Von Niklas König und Sam Lee

Der Stadtteil Kennington im Londoner Süden. Kleine, enge Straßen. Alte Reihenhäuser aus Backstein. Ein Spielplatz mit hartem Betonboden. Hier hat für Jadon Sancho alles angefangen. Hier war er erstmals der Held. Der eine Junge, der besser war als all die anderen.

"Die Kids haben zu ihm aufgeschaut. Er war ihr Anführer", erinnert sich Norman Dawkins im Gespräch mit Goal.

Dawkins arbeitete für die verstaatlichte Sozialhilfe-Organisation Children’s Services und kümmerte sich um die Betreuung von Kindern und Jugendlichen. Unter anderem war er für den Frederick’s Adventure Playground, einen Spielplatz in der Westcott Road, nur einen Steinwurf von Sanchos Elternhaus entfernt, zuständig.

Hier sah er Sancho im Jahr 2006 zum ersten Mal mit einem Ball am Fuß. Schon kurze Zeit später inspirierte der junge Jadon die anderen Kids aus dem Viertel. "Er war noch jung, aber ihm ist immer eine Gruppe von Kindern gefolgt. Ging er joggen, liefen sie ihm hinterher", erzählt Dawkins.

Sancho ragte schon als Kind aus der Masse heraus. Nun, im Alter von 18 Jahren, ist er eines der verheißungsvollsten Talente des Weltfußballs.

"Für mich zählte immer nur der Fußball. Ich hatte keine Alternative", sagt Sancho im Gespräch mit Goal: "Ich wollte schon immer Profifußballer werden und die Leute so begeistern, wie Ronaldinho mich begeistert hat. Ich dachte mir früher: 'Eines Tages will ich so sein wie er.' Ich hoffe also, dass ich irgendwann dasselbe Level erreichen und junge Spieler dazu bringen kann, zu mir aufzublicken."

Zwar wird Sancho nicht müde zu betonen, dass er noch einen langen Weg vor sich habe, dass er weiterhin hart an sich arbeiten müsse. Für viele Kids ist er trotzdem schon heute ein Vorbild.

"Er konnte aus dem Nichts neue Situationen kreieren. Er hat seine Gegenspieler regelmäßig nass gemacht, auch ältere. Wenn er mal umgehauen wurde, ist er aufgestanden und hat einfach weitergemacht, als wäre nichts gewesen. Er hat teilweise auch gegen Erwachsene gespielt, und trotzdem wollte jeder in seiner Mannschaft sein", sagt Dawkins.

Für Sancho waren Duelle mit Größeren, Stärkeren und Älteren nie ein Hindernis, sondern vielmehr eine Herausforderung.

Fernab des Adventure Playgrounds war Sanchos Kindheit weniger unbeschwert. Er wolle nicht zu sehr ins Detail gehen, aber es sei nicht einfach gewesen, "besonders, wenn die Leute um dich herum schlimme Dinge tun", erzählte Sancho vor Kurzem in einem AFP-Interview.

In Kennington gibt es düstere Ecken, das Viertel gilt als eines der ärmsten und problematischsten in London. Im Guardian wurde im Sommer 2018 unter der Überschrift "Streets of fear" ein Artikel über Kennington veröffentlicht. Es geht um Gang-Kriminalität, Messerstechereien und Drogenhandel.

Sancho musste zudem in jungem Alter einen schweren Schicksalsschlag hinnehmen. Er war fünf Jahre alt, als sein kleiner Bruder verstarb. Seinen linken Arm ziert heute ein Tattoo. Es ist ein Gedicht, das Sancho verfasste und seinem Bruder widmete.

"You and me will stay together, you made us happy, you brought us joy, you were a special baby boy."

"I couldn’t wait till you grew up, teach you football and win the cup."

"But you’re gone what can I do? Baby brother, we love you."

Seine Tore feiert Sancho heute, indem er beide Arme in die Höhe gen Himmel streckt, den einen für seinen Bruder, den anderen für seine Ende vergangenen Jahres verstorbene Oma.

Peter Leandre, der mit Dawkins bei Children’s Services arbeitete, erinnert sich ebenfalls noch gut an den Fußballer Jadon Sancho. An den kleinen Jungen, der die Zuschauer in Kennington verzückte.

"Es gab Momente, in denen ich ihn für verrückt gehalten habe. Ich spielte damals bei Luton Town (englischer Drittligist, Anm. d. Red.) und konnte auch kicken, aber er hat Sachen gemacht, die ich zuvor noch nie gesehen hatte. Es war, als hätte er Bänder aus Gummi in seinen Gelenken. Es war geradezu albern. Der Junge war einzigartig."

