Christian Gross: Hardliner mit Herz

Von Stefan Rommel
Christian Gross übernahm den VfB Stuttgart Anfang Dezember von Markus Babbel
© Getty

Christian Gross liebt klare Regeln und arbeitet detailversessen und erfolgsorientiert. Dazu gehört auch eine gewisse Machtbesessenheit. Auch der VfB Stuttgart hat das schon erfahren.

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Über Christian Gross ranken sich es in der Schweiz viele Klischees und unzählige Anekdoten, aber nur diese eine gibt den Charakter des kauzigen Zürchers recht griffig wider.

Der FC Basel war vor einigen Jahren mal wieder Schweizer Meister geworden, rückte in die Champions League vor und hatte Gegner wie Inter Mailand oder den FC Barcelona vor der Brust. In der heimischen Liga startete der Spielbetrieb mit einem Heimspiel gegen den FC Aarau.

Ein kleiner Fisch im überschaubaren Fußball-Biotop der Schweiz, ein schöner Auftaktgegner zum Warmspielen. Gross aber ist misstrauisch. Sechs Mal schickt er seine Scouts zu Vorbereitungsspielen des FC Aarau, ein läppisches Trainingsspielchen der ersten gegen die zweite Mannschaft des Gegners schaut er sich in dessen Trainingslager selbst an. Es gibt keine Zufälle.

In Deutschland lange ein Phantom

Christian Gross war in Deutschland lange ein Phantom. Wo immer eine Trainerstelle bei einem der ambitionierten Bundesligisten frei wurde, fiel sein Name. Aber eben so schnell war er dann auch wieder verschwunden.

Jahrelang ging das so, erst der VfB Stuttgart griff in seiner größten Not beherzt und ohne längere Umschweife zu. Der Meistertrainer, der in der Schweiz sagenhafte neunmal zum Trainer des Jahres gewählt wurde, sollte plötzlich - Ambitionen hin oder her - der Retter im furchtbarsten aller Metiers werden: dem Abstiegskampf.

Seit rund acht Wochen ist Gross mittlerweile mittendrin in jenem Kampf um Existenzen - und hat dem in kürzester Zeit seinen Zynismus und einer Horde ängstlicher Spieler die Agonie genommen.

Fußball ist Kommunikation

Der VfB Stuttgart ist nach den Dampfwalzen-Bayern die Mannschaft der Stunde in der Bundesliga und selten zuvor konnte man einen derart spektakulären Aufschwung so leicht einem einzigen Mann zuordnen wie jetzt Christian Gross.

"Fußball ist Kommunikation", sagt Gross gerne. Er nimmt es als Leitsatz, universell einsetzbar und doch von entwaffnender Bestimmtheit. Die "Bild" hatte ihn schnell zum multi-lingualen Genie erkoren, das seine Worte innerhalb der Kabine in vier verschiedene Sprachen kleiden kann.

Gross benötigt für seine Art der Kommunikation aber weit mehr als ein Faible für Sprachen und seine Zunge. Der Mann kommuniziert mit allem, was ihm der liebe Gott als Gaben mitgegeben hat: Gestik, Mimik, Visualisierung, Zeichensprache, Timbre. Und mit dem Einfühlungsvermögen eines ausgebildeten Psychologen.

Ein Schweizer Christoph Daum

"Gross kann spüren, ob's einem gut geht oder nicht. Es ist wichtig, dass er auch mal einen Spieler zur Seite nimmt und sich seine Probleme anhört", sagt sein ehemaliger Zögling Murat Yakin. Yakin ist so etwas wie Gross' Role Model. Aus einem launischen und bisweilen faulen Spieler formte der Coach zu seiner Zeit den besten defensiven Mittelfeldspieler des Landes.

Schon früh drang Gross ein in die jungfräuliche Welt der Sportpsychologie. Ein Schweizer Christoph Daum. Immer am Puls der Zeit, ein Meister der Motivation mit der Aura des Unnahbaren. Und trotzdem bodenständig und normal.

Zu seiner Vorstellung als Trainer der Tottenham Hotspur verzichtete er auf den Fahrservice der Spurs und nahm wie ein stinknormaler Pendler die U-Bahn. Die Yellow Press ächzte schockiert auf und haftete Gross einen Makel an, der ihn bis zu seiner Entlassung treu begleiten sollte.

Er hat sich das notiert, verbiegen ließ er sich davon aber nicht. Letztes Jahr wurde er von Züricher Fans beleidigt und bespuckt. Gross hatte in der Stadt des Erzrivalen auf ein Taxi verzichtet und war nach einem Spiel in die Tram gestiegen. Das mediale Echo darauf schüttelte er einfach so ab, den Vorwurf, naiv gehandelt zu haben, wollte er so nicht stehen lassen.

Stuttgart vor Gross: Nachmittage im Kindergarten

In Stuttgart waren die Wochen vor Gross' Erscheinen wie Nachmittage im Kindergarten. Markus Babbel weilte zu oft beim Trainerlehrgang, als dass er eine Ansammlung von 25 Ich-AGs noch mal zu einem Team formen konnte, wie es ihm zu Beginn seiner Amtszeit eindrucksvoll gelungen war. Und war der Trainer doch mal da, scherten sich einige nicht unbedingt um seine Anweisungen.

