"Ich konnte ja nie richtig Luft holen"

Von Stefan Moser
Bruno Labbadia leitet sein erstes Training beim VfB Stuttgart
© Imago

Pedantischer Prediger und selbstherrlicher Starrkopf? Bruno Labbadia kämpft als neuer Trainer in Stuttgart auch gegen seine eigene Vergangenheit. Die Schüsselbotschaft dabei lautet: Er hat aus seinen Fehlern gelernt.

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"Ich nehme nur Sachen ernst, die man mir ins Gesicht sagt. Für mich sind das Hosenscheißer, die sich anonym im Internet äußern." Gut acht Monate ist es nun her, dass Bruno Labbadia seine Kritiker abkanzelte, die sich in diversen Fan-Foren - kaum weniger offenherzig - gegen den Trainer aussprachen.

Damals war der 44-Jährige noch beim Hamburger SV; die grundsätzliche Immunität gegen digitale Anfeindungen dürfte Labbadia aber auch bei seinem Amtsantritt als Trainer des VfB Stuttgart zu gute kommen.

Denn als bekannt wurde, dass er es nun ist, der die Schwaben vor dem Abstieg retten soll, mischten sich online sofort ungläubiges Entsetzen und beißender Spott zu einer hysterischen Stammtisch-Debatte.

Pedantischer Prediger

Früher für seine akribische Arbeit und moderne Ideen aus Trainings- und Motivationslehre gefeiert, hatte sich Labbadia nach zwei spektakulär gescheiterten Bundesliga-Engagements in Leverkusen und Hamburg einen Ruf als pedantischer Prediger und unnahbarer Eigenbrötler mit abgehobenen Ansichten und selbstherrlicher Sturheit erworben.

Im Medien-Jargon galt der einstige Shooting-Star der Trainer-Szene schlicht als "verbrannt". Und ausgerechnet er sollte nun als "Feuerwehrmann" in Stuttgart die Dinge gerade rücken?

Der VfB hatte die virtuelle Aggression im Internet durchaus wahrgenommen. Zusammen mit der Einladung zur Präsentation des neuen Trainers verschickte die Pressestelle auch gleich die Bitte, Zeit und Ort der Veranstaltung nicht zu veröffentlichen. Offenbar aus Angst vor ganz realen Protesten.

Einen Trainer mit einer derart negativen Wahrnehmung mit der Aufgabe zu betrauen, positive Energien freizusetzen, ist sicher ein Wagnis. Für beide Seiten. Sollte die Sache schiefgehen, hätten es alle schon vorher gewusst. Labbadia hätte seine vorerst wohl letzte Chance in der Bundesliga endgültig verspielt, das Management der Stuttgarter den Verein vermeintlich sehenden Auges in die 2. Liga geführt. Trotzdem sind beide bereit, das Risiko einzugehen.

Kommentar zum VfB: Von der Hand in den Mund

Labbadia hat aus Fehlern gelernt

Und so bemüht sich die Schicksalsgemeinschaft nun, dem Unternehmen einen Vertrauensvorschuss zu verschaffen. Die Botschaft lautet: Labbadia hat aus seinen Fehlern gelernt.

"Wir haben sehr ausführlich mit ihm darüber gesprochen, wie diese Dinge entstanden sind. Er hat uns alles erklärt. Es spricht für ihn, dass er von sich aus auch Fehler angesprochen hat und Punkte genannt, aus denen er gelernt hat", sagte VfB-Präsident Erwin Staudt  zu "Sport1".

Auch Labbadia räumte am Montag im "Kicker" ein, dass er "natürlich nicht" alles richtig gemacht habe: "Ich bin durchaus zur Selbstkritik fähig. Und ich behaupte nicht, dass ich mit sieben Jahren Trainererfahrung alles weiß." Er habe sich viel Rat eingeholt und "ergründet, was gut und was schlecht war."

Vor allem in Leverkusen, das gestand Labbadia auch früher schon zu, habe er die Spieler mit seinem Ehrgeiz überfordert. Als er mit Bayer das Jahr 2008 mit drei Punkten Rückstand auf Herbstmeister Hoffenheim beendete, lobte er die Mannschaft nicht für eine phasenweise brillante Hinrunde, sondern zeigte ihr auf, wo sie unter ihren Möglichkeiten geblieben war. Was ihr noch fehlte, um wirklich die Chance auf die Meisterschaft zu haben.

"Ich wollte zu schnell zu viel"

"Vielleicht wollte ich zu schnell zu viel und wir hätten geduldiger sein müssen", sagte Labbadia mit etwas Abstand. Tatsächlich verlor er zusehends den Zugang zu den Spielern, die Mannschaft verkrampfte und Leverkusen beendete die Saison auf Rang neun.

Auch das aufsehenerregende Interview, das am Tag vor dem Pokalfinale gegen Werder Bremen in der "SZ" erschien, sieht Labbadia heute als "Fehler." Darin kritisierte er ausführlich Mannschaft und Klubführung: Der Verein habe sich in einer "Komfortzone" eingerichtet und sei nicht bereit, für den Erfolg an die Grenzen zu gehen.

Selbst im Augenblick seines Scheiterns hatte er damit noch einmal sein Profil geschärft. Labbadia, der positiv Besessene, der Hungrige, der bedingungslose Arbeiter und Antreiber. Eigenschaften, die vor allem bei Vorständen gut ankommen, die ihren Spielern die Diagnose ausstellen: "Rufen ihr Potential nicht ab." So wie in Stuttgart heute. Oder damals beim HSV.

