Obacht! Der FC Bayern München droht angeblich das Mia san mia zu verlieren! Aber was ist das überhaupt? Wo kommt es her? Und wie hat es sich im Laufe der Zeit entwickelt? Eine Annäherung nach Gesprächen mit ehemaligen Spielern und Trainern, mit Fans und Feinden, mit Bayern, Deutschen, anderen Ausländern - und dem Slogan-Erfinder.

Nach der unrühmlichen Entlassung von Trainer Julian Nagelsmann entbrannte um den FC Bayern München eine äußerst besorgniserregende Debatte. Dabei geht es gar nicht um die Sinnhaftigkeit dieser natürlich mindestens fragwürdigen Entscheidung, um die Auswirkungen auf die Mannschaft oder um die beteiligten Personen. Nein, es geht um etwas viel Größeres. Es geht um das sagenumwobene Mia san mia. Ein kerniges "mi" und ein fast schon gehauchtes "a", nur so entfaltet es seine ganze Wirkung: Mia san mia.

Dieses Mia san mia drohe jedenfalls verloren zu gehen, so heißt es zumindest, und das wäre ziemlich tragisch. Es ist schließlich ein Kulturgut des deutschen Fußballs. Es gehört zum FC Bayern wie die Abteilung Attacke und das Festgeldkonto, wie der alljährliche Besuch auf dem Oktoberfest mit ein bis drei Maß und dem Marienplatz mit ein bis drei Titeln und wie der gegnerische Schlachtruf: "Zieht' den Bayern die Lederhosen aus!"

Auslöser der Debatten waren die Umstände von Nagelsmanns Entlassung. Nachdem der Trainer wochenlang öffentlich geschützt worden war, erfuhr er aus den Medien von seinem Aus. Dieses Vorgehen sei ein weiterer - letzter? - Beweis für den fahrlässigen Umgang der aktuellen Klubführung um den Vorstandsvorsitzenden Oliver Kahn und Sportvorstand Hasan Salihamidzic mit dem Kulturgut Mia san mia. Ihre interne und externe Kommunikation wird schon länger kritisch beäugt, genau wie der sportliche Abwärtstrend der Mannschaft. Und jetzt auch noch das.

"Das Mia san mia wird teilweise mit Füßen getreten", schrieb Lothar Matthäus in seiner Sky-Kolumne und führte aus: "Das Familiäre, dieses beschützende Etwas, das diesen Verein von allen anderen unterscheidet, ist so nicht mehr vorhanden." Stattdessen wirke mittlerweile "alles so kalt und lieblos". Die Reaktion von Kahn ließ nicht lange auf sich warten: Man müsse "vorsichtig sein mit solchen Aussagen", denn: "Hasan und ich sind viele Jahre im Verein, wir haben das Mia san mia mit der Muttermilch mitbekommen."

Leider verkam das Wortduell der beiden bald zu einem einfachen: Du lügst! Nein, du lügst! Nein, du lügst! Und so weiter. Die viel interessantere Frage nach der Bedeutung des Mia san mia wurde kaum mehr erörtert, wobei Kahn seinem ehemaligen Mannschaftskameraden Matthäus immerhin ein Friedensangebot machte und feststellte: "Auch das ist dieses Mia san mia. Dass man sich auch mal streitet und dann wieder zusammensetzt." Das Mia san mia kann also Streit-Auslöser und Streit-Schlichter sein.

Zwei absolute Ikonen dieses Klubs sind sich schon mal uneinig über die Bedeutung des Mia san mia. Und, kleiner Spoiler: Tatsächlich ist es sogar noch komplizierter. Dieser Begriff steckt voller unterschiedlicher Bedeutungen, Gefühle, Erinnerungen, teils sogar widersprüchlicher Natur. Dabei beinhaltet er doch nur drei Worte, von denen noch dazu zwei identisch sind. Mia san mia bedeutet auf Hochdeutsch "Wir sind wir", so viel ist klar. Eigentlich ein schlüssiger Satz ohne Botschaft. Eigentlich.

Wie die Dialekt-Schreibweise vermuten lässt, entstammt das Mia san mia dem alpenländischen Raum. Ursprünglich kam es aber gar nicht aus Bayern, sondern aus Österreich. Bereits im 19. Jahrhundert verwendete die k.u.k. Armee von Kaiser Franz Joseph den Ausdruck Mia san mia, um die eigene Überlegenheit zu verdeutlichen. Etwa zur selben Zeit entstand das Lied "Solang’ der alte Steffel steht" über das Wiener Wahrzeichen Stephansdom, in dem es unter anderem heißt: "Der Weana schreit: Mia san mia!"

Dass die Bayern diesen Slogan übernahmen, ist durchaus stimmig: Genau wie der Wiener erachtet sich bekanntlich auch der Bayer als etwas ganz Besonderes und den restlichen Bewohnern seines Landes als grundsätzlich überlegen. "Bayern ist vielleicht das einzige deutsche Land, dem es gelungen ist, ein wirkliches und in sich selbst befriedigtes Nationalgefühl auszubilden", sagte einst Reichskanzler Otto von Bismarck.

Ende der 1960er-Jahre entwickelte sich der FC Bayern aus der Landeshauptstadt München zu einer Art bayerischen Fußball-Nationalmannschaft. Welch stimmiger Klubname! Die Münchner avancierten in Deutschland zum Serienmeister und gewannen darüber hinaus dreimal hintereinander den Europapokal der Landesmeister. Ohne dass es die Beteiligten damals wussten, schufen sie die Grundlage des später allgegenwärtigen Mia san mia.

"Den Begriff gab es bei Bayern damals noch nicht", erinnert sich Rainer Zobel im Gespräch mit SPOX und GOAL. Als waschechter Preuße aus der Lüneburger Heide übersiedelte er 1970 ins fremde München und war während des Erfolgslaufs der Mannschaft um Sepp Maier, Franz Beckenbauer und Gerd Müller ein Fixpunkt im Mittelfeld. "Durch unsere Erfolge, den Willen und das Wissen, wann es darauf ankommt, ist bei uns in den 1970er-Jahren das Gefühl entstanden: 'Wir sind stark.'"