Und dennoch war Sancho nicht der einzige Wunderknabe, der seine Widersacher in den Straßen des Londoner Südens regelmäßig zur Verzweiflung brachte.

"Jadon war gut mit Reiss Nelson befreundet", erzählt Dawkins, der auch Fußballturniere für die Kinder organisierte. Nelson war nur selten auf dem Adventure Playground, meistens spielte er auf anderen Plätzen in der Gegend. "Mir wurde irgendwann gesagt, ich solle die beiden zusammenbringen. Das tat ich, als sie etwa acht Jahre alt waren. Und es war das Beste, was passieren konnte", sagt Dawkins.

Sancho und Nelson harmonierten blind miteinander, gewannen Spiele und Turniere. "Als sie ungefähr elf Jahre alt waren, spielten sie gemeinsam bei den Suffolk Youth Games. Es waren 32 Bezirke dabei und sie haben gewonnen und sich zig Tore gegenseitig aufgelegt." Später glänzte das Duo dann bei den London Youth Games. "Wir haben kein Spiel verloren und im Finale Richmond mit 2:0 besiegt."

Zum Zeitpunkt der Turniere trainierte Sancho bereits beim FC Watford und profitierte vom professionellen Training.

In dieser Zeit habe sich Sancho zu einem viel besseren Spieler entwickelt und technisch beinahe täglich Fortschritte gemacht, erzählt Leandre. Es war der nächste Schritt in Sanchos Entwicklung. Vom Straßenfußballer zum Teamplayer.

"Er wirkte auf mich wie ein Wunderjunge. Er war technisch besser als die anderen Kinder, aber er hatte keine Erfahrung mit Vereinsfußball. Er hatte zuvor nur auf der Straße gespielt", sagt Dave Godley, der Sancho in der Watford-Jugend trainierte, im Gespräch mit Goal.

Watford habe Sancho in einem Förderzentrum für junge Fußballer im Battersea Park gesichtet. "Wir hatten damals einen Scout im Zentrum Londons und haben auf diese Weise versucht, konkurrenzfähig zu sein. Wir waren einmal pro Woche dort und haben uns verschiedene Kids angesehen. Wir hatten ein paar Leute dabei, die Jadon und seinen Vater Sean kannten. Insbesondere Alex Cargill kam gut mit Sean aus und konnte ihn davon überzeugen, dass Watford der richtige Ort für seinen Sohn war und nicht einer der größeren Klubs."

"Sancho kam im Alter von sechs, sieben Jahren zu Watford", erzählt Godley. Genau weiß er das nicht mehr. Zunächst habe Sancho jedenfalls nur in der U7 mittrainiert, ehe er mit acht Jahren vollwertiges Mitglied der Jugendabteilung des Klubs wurde und fortan in der Harefield Academy lebte, rund 40 Kilometer von seinem Zuhause entfernt.

In England dürfen Kinder ab acht Jahren mit dem Einverständnis ihrer Eltern einen Fördervertrag unterschreiben. Liegt ein solcher Vertrag nicht vor, können die Kids jederzeit bei einem anderen Verein mittrainieren oder sogar den Klub wechseln. "Es gab einige Kinder, die bei mehreren Vereinen trainiert haben. Wir wollten die Jungs immer früh an uns binden, aber einige sagten, sie könnten aktuell keine Antwort geben, was eigentlich hieß, dass sie abwarten wollten, ob sich Arsenal oder ein anderer großer Klub meldet."

Watford habe es einige Male erlebt, dass talentierte Jungs ein, zwei Jahre im Klub trainierten und schließlich von heute auf morgen nicht mehr erreichbar waren und dann einen Fördervertrag bei einem Klub wie Arsenal oder Chelsea unterschrieben. "Ich dachte mir, dass Jadon unbedingt unterschreiben muss", erzählt Godley.

Auch aus Angst, dass das junge Talent noch von einem Schwergewicht abgeworben werden könnte, holte Godley Sancho und dessen Familie am Tag der Unterschrift persönlich vom Bahnhof ab und brachte sie aufs Trainingsgelände. "Als wir die Papiere in der Hand hielten, war das ein unglaublich gutes Gefühl", sagt er.

Sancho habe nicht zu jenen Kindern gehört, "die ganz gut Fußball spielten und dann nach Hause gingen, um anderen Beschäftigungen nachzugehen. Mir kam es so vor, als hätte er ständig Fußball gespielt. Nur so konnte er technisch dermaßen gut sein".

