Der elegante Wohltäter

Von Thomas Gaber
Anatolij Tymoschtschuk erreichte bei der WM 2006 mit der Ukraine das Viertelfinale
© Getty

Anatolij Tymoschtschuk liebt das Leben, engagiert sich für Charity-Zwecke und hatte einst Ärger mit der ukrainischen Botschaft. In München soll der selbsternannte Verteidigungsminister im defensiven Mittelfeld aufräumen. Experten schwärmen vom Ukrainer.

Anzeige
Cookie-Einstellungen

Stanislaw Tschertschessow war einmal Kultkeeper in der Bundesliga. Von 1993 bis 1995 spielte der Russe 57 Mal in der Bundesliga für Dynamo Dresden. Mal Welt-, mal Kreisklasse. Glanzparaden und bizarre Fehler hielten sich die Waage.

Das war später bei Wacker Innsbruck nicht anders. Im Training, so erinnert sich Tschertschessow, sei er von einem Spieler gleich drei Mal in Folge in Eins-gegen-Eins-Situationen getunnelt worden.

"Der Typ war noch ein halbes Hemd und hatte überhaupt keinen Respekt vor mir altem Sack", sagt Tschertschessow. Dieses halbe Hemd war Anatolij Tymoschtschuk.

1997 absolvierte der damals 18-Jährige ein Probetraining bei Wacker. Tschertschessow nahm den Ukrainer unter seine Fittiche und setzte sich für seine sofortige Verpflichtung ein. "Man hat schon nach einem Trainingsspiel gesehen, wie gut Tymo ist", so Tschertschessow.

Botschaft verhindert Wechsel nach Österreich

Schnell einigten sich Innsbruck und Tymoschtschuks Heimatverein Wolyn Luzk auf einen Transfer. Doch daraus wurde nichts. "Die Mitarbeiter der ukrainischen Botschaft in Österreich gönnten sich einen freien Tag. Ich konnte mir nicht die notwendigen Papiere besorgen. Am Montag war es zu spät - die Transfer-Deadline war abgelaufen", erinnert sich Tymoschtschuk.

Das süße Leben der Botschafter verhinderte einen frühzeitigen Wechsel von Tymoschtschuk in den Westen. Er wechselte deshalb für umgerechnet 18.000 Euro zu Schachtjor Donezk, holte dort sechs nationale Titel, bevor er sich 2007 Zenit St. Petersburg anschloss und ein Jahr später den UEFA-Cup gewann.

"Wie viele kleine Jungs habe ich davon geträumt, irgendwann einen Europapokal zu gewinnen. Deswegen arbeite ich seit Jahren so hart an mir. Zehn Prozent des Erfolgs haben etwas mit Talent zu tun hat. Der Rest kommt von harter Arbeit", sagt Tymoschtschuk.

Superstar bei Zenit

Fußballspielen gelernt hat der 30-Jährige in Kiew. "Ich war auf dem gleichen Internat wie Andrej Schewtschenko. Wir haben ihn alle bewundert. Jeder wollte so werden wie er", sagt Tymo. Anders als Schewa und viele andere Spitzenspieler aus der Ukraine spielte Tymoschtschuk allerdings nie für Dynamo Kiew.

"Valerie Lobanowski, Gott hüte seine Seele, fragte mich einmal: 'Hast du es bereut, dich gegen Dynamo entscheiden zu haben?' Ich antwortete: 'Nein. Seien Sie mir nicht böse, Mister, aber ich habe andere Pläne'."

Dieser Plan sollte ihn irgendwann nach Italien, Spanien oder England führen. Gelandet ist Tymoschtschuk in Deutschland. Seit 1. Juli ist er beim FC Bayern München angestellt. "Bayern gehört zu den größten Vereinen der Welt. Die Bayern-Fans in Russland haben sogar ihre eigene Internetseite", sagt Tymoschtschuk zu SPOX.

Bei Zenit war er der unumstrittene Chef und genoss allerlei Privilegien. Wenn seine Kollegen im Mannschaftsbus unterwegs waren, fuhr er im eigenen PKW hinterher. Vertragsverhandlungen überlässt er seiner Frau Nedesha. Er kaufte sich eine Suite in einem Dubai-Wolkenkratzer im 43. Stock. In Etage 44, Tymos Lieblingszahl, war nichts mehr frei.