An der Entwicklung dieses Gefühls hatte auch der blitzschnelle Stürmer Uli Hoeneß seinen Anteil, ehe er wegen einer Knieverletzung allzu früh seine erste Karriere beenden musste. 1979 wechselte er im Alter von nur 27 Jahren vom Rasen an den Schreibtisch. "Als Manager hat Hoeneß das Mia san mia geschaffen", sagt Zobel. "Zu unserem 'Wir sind stark' kam dieser familiäre, soziale Aspekt dazu. Mia san mia bezieht sich auch auf das Gemeinschaftsgefühl und auf die Hilfe für ehemalige Spieler, denen es nicht ganz so gut geht."

Dafür gibt es zahlreiche Beispiele: Als etwa Gerd Müller in den Alkoholismus abdriftete, half ihm Hoeneß im Namen des FC Bayern und holte ihn in den Trainerstab der Amateure. Oder war es der FC Bayern im Namen von Hoeneß? Eigentlich egal, ist eh dasselbe.

Auch Zobel blieb seinem Ex-Klub nach dem Karriereende verbunden. Heute ist er Teil der sogenannten FC Bayern Legenden. Sie wissen schon, die mit den bordeauxroten Jankern. Seit dem Abschied von Hoeneß aus dem operativen Geschäft seien die Legenden-Treffen seltener geworden, klagt Zobel. Ja, da war Corona. Aber nun? Die neue Führung um Kahn und Salihamidzic würde sich seiner Meinung nach nicht mehr allzu intensiv um die Männer in den bordeauxroten Jankern kümmern.

Wie die Dialekt-Schreibweise vermuten lässt, entstammt das Mia san mia dem alpenländischen Raum. Ursprünglich kam es aber gar nicht aus Bayern, sondern aus Österreich. Bereits im 19. Jahrhundert verwendete die k.u.k. Armee von Kaiser Franz Joseph den Ausdruck Mia san mia, um die eigene Überlegenheit zu verdeutlichen. Etwa zur selben Zeit entstand das Lied "Solang’ der alte Steffel steht" über das Wiener Wahrzeichen Stephansdom, in dem es unter anderem heißt: "Der Weana schreit: Mia san mia!"

Dass die Bayern diesen Slogan übernahmen, ist durchaus stimmig: Genau wie der Wiener erachtet sich bekanntlich auch der Bayer als etwas ganz Besonderes und den restlichen Bewohnern seines Landes als grundsätzlich überlegen. "Bayern ist vielleicht das einzige deutsche Land, dem es gelungen ist, ein wirkliches und in sich selbst befriedigtes Nationalgefühl auszubilden", sagte einst Reichskanzler Otto von Bismarck.

Ende der 1960er-Jahre entwickelte sich der FC Bayern aus der Landeshauptstadt München zu einer Art bayerischen Fußball-Nationalmannschaft. Welch stimmiger Klubname! Die Münchner avancierten in Deutschland zum Serienmeister und gewannen darüber hinaus dreimal hintereinander den Europapokal der Landesmeister. Ohne dass es die Beteiligten damals wussten, schufen sie die Grundlage des später allgegenwärtigen Mia san mia.

"Den Begriff gab es bei Bayern damals noch nicht", erinnert sich Rainer Zobel im Gespräch mit SPOX und GOAL. Als waschechter Preuße aus der Lüneburger Heide übersiedelte er 1970 ins fremde München und war während des Erfolgslaufs der Mannschaft um Sepp Maier, Franz Beckenbauer und Gerd Müller ein Fixpunkt im Mittelfeld. "Durch unsere Erfolge, den Willen und das Wissen, wann es darauf ankommt, ist bei uns in den 1970er-Jahren das Gefühl entstanden: 'Wir sind stark.'"

An der Entwicklung dieses Gefühls hatte auch der blitzschnelle Stürmer Uli Hoeneß seinen Anteil, ehe er wegen einer Knieverletzung allzu früh seine erste Karriere beenden musste. 1979 wechselte er im Alter von nur 27 Jahren vom Rasen an den Schreibtisch. "Als Manager hat Hoeneß das Mia san mia geschaffen", sagt Zobel. "Zu unserem 'Wir sind stark' kam dieser familiäre, soziale Aspekt dazu. Mia san mia bezieht sich auch auf das Gemeinschaftsgefühl und auf die Hilfe für ehemalige Spieler, denen es nicht ganz so gut geht."

Dafür gibt es zahlreiche Beispiele: Als etwa Gerd Müller in den Alkoholismus abdriftete, half ihm Hoeneß im Namen des FC Bayern und holte ihn in den Trainerstab der Amateure. Oder war es der FC Bayern im Namen von Hoeneß? Eigentlich egal, ist eh dasselbe.

Auch Zobel blieb seinem Ex-Klub nach dem Karriereende verbunden. Heute ist er Teil der sogenannten FC Bayern Legenden. Sie wissen schon, die mit den bordeauxroten Jankern. Seit dem Abschied von Hoeneß aus dem operativen Geschäft seien die Legenden-Treffen seltener geworden, klagt Zobel. Ja, da war Corona. Aber nun? Die neue Führung um Kahn und Salihamidzic würde sich seiner Meinung nach nicht mehr allzu intensiv um die Männer in den bordeauxroten Jankern kümmern.

Ein Sprung in die 1980er-Jahre, als sich Werder Bremen zum großen Gegner von Hoeneß' FC Bayern aufschwang. Es war ein Kampf der Weltanschauungen. Hier SPD-Politiker Willi Lemke als Manager, dort CSU-Sympathisant Hoeneß. Hier hanseatische Bescheidenheit, dort Mia san mia. Wie Weggefährte Zobel hält auch Gegner Lemke Hoeneß für den Urheber des Mia san mia. Positiv meint er das aber ganz und gar nicht.