Die Folge des latenten Ungehorsams war ein fulminanter Absturz der Mannschaft, einhergehend mit dem totalen Chaos innerhalb der Führungsriege und einem öffentlichen Konflikt mit der Fan-Basis. Ein Verein in Trümmern.

Als eine letzte Zuckung der großen Unbilden erwies sich Jens Lehmanns Ego-Trip in Mainz. Seitdem ist es ruhig am Cannstatter Wasen und der Erfolg hält wieder Einzug.

Vielleicht muss Gross dem widerspenstigen Lehmann sogar ein bisschen dankbar sein: Wie sonst hätte er seine Autorität besser und schneller unterstreichen können, als mit der fixen Abrechnung mit Lehmann? Ruhig verhalten und Leistung bringen. Ansonsten: Keiner ist unersetzlich.

Teammanager im englischen Sinn

Gross ist detailversessen und erfolgsorientiert. Dazu gehört auch eine gewisse Machtbesessenheit. Beim FC Basel war er der Boss. Und nur er. Roche-Erbin und Klub-Besitzerin Gigi Oeri schubste das Geld über den Tisch, wie es verwendet wurde, bestimmte Gross.

Er war damals schon eine Art Teammanager im englischen Sinn. Als der VfB vor wenigen Tagen den Trainer der zweiten Mannschaft, Reiner Geyer, feuerte, hatten sich die Verantwortlichen nach Absprache mit Gross schnell auf den ersten Vorschlag zur Neubesetzung der Planstelle geeinigt.

Jürgen Seeberger sollte es sein. Gross erzählte von dessen Vorzügen und dass beide Spielphilosophien deckungsgleich seien. Allerdings sind sie sich bisher nur als Gegner begegnet, eine Zusammenarbeit gab es nie. Kurze Zeit später unterschrieb Seeberger in Stuttgart. Für einen Klub wie den VfB ist der Unterbau in der U 23 ein fundamentaler Eckpfeiler im Gesamtgebilde.

Ein Abstieg aus der 3.Liga und damit dem Profi-Fußball würde den Betriebsabläufen großen Schaden zufügen, definiert sich der VfB doch traditionell über seine hervorragende Jugendarbeit und generiert damit einen nicht unerheblichen Teil seiner Einnahmen.

Hart, aber fair

Dass es Gross' Favorit dann auch gleich ins Amt schaffte, verdeutlicht den Einfluss, den sich der 55-Jährige in kürzester Zeit innerhalb des Vereins erarbeitet hat. Er ist ein Befürworter der harten Linie in Sachen Vertragsverlängerung bzw. Gehaltsniveau, wie jüngst bei Cacau, dessen offenbar völlig überzogenen Vorstellungen der VfB nonchalant abblitzen ließ.

Seine Tugenden kommen bei den Verantwortlichen an, vor allem aber bei seinen Spielern. "Er ist sehr akribisch, ehrgeizig, bereitet uns auf jeden gegnerischen Spieler speziell vor. Und er vermittelt Spaß am Fußball, trotzdem mit Ernsthaftigkeit und Disziplin. Wir haben eine hohe Qualität, brauchen aber eine klare Linie", sagt Sami Khedira im "Kicker".

Gross ist dafür genau der Richtige. Mit einer Mischung aus Härte und Herzlichkeit geht er die Spieler an, und immer direkt. In der Kabine greift er sich Einzelne heraus. Der daraus resultierende Monolog lässt weder Einwände noch Diskussionen zu. Hart, aber fair.

"In der Sache bin ich direkt. Aber ich habe auch menschliche Züge", erklärte er bei seinem Amtsantritt. "Ich hasse die Grauzonen der Tabelle. Ich will einen Verein trainieren, bei dem ich etwas bewegen kann."

Lob von Buchwald

In seinen ersten Wochen hat er das beim VfB schon geschafft. Den emsigen Christian Träsch in die defensive Zentrale zu stellen, hält SPOX-Kolumnist und Stuttgart-Insider Guido Buchwald für eine sehr gute Idee: "Das verleiht der Mannschaft mehr Stabilität und ermöglicht Sami Khedira mehr Entfaltungsmöglichkeiten in der Offensive."

Für Buchwald ist Gross' Handschrift schon deutlich erkennbar. "Das gesamte Spiel ist körperlich robuster, schneller in der Spieleröffnung und vor allem laufintensiver."

Selbstvertrauen überträgt sich auf die Spieler

Serdar Tasci hat sich neulich in einem Interview zu einer kühnen Aussage hinreißen lassen. In der jetzigen Form hätte der VfB durchaus eine Chance gegen den FC Barcelona.

Das mag ein Stück weit größenwahnsinnig klingen, unterm Strich verdeutlicht es aber nur, dass Gross' Selbstvertrauen und sein Selbstverständnis bis in die hintersten Gehirnwindungen seiner Spieler vorgedrungen sind.

Wo sich der Pressesprecher mit Grausen windet, kann sich Christian Gross in Tascis Worten ein Stück weit wiederfinden. Denn für Gross gibt es nichts Schlimmeres, als zu verlieren.

"Wenn man ein Spiel verliert und der Gegner war nicht besser, explodiere ich", lässt er Niederlagen mit Gegner auf Augenhöhe nicht gelten. Und dann? "Wir wollen und müssen mit unseren Aufgaben wachsen!" Am Samstag erwartet Stuttgart den Hamburger SV. In zwölf Tagen kommt der FC Barcelona.

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