Europareise wider Willen

Von Adrian Franke
Emiliano Insua war in der vergangenen Saison mit Atletico in der Königsklasse unterwegs
© getty

Emiliano Insua könnte sich als defensiver Königstransfer des VfB Stuttgart erweisen, der Argentinier kommt gleichzeitig aber mit einem gewissen Gepäck. Für den 26-Jährigen ist der Wechsel nach Stuttgart vielleicht schon die letzte Chance, sich in Europa zu beweisen - und das neue System der Schwaben scheint ihm dafür wie auf den Leib geschneidert.

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Man konnte dem schmächtigen 18-Jährigen förmlich ansehen, wie sein Herz höher schlug. "Bei Liverpool zu unterschreiben war ein fantastischer Moment und etwas, das ich in meinem jungen Alter nicht erwartet hatte. Jeder argentinische Fußballer will in Europa spielen", erklärte der Teenager nach seinem Wechsel zu den Reds.

Gleichzeitig bekam man schnell den Eindruck, dass Insua zumindest zum Teil wusste, worauf er sich einlässt, als er hinzufügte: "Ich will das Beste aus dieser Chance machen. Ich weiß, wie viel Glück ich habe, bei einem der größten Klubs der Welt zu sein. Rafa Benitez hat mir gesagt, dass in England harter, physischer Fußball gespielt wird und ich mich anpassen muss. Ich muss mich einfach an das Tempo des Spiels gewöhnen."

Es war letztlich ein Ziel, das der Defensivmann nie erreichen sollte. Auch wenn man ihm mangelnden Einsatz kaum vorwerfen kann.

Pool? "Ich war sehr überrascht"

Schon einige Jahre zuvor hatte Insua einen großen Schritt gewagt, von seinem kleinen Jugendklub ging es bereits im Alter von acht Jahren zu den großen Boca Juniors. "Ich kam aus Villa Urquiza, ein Stadtteil aus Buenos Aires. Das Team hieß Pinocho, ein bisschen wie die Puppe mit der großen Nase", erzählte er von seiner Kindheit.

Während er bei der Juniorennationalmannschaft schnell zum unangefochtenen Leistungsträger aufstieg, gekrönt mit dem späteren Triumph bei der U20-Weltmeisterschaft 2007, tat sich der Außenverteidiger im Klub weiter schwer.

Insua schaffte es nicht, sich im Profikader festzubeißen - doch seine Auftritte im Nachwuchsbereich auch vor dem Turnier im Sommer 2007 blieben in Europa nicht unbemerkt und fanden unerwartet hochklassige Interessenten. "Ich habe mit Boca bei einem Turnier in Spanien gespielt. Während des Turniers bekam ich einen Anruf von meinem Berater aus Buenos Aires", erinnerte sich Insua auf der Pool-Website nach dem Wechsel.

Sein Berater unterrichtete ihn davon, "dass Liverpool Scouts geschickt und der Klub ein Angebot abgegeben hatte. Ich war sehr überrascht." Boca ließ sich nicht zwei Mal bitten: Insua spielte keine größere Rolle in den langfristigeren Planungen der Argentinier und so dauerte es nicht lange, ehe sich der Traditionsklub mit dem FC Liverpool auf eine 18-monatige Ausleihe verständigte.

Trotz Fleiß kein Preis?

Doch auch auf der Insel ließ der Durchbruch nach dem Wechsel im Januar 2007 auf sich warten. Insua kam erst Ende April zu seinem Debüt, insgesamt brachte er es in seiner ersten Saison auf lediglich zwei Profi-Einsätze für Pool. So musste er sich in der Vorbereitung auf die U20-WM weiter auf Einsätze bei der zweiten Mannschaft verlassen, Liverpool belohnte seine starken Auftritte bei der Reds-Reserve aber schließlich mit einem Dreijahresvertrag.

Obwohl der damalige Pool-Coach Benitez große Stücke auf Insua hielt, kam der Youngster dennoch erst in der Saison 2008/09 häufiger zum Einsatz, als die Reds in der Defensive Verletzungsprobleme plagten. Insua arbeitete hart und gelobte schon früh: "Ich habe mit dem Englischunterricht begonnen und werde jeden Tag lernen. Ich versuche, mit meinen englischen Mitspielern zu sprechen."

