Denn dass Özil weg will, ist mittlerweile längst öffentlich.

Der Verein stellt sich aber quer und erntet damit nicht nur bei den eigenen Fans Unverständnis. Die Mehrheit der Werder-Anhänger würde Özil lieber heute als morgen gehen lassen, um endlich wieder ein bisschen mehr Ruhe in den Verein zu bekommen.

Die Verantwortlichen bleiben sich und ihrer Devise aber treu und halten das Heft des Handelns selbst in der Hand, beugen sich nicht dem Druck von außen und machen die Dinge so, wie es in Bremen gute Tradition ist: Mit bedächtiger Ruhe.

Das ist neu

Im Prinzip hat sich bei und an Werder Bremen nicht viel geändert. Das Personal ist fast unverändert, der Trainer derselbe, die Strukturen im Verein die alten.

Und doch stehen die Hanseaten erneut vor einer grundlegenden Veränderung: Sollte Mesut Özil doch noch die Freigabe für einen Wechsel - sehr wahrscheinlich zu Real Madrid - erhalten, würde Werder den zweiten klassischen Spielmacher innerhalb eines Jahres verlieren.

Eigentlich sind die Bremer nach dem Theater um Diego vom letzten Sommer einiges gewöhnt, aber auch der Özil-Poker zieht sich jetzt schon mehrere Wochen hin und bestimmt die Schlagzeilen rund um das Team.

Der Nationalspieler will weg, Manager Klaus Allofs lässt ihn (noch) nicht ziehen. Das riecht nach Ärger. Es sei denn, Allofs gibt sich doch noch der finanziellen Verlockung hin und streicht jetzt noch eine satte Ablöse für Özil ein, der nach dieser Saison sonst ablösefrei wechseln kann.

Als Özil erst ein paar Tage bei der Mannschaft war, sorgte ein anderer für Unruhe. Marko Arnautovic ist ein toller Fußballer, aber eben auch ein etwas schwieriger Charakter. Im Trainingslager musste der junge Österreicher zum ersten Mal von Schaaf und Allofs zurechtgestutzt werden.

Vielleicht nur ein Ausrutscher mit einem Schuss vor den Bug zur rechten Zeit. Oder aber der Vorgeschmack auf das, was die Verantwortlichen mit dem durchaus launischen Arnautovic in Zukunft erwarten wird.

Immerhin sind alle Wechselabsichten von Per Mertesacker ad acta gelegt und bis auf Naldo hat sich in der Vorbereitung kein Spieler ernsthaft verletzt. Was noch bleibt, ist das Hickhack um den Brasilianer Wesley. Der sollte längst in Bremen sein, jetzt zickt sein Verein FC Santos aber rum und schiebt Schachtjor Donezk als neuen Interessenten vor.

Das Feilschen um Wesley nimmt immer groteskere Züge an und entwickelt sich neben der Özil-Personalie langsam zu einem echten Ärgernis...

Immerhin gehen Schaaf und Allofs in die elfte Saison als Trainer-Manager-Gespann. Das steht für Kontinuität, sachdienliche Arbeit, Zuverlässigkeit und jede Menge Vertrauen. Schaaf und Allofs sind gewiss nicht immer einer Meinung, am Ende aber so uneitel und zielgerichtet, dass für Werder fast immer die beste Lösung gefunden wird.

Eine hervorragende Basis, um die der Großteil der Konkurrenz Werder Bremen auch in dieser Saison beneiden wird.

Die Taktik

Werder hat sich in der letzten Saison vom 4-4-2 mit Mittelfeldraute emanzipiert. Früher war die Mannschaft auf einen zentralen Regisseur festgelegt, heute ist sie spieltaktisch so variabel wie nur wenige andere in der Liga.

Nach dem 4-2-3-1 der vergangenen Saison hat sich Trainer Schaaf in der Vorbereitung auch auf ein 4-3-3 eingelassen. Angesichts der ungeheuren Spielstärke im offensiven Mittelfeld und Angriff eine durchaus clevere Lösung.

Mit Arnautovic hat Bremen einen Spieler verpflichtet, der sich sowohl im Sturmzentrum als auch auf den Flügeln dahinter wohlfühlt und der eine überragende Technik mitbringt.

Im Bedarfsfall kann Schaaf aber auch auf ein klassisches 4-4-2 mit zwei Sechsern zurückgreifen.

Die Besetzung der einzelnen Mannschaftsteile ist hinten klar: Tim Wiese ist unantastbar, davor steht die Innenverteidigung mit Mertesacker und Naldo. Leider ist der Brasilianer immer noch verletzt und fällt nach seiner Knie-OP nochmals mehrere Wochen aus, also wird Sebastian Prödl neben Mertesacker auflaufen.

Rechts in der Viererkette ist Clemens Fritz gesetzt, der seine aufsteigende Form der letzten Saison über die Sommerpause konservieren konnte. Links streiten sich Sebastian Boenisch und Petri Pasanen um den Startplatz, wobei der spielstärkere Boenisch leicht die Nase vorn hat.

