"Ich hatte andere Erwartungen"

Kam im Sommer vom VfB Stuttgart ans Böllenfalltor: Kocka Rausch
© getty

Er war auf dem Sprung in die Nationalmannschaft, machte nach seinem Wechsel zum VfB Stuttgart aber eine schwere Zeit durch. Seit Sommer spielt er nun für den SV Darmstadt 98 und erlebt seinen zweiten Frühling. Im Interview spricht Konstantin Rausch über Schusters Ansprachen, seine Zeit in Stuttgart und verrät, dass er sich vorstellen könnte, für Russland aufzulaufen.

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SPOX: Herr Rausch, Sie kommen ursprünglich aus der Nähe von Novosibirsk. Im Alter von fünf Jahren zogen Sie mit Ihrer Familie nach Deutschland. Haben Sie noch Erinnerungen an diese Zeit?

Konstantin Rausch: Ich wurde in Kozhenvnikovo geboren. Das ist ein Ort in der Region Tomsk. Wirklich große Erinnerungen habe ich an diese Zeit aber nicht mehr, dafür war ich noch zu klein. Mit 13 Jahren war ich mit meiner Familie noch einmal dort und konnte mir dadurch ein Bild machen, wo meine Familie gelebt hat, bevor wir 1995 nach Deutschland gezogen sind.

SPOX: Und wie war es?

Rausch: Es ist ein Ort, der relativ trostlos ist. Als Kind kann man dort nicht wirklich viel machen. Alles war alt und der Winter sehr kalt, nicht zu vergleichen mit Deutschland.

SPOX: In Deutschland sind viele Flüchtlinge angekommen. Können Sie sich daher besonders in die Lage dieser Leute hineinversetzen?

Rausch: Ich kann durch meine Erfahrungen ein Stück weit nachvollziehen, wie es für die Menschen ist, die ihr Heimatland verlassen und voller Hoffnung nach Deutschland kommen. Daher versuche ich, die Leute zu unterstützen und spende beispielsweise Geld oder helfe bei sozialen Einrichtungen.

SPOX: Wenn man sich mit Ihnen unterhält, merkt man nicht, dass Sie eigentlich aus Russland kommen. Sie sind das Produkt perfekter Integration.

Rausch: Dank des Fußballs, ja. Ich hatte das Glück, dass ich gleich in den Kindergarten kam und lernte dadurch die Sprache sehr schnell. Wenn man jeden Tag mit Freunden kickt, hat man schnell Zugang zur Kultur und zur Sprache. Das hätte ich in keinem Deutschkurs gelernt.

SPOX: Kommen wir zum Sportlichen: Nach einem sehr guten Saisonstart gab es aus den letzten vier Spielen lediglich einen Punkt. Ist die Aufstiegseuphorie nun verflogen?

Rausch: Wir sind in der Liga sehr gut angekommen, hatten nach zehn Spielen bereits 13 Punkte. Das hätte uns vor der Saison keiner zugetraut. Dass wir auch mal ein oder zwei Spiele verlieren, war uns von Anfang an klar. Deshalb wäre es illusorisch gewesen, davon auszugehen, dass wir weiterhin so konstant punkten. Solche Sachen werfen uns nicht um.

SPOX: Anders gefragt: Haben sich die Gegner inzwischen auf den SV Darmstadt und die Spielweise eingestellt?

Rausch: Es war kein großes Geheimnis, wie wir spielen. Von daher wussten die Gegner von Anfang an, was sie erwartet, wenn sie auf uns treffen. Bisher haben wir es in fast jedem Spiel geschafft, es unseren Gegnern so schwer wie möglich zu machen. Die Niederlage gegen Stuttgart war letztlich unglücklich. Am vergangenen Sonntag haben wir erstmals nicht das abgerufen, was wir eigentlich können - und dann kassierst du in der Liga eben drei Dinger.

SPOX: Wie schafft es Trainer Dirk Schuster, die Mannschaft immer wieder so einzustellen, dass jeder 110 Prozent gibt?

