BVB: Die geplante Gratwanderung

Von Jochen Tittmar
Zwei der drei Dortmunder Entscheidungsträger: Trainer Jürgen Klopp und Sportdirektor Michael Zorc
© imago

Begleitet von einer brodelnden Gerüchteküche planten die Verantwortlichen von Borussia Dortmund den Kader für die Saison 2013/2014. Dabei beschritt der BVB einen neuen Weg, hielt aber zugleich die Linie, die für die Borussia in den Vorjahren maßgebend war - und nun riskant werden könnte. Der Supercup gegen den FC Bayern (Sa. 20.30 Uhr im LIVE-TICKER).

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"Wenn wir morgen das Geld hätten, wäre er übermorgen wieder da", sagte Jürgen Klopp einmal in einem Interview. Der Kontext ist heutzutage kaum mehr vorstellbar. Klopps Sichtweise hat seinen Ursprung im Juni 2009. Borussia Dortmund hatte Kevin-Prince Boateng ein halbes Jahr zuvor von den Tottenham Hotspur ausgeliehen.

Boateng überzeugte Klopp, obwohl er nur zehn Spiele machte und ansonsten entweder verletzt oder gesperrt fehlte. Doch um den Mann zu verpflichten, der sich jahrelang mühelos in den Bad-Boys-Top-10 hielt, wären fünf Millionen Euro fällig gewesen. Vor noch vier Jahren war eine solche Summe für die Borussia nicht zu stemmen. "Uns sind finanziell die Hände gebunden", sagte Sportdirektor Michael Zorc damals.

CL-Einnahmen über 60 Millionen Euro

Jetzt, im Sommer 2013, verfügte der BVB über eine Summe, die an der dreistelligen Millionenmarke kratzte. Über 60 Millionen Euro nahm der Verein allein auf der "Road to Wembley" ein. Als Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke Anfang März deutliche Nettoinvestitionen in den Kader ankündigte, meinten einige bereits, sieben oder acht neue Spieler zur nächsten Saison in Dortmund begrüßen zu dürfen.

Allerdings stand bei Watzke und allen anderen, die sich zu diesem Thema äußerten, nie zur Debatte, der Mannschaft dermaßen viel frisches Blut zuführen zu wollen. Vielleicht wäre es schlau gewesen, wenn einer der Verantwortlichen zwischendurch einmal deutlich gemacht hätte, dass das Bestreben, Spitze und Breite des Kaders voluminöser zu gestalten, nicht mit derart vielen Neuverpflichtungen einhergeht.

Torschlusspanik bei BVB-Fans

Doch wird wiederum in Zeiten der schnellen, hektischen Interpretationen jedes auf die Goldwaage gelegte Wort genauestens durchleuchtet, so dass man sich in Dortmund wie gewohnt wortkarg zu den Aktivitäten auf dem Transfermarkt gab.

So aber begleitete den BVB diesen Sommer eine scheinbar unaufhörlich brodelnde Gerüchteküche, die sowohl von seriösen als auch fragwürdigen Quellen befeuert wurde. Bis zu 30 Namen wurden gehandelt, manche ergaben Sinn, andere erwiesen sich zügig als klassische Sommerloch-Enten.

Da sich der Klub entschied, diese Spirale durch eigene Kommentierungen nicht noch weiter zu drehen, andererseits aber eine gefühlt lange Zeit ohne Vollzugsmeldung verstrich, entstand auch auf Seiten der Dortmunder Fans eine gewisse Torschlusspanik.

Eriksen stand nie auf Dortmunds Liste

Mit den Transfers von Pierre-Emerick Aubameyang und Henrikh Mkhitaryan, die innerhalb von fünf Tagen verkündet wurden, veränderte sich mit dem seit Ende Mai fixen Wechsel von Sokratis plötzlich das öffentliche Bild. Die Unsicherheit, die Medien und Anhänger angesichts des Dortmunder Vorgehens lange Zeit verspürten, legte sich wieder.

De facto standen sechs Namen auf der Wunschliste, die die Dortmunder Verantwortlichen für diesen Transfersommer erstellten. Lediglich zwei davon, Kevin de Bruyne und mutmaßlich Malagas Isco, konnte der BVB nicht verpflichten.

Drei Akteure (Sokratis, Aubameyang, Mkhitaryan) kamen, so dass derzeit nur noch der als Perspektivspieler deklarierte letzte Mann fehlt. Diesbezüglich wird man sich mit dem Vollzug noch etwas gedulden müssen. Ein Cristian Eriksen, den niederländische Medien nach Dortmund schrieben, hatte es beispielsweise zu keinem Zeitpunkt auf die Liste geschafft.

