Das Dilemma Frei

Von Jochen Tittmar
Gestörtes Verhältnis? Bei Jürgen Klopp (r.) ist Alexander Frei meist nur zweite Wahl
© Imago

Borussia Dortmund hat ein Sturmproblem, doch der treffsicherste Angreifer Alexander Frei aufgrund mangelnder Systemkompatibilität keinen Stammplatz. Um Investitionen in der neuen Spielzeit zu garantieren, stehen die Zeichen auf Abschied.

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Nicht erst nach dem bitteren 4:4-Unentschieden in Hannover ist bei Borussia Dortmund Ernüchterung eingekehrt.

Ernüchterung darüber, dass der BVB erneut im Mittelmaß feststeckt und das heimliche Schielen auf die internationalen Plätze begraben werden muss. Grund: Spiele mit Beteiligung der Dortmunder enden meist ohne Sieger und Verlierer.

Der BVB gleicht in dieser Saison einem zweischneidigen Schwert aus innovativen Kloppschen Vollgasveranstaltungen auf der einen und uninspiriertem Dollschem Rumpelfußball auf der anderen Seite, an dessen Ende zum Großteil eine Punkteteilung steht.

Die derzeitige Renaissance Dortmunder Defensivkonfusion wird seit Saisonbeginn von kontinuierlichen Ladehemmungen der Offensivkräfte begleitet. Folge: Selbst wenn drei oder mehr Treffer erzielt werden, steht das Tor der Borussia für den Gegner meist genauso weit offen.

Sturm-Trio in der Kritik

Es ist jedoch die Sturmproblematik, die sich wie ein roter Faden durch die Saison zieht und Trainer Jürgen Klopp verzweifeln lässt. Egal wer spielt, einer aus dem Trio Mohammed Zidan, Nelson Valdez und Alexander Frei erntet am Ende die Kritik.

Dass die Finger dabei wiederholt auf den Schweizer zeigen, seit seiner Verpflichtung im Sommer 2006 der treffsicherste aller Angreifer, ist längst kein Zufall mehr.

Das Arbeitsverhältnis zwischen BVB und Frei wird von einem Dilemma gestört, dessen finale Lösung schwierig und derzeit nur vage vorhersehbar ist.

Die Fakten: In Klopps Vorstellungen von Fußball haben lauffaule, zweikampfschwache Angreifer keinen Platz. Der etwas schwerfällige Diego Klimowicz wurde deswegen unlängst nach Bochum verkauft. Dortmunds Coach fordert von seinen Spitzen extreme Laufbereitschaft, aggressives Pressing und kompromisslose Defensivarbeit. In dieses Beuteschema passt Kevin Großkreutz von Zweitligist Rot-Weiss Ahlen, erste Dortmunder Neuverpflichtung für die kommende Saison.

Acht Saisontore für Frei

Das Naturell von Freis Nebenbuhlern Zidan und Valdez entspricht diesen Anforderungen. Problem: Das ägyptisch-paraguayanische Sturmduo geizt mit der Hauptaufgabe, dem Toreschießen. Ganze neun Treffer stehen da zu Buche. Zum Vergleich: Frei erzielte bisher deren acht.   

Doch auch wenn Torriecher und -quote (64 BL-Spiele, 30 Tore) zu Freis Gunsten sprechen, ist der Schweizer unter Klopp oft nur Einwechselspieler.

Musste Frei in der Hinrunde noch mangelnde Fitness nach seinem bei der EM erlittenen Innenbandteilabriss im linken Knie als Grund für seine Kurzeinsätze gelten lassen, fand er sich zuletzt trotz komplett absolvierter Wintervorbereitung nach nur einem schwachen Auftritt - auf Schalke, als Klopp erstmals auf nur eine Spitze setzte und seinen Angreifer somit quasi aus dem Spiel nahm - wieder auf die Bank.

Und das wurmt den ehrgeizigen Torjäger, auch wenn er öffentlich über seine sportliche Achterbahnfahrt den Mantel des Schweigens hüllt. Auf dem Spielfeld jedoch lässt Frei seinem Unmut meist freien Lauf. Wiederholt im Abseits stehend gestikuliert und schimpft der 29-Jährige dann wie wild auf alles um ihn herum und steckt mit dieser negativen Aura Mitspieler wie Fans an.

Keine Sonderbehandlung

Dies wiederum ist Klopp ein Dorn im Auge, der eine etwaige Sonderbehandlung des eigenwilligen Stürmers als Verrat an seiner Mannschaftsführung deuten würde: "Für alle Spieler gelten bei mir die selben Regeln. Daran muss man sich halten. Wer das nicht tut, kriegt ein Riesenproblem mit mir", so der resolute  Fußballlehrer.

Dass dem Verhältnis Klopp/Frei die Harmonie abgeht, ist offenkundig: "In der Hitliste von Profis ist man als Trainer mal oben und mal weiter unten", reagiert Klopp gewohnt gelassen. Über die Folgen eines gestörten Verhältnisses zwischen Profi und Coach gibt der Trainer unmissverständlich Auskunft: "Da wird dann eben jemand einfach verkauft, ausgeliehen oder ähnliches."

Wenn man nun eins und eins zusammen zählt, geht es bei den Animositäten schlussendlich um nichts anderes als um Freis Zukunft - und die von Borussia Dortmund. Klopp sieht seine Aufgabe beim BVB noch längst nicht erfüllt und knüpft den viel zitierten Reifeprozess seiner jungen Elf an qualitativ hochwertige Optimierungen des dünn besetzten Kaders.

Doch dafür fehlt am Rheinlanddamm schlichtweg das Geld. Das frühe Ausscheiden aus UEFA-Cup und DFB-Pokal engt den "finanziellen Spielraum der Phantasie" ein, wie Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke es nennt. Um neben Leihgabe Kevin-Prince Boateng auch andere Spieler im Sommer nach Dortmund zu lotsen, muss Geld her.

Spielerverkäufe sollen klamme Kassen füllen

Bereits in der jüngeren Vergangenheit hat der BVB Spieler wie David Odonkor oder Mladen Petric für viel Geld vorzeitig aus ihren Verträgen entlassen. Da auf sportlicher Ebene zu wenig erwirtschaftet wurde, können erneut nur Spielerverkäufe die gewünschten Mehreinnahmen generieren.

Als besonders ertragreiche Exemplare stehen der nicht nur vom FC Liverpool umworbene Jakub Blaszczykowski, sondern eben auch Frei im Schaufenster. "Wir brauchen ihn, um unsere Ziele zu erreichen", sagt Watzke über Kuba, der mit seiner Schnelligkeit wie angegossen in Klopps System passt.

Ein Zitat über Freis Zukunftsperspektiven findet sich dagegen nicht. Der betonte jedoch bereits im November: "Ich bin dabei, meine Situation in Dortmund ernsthaft zu überdenken. Die Lage ist nicht wahnsinnig toll."

Viel hat sich seitdem nicht geändert. Erst in Hannover gab Frei mit zwei Toren ein kräftiges Lebenszeichen von sich. Eine Trennung zum Saisonende ist aber nicht ausgeschlossen. In beiderseitigem Einvernehmen. Frei hätte wieder Spaß am Fußball und Dortmund Geld für Reinvestitionen. 

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