"Mia san mia ist für mich der Ausdruck von Arroganz", sagt Lemke zu SPOX und GOAL. "Die Bayern selbst erwähnen bei diesem Mia san mia gerne einen angeblichen familiären Aspekt. Aber so kommt das im Rest von Deutschland nicht an. Das sind knallharte Jungs. Wer keine Leistung bringt, ist raus. Der Erfolg des Vereins steht an erster Stelle. Diese Mentalität hat Uli Hoeneß eingepflanzt."

Lemke, mittlerweile längst versöhnt mit seinem einstigen Intimfeind, hat damit genauso recht wie Zobel. Das eine schließt das andere nämlich nicht aus. Zurück zum Beispiel Gerd Müller: Ja, der FC Bayern half ihm aus dem Alkoholismus. Zur Wahrheit gehört aber auch: Als Müller Ende der 1970er-Jahre sportlich langsam nachließ, war er gnadenlos aussortiert worden. Hoeneß fungierte damals zwar noch nicht als Manager, wirkte im Hintergrund jedoch bereits bei der künftigen Ausrichtung des FC Bayern mit.

Oder der Fall Juan Bernat: Bei der legendären Pressekonferenz mit Karl-Heinz Rummenigge und Hasan Salihamidzic unterstellte Hoeneß dem ehemaligen Linksverteidiger bekanntlich, bei einem Spiel gegen den FC Sevilla "einen Scheißdreck" gespielt zu haben. "Da war er alleine dafür verantwortlich, dass wir fast ausgeschieden wären. An dem Tag ist entschieden worden, dass wir ihn abgeben. Weil er uns fast die ganze Champions League gekostet hätte." Geht man so mit einem Verwandten um? Es gab schon immer ein Spannungsfeld zwischen Familie und Erfolg.

"Hoeneß hat sicherlich ein großes Herz und eine soziale Ader, aber Mia san mia hat nichts mit einer lieben, heilen Familie zu tun", findet Lemke, der sich unabhängig von der Bedeutung des Begriffs auch am Begriff selbst stört. "Wenn sie das Familiäre vermitteln wollen, dann sollten sie sich analog zu 'Die Mannschaft' vielleicht 'Die Familie' nennen. Das würde zwar ein bisschen altmodisch klingen, aber da könnte ich nichts dagegen sagen."

Ein Sprung in die 1980er-Jahre, als sich Werder Bremen zum großen Gegner von Hoeneß' FC Bayern aufschwang. Es war ein Kampf der Weltanschauungen. Hier SPD-Politiker Willi Lemke als Manager, dort CSU-Sympathisant Hoeneß. Hier hanseatische Bescheidenheit, dort Mia san mia. Wie Weggefährte Zobel hält auch Gegner Lemke Hoeneß für den Urheber des Mia san mia. Positiv meint er das aber ganz und gar nicht.

"Mia san mia ist für mich der Ausdruck von Arroganz", sagt Lemke zu SPOX und GOAL. "Die Bayern selbst erwähnen bei diesem Mia san mia gerne einen angeblichen familiären Aspekt. Aber so kommt das im Rest von Deutschland nicht an. Das sind knallharte Jungs. Wer keine Leistung bringt, ist raus. Der Erfolg des Vereins steht an erster Stelle. Diese Mentalität hat Uli Hoeneß eingepflanzt."

Lemke, mittlerweile längst versöhnt mit seinem einstigen Intimfeind, hat damit genauso recht wie Zobel. Das eine schließt das andere nämlich nicht aus. Zurück zum Beispiel Gerd Müller: Ja, der FC Bayern half ihm aus dem Alkoholismus. Zur Wahrheit gehört aber auch: Als Müller Ende der 1970er-Jahre sportlich langsam nachließ, war er gnadenlos aussortiert worden. Hoeneß fungierte damals zwar noch nicht als Manager, wirkte im Hintergrund jedoch bereits bei der künftigen Ausrichtung des FC Bayern mit.

Oder der Fall Juan Bernat: Bei der legendären Pressekonferenz mit Karl-Heinz Rummenigge und Hasan Salihamidzic unterstellte Hoeneß dem ehemaligen Linksverteidiger bekanntlich, bei einem Spiel gegen den FC Sevilla "einen Scheißdreck" gespielt zu haben. "Da war er alleine dafür verantwortlich, dass wir fast ausgeschieden wären. An dem Tag ist entschieden worden, dass wir ihn abgeben. Weil er uns fast die ganze Champions League gekostet hätte." Geht man so mit einem Verwandten um? Es gab schon immer ein Spannungsfeld zwischen Familie und Erfolg.

"Hoeneß hat sicherlich ein großes Herz und eine soziale Ader, aber Mia san mia hat nichts mit einer lieben, heilen Familie zu tun", findet Lemke, der sich unabhängig von der Bedeutung des Begriffs auch am Begriff selbst stört. "Wenn sie das Familiäre vermitteln wollen, dann sollten sie sich analog zu 'Die Mannschaft' vielleicht 'Die Familie' nennen. Das würde zwar ein bisschen altmodisch klingen, aber da könnte ich nichts dagegen sagen."

Wenn die Mia-san-mia-Familie in den 1980er-Jahren mal wieder Bremen geschlagen hatte und sich für die Feierlichkeiten auf dem Marienplatz versammelte, wurde gerne inbrünstig das Lied "Mia san stärker wia die Stier" gesungen. Es definiert das Mia san mia als Ausdruck bayerischer Stärke und geht so:

Die Strophen handeln von Musi, Gaudi, frischen Maß vom Fassl und Preißn, die untern Tisch drunga wern. Passt alles wunderbar zu Bayern - aber auch zu Österreich, wo ebenfalls eine Version dieses Liedes kursiert. Statt "Bayern" heißt es dort "Steirer", aber die Bayern hatten den aus Österreich stammenden Begriff längst vereinnahmt.

Lemke machte dieses Mia-san-mia-Gebaren jedenfalls fassungslos: "Damals habe ich gedacht: Sind die denn völlig bekloppt, dass sie sich mit diesem Slogan selbst so negativ darstellen? Ein arroganter Typ kriegt doch keine Sympathien - außer vielleicht von Menschen, die dem Erfolg hinterherrennen." Doch dann geschah Wundersames: Der arrogante Typ lockte nämlich noch eine zweite Sorte Mensch an.

