"Unser Kader steht"

Von Für SPOX an der Säbener Straße: Florian Bogner
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München - Die ersten zehn Tage als Trainer des FC Bayern München hat Jürgen Klinsmann hinter sich. Er hat vieles verändert an der Säbener Straße, alles zum Wohle des Vereins.

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Der qualitativ hochwertige Kader gibt Klinsmann viele Möglichkeiten, birgt aber auch Gefahren in sich. Wer nicht spielt, ist unzufrieden. Dem will Klinsmann entgegenwirken. "Es ist viel Kommunikation gefragt, um jedem Spieler eine Perspektive zu geben", sagte der 43-Jährige gegenüber SPOX.com.

Im Interview zieht Klinsmann eine Bilanz der ersten zehn Tage, spricht über Mario Gomez und erklärt, wie er die Spieler auf das höchste Level bringen möchte.

Frage: Herr Klinsmann, wie fällt Ihre Bilanz nach knapp zwei Wochen beim FC Bayern aus?

Jürgen Klinsmann: Positiv! Der FC Bayern hat uns durch dieses Leistungszentrum Arbeitsbedingungen gegeben, die die Spieler und den Trainerstab faszinieren. Die Spieler nehmen auch die Einheiten im Fitnessbereich sehr gut an. Das macht als Konsequenz auch jedes Trainingslager überflüssig. Wir arbeiten momentan an der Basis, die Körper darauf vorzubereiten, noch mehr Belastung aufzunehmen, so dass wir dann Schritt für Schritt spielerische und taktische Elemente einfließen lassen. Dazu brauchen wir eine gesunde Körperstruktur.

Frage: Wie ist das neue Trainingszentrum bei den Spielern angekommen?

Klinsmann: Sie spüren, dass ihnen der FC Bayern ein exzellentes Arbeitsumfeld geschaffen hat. Sie entwickeln ein neues Bewusstsein für den Beruf und erkennen, dass viele andere Dinge dazu gehören. Professionelle Medienarbeit, Sprachunterricht - all das bringt die Spieler weiter. Die Grundregel ist: Wir arbeiten jeden Tag mit dem Spieler, um ihn besser zu machen. Jeder Spieler soll erkennen, wie er sich verbessern kann. Wenn dieser Prozess mal ins Laufen kommt, können wir auch gute Resultate erzielen. Das passiert natürlich nicht heute auf morgen. Wir werden den Prozess sukzessive ausdehnen. Nicht nur die Profimannschaft, sondern der gesamte FC Bayern mit Jugend- und Amateurabteilung soll Teil davon sein. Ich tausche mich ständig mit Hermann Gerland (Trainer der zweiten Mannschaft des FC Bayern, d. Red.) aus und erkundige mich nach seinen Spielern.

Frage: Sind Sie überrascht über das große Medienecho, das Ihre Neuerungen hervorgerufen hat?

Klinsmann: Ich sage es Ihnen ganz ehrlich und ohne böse zu sein, aber ich verfolge nur sehr, sehr gering, was in den Medien abläuft, weil ich gar nicht die Zeit dafür habe. Wir fangen jeden Tag sehr früh an, teilweise schon um halb acht Uhr morgens. Abends gehen wir Trainer ab und zu noch essen. Am Ende des Tages ist man froh, noch etwas Zeit für sich zu haben.

Frage: Könnte das neue Trainingszentrum auch auf neue Spieler anziehend wirken? Oder anders gefragt: Wollen Sie noch was am Kader verändern?

Klinsmann: Nein, unser Kader steht. Wir freuen uns, wenn in der nächsten Woche die Nachzügler kommen, dass wir dann voll loslegen können. Wir denken bei der Kaderplanung zweigleisig. Das eine ist der Ist-Zustand, das andere die Zukunft. Was ist nächstes Jahr, was ist in zwei, was ist in Jahren? Irgendwann kommt der Cut, vielleicht nach der WM 2010. Was passiert dann mit gestandenen Spielern? Mit den großen Turnieren im Zwei-Jahres-Rhythmus wird immer was passieren.

Frage: Ist Mario Gomez noch ein Thema?

Klinsmann: Nein. Stuttgart hat Mario Gomez für unverkäuflich erklärt und das akzeptieren wir. Aber wenn sich da irgendwann mal was entwickeln sollte in ein, zwei Jahren und er sich weiter so toll entwickelt, dann wird der FC Bayern ein Wörtchen mitreden. Mario ist eines der größten Talente in Deutschland und bevor er zu Barcelona geht, wird sich der FC Bayern um ihn bemühen.

Frage: Sind Sie traurig, dass der Transfer von Alexander Hleb nicht geklappt hat?

