Das neue Hoffenheim der Liga

Von Haruka Gruber
Leverkusens Simon Rolfes erzielte beim 4:1 in Hoffenheim das 2:0
© Getty

Kaltblütige Killer, müde Aufsteiger und wankelmütige Bayern: Die Bundesliga ist so spannend wie nie. Ein Zauberwort fasst das Dilemma aller Teams zusammen.

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Es klingt wie ein abgegriffener Slogan des "DSF": "Die spannendste Bundesliga aller Zeiten." Nur: In diesem Fall stimmt es. Zwischen dem Ersten Hertha BSC Berlin und dem Fünften Bayer Leverkusen liegen lediglich vier Punkte.

Seit zur Saison 1995/96 die Dreipunkte-Regel eingeführt wurde, war die Konstellation am 20. Spieltag noch nie so ausgeglichen. Vergangenes Jahr betrug die Differenz zwischen dem Erst- und Fünfplatzierten immerhin acht Punkte, 2005/06 waren es sogar 22.

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Konstanz ist ein seltenes Gut in dieser Saison. Selbst der FC Bayern tritt höchst wankelmütig auf und hat zwei seiner drei Rückrundenpartien verloren. Eine Niederlage, und man stürzt zwei, drei Plätze ab. Ein Sieg, und plötzlich ist man der Titelkandidat schlechthin.

Das Bundesliga-Top-Quintett im SPOX-Check:

1. Hertha BSC Berlin (40 Punkte)

Das spricht für Berlin: Minimalistisch, kaltblütig, Hertha. Neun der zwölf Saisonsiege holte Berlin mit einem Tor Unterschied - so wie zuletzt gegen den FC Bayern. Kein Team verkörpert derzeit den für den Titel nötigen Killer-Instinkt derart wie Berlin. Beeindruckend die taktische Variabilität des Teams. Noch beeindruckender, wie die Mannschaft Ausfälle von Pantelic, Kacar oder Cicero kompensiert. Mit Drobny, vom "Berliner Kurier" als "Torwart-Gott" bejubelt, verfügt Berlin über den formstärksten Keeper der Liga - seine Unsicherheit beim Gegentor gegen die Bayern mal außen vor gelassen.

Das spricht gegen Berlin: Herthas abwartend-passiver Stil mit nadelstichartigen Kontern treibt die Topteams in den Wahnsinn - doch gelegentlich blitzt das Problem der Berliner auf: Wenn sie selber ein Spiel dominieren sollen, stoßen sie an ihre Grenzen. So wie beim 1:1 in Bielefeld. Und: Der Wechselhickhack um Pantelic und Woronin kostet Nerven.

Die Randgeschichte: Zahltag für Trainer Favre. Mit dem Erfolg gegen den FC Bayern tritt eine Klausel in seinem Vertrag in Kraft. Ab dem 40. Punkt bekommt der Schweizer pro weiterem Zähler 25.000 Euro. Sprich: Jeder Sieg ist 75.000 Euro wert. Für den Meistertitel gibt es übrigens 500.000 Euro extra...

Die nächsten fünf Spiele: Wolfsburg (A), Mönchengladbach (H), Cottbus (A), Leverkusen (H), Stuttgart (A)

2. 1899 Hoffenheim (39)

Das spricht für Hoffenheim: Obasi ist wieder fit, Eduardo nicht mehr gesperrt, Wellington besser integriert, Teber vielleicht in der Form seines Lebens, zudem die Sanogo-Verpflichtung: Von Ibisevic abgesehen, verfügt Trainer Rangnick über mehr Offensiv-Optionen als zum Ende der Hinrunde. Nicht zu unterschätzen: Hoffenheim mischt neben Berlin als einziger Titelaspirant nur noch in der Bundesliga mit.

Das spricht gegen Hoffenheim: Nach dem emotionalen Ausnahmezustand in der Hinrunde wirkt die Mannschaft mental etwas müde. Indiz: Nur ein Sieg in den letzten fünf Spielen. Zudem scheinen die Bemühungen in der Winterpause, das Abwehrverhalten zu verbessern, nicht gefruchtet zu haben. Siehe das 1:4 gegen Leverkusen, die erste Heimniederlage der Saison. Weiterer Anlass zur Sorge: Torwart Hildebrand ist bislang nicht der erhoffte Rückhalt.