"Im Laufe der Jahre musste ich feststellen, dass das ein sehr cleverer Schachzug der Bayern war. Sie haben sich damit nämlich nicht nur Fans geschaffen, sondern auch echte Feinde. Dieser gelebte Slogan hat dazu geführt, dass die Bayern niemandem egal sind. Je arroganter sie aufgetreten sind, desto größer wurde das öffentliche Interesse und desto höher die TV-Quoten. Daraufhin wollten die Bayern immer größere Anteile der TV-Gelder. Mia san mia bedeutet für mich deshalb auch: 'Wir kennen keine wirtschaftliche Fairness und wollen auf Jahrzehnte alles beherrschen.'"

Als die Fernsehgelder mit dem Aufkommen des Pay-TV in den 1990er-Jahren rasant anstiegen, konnte von einer sportlichen Dominanz der Münchner keine Rede sein. Zwischen 1990 und 1999 holten sie nur zwei Meistertitel. Dank der polarisierenden Inszenierung blieb der FC Bayern aber auch in dieser Phase der mit Abstand interessanteste Klub des Landes.

Geprägt waren die 1990er-Jahre nicht von Titeln, sondern von Nebenkriegsschauplätzen und persönlichen Verwerfungen. Alphatiere wie Lothar Matthäus, Jürgen Klinsmann, Stefan Effenberg, Oliver Kahn oder Mario Basler duellierten sich um den Status des Oberalphas und Trainer Giovanni Trapattoni tobte: "Flasche leer!" Der FC Hollywood war geboren und trotz Patron Hoeneß gab es keine Spur von einer heilen Familie.

Diese Zeit erinnert durchaus an die Gegenwart: Eine körperliche Auseinandersetzung zwischen zwei Spielern, eine kuriose Pressekonferenz, gemaulwurfte Kabinen-Interna und vielleicht noch ein nicht autorisiertes Interview? Von jedem zwei! Trotzdem würde wohl kaum jemand der damaligen Mannschaft eine Mia-san-mia-Mentalität absprechen. Ganz im Gegenteil: Spieler wie Matthäus, Effenberg oder Kahn gelten als absolute Mia-san-mia-Ikonen.

"Mia san mia und FC Hollywood ist kein Widerspruch", sagt Markus Babbel im Gespräch mit SPOX und GOAL. Geboren in München, durchlief er die Jugendabteilung des FC Bayern und spielte in den 1990er-Jahren lang für die Profis. Der Begriff Mia san mia sei damals zwar schon präsent gewesen, "aber nicht so ein richtiger Slogan wie heute". Laut Babbel bedeutet Mia san mia, "dass man die Ärmel hochkrempelt, gegen Widerstände ankämpft und zeigt: Wir sind zu Recht die Besten. Nicht wie es im Moment beschrieben wird, dass der FC Bayern eine Wohlfühloase ist und sich alle lieb haben. Es müssen knallharte Entscheidungen im Sinne des Erfolgs getroffen werden. Da nimmt man keine Rücksicht auf wen auch immer."

Aufgesogen habe Babbel das Mia san mia schon zu frühkindlichen Zeiten. Bei Hallenturnieren, als er und seine Kollegen vom FC Bayern im Alter von zwölf Jahren gnadenlos ausgepfiffen wurden. Wenn es schon nicht für einen Wechsel zu den großen Bayern reicht, dann will man sie wenigstens einmal schlagen. "Mit solchen Erlebnissen eignet man sich diese Mentalität an, ohne zu wissen, worum es eigentlich geht", erklärt Babbel. "Im Nachhinein sage ich: Das war die Schule für das Mia san mia." 

Obwohl seine eigenen Kinder nicht für den FC Bayern spielen, versucht er ihnen diese Mentalität trotzdem mitzugeben: "Wenn irgendwas besonders gut oder lustig war, dann sage ich zu ihnen: Mia san mia!"

Als die Fernsehgelder mit dem Aufkommen des Pay-TV in den 1990er-Jahren rasant anstiegen, konnte von einer sportlichen Dominanz der Münchner keine Rede sein. Zwischen 1990 und 1999 holten sie nur zwei Meistertitel. Dank der polarisierenden Inszenierung blieb der FC Bayern aber auch in dieser Phase der mit Abstand interessanteste Klub des Landes.

Geprägt waren die 1990er-Jahre nicht von Titeln, sondern von Nebenkriegsschauplätzen und persönlichen Verwerfungen. Alphatiere wie Lothar Matthäus, Jürgen Klinsmann, Stefan Effenberg, Oliver Kahn oder Mario Basler duellierten sich um den Status des Oberalphas und Trainer Giovanni Trapattoni tobte: "Flasche leer!" Der FC Hollywood war geboren und trotz Patron Hoeneß gab es keine Spur von einer heilen Familie.

Diese Zeit erinnert durchaus an die Gegenwart: Eine körperliche Auseinandersetzung zwischen zwei Spielern, eine kuriose Pressekonferenz, gemaulwurfte Kabinen-Interna und vielleicht noch ein nicht autorisiertes Interview? Von jedem zwei! Trotzdem würde wohl kaum jemand der damaligen Mannschaft eine Mia-san-mia-Mentalität absprechen. Ganz im Gegenteil: Spieler wie Matthäus, Effenberg oder Kahn gelten als absolute Mia-san-mia-Ikonen.

"Mia san mia und FC Hollywood ist kein Widerspruch", sagt Markus Babbel im Gespräch mit SPOX und GOAL. Geboren in München, durchlief er die Jugendabteilung des FC Bayern und spielte in den 1990er-Jahren lang für die Profis. Der Begriff Mia san mia sei damals zwar schon präsent gewesen, "aber nicht so ein richtiger Slogan wie heute". Laut Babbel bedeutet Mia san mia, "dass man die Ärmel hochkrempelt, gegen Widerstände ankämpft und zeigt: Wir sind zu Recht die Besten. Nicht wie es im Moment beschrieben wird, dass der FC Bayern eine Wohlfühloase ist und sich alle lieb haben. Es müssen knallharte Entscheidungen im Sinne des Erfolgs getroffen werden. Da nimmt man keine Rücksicht auf wen auch immer."