Zurückhaltender Musterprofi

Bei den Bayern ist er einer von vielen, ein bisschen Luxus darf aber auch in München nicht fehlen. Tymoschtschuk bringt seine eigene Entourage mit: einen Koch, einen Pressesprecher und eine Physiotherapeutin aus Thailand. "Er wird keine Anpassungsprobleme haben. Er ist ein sehr guter Fußballer und ein Musterprofi", sagt Alexander Borodjuk, Co-Trainer der russischen Nationalmannschaft, im Gespräch mit SPOX.

In München präsentierte sich der Musterprofi in den ersten Tagen höflich und zurückhaltend. Uli Hoeneß die Hand zu geben ist für ihn genauso selbstverständlich wie dem Personenschutz an der Säbener Straße einen schönen Tag zu wünschen.

"Ich weiß, wie wichtig Menschen sind, die sich darum kümmern, dass in einem Verein alles perfekt läuft", sagt Tymoschtschuk. Hauptberuflich ist er Fußballer, im Privatleben engagiert er sich gegen Rassismus und ersteigert leidenschaftlich Trikots von berühmten Fußballern zu Charity-Zwecken.

"Sieg" gegen Matthäus

Einmal begegnete er seinem Vorbild Lothar Matthäus, dessen Kapitänsbinde er einst von einem moldawischen Nationalspieler geschenkt bekam. Auf einer Auktion ging es um das Jersey von Zinedine Zidane. Matthäus trieb den Preis auf 700 Euro hoch, ehe Tymo ein beherztes 750-Euro-Angebot fallen ließ und den Zuschlag bekam.

Matthäus war ein großer Spieler des FC Bayern, Tymoschtschuk will einer werden. Der Kampf mit Mark van Bommel um die Chefrolle im defensiven Mittelfeld ist neben der Sturmbesetzung die spannendste Personalie bei den Bayern. Noch hat sich Louis van Gaal nicht für ein System entschieden. Sollte er ein 4-4-2 bevorzugen, ist die Rauten-Variante wahrscheinlicher als die Doppel-Sechs.

"Es gibt 26 Spieler im Kader. Jeder will spielen. Der Trainer muss entscheiden, wen er aufstellt. Ich kann nur sagen, dass ich mich in allen Systemen wohlfühle", sagt Tymoschtschuk. Er sieht sich als "Ministr oborony", als Verteidigungsminister. So lautet der Titel seines Blogs.

"Ich glaube, Tymo wird keine Probleme haben, seinen Platz in der Bayern-Mannschaft zu finden. Er kann alles: Passspiel, Zweikämpfe, Stellungsspiel", sagt Borodjuk.

Glücksmoment bei der WM 2006

Auch Leverkusens Sportdirektor Rudi Völler schwärmt von Tymoschtschuk: "Nach unserer 4:1-Niederlage im UEFA-Cup gegen Zenit haben alle über Arschawin und Pogrebnjak gestaunt. Für mich war Tymoschtschuk der beste Mann auf dem Platz. Er kann sehr gut antizipieren und ist unglaublich zweikampfstark."

Dominant war Zenit später auch in den Spielen gegen die Bayern und im Finale gegen Glasgow Rangers. Noch wichtiger als der UEFA-Cup-Sieg 2008 war Tymoschtschuk aber der Viertelfinal-Einzug mit der Ukraine bei der WM 2006.

"Unser letzter verwandelte Elfmeter gegen die Schweiz war der glücklichste Moment meines Lebens. Ein Mitspieler landete beim Jubeln auf meinem Fuß. Der Nagel meines großen Zehs ist heute noch blau."

Von weiteren schwerwiegenden Verletzungen blieb Tymoschtschuk bislang in seiner Karriere verschont. "Er wird selten in Fouls verwickelt. Dafür spielt er viel zu elegant", sagt Borodjuk. So wie einst als halbes Hemd beim Tete-a-tete mit Tschertschessow.

Anatolij Tyomschtschuk: Seine Karriere im Steckbrief