Unumstritten umstritten

Nach 17 Jahren beim VfB zieht es Ulreich zu den Bayern
© getty

Der Wechsel von Sven Ulreich zum FC Bayern überrascht, macht aber für den Torhüter und die Münchner Sinn. Stuttgart verliert einen VfBler durch und durch, der trotz seiner Identifikation mit dem Klub selten über alle Zweifel erhaben war. Die Jagd nach einem geeigneten Nachfolger ist eröffnet.

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Die Nachricht kam unerwartet, geradezu aus dem Nichts. Sven Ulreich verlässt den VfB Stuttgart und wechselt für eine Ablösesumme von angeblich gut drei Millionen Euro zum FC Bayern, wo er einen Vertrag bis 2018 unterschrieben hat.

Ulreich erklärte, nach vielen Jahren in Stuttgart eine neue Herausforderung gesucht zu haben: "Da bin ich hier beim FC Bayern genau an der richtigen Adresse. Ich möchte meinen Teil zum Erfolg beitragen und werde immer da sein, wenn ich gebraucht werde."

Das dürfte nicht allzu oft der Fall sein. Manuel Neuer steht in München selbstverständlich nicht zur Disposition, Ulreich kommt als klare Nummer 2 und wird - vorausgesetzt der Weltmeister von 2014 verletzt sich nicht - ein Leben im übermächtigen Schatten Neuers führen. Ein Stammplatz auf der Bank. Und das im Alter von 26 Jahren.

Gute Argumente für einen Wechsel

Manch einer stellt sich deshalb die Frage, ob sich Ulreich mit diesem Schritt nicht in gewisser Weise die Karriere ruiniert. "Das kommt auch für mich überraschend. Aber ich kenne Ulle und seine Familie seit über 15 Jahren und bin mir deshalb sicher, dass er sich die Entscheidung nicht leicht gemacht hat. Er wird sich intensiv Gedanken gemacht haben", sagte VfB-Legende Hansi Müller im Gespräch mit SPOX.

Nüchtern betrachtet gibt es nämlich gute Argumente, um vom Neckar an die Isar umzuziehen.

Das Geld, wovon Ulreich beim FC Bayern sicher mehr als beim VfB verdienen wird, ist dabei nur ein kleinerer Faktor. Viel wichtiger: Der gebürtige Schorndorfer ist ein intelligenter Bursche, der nicht wie der Prototyp des Fußball-Profis tickt.

Er muss nicht im Mittelpunkt stehen. Vielmehr achtet er darauf, dass er sich in seiner Rolle bei seinem Verein wohl fühlen kann. "Wenn man sich nicht wohl fühlt, dann bringt das ganze Geld nichts", hat der 1,92-Meter-Mann einmal gesagt.

"Bayern bekommt einen 110-prozentigen Profi"

Für eine Nummer 2 beim FC Bayern sind Momente des Drucks überschaubar. Man steht in der Regel nicht im Fokus der Medien, kann sich am Ende aber trotzdem Meister oder gar Champions-League-Sieger nennen.

Außerdem kann es Ulreich voranbringen, unter Pep Guardiola und mit Neuer täglich zu trainieren. Kurzum: Es gibt im Fußball-Business deutlich schlechtere Jobs, als Ersatzkeeper beim deutschen Rekordmeister zu sein.

Auch für die Bayern erscheint die Verpflichtung sinnvoll. Pepe Reina verlässt den Verein voraussichtlich in Richtung Neapel, Tom Starke soll weiterhin als Nummer 3 fungieren. Mit Ulreich bekommen die Münchner einen erfahrenen Mann, der unter dem Strich zuverlässig hält, charakterlich einwandfrei ist und kein Theater machen wird.

"Die Bayern bekommen einen tollen Menschen und 110-prozentigen Profi", bestätigte Müller. Ein Bundesliga-Stammtorhüter als Ersatzmann - was will man mehr?