Auffüllung des Kaders durch Talente

Letztlich konnte Dortmund also viel von dem umsetzen, was ursprünglich geplant war. Die drei Neuen verkörpern hohe individuelle Klasse, vermögen dem Team direkt weiterzuhelfen und bringen vor allem den Konkurrenzkampf schnell auf eine neue Stufe. Der Weg dorthin war jedoch steinig und dazu noch einer, den die Borussia in der aktuellen Zusammensetzung noch nie gegangen ist. Ein überhitzter Transfermarkt und das Wissen der abgebenden Klubs um die neue Finanzstärke des BVB ließen die Zeit verstreichen, die Verhandlungsgespräche zogen sich länger hin als in den Jahren zuvor.

Die getätigten Investitionen belaufen sich nun auf knapp unter 50 Millionen Euro - so viel gaben die Westfalen in ihrer Vereinsgeschichte noch nie aus. Der Druck im Kessel ist dadurch noch einmal gestiegen. Sind die Neuen ihr Geld wert? War es richtig vom BVB, diese Summe in drei Spieler zu investieren? Funktionieren sie auf Anhieb im speziellen Dortmunder Gefüge?

Die Borussia vollzog in ihrer Kaderstrukturierung eine geplante Gratwanderung. Wo auf der einen Seite die großen Ausgaben stehen, befindet sich auf der anderen die Auffüllung des Kaders durch heranwachsende Talente. Abgesehen von Jonas Hofmann, dem als Gewinner der Vorbereitung von Klopp bereits der vollendete Sprung nach oben attestiert wurde, schloss der BVB vor allem im Defensivbereich die Lücken mit Spielern aus dem eigenen Unterbau.

"Wir trauen allen den Sprung zu"

Das mag angesichts der qualitativen Kluft, die sich im Vorjahr hinter den Außenverteidigern Marcel Schmelzer und Lukasz Piszczek auftat, durchaus riskant erscheinen. Watzke reagierte im SPOX-Interview auf eine entsprechende Nachfrage relativ harsch: "Wer uns dahingehend einen Vorwurf macht, ist von relativ wenig Sachkenntnis geprägt und hat von der Zusammensetzung der Mannschaft von Borussia Dortmund keine Ahnung."

Die freien Plätze in der Defensive werden neben dem polyvalenten Kevin Großkreutz, der zunächst rechts, im schlimmsten Fall links in der Viererkette verteidigen soll, mit den zwei 18-jährigen Innenverteidigern Marian Sarr und Koray Günter sowie dem 19-jährigen Linksverteidiger Jannik Bandowski besetzt.

"Wir trauen allen den Sprung zu. Wir haben versucht, die Lücken, die für diese Jungs da sind, bei der Kaderplanung und -gestaltung nicht komplett zu schließen. Jetzt liegt es an den Jungs, wie sie da rein- und durchflutschen. Die wahnsinnige Bereitschaft, sich darauf einzulassen, haben sie", begründete Klopp.

Dortmund hält die bewährte Linie

Dieses Vorgehen ist neben allem Risiko, das auf diesem Niveau unerprobte Jungspunde auf natürliche Weise mit sich bringen, als mutig zu werten. Dortmund hält damit jedoch die Linie, die auch schon in den Jahren ohne Doublesieg und Champions-League-Finale maßgebend in der Kadergestaltung war: Junge und entwicklungsfähige Spieler an den Kader heranzuführen.

Ob diese Gratwanderung jedoch auch in Zeiten aufgeht, in denen der BVB mittlerweile nach den ganz großen Früchten zu greifen versucht, wird sich frühestens dann zeigen, wenn die Kern-Mannschaft von Verletzungsproblemen heimgesucht werden sollte und/oder die Qualität der Gegner steigt.

Kevin Großkreutz hat bislang beispielsweise noch keine Partie als Außenverteidiger in der Königsklasse absolviert, Hofmann, Sarr, Günter und Bandowski sind gänzlich ohne Erfahrung auf diesem Niveau. Am Schließen der bereitgestellten Lücken versuchten sich auch Leonardo Bittencourt oder Moritz Leitner. Beide hat der BVB mittlerweile verliehen. Ob mit oder ohne Sachkenntnis: Ein Restrisiko, wenn auch einkalkuliert, bleibt.

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