Die Angst ist weg, das Chaos nicht

Von Daniel Reimann
Der eine könnte gehen, der andere könnte fliegen: Pierre-Michel Lasogga (l.) und Oliver Kreuzer
© getty

Irgendwie beendet der Hamburger SV eine "dreckige Scheiß-Saison" mit dem Klassenerhalt - dem 1:1 bei Greuther Fürth sei Dank. Doch unter die grenzenlose Erleichterung mischen sich auch haufenweise Fragezeichen. Vor allem für eine Person wird es eng.

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Es war nur ein kurzer Augenblick. Doch ganz sicher war es unabhängig vom Ausgang der Partie der schönste Augenblick des Sonntags. Während einzelne HSV-Spieler in der Mixed Zone gegenüber den Journalisten ihre Erleichterung kundtaten, huschte einer ihrer Kollegen im Hintergrund vorbei und nahm Kurs auf die Hamburger Kabine.

Man hörte noch kurz, wie die Tür aufging, dann wurden sämtliche Geräusche von lautem Gebrüll und Jubel übertönt. Auch nachdem die Tür ins Schloss gefallen war, waren die fröhlich grölenden Hamburger nicht zu überhören.

Der Auslöser war Johan Djourou. Djourou, der in der 28. Minute nach einem Kopfballduell mit Ilir Azemi eine schmerzhafte Landung erfuhr, bewusstlos wurde und minutenlang behandelt werden musste.

Als die Sanitäter ihm als Vorsichtsmaßnahme eine Halskrause anlegten, kamen erste schlimmere Befürchtungen auf. Im Krankenhaus folgte dann die Entwarnung: Der Schweizer hatte sich nur eine Gehirnerschütterung zugezogen, die Halswirbel wurden nicht beeinträchtigt.

"Noch so eine Saison ertrage ich nicht"

Und so traf Djourou noch halbwegs rechtzeitig zu den Feierlichkeiten wieder im Stadion ein. "Im Krankenhaus habe ich das Spiel per Smartphone verfolgt", erklärte der Verteidiger gegenüber "Bild". Den Moment der Erlösung wollte er auf keinen Fall verpassen.

Manch ein Mitspieler hingegen konnte die Spannung nicht ertragen. Rafael van der Vaart und Tolgay Arslan verschwanden nach ihrer Auswechslung in der Kabine, vergruben ihre Gedanken unter laut aufgedrehten Kopfhörern und harrten so lange aus, bis die Qual der Ungewissheit endlich ihr Ende fand. "Es war schrecklich", erzählte van der Vaart nach dem Spiel über den Nervenkrieg, den die Hamburger in Fürth zu bewältigen hatten.

Auch sein Teamkollege Heiko Westermann war nervlich an sämtlichen Grenzen des Erträglichen angelangt: "Ich bin weg, auf einem anderen Planeten. Noch so eine Saison ertrage ich nicht, sonst bin ich selbstmordgefährdet", sagte der Verteidiger hinterher und ergänzte: "So eine Saison wird der HSV nicht noch einmal überstehen."

Entlassungen, Debatten und 27 Punkte

Tatsächlich war es eine auf zahlreichen Ebenen desaströse Spielzeit. So desaströs, dass viele Beobachter den Klassenerhalt schlicht als "unverdient" einstuften. Eine Einschätzung dazu bleibt zwar jedem selbst vorbehalten, doch die Fakten liefern zumindest das ein oder andere Indiz.

Seit dem 29. Spieltag stand der HSV auf Platz 16, gewann seitdem keines seiner sieben letzten Spiele - und hielt die Klasse. Mit 27 Punkten. Eine Ausbeute, die seit der Einführung der Drei-Punkte-Regel noch nie zum Klassenerhalt gereicht hatte.

Zwei Trainer mussten ihren Misserfolg in dieser Saison mit der Entlassung bezahlen. Sportdirektor Oliver Kreuzer stand mehrmals vor dem Rauswurf, durfte aber letztendlich seinen Posten behalten. Hinzu kamen unzählige Diskussionen um Namen, Posten und Kompetenzen, die sich über das komplette HSV-Gebilde vom Aufsichtsrat über Vorstand bis hin zur sportlichen Leitung erstreckten und nur selten in Einigkeit und konkrete Ergebnisse mündeten

"Das war eine beschissene Saison", fasste es Dennis Diekmeier zusammen. Eine "dreckige Scheiß-Saison" habe der HSV hinter sich, resümierte Arslan. Was bleibt, ist zunächst pure Erleichterung. Die Existenzangst eines kompletten Vereins ist vorerst wieder Geschichte. Gleichzeitig aber hinterlässt die schlechteste Saison in der Vereinsgeschichte auch zahlreiche Fragezeichen und Baustellen..

Leistungsträger vor Abschied - Kreuzer wackelt

Mehrere sind sportlicher Natur. Die beiden Protagonisten des Hamburger Klassenerhalts dürften schon in der kommenden Saison wieder bei einem anderen Verein spielen. Pierre-Michel Lasogga gehört Hertha BSC - und der HSV ist schlicht machtlos.

Zwar sei es weiterhin der fromme Wunsch Kreuzers, Lasogga irgendwie in Hamburg zu halten, doch nach dem Abschied von Ramos scheint es kaum realistisch, dass die Berliner ihren zweiten Top-Stürmer ziehen lassen.

Van der Vaart steht angeblich bei Besiktas hoch im Kurs und Hakan Calhanoglu hat zwar einen bis 2018 gültigen Vertrag, doch auch bei ihm stehen die Zeichen offenbar auf Wechsel. Wie der "Kicker" berichtet, hat sein Berater mit Bayer Leverkusen bereits die Eckdaten für eine Verpflichtung abgesteckt und forciert einen Wechsel in der Sommerpause. Wenngleich Kreuzer beschwört, dass Calhanoglu "definitiv HSV-Spieler bleiben" werde.

Dazu kommt noch, dass auch die Zukunft von Kreuzer selbst ungeklärt ist. Seine Mitgliedschaft im Vorstand steht ohnehin zur Disposition, laut "Kicker" hat er bereits selbst seinen Verzicht darauf angeboten. Ob ihn das vor dem Aus bewahrt, ist fraglich. Angeblich ist Dietmar Beiersdorfer noch immer ein zentrales Thema in der Hansestadt und Favorit auf den noch zu schaffenden Posten des Vorstandsvorsitzenden in einer Fußball AG..

Wegweisende Mitgliederversammlung

Voraussetzung dafür ist aber eine Umsetzung der angestrebten Reform "HSVPlus", die auch eine Ausgliederung der Profiabteilung vorsieht. Am Sonntag werden die Mitglieder darüber abstimmen. Dann könnte sich auch das Schicksal von Kreuzer entscheiden, für dessen Nachfolge bereits Namen wie Jens Lehmann, Bernhard Peters oder Peter Knäbel gehandelt werden.

Kreuzer selbst gab auf der Pressekonferenz am Montag zu Protokoll, seine Planung hänge nicht von "HSVPlus" ab. "Ich bin Teil des Vereins und versuche mit dem Trainer die Planung voranzutreiben", so Kreuzer. Mindestens bis zum Sonntag wird das auch noch so bleiben.

Fürth -Hamburg: Alle Fakten zum Spiel

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