Die Randgeschichte: Wer hätte das gedacht: Der sonst so progressive Rangnick outet sich als Fan von Trainer-Traditionalist Otto Rehhagel: "Ich bewundere an Otto die Kraft, das Feuer und die Leidenschaft, auch seinen Umgang mit den Spielern. Er hat immer die richtigen Spieler auf die richtige Position gestellt."

Die nächsten fünf Spiele: Stuttgart (A), Dortmund (A), Bremen (H), Frankfurt (A), Hannover (H)

3. Hamburger SV (39)

Das spricht für Hamburg: Van der Vaart ist weg, lang leben Olic, Petric und Trochowski. Brillant spielt der HSV nur selten, den Unterschied machen dementsprechend die Ausnahmespieler aus: Olic rackert und trifft, Petric trifft und trifft, Troche flankt und trifft. Verbessert zeigen sich Jansen und Reinhardt-Ersatz Gravgaard. Was überrascht: De Jongs Weggang scheint keine Auswirkungen zu haben.   

Das spricht gegen Hamburg: "Konstanz ist das Zauberwort", sagt Trainer Jol. Das 2:3 in Karlsruhe führte dies schonungslos vor Augen. Weitere Zweifel: Die fehlende Torgefahr aus dem Mittelfeld (Trochowski ausgeklammert) und die Qualität der Winterzugänge.

Die Randgeschichte: Rafinha lässt grüßen. Weil Alex Silva in seiner Wohnung in Harvestehude zu laut Samba-Musik gehört hat und sich die Nachbarn darüber beschwerten, zog der Brasilianer um. In ein Haus im abgelegenen Schenefeld, das zuvor Jansen bewohnt hatte. Jansen: "Da wird die Musik niemanden stören..."

Die nächsten fünf Spiele: Leverkusen (A), Wolfsburg (H), Mönchengladbach (A), Cottbus (H), Schalke (A)

4. Bayern München (38)

Das spricht für Bayern: So wie jedes Jahr auch: die Qualität im Kader, die Erfahrung im Titelkampf, die listigen Psychospielchen, zum Ende der Hinrunde kam auch ein hervorragender Fitnesszustand hinzu. Weiterer Pluspunkt: Das Restprogramm mit acht Heim- und nur sechs Auswärtspartien.

Das spricht gegen Bayern: Die Linkslastigkeit (Stichwort: Berechenbarkeit), die individuellen Fehler (Stichwörter: Lell, Demichelis, Lucio), der Torwart (Stichwort: Strafraumbeherrschung), die bevorstehenden englischen Wochen (Stichwort: Konzentration), Luca Tonis schmerzende Achillessehne.

Die Randgeschichte: Das nennt man mal eine Watschn. Günther Netzer über Bastian Schweinsteigers Aussage, die Leistung des DFB-Teams gegen Norwegen sei gar nicht so schlecht gewesen:  "Das zeugt von mangelnder Selbstkritik, fehlendem Realitätssinn und Arroganz."

Die nächsten fünf Spiele: Köln (H), Bremen (A), Hannover (H), Bochum (A), Karlsruhe (H)

5. Bayer Leverkusen (36)

Das spricht für Leverkusen: Bayer ist die aktuell spielstärkste Mannschaft der Liga. Sozusagen das Hoffenheim der Rückrunde. Im Vergleich zur Hinrunde hat Leverkusen beim 4:1 bei 1899 in Sachen Kombination und Pressing noch einmal zugelegt. Zumal Trainer Labbadia mit Zdebel sowie den Rekonvaleszenten Kroos und Schneider einige Joker in der Hinterhand hat.

Das spricht gegen Leverkusen: Als das Hoffenheim der Rückrunde hat Bayer offenbar auch deren Anfälligkeit im Abwehrverhalten übernommen. Sinkiewicz und Henrique patzten, ebenso Torwart Adler. Ein Fragezeichen steht auch hinter dem ständig Rot-gefährdeten Vidal.

Die Randgeschichte: Kapitalismus-Streit in der Luxus-Loge. Weil der Verein die Preise für eine VIP-Karte von 2700 auf 4641 Euro erhöhen will, was eine Steigerung von 71 Prozent bedeutet, probt die betuchte Kundschaft den Aufstand.  "Wir sind empört. Das halten wir für maßlos übertrieben", so einer der "Widerstandskämpfer". Die lapidare Antwort von Bayer-Kommunikationschef Meinolf Sprink: "Wer sich frühzeitig entscheidet, erhält eine Ermäßigung. Ich denke, das ist fair."

Die nächsten fünf Spiele: Hamburg (H), Hannover (A), Bochum (H), Berlin (A), Frankfurt (H)

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