Aufgesogen habe Babbel das Mia san mia schon zu frühkindlichen Zeiten. Bei Hallenturnieren, als er und seine Kollegen vom FC Bayern im Alter von zwölf Jahren gnadenlos ausgepfiffen wurden. Wenn es schon nicht für einen Wechsel zu den großen Bayern reicht, dann will man sie wenigstens einmal schlagen. "Mit solchen Erlebnissen eignet man sich diese Mentalität an, ohne zu wissen, worum es eigentlich geht", erklärt Babbel. "Im Nachhinein sage ich: Das war die Schule für das Mia san mia." 

Obwohl seine eigenen Kinder nicht für den FC Bayern spielen, versucht er ihnen diese Mentalität trotzdem mitzugeben: "Wenn irgendwas besonders gut oder lustig war, dann sage ich zu ihnen: Mia san mia!"

Spieler aus der eigenen Jugend werden traditionell am meisten mit dem Mia san mia in Verbindung gebracht. "Da denke ich an Thomas Müller, Basti Schweinsteiger, Philipp Lahm, Klaus Augenthaler und Hansi Pflügler", sagt Babbel. Von der aktuellen Mannschaft verkörpert Müller das Mia san mia wie kein Zweiter. Die oberbayerische Herkunft, der frühe Wechsel zum FC Bayern, die vielen Titel, die selbstbewussten Sprüche - und die wohl blumigste Definition dieser Mentalität: 

In der globalisierten Welt des Fußballs ist der an der Brust behaarte Ursprungs-Bajuware aber selbst beim FC Bayern eher die Ausnahme. Doch auch ausländische und sogar preußische Spieler haben die Möglichkeit, sich die Mia-san-mia-Mentalität aneignen zu lassen. Dafür wird nach ihrer Ankunft in München versucht, ihnen das sogenannte Bayern-Gen einzuimpfen. Die exakte Rezeptur der Vakzine ist nicht bekannt, im Idealfall treten die behandelten Personen danach aber "Bayern-like" auf.

Vorzüglich gelungen ist diese Therapie beispielsweise bei Franck Ribéry oder Arjen Robben (die sich übrigens auch mal geschlagen und danach wieder verstanden haben). Babbel denkt beim Mia san mia auch an Manuel Neuer. Leon Goretzka berichtete mal in einem Interview: "Ich habe gleich im ersten Jahr das Mia san mia in mich aufgesogen."

Zur Verwissenschaftlichung des Begriffs kam es 2008: Aus einer Mentalität wurde ein offizieller Slogan. Verantwortlich dafür war jemand, der nichts mit dem FC Bayern zu tun hat, bekennender Werder-Fan und noch dazu Berater von Bayerns langjährigem Widersacher Jürgen Klopp ist. Verantwortlich dafür war Marc Kosicke.

Herr Kosicke, Sie sind Werder-Fan und Berater von Borussia Dortmunds ehemaligem Erfolgstrainer Jürgen Klopp. Wie kam es, dass ausgerechnet Sie das Mia san mia zum offiziellen Slogan des FC Bayern gemacht haben?

Kosicke: Im Jahr 2008 war ich gemeinsam mit meinem damaligen Geschäftspartner Oliver Bierhoff auf dem Weg zu einem FIFA-Event in der Schweiz. Zufälligerweise saß Uli Hoeneß im selben Flugzeug. Er hat über die eigenen Spieler geschimpft und geklagt, dass keiner wüsste, was Bayern München eigentlich bedeuten würde. Daraufhin habe ich Herrn Hoeneß gefragt, was genau Bayern München denn seiner Meinung nach bedeuten würde - und er konnte mir keine klare Antwort geben.

Wie ging es weiter?

Kosicke: Ich habe ihm erzählt, dass ich lange bei Nike und adidas gearbeitet habe und es dort sogenannte Unternehmens-Bibeln gibt, in denen alle Mitarbeiter über die wichtigsten Werte und Botschaften des Unternehmens informiert werden. Daraufhin hat er mich gefragt, ob ich so etwas für den FC Bayern entwerfen kann.

Konnten Sie.

Kosicke: Mit 100-prozentiger Ahnungslosigkeit, aber viel Selbstvertrauen habe ich zugesagt (lacht). Uli Hoeneß meinte noch, dass er nur mich und keine Roland-Berger-Schlipsträger-Truppe sehen wolle. Also bildeten wir eine heterogene Arbeitsgruppe mit Leuten aus dem Fanshop und aus dem Marketing, mit dem Zeugwart und dem Jugendkoordinator, mit Stefan Mennerich aus der Medienabteilung und Chefscout Wolfgang Dremmler. Vier Wochen lang haben wir gemeinsam die Werte von Bayern München ausgearbeitet.

Und am Ende stand das Mia san mia?

Kosicke: Nein, der Slogan stand für mich von Anfang an fest. Den hatte ich schon bei meinem Gespräch mit Hoeneß im Flugzeug im Kopf. Aber da habe ich ihn noch nicht erwähnt, weil ich sonst ja direkt mein ganzes Pulver verschossen hätte. Gemeinsam mit der Arbeitsgruppe haben wir anschließend nur mehr die Werte dazu entwickelt.

Auf welche Werte kamen Sie?

Kosicke: Letztlich haben wir uns auf 16 Gebote geeinigt. Zum Beispiel: "Wir sind eine Familie und stehen füreinander ein." Oder: "Wir kommunizieren in der Öffentlichkeit nicht übereinander."

Wie hat Hoeneß das Ergebnis gefallen?

Kosicke: Für die Präsentation beim Vorstand habe ich mit echtem Lederhosen-Leder ein paar Prototypen der Bibel binden lassen. Als ich den Titel enthüllt habe, waren alle begeistert. Hoeneß meinte: "Super Slogan, aber dieses MIR ist eine Raumstation." Vorne drauf stand nämlich nicht "Mia san mia", sondern "Mir san mir". Als Bremer war ich des Bayerischen nicht 100-prozentig mächtig. Das war das Einzige, was wir noch ändern mussten.

