Uli Hoeneß 2.0

Von Thomas Gaber
Christian Nerlinger tritt ab dem 1. Juli die Nachfolge von Uli Hoeneß als Sportdirektor beim FCB an
© Getty

Christian Nerlinger wird am 1. Juli Sportdirektor des FC Bayern München und soll langfristig die Nachfolge von Uli Hoeneß antreten. Was qualifiziert Nerlinger für diese Mammutaufgabe und warum wurde er dafür ausgewählt? SPOX erkundigte sich bei Nerlingers Weggefährten.

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Uli Hoeneß war schlecht gelaunt. Dabei hatte sein FC Bayern gerade die Festung Westfalenstadion eingenommen und Borussia Dortmund ziemlich souverän mit 2:0 besiegt. Ein wichtiger Sieg, zumal es in der darauffolgenden Woche zum Spitzenreiter 1. FC Kaiserslautern ging.

Wer jetzt eine Kampfansage der personifizierten Abteilung Attacke an die Roten Teufel erwartete, sah sich getäuscht. Hoeneß hatte etwas Wichtigeres mitzuteilen, etwas Substanzielles.

"Mich hat heute eine schlechte Nachricht ereilt. Christian Nerlinger hat einen Vertrag bei Borussia Dortmund unterschrieben", sagte Hoeneß an jenem 11.11.1997.

Nerlinger war kein herausragender Fußballer

Nach sechs Jahren FC Bayern entschied sich der Mittelfeldspieler damals für eine neue Herausforderung. Hoeneß war leicht pikiert, weil es Nerlinger gewagt hatte, den Bayern die kalte Schulter zu zeigen, um zu einem Bundesliga-Konkurrenten zu wechseln.

Nerlinger war ein guter, aber kein herausragender Spieler, dessen Fähigkeiten durch andere leicht zu reproduzieren waren. Hermann Gerland unterstellte ihm "limitierte Schnelligkeit".

Aber Hoeneß verlor einen Charakterkopf. Einen gebildeten Mann mit Weitsicht, der das Klischee des engstirnigen Fußballprofis nicht erfüllte.

"Haben ihn immer ein bisschen aufgezogen"

"Früher haben wir den Christian immer ein bisschen aufgezogen, weil er sich viel mit anderen Dingen beschäftigt hat. Für die meisten zählte einfach nur Fußball. Christian war eben ein gescheiter Junge", sagt Alexander Zickler, zu gemeinsamen Bayern-Zeiten (1993-98) ein dicker Kumpel von Nerlinger, im Gespräch mit SPOX.

Als Spieler der Glasgow Rangers (2001-04) befasste sich Nerlinger mit der Herkunft der schottischen Sprache und der Sozialstruktur der Stadt.

"Die Menschen in Glasgow sind relativ einfach gestrickt - im positiven Sinn. Die Freundlichkeit der Schotten ist einzigartig. Ich habe in den Jahren in Glasgow nie Pfiffe im Ibrox (Stadion der Rangers, d. Red.) gehört", so Nerlinger.

Hoeneß: "Da musste ich nicht lange überlegen"

2006 musste Nerlinger seine Karriere nach mehreren Fuß-Operationen beenden. Er begann umgehend ein Studium an der Munich Business School in München und absolvierte 2008 ein Auslandsemester in Südtirol.

Sein Wissen in die Praxis umsetzen wollte Nerlinger nur bei einem: Uli Hoeneß. "Er bat mich um ein sechsmonatiges Praktikum. Als dann Jürgen Klinsmann die Idee hatte, Christian als Teammanager zu installieren, musste ich nicht lange überlegen", sagte der Bayern-Manager.

Am 1. Juli 2008 trat Nerlinger seinen Dienst in München an. Er muss einen bleibenden Eindruck hinterlassen haben, sonst hätte ihn Uli Hoeneß nicht als seinen Nachfolger ins Spiel gebracht und letztlich auch dazu bestimmt. Nerlinger wird vom Teammanager zum Sportdirektor befördert. Sein erster Arbeitstag ist der 1. Juli 2009.

Nerlinger sprach sich für van Gaal aus

"Dass Christian dazu in der Lage ist, hat sich sehr schnell abgezeichnet. Er verspürt diese absolute Freude, für diesen Verein zu arbeiten. Er hat die Liebe zum Verein. Wenn ich ihn arbeiten sehe, werde ich an meine Anfangszeit erinnert. Wir sind in vielen Dingen kongruent", sagt Hoeneß.

