Julien: "NHL-Franchise für Quebec"

Von Interview: Florian Regelmann
Münchens Top-Verteidiger Stephane Julien (r.) trifft in den Pre-Playoffs auf seinen Ex-Klub aus Köln
© Imago

Stephane Julien verlor in den Pre-Playoffs mit dem EHC München gegen die Kölner Haie nach einem Marathon-Match mit 3:4. Der 36-jährige Star-Verteidiger über das Duell mit seinem Ex-Klub, den schlimmsten Unfall seines Lebens und das Thema der Stunde.

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SPOX: Herr Julien, bevor wir zu den DEL-Playoffs kommen, müssen wir das Thema besprechen, das weit über die NHL hinaus für viele Diskussionen gesorgt hat: Der Hit von Zdeno Chara gegen Max Pacioretty. Was ist Ihre Meinung?

Stephane Julien: Ich habe die Szene viele Male gesehen. Und wissen Sie was, ich glaube wirklich, dass Chara ihn verletzen wollte. Ich denke nicht, dass er absichtlich Paciorettys Kopf gegen den Pfosten gerammt hat, aber wenn er sagt, dass er nicht weiß, dass die Plexiglas-Kante dort ist, dann nehme ich ihm das nicht ab. Ich weiß als Eishockeyspieler genau, wo in jedem Stadion jeder einzelne Pfosten ist. Ich bin mir ziemlich sicher, dass er ihn absichtlich dort hinein gedrückt hat.

Die Pre-Playoffs im SPOX-Check

SPOX: Chara hat von der NHL keine Sperre erhalten.

Julien: Das kann ich nicht verstehen. Die NHL muss etwas tun. Es ist ja nicht nur der Fall Pacioretty. Wenn ein Spieler wie Sidney Crosby, der beste Spieler der NHL, so lange ausfällt, ist das nicht gut für die Liga. Selbst bei einem Unfall muss es eine Sperre geben, damit die Spieler das nächste Mal vorsichtiger sind. Ich kann mich noch gut an die Zeit erinnern, als ich nach Deutschland gekommen bin. Damals gab es auch ein Problem mit einigen üblen Hits. Dann hat man reagiert, am Anfang gab es einige heftige Sperren, aber jetzt sieht man es fast nicht mehr. Ich denke, es wird auf jeden Fall auch in der NHL einige Konsequenzen geben. Beim Meeting der General Manager in Florida haben sich in dieser Woche ja schon erste Sachen ergeben.

SPOX: Haben Sie selbst Erfahrung mit Gehirnerschütterungen?

Julien: Leider ja. Mich hat es ein paar Mal hart erwischt. 2002 habe ich in der Schweiz einmal gleich im ersten Saisonspiel einen Puck nach einem Slapshot mitten ins Gesicht bekommen. Damals habe ich noch kein Visier getragen. Die Ärzte mussten meinen ganzen Kopf aufmachen. Ich hatte einen Schädelbruch und war 48 Stunden lang auf meiner rechten Seite gelähmt.

SPOX: Und dann?

Julien: Das war ein schlimmer Unfall, ich lag drei Wochen lang im Krankenhaus. Mir ging es richtig schlecht und ich dachte wirklich, dass meine Karriere vorbei ist. Zum Glück habe ich mich wieder erholt. Das Gute ist, dass die Ärzte heutzutage sich viel besser mit Gehirnerschütterungen auskennen. Als ich jung war, wussten viele Ärzte nicht, wie sie einen behandeln sollten. Da hast du eine Gehirnerschütterung gehabt und sie haben dir eine Aspirin gegeben und gesagt: 'Weiter geht's'. (lacht)

SPOX: Kommen wir zur DEL. Die Pre-Playoffs stehen an und München trifft natürlich ausgerechnet auf Ihren Ex-Klub aus Köln. Das musste ja so kommen, oder?

Julien: Wahrscheinlich schon. Ich hatte sechs tolle Jahre in Köln - das werden sehr emotionale Playoffs für mich. Es war hart für uns, dass wir am letzten Spieltag noch den sechsten Rang verspielt haben, aber zum jetzigen Zeitpunkt der Saison muss man den Schalter schnell umlegen können. Wir haben trotz vieler Verletzungen schon jetzt eine erfolgreiche Saison gespielt. Jeder Spieler denkt positiv, wir sind bereit für das erste Spiel.

SPOX: Sie sprechen die unglaublichen Verletzungsprobleme an, die den EHC in dieser Saison plagen. Haben Sie schon mal etwas Vergleichbares erlebt?

Julien: In 17 Jahren als Profi habe ich so etwas noch nicht gesehen, was in dieser Saison bei uns los war. Wir reden ja nicht über kleine Wehwehchen, es waren immer wieder schwere Verletzungen. Die Ausfälle von Ryan Ready und Martin Buchwieser tun dem Team sehr weh. Auf der anderen Seite haben wir zuletzt auch ohne die beiden gezeigt, dass wir Spiele gewinnen können. Jetzt haben außerdem einige junge Spieler die Chance, sich zu beweisen und zu zeigen, dass sie gut genug sind, um in der DEL zu bestehen. Wir müssen einfach hoffen, dass es reicht, um die Serie gegen Köln zu überleben.

SPOX: Wie schätzen Sie die Haie ein?

