Der unsichtbare Architekt

Von Fatih Demireli
Dr. Karsten Schumann (l.) ist Sammers rechte Hand beim FC Bayern
© Imago

Dr. Karsten Schumann kam mit Matthias Sammer vom DFB zum FC Bayern München. Der offiziell als "Wissenschaftlicher Mitarbeiter" geführte Experte soll Bayerns Sport-Vorstand zuarbeiten und ihm für dessen Planungen und Ideen den wissenschaftlichen Background liefern. Die Erfolge beim DFB sprechen für Schumann. Dem Schattenmann Sammers fällt beim FC Bayern wohl deswegen auch eine viel wichtigere Rolle zu.

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Dr. Karsten Schumann hatte einen klaren Auftrag, der eigentlich recht simpel klang. Und dennoch brachte er es fertig, seinen Chef unzufrieden zu stimmen. "Ich muss mich beschweren", kritisierte Matthias Sammer, Sport-Vorstand des FC Bayern München im Trentino, "es ist viel zu heiß".

Folglich hatte Schumann, den Sammer vom Deutschen Fußball-Bund mitbrachte, schon an einem seiner ersten Arbeitstage beim Rekordmeister versagt, schließlich sei er "für das Wetter hier zuständig", wie der neue Mann beim Trainingslager der Münchener erzählte.

Es ist natürlich nicht nur Sammers Lächeln in Folge seiner nicht ganz ernst gemeinten Beschwerde, das vermuten lässt, dass Schumann nicht dafür sorgen kann und soll, künftig die Sonne scheinen zu lassen oder nicht. Sammers engster Mitarbeiter beim FC Bayern hat ganz andere Fähigkeiten und Aufgaben.

"Alters- und entwicklungsgerechter Leistungsaufbau"

Sein offizieller Titel lautet "Wissenschaftlicher Mitarbeiter". So wurde Schumann auch schon beim DFB geführt. Und auch an seinem Handeln wird sich - oberflächlich betrachtet - nicht viel ändern. Er soll Sammer zuarbeiten und dem Sport-Chef für dessen Planungen und Ideen den wissenschaftlichen Background liefern.

Was dies genau bedeutet, versuchte Sammer unlängst zu erklären. Wohl wissend, dass er dem Zuhörer bei der Formulierung des Tätigkeitsbereichs seines persönlichen Mitarbeiters "ein Schleudertrauma" verpasst. "Im Prinzip ist er mitverantwortlich für einen alters- und entwicklungsgerechten, langfristigen Leistungsaufbau, um die Leistungsvoraussetzung in den Klub zu bringen", erklärt Sammer.

Was zunächst einmal sehr abstrakt klingt, ist für Sammer die Grundlage seiner Arbeit. Zwar sieht der neue Sport-Vorstand den FC Bayern nicht als kranken Patienten. Um ihn aber mittel- und langfristig erfolgsorientiert zu formen, sind Maßnahmen des neuen Sport-Vorstands gefragt.

Beobachtungen im Trainingslager

"Zwei, drei Prozent" fehlen dem FC Bayern laut Sammer, um das funktionierende Vereinsgebilde in die Nähe des Optimums zu bringen. "Es gibt stabile Faktoren innerhalb des Vereins, die wir weiter analysieren und festlegen wollen", sagt Sammer. Die Betonung liegt auf "wir", denn ein Teil der Analyse fällt in den Zuständigkeitsbereich Schumanns, der abseits der täglichen Arbeit, an der er mitnichten teilhaben soll, Beobachtungen anstellt.

Wie im Trentino, als Schumann weit vor den Trainingseinheiten seinen Platz auf der Tribüne einnahm und diesen auch weit danach erst wieder verließ - jedes mal mit einer bemerkenswerten Anzahl von Notizen in seinem Block. "Er schaut sich Trainingseinheiten an, wir haben ein paar Tests gemacht", sagt Sammer. Damit Cheftrainer Jupp Heynckes nicht übergangen wird, werden alle Beobachtungen auch mit ihm geteilt.

Zwar ist Schumann auch für den Profi-Bereich zuständig, aber der Wissenschaftler wird eine elementare Figur beim FC Bayern darstellen, wenn Sammer die kurzfristig notwendigen Aufgaben bewältigt hat, um dann in die Tiefe zu gehen. Dann, wenn Sammer neue Strukturen und Vorgänge schafft, damit der FC Bayern in der Basis, im Nachwuchsbereich, auf soliden Beinen steht.