Tatsächlich lernte er schnell und gab früh erste Interviews in der Landessprache. Doch der technisch versierte Abwehrmann, der neben Diego Maradona Roberto Ayala und Juan Pablo Sorin als seine sportlichen Vorbilder bezeichnet, ließ sein offensichtliches Talent immer wieder nur vereinzelt aufblitzen.

Die ungeplante Europa-Tour

Die Kritik, wonach Insua zu früh den Schritt nach Europa gewagt und wichtige Entwicklungsjahre in der Heimat leichtfertig ausgelassen hatte, häufte sich. Auch in Liverpool wurden die Fürsprecher zunehmend weniger: Nach wettbewerbsübergreifend nur 62 Pflichtspielen in dreieinhalb Jahren bei den Reds, wovon er 44 in seiner letzten Liverpool-Saison 2009/10 absolvierte, war das Abenteuer Premier League für Insua beendet.

Nach einjähriger Ausleihe zu Galatasaray folgten Wechsel zu Sporting Lissabon (2011 bis 2013) und Atletico Madrid (2013/14). "Ich habe nicht zwei Mal darüber nachgedacht und habe keinerlei Zweifel. Es war ein Kindheitstraum von mir, für Atletico zu spielen", erklärte er nach seinem Wechsel zu den Rojiblancos.

Doch es blieb das alte Spiel für den Defensivmann. Wieder konnte er sich nicht final durchsetzen, so dass ihn Atletico in der vergangenen Spielzeit zu Rayo Vallecano auslieh. Im Zuge seiner ungeplanten Europa-Tour haftet Insua zunehmend der Stempel an, sein Talent nicht konstant abrufen zu können. Genau hier wird der neue VfB-Trainer Alexander Zorniger gefragt sein.

"Neues Land, neue Herausforderung"

Insua stellte nach dem Transfer in die Bundesliga via Twitter klar: "Neues Land, neue Herausforderung - ich habe große Lust, mein neues Trikot auf dem Spielfeld zu tragen." Der inzwischen 26-Jährige blickt beim VfB auf seine vielleicht letzte echte Chance, sich in einer europäischen Topliga zu beweisen - und soll im Spiel der Schwaben eine wichtige Rolle einnehmen.

"Die Verpflichtung von Emiliano Insua ist ein weiterer Schritt in unserer Kaderplanung. Wir freuen uns, dass er künftig das Trikot mit dem roten Brustring tragen wird und wünschen ihm einen guten Start beim VfB", strahlte Sportvorstand Robin Dutt - umso mehr, da der Argentinier von seinem Sonderkündigungsrecht Gebrauch machte und damit zwar ein kleines Handgeld, aber keine teure Ablöse kostete.

Der ideale Tempo-Verteidiger?

Stuttgart will unter Zorniger nicht nur, wie schon teilweise unter Huub Stevens, hoch verteidigen, sondern gleichzeitig auch mit äußerst aggressivem Tempofußball aus der Defensive heraus agieren. "Tempo macht den Fußball aus, wie ich ihn mir vorstelle, wie er mir gefällt", erklärte der neue Stuttgarter Coach. Insua kann dabei in der Innenverteidigung oder auf der linken Seite spielen und so in zwei Problemfeldern aushelfen.

Zudem kann er mit der nötigen Technik und Geschwindigkeit, auch in der Spieleröffnung, aufwarten. "Es ist gut den Ball auch zu nutzen, wenn du ihn hast. Ich denke, ich bin ein guter Zweikämpfer und will aber auch am Spiel teilnehmen", beschrieb sich der Defensivmann vor einigen Jahren selbst. Nun ist es an der Zeit, das konstant zu beweisen.

Gut zwei Jahre nach seiner freudigen Vorstellung in Liverpool hatte bei Insua eine gewisse Resignation Einzug erhalten. "Ich will als Spieler immer spielen", erklärte er damals beim klubeigenen TV-Kanal, "als ich hier her kam, wollte ich mich weiter entwickeln, hatte aber auch die Erwartung an mich selbst, mich schnell im ersten Team durchzusetzen." Bislang blieb ihm dieser Wunsch in Europa verwehrt. Beim VfB winkt jetzt für beide Seiten eine große Chance.

Emiliano Insua im Steckbrief