Wie ging es danach weiter?

Kosicke: Abgesehen von der Bibel habe ich für den FC Bayern auch eine begleitende Roadmap zur Implementierung innerhalb des Klubs entwickelt. Damit war meine Aufgabe beendet. Mit der Rechnungsstellung habe ich meine Rechte am Slogan abgetreten und versichert: "Macht euch keine Sorgen, als Bremer und Berater von Jürgen Klopp werde ich mich nicht als großer Mia-san-mia-Erfinder inszenieren." Jeder Neuzugang - egal ob ein Mitarbeiter der Geschäftsstelle, ein Jugendspieler aus Fürstenfeldbruck oder Sadio Mané – sollte als Onboarding-Maßnahme nach seinem Wechsel zum FC Bayern diese Bibel in die Hand bekommen mit der Botschaft: So sind wir, diese Werte leben wir.

Wie präsent war der Begriff Mia san mia, bevor Sie ihn zum offiziellen Slogan gemacht haben?

Kosicke: Ich kannte ihn seit ich als Jugendlicher im Weserstadion eine späte Werder-Niederlage gegen den FC Bayern erlebt habe. Am nächsten Tag war in der Zeitung von der Mia-san-mia-Attitüde der Bayern die Rede. Das ist mir immer im Gedächtnis geblieben. Damals war die Haltung hinter dem Mia san mia aber präsenter als der Begriff an sich.

Herr Kosicke, Sie sind Werder-Fan und Berater von Borussia Dortmunds ehemaligem Erfolgstrainer Jürgen Klopp. Wie kam es, dass ausgerechnet Sie das Mia san mia zum offiziellen Slogan des FC Bayern gemacht haben?

Kosicke: Im Jahr 2008 war ich gemeinsam mit meinem damaligen Geschäftspartner Oliver Bierhoff auf dem Weg zu einem FIFA-Event in der Schweiz. Zufälligerweise saß Uli Hoeneß im selben Flugzeug. Er hat über die eigenen Spieler geschimpft und geklagt, dass keiner wüsste, was Bayern München eigentlich bedeuten würde. Daraufhin habe ich Herrn Hoeneß gefragt, was genau Bayern München denn seiner Meinung nach bedeuten würde - und er konnte mir keine klare Antwort geben.

Wie ging es weiter?

Kosicke: Ich habe ihm erzählt, dass ich lange bei Nike und adidas gearbeitet habe und es dort sogenannte Unternehmens-Bibeln gibt, in denen alle Mitarbeiter über die wichtigsten Werte und Botschaften des Unternehmens informiert werden. Daraufhin hat er mich gefragt, ob ich so etwas für den FC Bayern entwerfen kann.

Konnten Sie.

Kosicke: Mit 100-prozentiger Ahnungslosigkeit, aber viel Selbstvertrauen habe ich zugesagt (lacht). Uli Hoeneß meinte noch, dass er nur mich und keine Roland-Berger-Schlipsträger-Truppe sehen wolle. Also bildeten wir eine heterogene Arbeitsgruppe mit Leuten aus dem Fanshop und aus dem Marketing, mit dem Zeugwart und dem Jugendkoordinator, mit Stefan Mennerich aus der Medienabteilung und Chefscout Wolfgang Dremmler. Vier Wochen lang haben wir gemeinsam die Werte von Bayern München ausgearbeitet.

Und am Ende stand das Mia san mia?

Kosicke: Nein, der Slogan stand für mich von Anfang an fest. Den hatte ich schon bei meinem Gespräch mit Hoeneß im Flugzeug im Kopf. Aber da habe ich ihn noch nicht erwähnt, weil ich sonst ja direkt mein ganzes Pulver verschossen hätte. Gemeinsam mit der Arbeitsgruppe haben wir anschließend nur mehr die Werte dazu entwickelt.

Auf welche Werte kamen Sie?

Kosicke: Letztlich haben wir uns auf 16 Gebote geeinigt. Zum Beispiel: "Wir sind eine Familie und stehen füreinander ein." Oder: "Wir kommunizieren in der Öffentlichkeit nicht übereinander."

Wie hat Hoeneß das Ergebnis gefallen?

Kosicke: Für die Präsentation beim Vorstand habe ich mit echtem Lederhosen-Leder ein paar Prototypen der Bibel binden lassen. Als ich den Titel enthüllt habe, waren alle begeistert. Hoeneß meinte: "Super Slogan, aber dieses MIR ist eine Raumstation." Vorne drauf stand nämlich nicht "Mia san mia", sondern "Mir san mir". Als Bremer war ich des Bayerischen nicht 100-prozentig mächtig. Das war das Einzige, was wir noch ändern mussten.

Wie ging es danach weiter?

Kosicke: Abgesehen von der Bibel habe ich für den FC Bayern auch eine begleitende Roadmap zur Implementierung innerhalb des Klubs entwickelt. Damit war meine Aufgabe beendet. Mit der Rechnungsstellung habe ich meine Rechte am Slogan abgetreten und versichert: "Macht euch keine Sorgen, als Bremer und Berater von Jürgen Klopp werde ich mich nicht als großer Mia-san-mia-Erfinder inszenieren." Jeder Neuzugang - egal ob ein Mitarbeiter der Geschäftsstelle, ein Jugendspieler aus Fürstenfeldbruck oder Sadio Mané – sollte als Onboarding-Maßnahme nach seinem Wechsel zum FC Bayern diese Bibel in die Hand bekommen mit der Botschaft: So sind wir, diese Werte leben wir.

Wie präsent war der Begriff Mia san mia, bevor Sie ihn zum offiziellen Slogan gemacht haben?