Klinsmann: Wir haben alle Spekulationen registriert, egal ob Mathieu Flamini, Gennaro Gattuso oder Alexander Hleb. Diese Spekulationen haben nur dann eine Wertigkeit, wenn wir überlegen würden, den einen oder anderen Spieler noch abzugeben. Aber das ist nicht der Fall. Wir haben einen Kader mit 23, 24 Spielern, was mir schon genügend Arbeit gibt, jeden glücklich zu machen. Letztendlich dürfen 11 auflaufen und ich muss den anderen sagen: 'Ihr sitzt auf der Bank oder der Tribüne'.

Frage: Sind Sie froh darüber, dass die Spieler erst nach und nach ins Training einsteigen?

Klinsmann: Zum Kennenlernen und unter diesen neuen Bedingungen zu arbeiten, ist es angenehm, dass sie Schlag auf Schlag erst kommen. Für unsere eigene Vorbereitung auf die Spiele bezogen ist es nicht optimal, weil wir jetzt schon die Testspiele anders angehen müssen. Wir können bei den Freundschaftsspielen in der kommenden Woche die Nationalspieler noch nicht mitnehmen. Wir werden uns sehr wohl überlegen, wer überhaupt am 23. Juli mit zum Spiel gegen Dortmund kommt, weil dann die Nationalspieler erst fünf, sechs Tage im Training sind. Da tendiere ich eher dazu, sie nicht einzusetzen.

Frage: Andere Trainer werfen ihre Nationalspieler gleich ins kalte Wasser, das scheint aber nicht Ihre Philosophie zu sein.

Klinsmann: Wir wollen die Spieler langsam darauf vorbereiten, was über das ganze Jahr gesehen auf sie zukommen wird. Bei uns wird kein Spieler innerhalb von zwei Tagen von Null auf Hundert geschossen. Sonst wären Verletzungen vorprogrammiert. Wir versuchen da präventiv zu denken. In diesem Bereich hat das Wort unserer Fitnessteams um Oliver Schmidtlein viel Gewicht. 

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Frage: Als Nationaltrainer hatten Sie den Luxus, dass die Spieler mit Spielpraxis angereist sind. Jetzt müssen Sie dafür sorgen, dass die Nationalspieler Spielpraxis bekommen. Wie sieht ihre Rotationsphilosophie aus?

Klinsmann: Die Konstellation ist natürlich gegeben aufgrund des großen Kaders. Es ist viel Kommunikation gefragt, um jedem Spieler eine Perspektive zu geben. Letztendlich müssen sich die Spieler im Training anbieten. Es wird so trainiert wie auch gespielt werden soll. Im Training entscheidet sich, wer die Nase vorn hat. Ich bin davon überzeugt, dass die Spieler damit umgehen können. Ich wünsche mir, dass die Spieler des FC Bayern stets topfit und voller Selbstvertrauen zur Nationalmannschaft reisen.

Frage: Also ein 'Jein' zur Rotation.

Klinsmann: Nein, die Rotation ergibt sich aus der Momentaufnahme. Ich habe keine feste Rotation im Kopf, weil ich erstmal in aller Ruhe sehen will, wie sich die Spieler im Training und in den Testspielen präsentieren, wie sie sich in der Gemeinschaft geben und wie die internen Rollen definiert und verteilt werden. Deswegen möchte ich den Kapitän erst kurz vor dem ersten Bundesligaspieltag festlegen. Ich möchte die Charaktere erst kennen lernen und ein Gespür dafür haben, denn letztendlich bin ich dafür verantwortlich, wie eine Chemie innerhalb so einer Gemeinschaft umgesetzt wird.

Frage: Als Spieler mochten Sie keine Trainingslager. Als Trainer haben Sie sie gleich mal abgeschafft. Warum?

Klinsmann: Solche Entscheidungen hängen von den Möglichkeiten ab, die ein Klub hat. Es ist nicht so, dass ich von heute auf morgen Dinge prinzipiell verändern möchte. Ich möchte Dinge, die schon gut sind, noch ein Stückchen besser machen, wenn wir schon die Voraussetzungen dafür haben. Es ist nur eine logische Konsequenz, dass wir jetzt nicht mehr zwei oder drei Wochen in ein Hotel müssen.

Frage: Geht es da um Ihre persönliche Abneigung?

Klinsmann: Nein. Wir versuchen immer, uns in den Spieler reinzudenken und überlegen, was jetzt für den Spieler optimal ist, damit er am Spieltag sein Leistungspotenzial erreicht. Er muss frei im Kopf sein und Spaß an der Arbeit haben. Wenn der Spieler sagt: 'Es reicht vollkommen, wir trainieren Freitagmittag hier, essen danach noch zusammen, dann gibt es vielleicht noch eine Sitzung, aber am besten schlafe ich immer noch daheim', dann trage ich dem doch nur Rechnung. Wir tun alles, damit der Spieler optimale Bedingungen hat, aber dann muss er auch alles dafür tun, dass er das erwidert. Durch viel Engagement, Begeisterung und letztendlich auch durch gute Spiele.

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