Rausch: Der Trainer trifft mit seinen Ansprachen immer genau den Nerv der Mannschaft und schafft es, uns immer wieder perfekt einzustellen. Wir wissen über die Stärken der kommenden Gegner Bescheid, aber Schuster macht uns auch immer deutlich, dass wir uns auf unsere eigenen Stärken verlassen können und fokussiert uns darauf.

SPOX: Unter Schuster blühten Sie nach zwei nicht so erfolgreichen Jahren beim VfB Stuttgart wieder auf. In 14 Spielen erzielten Sie zwei Treffer und bereiteten fünf Tore vor. Was hat der Trainer mit Ihnen gemacht?

Rausch: Natürlich hat der Trainer seinen Anteil daran, weil er einem von Anfang an das Gefühl gibt, gebraucht zu werden. In Darmstadt fühle ich mich wieder wichtig. Hier kann ich dem Team helfen, weil ich wieder das Selbstvertrauen habe. Es ist ja in gewisser Weise ein Geben und Nehmen. Der Trainer gibt mir das Vertrauen, das spüre ich und ich zahle es mit Leistung zurück.

SPOX: Mit Christian Mathenia, Aytac Sulu, Jerome Gondorf und Marcel Heller gehören nur noch vier Spieler der Sensationsaufsteiger zur ersten Elf. Gab es da irgendwann mal Stress innerhalb der Mannschaft, weil die Neuzugänge nun meist den Vorzug erhalten?

Rausch: Nein, Ärger gibt es bei uns in der Mannschaft überhaupt nicht. Ich habe schon vom ersten Tag an gespürt, dass im Team eine herausragende Stimmung herrscht. Jeder unterstützt den anderen, keiner ist neidisch, wenn er mal nicht spielt. Das habe ich in der Bundesliga so auch noch nicht gesehen. Das ist wirklich bemerkenswert.

SPOX: Die zwei Jahre in Stuttgart vierliefen eher enttäuschend. Was waren die Gründe?

Rausch: Es ist zunächst einmal immer schwierig, sich in einem neuen Team zu etablieren, wenn man wenig Spielzeit bekommt. In Darmstadt steht der Teamgedanke im Vordergrund, nur so können wir hier erfolgreich sein, das wissen wir. Wir halten einfach zusammen. Das ist hier außergewöhnlich stark ausgeprägt. Bei den Lilien kommt mir natürlich auch die Spielweise entgegen. Ich fühle ich mich derzeit einfach wohl, auch weil wir uns privat gut verstehen. Beim VfB bin ich insgesamt nie wirklich angekommen. Ich denke, das macht viel aus.

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SPOX: Als Sie für Hannover 96 spielten, absolvierten Sie acht U21-Länderspiele, den Schritt zur A-Nationalmannschaft haben Sie beim VfB allerdings nicht geschafft. War der Wechsel nach Stuttgart im Nachhinein betrachtet ein Fehler?

Rausch: Als ich nach Stuttgart ging, hatte ich natürlich andere Erwartungen. Als Mensch bin ich beim VfB allerdings gewachsen und habe mich definitiv weiterentwickelt. Wenn man über einen längeren Zeitraum nicht auf dem Platz steht, muss man dann auch nicht über das Thema Nationalmannschaft nachdenken, das ist klar.

SPOX: Stichwort Nationalmannschaft: Roman Neustädter, der eine russische Mutter hat, erklärte kürzlich, dass er sich vorstellen könnte, für die russische Nationalmannschaft zu spielen. Ist das auch für Sie denkbar?

Rausch: Das wäre für mich durchaus eine Option, immerhin liegen meine Wurzeln in Russland.

SPOX: Gab es schon Kontakt zum russischen Verband?

Rausch: Bisher gab es noch keinen Kontakt, aber ich würde mich freuen, wenn ich die Chance hätte, für Russland zu spielen. Allerdings steht jetzt erst einmal der SV Darmstadt auf meiner Prioritätenliste ganz oben, alles andere wird sich zeigen.

Konstantin Rausch im Steckbrief