Kosicke: Ich kannte ihn seit ich als Jugendlicher im Weserstadion eine späte Werder-Niederlage gegen den FC Bayern erlebt habe. Am nächsten Tag war in der Zeitung von der Mia-san-mia-Attitüde der Bayern die Rede. Das ist mir immer im Gedächtnis geblieben. Damals war die Haltung hinter dem Mia san mia aber präsenter als der Begriff an sich.

Nach Jürgen Klinsmanns Entlassung und einigen Wochen Jupp Heynckes bekam Louis van Gaal 2009 als erster Cheftrainer die neue Bibel überreicht. Sie dürfte Eindruck hinterlassen haben, denn gleich bei seiner Antritts-Pressekonferenz erwähnte der Niederländer den Slogan. "Das bayerische Lebensgefühl passt mir wie ein warmer Mantel", sagte van Gaal. "Mia san mia - und ich bin ich! Selbstbewusst, arrogant, dominant und ehrlich, arbeitsam, innovativ, aber auch warm und familiär."

Innerhalb kürzester Zeit waren Kosickes Gebote auch am Klubgelände an der Säbener Straße optisch präsent. Van Gaals Assistent und interimistischer Nachfolger Andries Jonker erinnert sich im Gespräch mit SPOX und GOAL, dass "an den Wänden in vielen Sätzen ausformuliert war, was Mia san mia bedeutet. Da stand nicht so etwas wie: 'Wir müssen gewinnen.' Sondern: 'Wir kümmern uns umeinander.' Oder: 'Wir unterstützen unsere Umgebung.' Beim Mia san mia geht es nicht um den Sport, sondern um die Werte des Vereins." Jonker war auch für Ajax Amsterdam, den FC Barcelona und den FC Arsenal tätig - aber er habe für "keinen Verein außer Bayern gearbeitet, wo ein Slogan tatsächlich von innen heraus gelebt wird".

Ein Beispiel? "Kurz vor meinem ersten Spiel als Interimstrainer ist meine Mutter ins Koma gefallen. Ich habe mit Uli und Kalle vereinbart, dass wir den Jungs erst einmal nichts sagen. Nach dem Spiel, das wir gewonnen haben, hat Uli der Mannschaft alles erzählt und mitgeteilt, dass ich mich um meine Mutter kümmern muss. Sie haben mir einen Privatjet organisiert, der mich nach Amsterdam gebracht hat. Nach der Landung habe ich den Piloten gefragt, wann der Rückflug sei. Er meinte: 'Ich habe den Auftrag, so lange zu warten, bis Sie mitkommen. Wenn das dauert, dann dauert das.' Ich hatte das Gefühl, dass sich der Verein wirklich um mich kümmert. Das war Mia san mia."

Mit der Implementierung des Mia san mia als offizieller Slogan begann auch dessen offensive Vermarktung. Bald prangte der Begriff auf jedem Trikot, auf dem Mannschaftsbus, auf Wiesn-Lebkuchenherzen, auf der Stirn von Uli Hoeneß, auf Sonnenbrillen, auf Werbebanden. Nein, das mit Hoeneß' Stirn war nur ein Scherz. "Zwischenzeitlich hat es die Marketingabteilung definitiv übertrieben", sagt Alexander Salzweger, Sprecher der Fanvereinigung Club Nr. 12, zu SPOX und GOAL. "Der Slogan musste überall draufstehen. Wahrscheinlich hätten sie ihn am liebsten 30-mal aufs Trikot geschrieben."

Nach Jürgen Klinsmanns Entlassung und einigen Wochen Jupp Heynckes bekam Louis van Gaal 2009 als erster Cheftrainer die neue Bibel überreicht. Sie dürfte Eindruck hinterlassen haben, denn gleich bei seiner Antritts-Pressekonferenz erwähnte der Niederländer den Slogan. "Das bayerische Lebensgefühl passt mir wie ein warmer Mantel", sagte van Gaal. "Mia san mia - und ich bin ich! Selbstbewusst, arrogant, dominant und ehrlich, arbeitsam, innovativ, aber auch warm und familiär."

Innerhalb kürzester Zeit waren Kosickes Gebote auch am Klubgelände an der Säbener Straße optisch präsent. Van Gaals Assistent und interimistischer Nachfolger Andries Jonker erinnert sich im Gespräch mit SPOX und GOAL, dass "an den Wänden in vielen Sätzen ausformuliert war, was Mia san mia bedeutet. Da stand nicht so etwas wie: 'Wir müssen gewinnen.' Sondern: 'Wir kümmern uns umeinander.' Oder: 'Wir unterstützen unsere Umgebung.' Beim Mia san mia geht es nicht um den Sport, sondern um die Werte des Vereins." Jonker war auch für Ajax Amsterdam, den FC Barcelona und den FC Arsenal tätig - aber er habe für "keinen Verein außer Bayern gearbeitet, wo ein Slogan tatsächlich von innen heraus gelebt wird".

Ein Beispiel? "Kurz vor meinem ersten Spiel als Interimstrainer ist meine Mutter ins Koma gefallen. Ich habe mit Uli und Kalle vereinbart, dass wir den Jungs erst einmal nichts sagen. Nach dem Spiel, das wir gewonnen haben, hat Uli der Mannschaft alles erzählt und mitgeteilt, dass ich mich um meine Mutter kümmern muss. Sie haben mir einen Privatjet organisiert, der mich nach Amsterdam gebracht hat. Nach der Landung habe ich den Piloten gefragt, wann der Rückflug sei. Er meinte: 'Ich habe den Auftrag, so lange zu warten, bis Sie mitkommen. Wenn das dauert, dann dauert das.' Ich hatte das Gefühl, dass sich der Verein wirklich um mich kümmert. Das war Mia san mia."

Mit der Implementierung des Mia san mia als offizieller Slogan begann auch dessen offensive Vermarktung. Bald prangte der Begriff auf jedem Trikot, auf dem Mannschaftsbus, auf Wiesn-Lebkuchenherzen, auf der Stirn von Uli Hoeneß, auf Sonnenbrillen, auf Werbebanden. Nein, das mit Hoeneß' Stirn war nur ein Scherz. "Zwischenzeitlich hat es die Marketingabteilung definitiv übertrieben", sagt Alexander Salzweger, Sprecher der Fanvereinigung Club Nr. 12, zu SPOX und GOAL. "Der Slogan musste überall draufstehen. Wahrscheinlich hätten sie ihn am liebsten 30-mal aufs Trikot geschrieben."