Sancho war nach eigener Aussage nicht der beste Schüler. Sport sei "natürlich" sein Lieblingsfach gewesen, sagt er im Gespräch mit Goal und erklärt: "Bildung ist natürlich wichtig, ich behaupte keinesfalls das Gegenteil. Man muss gebildet sein, um im Leben voranzukommen. Ich habe es zum Glück auf einem anderen Weg geschafft und bin dafür sehr dankbar."

In seiner Freizeit sah sich Sancho wieder und wieder YouTube-Compilations von Ronaldinho oder Neymar an, stets mit dem Hintergedanken, deren Tricks eines Tages selbst auf dem Rasen zu zeigen.

"In den Spielen hat er Dinge gemacht, zu denen andere Kids gar nicht in der Lage waren. Mein Trainerkollege Dennis ist mal in einem Trainingsspiel ins Tor der zurückliegenden Mannschaft gegangen, um das Spiel ausgeglichener zu gestalten. Wir haben Fünf-gegen-Fünf gespielt, mit kleinen Toren, die einem Erwachsenen ungefähr bis zur Brust gingen. Und dann kam Jadon und hat den Ball über Dennis hinweg ins Tor gelupft."

Godley ist es besonders wichtig zu betonen, mit welchem Arbeitseifer Sancho ausgestattet war. "Ich denke nicht, dass sein Talent angeboren ist", sagt er: "Wenn man über Diego Maradona spricht, sagen die Leute oft, er sei geboren worden, um Fußballer zu werden. Es gibt aber Dokumentarfilme, die zeigen, dass er einfach ständig Fußball gespielt hat. Er hatte immer einen Ball am Fuß. Und so war es auch bei Jadon."

Sancho sei zwar mit guten körperlichen und mentalen Voraussetzungen geboren worden, "aber letztlich hat er gewisse Abläufe auch immer und immer wieder wiederholt, ob im Training oder zuvor auf der Straße".

Denn dort legte Sancho den Grundstein für sein Spiel, das ihn heute so sehr auszeichnet. "Ich würde mich definitiv als Straßenfußballer bezeichnen, denn dort hat alles angefangen", sagt Sancho im Rahmen der Preisübergabe der Goal NxGn. Sancho erzählt, wie er damals in seinem Viertel mit den Jungs Fünf-gegen-Fünf gespielt und ständig an alten und neuen Tricks gearbeitet hat.

Rhian Brewster erkannte die Einflüsse der Straße sofort. Der ebenfalls in London geborene Nachwuchsstürmer des FC Liverpool spielte in der U16- und U17-Nationalmannschaft Englands mit Sancho zusammen und sagt im Gespräch mit Goal: "Wenn man aus solchen Gegenden kommt, dreht sich alles um Käfigfußball. Da kickt man einfach mit seinen Freunden. Das erinnert mich immer an FIFA Street."

"Das hilft dir in deinem Spiel. Du gehst die Sache anders an, spielst mit Fantasie und machst dir nicht so viele Gedanken. Du probierst einfach deine Tricks aus. So spielst du, wenn du in einem Umfeld großgeworden bist, das auf Technik und Tricks ausgerichtet ist."

Gleichzeitig war Sancho extrem ehrgeizig. Nahezu alle, die ihn kennen, berichten von einer Eigenschaft, die Jadon so besonders macht und ihn schon früher von anderen abgehoben hat: sein beinahe unheimliches Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten. "Er war ein ganz normales, aber gleichzeitig sehr selbstbewusstes Kind", sagt etwa Dawkins.

Godley erzählt: "Er wollte immer der Beste sein – und zwar in jeder Hinsicht. Er wollte die besten Tricks draufhaben, die meisten Tore schießen und die besten Pässe spielen."

Um Sanchos Charakter zu untermauern, erzählt Godley eine Anekdote. "Wenn wir in der Jugend gegen Chelsea oder Arsenal gespielt haben, blickten die Kids aus dem Fenster und sagten: 'Oh mein Gott, Chelsea ist hier, oh mein Gott.' Wir mussten ihnen dann klarmachen, dass hier nur Kinder gegen Kinder spielen. Mit dem einzigen Unterschied, dass manche ein blaues und manche ein gelbes Trikot tragen", sagt Godley.

"Jadon dagegen hat aus dem Fenster geschaut und sich gedacht: 'So, Jungs, jetzt bekommt ihr Probleme. Heute spielt ihr gegen mich.' Er war dermaßen selbstbewusst, das war der Unterschied."

Sancho selbst meint, sein Selbstvertrauen resultiere vor allem aus den Duellen mit Älteren. "Je öfter ich mit ihnen spielte, desto selbstbewusster wurde ich. Ich hatte immer das Gefühl: Wenn ich härter arbeite als alle anderen, kann ich auch mehr hervorstechen."

