Ein Fall für den Pädagogen

Von Haruka Gruber
Jan Simak hat bislang 43 Bundesliga-Spiele bestritten. Seine Ausbeute: sechs Treffer
© Getty

Jan Simak musste erst Schnee, Eis und seine Vergangenheit besiegen, um ein neues Leben beginnen zu können. Doch in Mainz bahnt sich bereits der erste Konflikt an...

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Sein neues Leben begann beschwerlich. Schwere Schneefälle und Eisglätte wenige Stunden zuvor führten zu chaotischen Zuständen auf den Autobahnen, dennoch setzte sich Jan Simak am Montag vergangener Woche ins Auto und machte sich auf den 550 Kilometer langen Weg von Prag nach Wiesbaden.

"Als mich mein Berater in Tschechien angerufen und von der Anfrage aus Mainz erzählt hat, habe ich nicht lange überlegt und bin sofort losgefahren. Das Wetter war aber schlecht und überall lag Schnee", erzählt Simak.

Sieben Stunden benötigte er bis nach Wiesbaden. Sieben beschwerliche Stunde, die dem 31-Jährigen jedoch seine wohl letzte Chance im deutschen Profi-Fußball eröffnete.

"Der ideale Klub für Jan Simak"

Denn das Gespräch des beim VfB Stuttgart entbehrlichen Tschechen in der hessischen Hauptstadt mit Thomas Tuchel und Christian Heidel, dem Trainer und Manager von FSV Mainz 05, verlief derart vielversprechend, dass bereits am Tag darauf die Verpflichtung bis 2011 (inklusive beidseitige Option bis 2012) offiziell vermeldet wurde.

Simak: "Ich weiß, dass Mainz ein kleinerer Verein ist als Stuttgart. Aber das ist genau das, was ich brauche. Hier halten alle zusammen." Tuchel ergänzt: "Mainz ist der ideale Klub für Jan. Die Art und Weise, wie Verein und Fans hier mit den Spielern umgehen, ist genau richtig für ihn."

Umfassendes Offensiv-Arsenal

Tuchels Vertrauen in Simaks Fähigkeiten ist immens. Nicht anders ist es zu verstehen, dass er statt Simaks Vergangenheit als depressiver Alkoholiker zu thematisieren und um Geduld zu bitten, seinen neuen Offensivspieler ohne Eingewöhnungszeit in die Verantwortung nimmt.

Simak würde etliche Stärken vereinen, die dem FSV in den letzten Wochen abgingen: "Er kann offensive Eins-gegen-Eins-Situationen auflösen, er übernimmt in entscheidenden Momenten Verantwortung und er strahlt aus dem Spiel und bei Standards Torgefahr aus."

Fitness und Selbstvertrauen

Entsprechend erhielt Simak die bedeutungsschwere Rückennummer zehn - auch wenn er derzeit noch nicht in der Verfassung ist, um die hohen Erwartungen zu erfüllen. Nachdem er in Stuttgart aussortiert wurde und nicht einmal zum Winter-Trainingslager mitfahren durfte, verfügt Simak über keine optimale Fitness, wie er selbst zugibt.

Zudem geht ihm mit lediglich 13 Bundesliga-Einsätzen in den vergangenen zwölf Monaten das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten ab, was sich beim durchwachsenen Debüt gegen Hannover (1:0) in einigen Szenen deutlich wurde, als Simak statt selbst den Abschluss zu suchen den Alibipass bevorzugte.

Das von einigen Beobachtern befürchtete Szenario: Könnte der sensible Simak erneut am Druck des Profi-Fußballs scheitern? Am Druck, den der Trainer aufbaut? Am Druck, bei einem ambitionierten Aufsteiger sofort als Leistungsträger in der Pflicht zu stehen? "Jan ist ein Spieler, der uns direkt weiterhelfen kann", sagt Tuchel.

Background-Check in Stuttgart

Mainz-Präsident Harald Strutz vertraut jedoch dem "pädagogischen Geschick" seines Coaches: "Dass Jan Simak einst Depressionen hatte, bewerte ich seit dem Tod von Robert Enke anders. Ich will das Thema nicht zu hoch hängen, aber man entwickelt ein neues Verständnis für die Krankheit. Aber ich habe keine Angst, dass ihm zu viel zugemutet wird. Ein bisschen Druck muss er schon haben. Er ist ja nicht hier, um Klicker zu spielen", sagte Strutz in der "Mainzer Allgemeine Zeitung".

Dem Transfer vorangegangen war ein ausführlicher Background-Check. Tuchel, einst in Stuttgart als Jugendtrainer angestellt, nutzte seine Verbindungen und lotete aus, ob der VfB verhandlungsbereit ist. Außerdem erkundigte sich der Verein bei mehreren Stuttgarter Spielern. Alle hätten versichert, dass Simak noch nie zu spät zum Training erschienen ist.

Der letzte Zweifel wurde ausgeräumt, als Simak freiwillig und kurz entschlossen die winterliche Tortur von Prag nach Wiesbaden auf sich nahm. "Dass er sieben Stunden hierher fährt, weil er das persönliche Gespräch dem Telefonat vorzieht, finde ich nicht nur ungewöhnlich, sondern auch schön. Er hat uns im Gespräch in allen positiven Eindrücken bestätigt, die wir bereits von ihm gewonnen hatten", erklärt Tuchel.

Wo soll Jan Simak spielen?

Fußballerisch ist der Trainer bereits seit längerem von Simak überzeugt. Bei einer vereinsinternen Diskussionsrunde über mögliche Neuzugänge brachte erst Tuchel den Tschechen auf die Agenda. Manager Heidel: "Ich hatte ihn ehrlich gesagt nicht auf dem Zettel. Thomas hat den Namen ins Spiel geworfen, dann haben wir eine halbe Stunde lang diskutiert und eine Stunde später saß Jan schon im Auto."

Doch bei aller Wertschätzung und akribischer Vorarbeit: Noch weiß selbst Tuchel nicht, in welcher Rolle er Simak einsetzen soll. Simak selbst präferiert die Position hinter der Spitze, wo er gegen Hannover auch auflief und nur in Ansätzen überzeugte.

Leidtragender war FSV-Topscorer Andreas Ivanschitz, der sich ebenfalls zentral offensiv sieht, aber wegen Simak auf die Flügel ausweichen musste. Ein Rollenwechsel, welcher dem Österreicher sichtlich nicht behagte.

Bielefeld und 96 im Gespräch

Das Grundproblem: Tuchels Fußball-Idee basiert auf Laufbereitschaft, taktische Disziplin und Pressing. Das Mainzer Kollektiv kann im Grunde nur einen Spieler tolerieren, der nach vorne alle Freiheiten besitzt und sich nur bedächtig an der Defensivarbeit beteiligt. In der Hinrunde genoss Ivanschitz das Privileg - und jetzt?

Noch will sich Tuchel nicht festlegen und sagt: "Ich sehe Jan Simak in unserem 4-2-3-1-System auf allen Positionen in der offensiven Dreierreihe, oder in einer Raute hinter den zwei Spitzen, oder aber wie Leverkusens Toni Kroos im linken offensiven Mittelfeld."

Trotz der Konkurrenz mit Ivanschitz sei der Wechsel nach Mainz jedoch optimal, betont Simak. Zwar stand in Winter ein Vertragsabschluss mit dem Zweitligisten Bielefeld kurz bevor, auch Hannover und einige Vereine aus dem Ausland hätten sich gemeldet.

"Aber zum Glück hat nichts geklappt. Dass ich in Mainz spiele, ist perfekt."

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