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Sogar Hoeneß wurde es irgendwann zu viel, aber das lag nicht am Slogan an sich. Van Gaal hatte den unter Klinsmann abgestürzten FC Bayern zwar wieder in die europäische Spitze geführt, doch zwischen 2010 und 2012 blieben die Münchner titellos. Keine Chance gegen den von Kosicke-Klient Klopp trainierten BVB. "Wenn es nach mir geht, halten wir uns mit Mia san mia etwas zurück bis wir es wieder demonstrieren", sagte Hoeneß nach dem verlorenen Finale dahoam 2012 gegen den FC Chelsea der Welt. "Mia san mia heißt nämlich auch, erfolgreich zu sein."

Für Fansprecher Salzweger steht dagegen ausgerechnet dieses so tragische Spiel wie kein anderes für diese Mentalität: "Die Spieler haben danach gesagt: Okay, scheiß' drauf, dann holen wir das Ding eben nächstes Jahr. Dieser Trotz und diese Einstellung symbolisieren das Mia san mia." Im Laufe seiner Geschichte zog der FC Bayern oftmals Kraft aus schmerzhaften Niederlagen. Barcelona 1999. Kaaahn, die Bayern, die Bayern 2001. Finale dahoam 2012. Ribéry, Robben, Robbeen, Robeeen 2013.

Zum Champions-League-Sieg kamen 2013 noch die beiden nationalen Titel dazu. Medial hieß es daraufhin: Mia san Triple! Im Laufe des zurückliegenden Jahrzehnts entwickelte sich der Trend, Schlagzeilen über den FC Bayern in seinen Slogan zu verpacken. Mia san raus, Mia san Viertelfinale, Mia san was auch immer. Neulich titelte sogar das klubeigene Magazin 51: "Mia san Phonsiala". Eine durchaus konstruierte Hinleitung auf ein Interview mit Alphonso Davies und Jamal Musiala.

2019 präsentierte der FC Bayern eine neue Vereinshymne namens "Mia san mia". Mit Stieren und frischen Maß vom Fassl hat sie nichts zu tun, stattdessen handelt es sich dabei um ein musikalisches Mischmasch aus vier Sprachen und noch mehr Genres. Der Slogan wird darin nicht definiert, sondern immer wieder als melodischer Platzhalter reingeschnulzt.

Mit mehrsprachigen Liedern oder der Benutzung des Hashtags #MiaSanMia in den sozialen Medien will der FC Bayern seinen Slogan international bekannt machen und Fans auf allen Kontinenten erreichen. Als Rivalen werden mittlerweile nicht mehr Werder Bremen oder Borussia Dortmund angesehen, sondern eher Klubs wie der FC Barcelona und der FC Liverpool. Deren Slogans "Més que un club" und "You'll Never Walk Alone" dürften international aber besser funktionieren als das Mia san mia.

Bei einer von SPOX und GOAL durchgeführten nicht repräsentativen Umfrage unter Sportjournalisten verschiedener Länder hatte zwar jeder Befragte den Begriff Mia san mia schon mal gehört oder gelesen - aber keiner wusste, was er bedeutet. Zurückzuführen dürfte das auch auf die schwer verständliche Dialekt-Schreibweise sein. Mia san mia ist gemacht für Bayern, nicht für die Welt.

International leichter verständlich ist da schon der Name des Strategie-Projekts, das der neue Vorstandsvorsitzende Oliver Kahn bei seinem Amtsantritt initiierte: "FC Bayern AHEAD". Heraus kam Ende 2021 ein Leitbild, in dem der Slogan Mia san mia keine Erwähnung findet - stattdessen heißt es abschließend aber immerhin: "Mia san Bayern München". Ein weiterer klitzekleiner Hinweis, dass das Mia san mia bedroht ist? Womöglich.

Die Fanszene des FC Bayern nahm dieses Leitbild zum Anlass, ein eigenes zu erstellen. Unter dem Titel "Unser FC Bayern AHEAD" teilten sie der Klubführung neulich bei einem Bundesligaspiel gegen Hertha BSC auf elf Spruchbändern ihr Verständnis vom FC Bayern mit, auf einem stand "Mia san mia". In einer dazugehörigen Mitteilung auf der Website erläuterten die Fans: "Dieser Ausspruch sollte nicht nur Phrase, sondern Ausdruck eines selbstbewussten Selbstverständnisses sein, die Dinge auf unsere eigene Art anzugehen. Das ist die Grundlage unseres Erfolges als einer der bedeutendsten Fußballvereine in Europa."

Es ist reichlich Sorge über die Zukunft des Mia san mia zu vernehmen, aber tatsächlich erscheint ein grundsätzliches Aussterben eher unwahrscheinlich: Geschützt wird dieser abstrakte Begriff nämlich von seinen vielen verschiedenen, teils widersprüchlichen Bedeutungen. Jeder, den man fragt, definiert es anders. Für jeden stehen andere Aspekte im Vordergrund. Mia san mia bedeutet Solidarität und Arroganz, Einigkeit und Streit, Erfolg und Misserfolg beziehungsweise der Umgang damit. Fest steht wohl nur eins: Niemand verkörpert all diese Widersprüche so gut wie Uli Hoeneß.

Zur Geschichte des Mia san mia gehören übrigens auch immer wiederkehrende Debatten über ein drohendes Aussterben, vornehmlich in sportlichen Krisen. Nach dem gescheiterten Experiment mit Trainer Jürgen Klinsmann und einer titellosen Saison klagte 2009 beispielsweise ein zum Experten mutierter Ex-Spieler in der Bild: "Ich habe das Gefühl, dass die alte Dominanz, das Selbstvertrauen, das Mia-san-Mia-Gefühl abhanden gekommen sind." Der Name des besorgten Beobachters: Oliver Kahn.