Abschied einer Identifikationsfigur

Der VfB hingegen verliert mit Ulreich eine seiner letzten Identifikationsfiguren. 25 Kilometer von Stuttgart entfernt geboren und aufgewachsen. Als Kind vom Vater mit ins Stadion geschleppt, als Jugendlicher im A-Block gestanden. Im Alter von zehn Jahren zum VfB gekommen, insgesamt 17 Jahre im Klub. Viel mehr geht nicht.

"Sven Ulreich hat sich mit dem VfB immer voll identifiziert. Sicherlich mehr als viele andere Profis. Er ist beim VfB groß geworden und ist einer, der für den Fußball lebt. Ich denke beide - Ulreich und Stuttgart - haben voneinander profitiert", so Müller.

Als die Schwaben 2011 mal wieder mitten im Abstiegskampf steckten, merkte man Ulreich an, wie nah ihm die schwierige Situation ging. Schließlich wandte er sich mit einem flammenden, authentischen Appell an die Mannschaft.

"Ich bin VfBler durch und durch, ich kenne jeden Mitarbeiter. Für diese Mitarbeiter und unsere Fans müssen wir uns den Arsch aufreißen. Ich fühle mich verantwortlich, ich bin schuld, dass wir unten stehen und eventuell Mitarbeiter gefeuert werden. Wenn der schlimmste Fall eintritt, der Abstieg, will ich helfen, dass es direkt wieder nach oben geht."

Von Labbadia und Veh verstoßen

Gerade wegen dieser Einstellung in Stuttgart von fast allen als "einer von uns" respektiert, war Ulreich gleichzeitig selten gänzlich unumstritten. Neben Teilen der Fan-Szene galt das auch auf rein sportlicher Ebene. Unter Bruno Labbadia und unter Armin Veh hatte Ulreich seinen Status als unangefochtene Nummer 1 zwischenzeitlich verloren. Von Huub Stevens einmal abgesehen, gab es immer gewisse Zweifel.

Ganz unberechtigt waren die Zweifel nicht. Ulreich, der vor ein paar Jahren noch mit der Nationalmannschaft in Verbindung gebracht wurde, hielt meistens zuverlässig, immer seltener allerdings herausragend. Seine Entwicklung stagniert.

Das ist auch den Verantwortlichen nicht verborgen geblieben. Sie waren von ihrem Stammkeeper nicht vollends überzeugt, was mit ein Grund für den Wechsel gewesen sein dürfte. Zuletzt wurde immer wieder gemunkelt, die Stuttgarter wären auf der Suche nach einem Mann, der eine echte Konkurrenz zu Ulreich darstellt.

Tyton, Weidenfeller oder Grahl?

Womöglich veranlasste Ulreich die Aussicht, in der kommenden Saison unter dem neuen Coach Alexander Zorniger vielleicht nur noch die Nummer 2 zu sein, den Verein zu verlassen. Auch wenn Sportdirektor Robin Dutt in der Bild erklärte: "Wir hätten ihn natürlich gerne behalten."

Wie dem auch sei: Ulreichs Abgang kann der VfB aus sportlicher Sicht verkraften. Auch wenn bislang nicht klar ist, wie die Zukunft zwischen den Pfosten aussehen wird. Medienberichten zufolge ist der 28-jährige Pole Przemyslaw Tyton von PSV Eindhoven ein heißer Kandidat. Auch Roman Weidenfeller und der gebürtige Stuttgarter Jens Grahl (Hoffenheim) werden mit dem VfB in Verbindung gebracht.

Da Thorsten Kirschbaum vor einem Wechsel nach Nürnberg steht, kommen möglicherweise sogar zwei neue Torhüter an den Neckar. Dann wiederum muss man sehen, was aus Odisseas Vlachodimos wird.

Mit seinen 21 Jahren ist er nicht der klassische zweite Torhüter. Unter Umständen lässt der VfB einmal mehr einen hochveranlagten Mann zwischen den Pfosten ziehen. Man denke nur an Bernd Leno und Diego Benaglio, die nach ihrem Abschied aus Stuttgart groß Karriere machten.

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