Anfangs kritisch beäugt beim DFB

Erste Schritte unternahm Sammer-Vorgänger Christian Nerlinger: Er arbeitete ein Konzept aus, stellte sie in Umrissen der Klub-Führung vor - die Umsetzung hielt sich allerdings in Grenzen. Nun soll es Sammer, der Nachwuchs-Experte des deutschen Fußballs schlechthin, richten. "Wir wollen beim FC Bayern einen gemeinsamen Weg gehen", formuliert Sammer den Titel seines Projekts.

An dieser Stelle beginnen die Parallelen zum DFB, wo auch unter Sammer im Nachwuchsbereich ein "gemeinsamer Weg" gegangen wurde. Ein Architekt dieses Weges war auch Schumann, der ein großes Ansehen genoss, obwohl er zunächst kritisch beäugt wurde.

"Da hat anfangs zunächst keiner richtig verstanden, was er macht, aber alle haben gemerkt, dass die Konzepte und die Entwicklung gar nicht so schlecht waren", sagt Sammer über seinen Schattenmann.

Freund: "Unfassbar viel Wissen angehäuft"

Steffen Freund, der unter Sammer U-17-Trainer beim DFB war und inzwischen als Andre Villas-Boas' Assistent bei Tottenham Hotspur fungiert, bestätigt dies bei SPOX: "Dr. Schumann hat Sport nicht nur studiert, sondern unfassbar viel Wissen angehäuft, wovon alle U-Trainer des DFB extrem profitiert haben."

Freund arbeitete eng mit Schumann zusammen. Und die Ideen des Experten kamen nicht nur bei ihm gut an: "Sein Leitsatz lautet: 'Die Theorie ist die Mutter der Praxis.' Das heißt: Wenn ich nicht vorher weiß, was im Fußball theoretisch gefordert ist, wird es in der Praxis schwierig, erfolgreich zu sein."

Die Theorie hielten Sammer und Schumann in Broschüren fest. "Der weite Weg zum Erfolg" beispielsweise war die Ausbildungskonzeption des DFB. Vielmehr war es aber eine Leitlinie, die jeder DFB-Jugendtrainer zu verinnerlichen hatte. Profitiert haben sie alle davon: der DFB, die Spieler, die Trainer.

Leitlinien auch für den FC Bayern

"Es war mir eine Freude, das alles aufzusaugen, weil ich das jetzt als Co-Trainer bei Tottenham wunderbar einbringen kann", sagt Freund. "Ich weiß genau, wie das Training auszusehen hat, damit wir im Detail einen Schritt vorankommen. Wenn man dieses Wissen nicht hat, bleibt man immer im Allgemeinen. Deswegen ist Dr. Schumanns Arbeit so extrem wichtig."

Sammer und Schumann haben längst begonnen, ähnliche Leitlinien für den FC Bayern auszuarbeiten. Kopieren will man sie aber nicht. "Man kann nichts Eins zu Eins übertragen", sagt Schumann. Also wird es eine klubgerechte Version der Broschüre geben, die die Zukunft des FC Bayern prägen soll. "Steht der Klub auf einer gesunden Basis, kann er davon nur profitieren", sagt Schumann.

Die "eigene Identität", die auch Sammer immer wieder predigt, ist auch für Schumann wichtig. Diese sei bei selbst ausgebildeten Spielern "natürlich ausgeprägter", als bei Profis, die teuer gekauft werden, sich aber nicht erwartungsgemäß entwickeln und einbringen.

Bekommen Sammer und Schumann die Zeit?

Abzuwarten ist, ob Sammer und Schumann beim FC Bayern genauso viel Zeit bekommen wie beim DFB. Zu oft verwarf der FC Bayern anfangs gute Ideen.So war es bei Jürgen Klinsmann, der als großer Revolutionär kam, so war es bei Louis van Gaal, der eigene Methoden hatte, die erfolgversprechend waren, aber im Schatten des schwierigen Charakter des Niederländers blieben.

Nun hat der FC Bayern den Sammer-Weg eingeschlagen. Durch ihn will sich der Rekordmeister auf die nächste Stufe hieven. Das wissenschaftliche Knowhow dazu soll von Schumann kommen. Und wenn diese nächste Stufe tatsächlich erreicht wird: was wird dann aus Schumann?

"Beim DFB hieß es nach einem Jahr: Das Konzept steht, er kann jetzt nach Hause gehen: Ein Konzept ist nur so gut, wenn es jeden Tag überprüft, gelebt und korrigiert wird. Dafür muss es Verantwortlichkeiten geben", sagt Sammer, der mit Schumann aber wohl erst vollends zufrieden ist, wenn auch das Wetter passt.

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