Nerlinger hat sich als Teammanager viel Respekt verschafft. Er genießt hohes Ansehen. Seine Meinung hatte Gewicht, als es um die Entlassung von Jürgen Klinsmann und die Verpflichtung von Louis van Gaal ging.

"Ich habe mich sehr für van Gaal ausgesprochen, weil ich mir einen starken Trainer mit viel Erfahrung gewünscht habe", sagte Nerlinger dem "Kicker".

Nerlinger kommt auch bei den Spielern gut an. "Christian hat sich täglich mit der Mannschaft beschäftigt. Er hat einen sehr guten Draht zu uns. Es würde mich nicht wundern, wenn er auch als Sportdirektor einen hervorragenden Job machen würde", sagte Mark van Bommel zu SPOX.

Kein zweiter Uli Hoeneß

Neben der Lizenzspieler-Abteilung wird sich Nerlinger primär um den Jugendsektor und Spielertransfers kümmern und dabei eng mit der Scoutingabteilung zusammenarbeiten. "Ich habe im Vergleich zum Teammanager viel mehr Verantwortung, kann Dinge mitgestalten und mitentscheiden."

Nerlinger ist sich der Mammutaufgabe bewusst. "Der FC Bayern ist das Lebenswerk von Uli Hoeneß. Es gibt kaum größere Fußstapfen, in die man treten kann. Ich bin sehr stolz, dass ausgerechnet ich ausgewählt wurde."

Eine Hoeneß-Kopie schwebt dem 36-Jährigen nicht vor. "Ein Uli Hoeneß hat sich in den 30 Jahren eine Kompetenz und eine mediale Wirkung aufgebaut, die natürlich nicht kopierbar ist. Das möchte ich auch gar nicht. Ich möchte ihn nicht nachahmen, sondern auf meine Art und Weise arbeiten: akribisch und authentisch. Ich will ein unabhängiger Partner sein", so Nerlinger.

Er will den Verein nicht grundlegend reformieren, seine Vorstellungen jedoch mit Nachdruck verwirklichen. Alles zum Wohle des Vereins - wenn's sein muss auch mit unpopulären Mitteln.

"Ich werde auch unangenehme Wahrheiten aussprechen"

"Ich werde bedingungslos für diesen Verein kämpfen, immer ehrlich und kommunikativ sein. Ich werde sauber mit allen umgehen, aber auch unangenehme Wahrheiten aussprechen", sagt Nerlinger.

Die Aussagen belegen, dass doch schon ein bisschen Hoeneß in Nerlinger steckt. Er wird die Zukunft des FC Bayern mit seinen Visionen entscheidend mitbestimmen. Nerlinger hat klare Vorstellungen, wohin die Reise gehen soll.

"Ich möchte eine Handschrift des Trainers sehen. Wir müssen defensiv und offensiv organisiert stehen. Ich möchte, dass die Mannschaft auf dem Platz zeigt, dass mit ihr etwas erarbeitet wurde", so der neue Sportdirektor.

Mit der Verpflichtung von Mario Gomez habe der FC Bayern die richtige Wahl getroffen. "Er passt sportlich und charakterlich zu uns. Auf beide Merkmale werden wir in Zukunft sehr viel Wert legen."

Zickler traut Nerlinger Großes zu

Dass Hoeneß auch als Aufsichtsratsvorsitzender "der Mann bleiben wird, der die wichtigen Entscheidungen trifft", wie Ottmar Hitzfeld im Gespräch mit SPOX vermutet, stört Nerlinger nicht. Er will es so. "Wir werden wie bisher kontroverse, aber konstruktive Gespräche führen. Ich kann von Hoeneß' Erfahrung nur profitieren."

Alex Zickler traut Nerlinger eine Hoeneß'sche Karriere zu: "Der Uli ist damals auch ins kalte Wasser geworfen worden und hat einen Verein auf die Beine gestellt, der seinesgleichen sucht. Christian muss in die Aufgabe hineinwachsen. Ich kenne ihn: es wird ihm gelingen."

Ab 1. Juli steht Nerlinger auf dem Prüfstand und mit Sicherheit unter ständiger Beobachtung. Die Vorschusslorbeeren sind gewaltig. Jetzt liegt's an ihm - dem Uli Hoeneß 2.0.

Christian Nerlinger im Steckbrief