Auf der Doppel-Sechs hat sich neben Torsten Frings Youngster Philipp Bargfrede etabliert. Für die erfahrenen Tim Borowski oder Daniel Jensen bleibt im Zentrum vorerst kein Platz. Davor wirbeln Aaron Hunt (rechts), Özil und Marko Marin.

Sollte Özil doch noch gehen, steht in Hunt der entsprechende Ersatz für die Zehnerposition bereits fest. Hunt machte in der Vorbereitung den besten Eindruck aller Bremer.

Altbewährtes und ein neues System: So spielt Werder Bremen

Der Spieler im Fokus

Um Marko Arnautovic rankten sich viele Gerüchte und Halbwahrheiten - so schien es. Das Klischee des verwöhnten Jung-Millionärs, der viel fordert, dafür aber nicht viel leisten will, machte schnell die Runde.

Auf unangenehme Weise hat der 21-Jährige dieses Klischee mit seinen zornigen Ausrastern im Trainingslager schon selbst befeuert, die ersten Reibereien ließen also nicht lange auf sich warten.

Dass Arnautovic aber trotz seiner schwierigen Art ein überragender Fußballer ist, hat der Österreicher auch schon bewiesen. Arnautovic bringt für einen Stürmer alles mit, hat eine exzellente Technik, einen Bombenschuss und sehr viel Spielverständnis.

Es liegt sicherlich an Coach Schaaf, den jungen Spieler so auf die Bahn zu bringen, dass er Topleistungen bringen kann. In erster Linie ist dafür aber Arnautovic selbst zuständig. Er muss sein Ego zurückstellen und am besten schnell erkennen, dass nur das Kollektiv zählt. Dann könnte der Österreicher zu einer der neuen Attraktionen der Liga werden.

Marko Arnautovic im SPOX-Porträt: Der Zlatan-Klon

Das Interview

SPOX: Mit Pizarro, Almeida und Arnautovic haben Sie große Namen vor sich. Wo sehen Sie da Ihren Platz?

Ayik: Den klassischen Stürmer gibt es so eigentlich nicht mehr. Früher habe ich zwar meistens als Stürmer gespielt, aber in letzter Zeit bin ich eher ins Mittelfeld gerückt. Generell ist es aber egal, wo ich in der Offensive eingesetzt werde, weil wir auf allen Positionen klasse Spieler haben, gegen die ich mich durchsetzen muss. Ich weiß aber wie gesagt, was ich kann und werde alles dafür tun, mir meinen Platz in der Mannschaft zu erkämpfen.

Das komplette Interview mit Ogur Ayik

Die Prognose

Trotz zurückhaltender Aktivitäten auf dem Transfermarkt - oder gerade deswegen - ist Werder auch in dieser Saison wieder ein Kandidat auf einen der ersten fünf Plätze.

Im Angriff haben die Bremer durch den Arnautovic-Transfer deutlich an Qualität gewonnen und sind dadurch auch noch flexibler geworden.

Allerdings musste Kapitän Frings bei Arnautovic schon als Moderator vorstellig werden. Seine gezielt öffentlich platzierte Kritik erinnerte an eine Episode mit dem ebenfalls widerspenstigen Diego vor drei Jahren, den Frings ebenfalls öffentlich attackiert und somit wieder auf den Boden der Tatsachen geholt hatte.

Mit einigem Abstand bedankte sich Diego damals sogar bei Frings, der ihn davon abgehalten hatte, zu schnell abzuheben. Ähnlich verhält sich jetzt der Fall Arnautovic. Nur muss der Österreicher auch zu der Einsicht gelangen, dass ihm alle helfen und keiner schaden will.

Das Gerüst der Mannschaft steht soweit. Der Weggang Özils würde zwar schmerzen, ist aber längst als eine Option einkalkuliert und würde innerbetrieblich (Hunt) aufgefangen werden.

Neben den harten Zahlen und Fakten ist Werder in dieser Saison aber auch noch an zwei anderen Fronten aktiv: Nachdem sich mit Bargfrede letzte Saison ein Spieler quasi aus dem Nichts zum Stammspieler entwickelt hatte, wird dieses lange Zeit eher dürre Feld jetzt forscher vorangetrieben.

Mit Felix Kroos und Onur Ayik stehen zwei junge Spieler auf dem Sprung zu den Profis beziehungsweise im engeren Kader der ersten Mannschaft.

Zudem steht der Umbau des Weserstadions weiter im Fokus. Ein langwieriger Prozess, der dem Verein in letzter Zeit auch einiges an Geld gekostet hat.

Trotz der Baustellen Özil, Wesley und unter Umständen auch Arnautovic kann Werder optimistisch in die Saison gehen. Die Mannschaft hat genügend Potenzial für einen Platz in der Europa League, mit ein bisschen Glück ist wieder die Teilnahme an der Champions League drin. Das Rennen um den Titel machen diese Saison aber andere unter sich aus.

Werder Bremen: Der Kader im Überblick