Julien: Wenn man nur die letzten Monate nimmt, sind sie für mich das beste Team der Liga. Danny Aus den Birken ist ihr Herz im Moment, das ist denke ich offensichtlich. Er ist der Grund, warum sie so viele Spiele gewonnen haben. Für uns geht es darum, für viel Verkehr vor seinem Tor zu sorgen und einen Weg zu finden, um Tore gegen ihn zu schießen. Die Haie sind ohne Zweifel der Favorit in der Serie, aber in den Playoffs kann alles passieren. Wir haben einen unglaublichen Teamgeist, wir arbeiten hart, wir haben auch Selbstvertrauen. Ich glaube an unsere Chance.

SPOX: Wenn man ein normales Saisonspiel mit einem Playoff-Spiel vergleicht, könnte man meinen, es sind zwei unterschiedliche Sportarten. Die Intensität eines Playoff-Spiels im Eishockey ist gewaltig.

Julien: Das ist auch genau der Grund, warum ich noch spiele. Wenn die Playoffs beginnen, beginnt die schönste Zeit des Jahres. Die Fans bringen unglaublich viele Emotionen ins Spiel. Es macht wahnsinnig viel Spaß. Es kann sich auch innerhalb von einer Serie so schnell drehen. In einem Moment denkst du, du bist tot, dann kommst du wieder zurück. Das macht Playoff-Eishockey aus. Wir sind alle heiß.

SPOX: Sie haben es gesagt: Sie waren sechs Jahre lang in Köln. Mit welchen Gefühlen blicken Sie auf diese Zeit zurück?

Julien: Köln ist eine der besten Eishockeystädte in Deutschland. Wenn die Arena voll ist, herrscht eine sensationelle Atmosphäre. Die Kölner leben Eishockey, es hat sehr viel Spaß gemacht, dort zu spielen. Die meisten Spieler kenne ich auch noch, deshalb wird es wirklich emotional für mich, aber am Ende geht es um den Sieg. Nur das zählt.

SPOX: Wären Sie gerne in Köln geblieben?

Julien: Die Haie sind ein absoluter Top-Klub. Von der Infrastruktur her ist es mit einer NHL-Franchise zu vergleichen. Ich habe mich richtig wohl gefühlt und dachte, dass ich meine Karriere in Köln beenden würde. Aber es sollte nicht sein. Wir hatten im letzten Jahr eine schwache Saison und ich war einer der Spieler, die dafür bezahlen mussten. So ist das Geschäft.

SPOX: Sie sind jetzt ein Jahr in München und haben Ihren Vertrag sogar schon um ein weiteres Jahr verlängert. Wenn Sie die Städte Köln und München gegeneinander antreten lassen, welche Stadt gewinnt?

Julien: München, ganz eindeutig. Ich scheue mich auch nicht, das klipp und klar zu sagen. München ist die beste Stadt, in der ich in meiner Karriere in Europa je war. Ich fühle mich körperlich gut, das Feuer ist auch noch da - ich würde noch gerne ein paar Jahre weiterspielen.

SPOX: Sie sind in Sherbrook, einer Stadt in der Provinz Quebec, aufgewachsen. Viele NHL-Spieler wie Stephane Robidas oder David Perron kommen dort her. Beschreiben Sie mal, wie immens der Stellenwert von Eishockey in Quebec ist?

Julien: Man muss nur die Montreal Canadiens nehmen. Jeden Tag sind die Habs das Top-Thema in den Nachrichten, zwölf Monate im Jahr geht das so, selbst im Sommer. Es wird auch schon darüber gesprochen, dass Quebec wieder eine NHL-Franchise bekommen könnte. Ich glaube, dass das schneller passieren wird, als manch einer denkt. Die NHL will die USA zwar nicht verlassen, aber wenn man sieht, wie wenige Zuschauer in einigen Städten zu den Spielen kommen, ist es an der Zeit, etwas zu ändern und Kanada ein weiteres Team zu geben.

SPOX: Sie waren vor dem Lockout in den 90ern selbst mal ein Teil der Quebec Nordiques, haben aber nie eine Chance in der NHL bekommen. Sie wurden auch nie gedraftet. Warum?

Julien: Mein Problem war, dass ich ein ziemlich kleiner Verteidiger war. Und wenn du unter 1,87 Meter warst, wurdest du einfach nicht gedraftet. Inzwischen haben sich die Zeiten durch die Regeländerungen geändert. Es gibt viele kleine Top-Verteidiger wie Robidas oder Kris Letang. Aber für mich ist es zu spät. Ich war eine Zeit lang sehr frustriert, weil ich in meinem letzten Junioren-Jahr zu den Top-3-Verteidigern in Kanada gehörte, mich aber trotzdem kein Klub wirklich haben wollte. Aber das ist Vergangenheit. Was soll ich machen? (lacht) Ich trauere nicht nach, ich hatte eine großartige Zeit in Europa. Ich war in Frankreich, der Schweiz, Italien und Deutschland und habe mich nach oben gearbeitet. Darauf bin ich stolz.

SPOX: Wir haben mit Chara angefangen, lassen Sie uns auch mit Chara schließen. Der Bruins-Star gewinnt regelmäßig die Hardest-Shot-Competition beim NHL-All-Star-Game. Auch Sie sind für Ihren Schlagschuss bekannt. Hätten Sie eine Chance gegen Chara?

Julien: (lacht) Nicht in meinem Alter. Keine Chance. Mein Arm wird auch älter.

Die Pre-Playoffs im Überblick

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