Bester Saisonstart seit 1983

Auch in Hamburg beeindruckte er anfangs mit seinem offensiven Konzept, verpasste der Mannschaft auch unter den erschwerten Bedingungen einer kurzen Vorbereitung schnell eine klare Handschrift und bescherte dem Verein den besten Saisonstart seit 1983. Doch mit der ersten sportlichen Krise - Verletzungsprobleme paarten sich mit Niederlagen - wiederholten sich die Probleme aus Leverkusen.

Erneut offenbarten sich Schwächen in der Mannschaftsführung, seine Autorität wirkte aufgesetzt und erzwungen, er verlor seine Glaubwürdigkeit, die Mannschaft wandte sich ab. Es wurden bald Zweifel laut, ob Labbadia den schnellen Sprung aus den unteren Klassen in die Elite der Bundesliga überhaupt für sich bewerkstelligen könne.

In Fürth wurde er zwei Jahr zuvor noch dafür bewundert, wie er mit wenig Geld, aber klaren Konzepten und ehrgeiziger Energie eine Mannschaft mit No-Names zu einem Aufstiegsaspiranten entwickelte.

Stephan Schröck zeigt sich dankbar

Noch im August 2010 äußerte sich der als schwierig verschriene Stephan Schröck im Interview mit SPOX voller Dankbarkeit über seinen damaligen Coach: "Er hatte großen Anteil daran, dass ich den richtigen Weg eingeschlagen habe. Es gab einige Reibereien, weil er akribische Arbeit vorgelebt hat  - und ich eher das Gegenteil. In vielen Gesprächen gelang es ihm jedoch, mir klarzumachen, was passieren wird, wenn ich mich nicht ändere. Damals haben mir die Lektionen nicht geschmeckt, aber im Endeffekt muss ich ihm sehr dankbar sein."

Schröck ist heute einer der besten Spieler der 2. Liga, er hat offenbar zugehört. Er war damals aber auch ein junger Grünschnabel, der auf dem besten Weg war, sein Talent zu verschleudern. Spieler wie Ruud van Nistelrooy oder Ze Roberto, hochdekorierte Profis, Multi-Millionäre und erfolgreiche Familienväter, hören langatmige Lektionen über den Fußball und das Leben als solches vermutlich mit anderen Ohren. Und bald hörten sie in Hamburg überhaupt nicht mehr zu.

Stattdessen führten die Medien bald mit jener Akribie Buch, für die sie Labbadia mittlerweile belächelten. Jeder vermeintliche Fehltritt des Trainers wurde kleinlich notiert - und tatsächlich fanden sich gleich reihenweise Fettnäpfchen.

Fettnäpfchen a la Labbadia

Nachdem der offensichtlich schon minutenlang humpelnde Jerome Boateng ein Gegentor verschuldet hatte, schob Labbadia ihm den Schwarzen Peter zu: Der Spieler hätte die Verletzung anzeigen müssen. Ein andermal schickte er den damals 20-Jährigen vom Trainingsplatz in die Kabine, weil ihm seine Körpersprache nicht gefiel.

Dann verkündete er öffentlich das Karriereende von Frank Rost. Der Torhüter selbst wusste davon nichts. Und schließlich beschwerten sich mehrere Spieler, sie würden bei den ausführlichen Korrekturen bei Minusgraden auf dem Übungsplatz schlicht festfrieren.

Am Ende hatte Labbadia erneut fast die komplette Mannschaft gegen sich aufgebracht und musste wieder gehen. "Tatsache ist, dass ich in der 1. Liga noch beweisen muss, eine Mannschaft auch dauerhaft oben zu etablieren", sagt Labbadia heute.

Ob er aus den Erlebnissen seiner bisherigen Stationen auch die richtigen Schlüsse gezogen hat, weiß nur er selbst. Grundsätzlich ist er "aber davon überzeugt, den Weg zu kennen, um mit meinen Fähigkeiten eine Mannschaft erfolgreich zu führen und zu prägen. Ich denke schon, dass ich die Balance zwischen harter Arbeit und Lockerheit erkenne und umsetze." Als erste Amtshandlung führte er auch in Stuttgart den Acht-Stunden-Tag ein.

Labbadia kein Kumpeltyp

Nicht zu Unrecht erklärt er den Absturz in Hamburg aber auch damit, dass er dort keinen Sportdirektor im Rücken hatte, der seine Autorität stärkte. Mit Michael Skibbe und Martin Jol beerbte er jeweils Trainer, die bei den Spielern sehr beliebt waren. Und Labbadia ist nun mal kein Kumpeltyp. Er vertraut vielmehr auf seine Ideen. "Dafür  braucht man eine Vereinsführung, die hinter einem steht, auch wenn es mal ein kleines Tal zu durchschreiten gilt."

Diese Unterstützung hat ihm Stuttgarts Sportdirektor Fredi Bobic bereits demonstrativ zugesagt. Außerdem baut man beim VfB auf den Effekt, den Labbadia auch in Leverkusen und Hamburg erzielen konnte: "Ich habe gezeigt, dass ich einer Mannschaft schon recht kurzfristig positive Impulse geben kann."

Das hat er in der Tat. Ob er sich auch als Führungspersönlichkeit soweit verändert hat, dass er langfristig eine Bundesliga-Mannschaft entwickeln kann, werden die nächsten Monate zeigen. Immerhin hatte er jetzt ein halbes Jahr Abstand vom Fußball. Und Zeit zum Nachdenken. Anders als in den Jahren zuvor, als er rastlos von einer Station zur nächsten hetzte: "Ich konnte ja nie richtig Luft holen".

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