Sanchos großer Ehrgeiz führte allerdings auch dazu, dass er teilweise überdrehte, zu viel wollte. "Ich würde sagen, dass er es anfangs in der U9 ein wenig übertrieben und die Dinge teilweise verkompliziert hat. Da wollte er jeden Ball haben. Aber ab der U10 oder U11 hat er gute Entscheidungen getroffen und seine Mitspieler in Szene gesetzt", sagt Godley.

Godley und seine Kollegen merkten schnell, welch einen Diamanten sie da in ihren Reihen hatten. Um Abwerbeversuchen vorzubeugen, ließen sie Sancho teilweise in einem älteren Jahrgang oder auf einer ungewohnten Position spielen, wenn seine Mannschaft auf die Jugendauswahl eines großen Premier-League-Klubs traf.

"Die Berater begannen damals, ihn zu umgarnen. Manche Agenten oder Scouts schickten ihm Fußballschuhe oder anderes Zeug, um mit ihm in Kontakt zu kommen", sagt Godley.

Letztlich sollten sich Watfords Befürchtungen bewahrheiten.

"Er war damals jede verdammte Woche on fire. Zu dieser Zeit ging er zu ManCity. Ich erinnere mich noch an ein Spiel gegen Arsenal. Das war ein Witz. Er hat seine Gegner buchstäblich schwindelig gespielt. Jedes Mal, wenn er den Ball bekommen hat, saß einer seiner Gegenspieler auf dem Boden."

Sancho war 14 Jahre alt, als er für eine Ausbildungsentschädigung von 66.000 Pfund nach Manchester wechselte.

Rückblickend spricht man bei City in gedämpften Tönen über Sanchos Zeit bei den Skyblues.  Spätestens seit seinem Wechsel zum BVB ist die Personalie eine sensible, für weiteren Zündstoff sorgte zuletzt ein Spiegel-Artikel, der sich auf Football-Leaks-Dokumente beruft.

Demnach habe im Rahmen von Sanchos Wechsel von Watford zu City neben der Ausbildungsentschädigung eine weitere, unerlaubte Provisionszahlung in Höhe von 200.000 Pfund an die Agentur von Sanchos heutigem Berater Emeka Obasi stattgefunden. Pep Guardiola bezeichnete den Bericht als "Versuch, den Ruf des Klubs zu schädigen." ManCity teilte in einer Stellungnahme mit, dass man die Vorwürfe nicht weiter kommentieren wolle.

Für Sancho indes war die Zeit bei City eine entscheidende in seiner Entwicklung. Frühere Trainer schwärmen analog zu ihren Kollegen aus Watford, wie hartnäckig und akribisch Sancho an sich gearbeitet habe.

Während einige seiner Mitspieler aus der Nachwuchsabteilung am Wochenende in der Innenstadt Partys feierten, reiste Sancho in seiner Freizeit zurück nach London. Phil Foden, der damals mit Sancho zusammenspielte und noch immer gut mit ihm befreundet ist, nahm an diesen Partys ebenfalls nicht teil. Innerhalb des Klubs werden Sancho und Foden noch heute gerne als positive Beispiele genannt, wenn es um die richtige Einstellung geht.

Gut ein Jahr spielte Sancho für Manchester City, als Pep Guardiola das Traineramt der ersten Mannschaft übernahm. Und es dauerte nicht lange, bis Sancho erstmals mit den Profis trainierte.

"Er hat sehr selbstbewusst gespielt und wollte sein Können zeigen", erinnert sich Raheem Sterling im Gespräch mit Goal.

Wie zuvor schon auf der Straße oder beim FC Watford spielte Sancho frech auf, düpierte teilweise auch die gestandenen City-Spieler mit seinen Tricks. "Manchmal sieht es so aus, als würde er andere bloßstellen wollen, aber er macht das nicht, um anzugeben. Er ist einfach ein Typ, der etwas zeigen will. Es ist Teil seines Spiels", sagt Sterling.

Sterling und Sancho freundeten sich zu dieser Zeit an. Und Sterling versuchte stets, seinem fast sechs Jahre jüngeren Teamkollegen zu helfen.

"Ich habe ihm in der Vergangenheit hin und wieder Ratschläge gegeben, um zu verhindern, dass er dieselben Fehler macht, die ich gemacht habe."

Dabei gehe es um ganz banale Dinge und übergeordnet um das Verhalten abseits des Platzes. "Ich habe ihm zum Beispiel gesagt, dass er früh aufstehen soll. Mit 20 oder 21 Jahren lag ich teilweise zu lange im Bett." 

Sancho bezeichnet Sterling derweil im Gespräch mit Goal neben Marco Reus als den Fußballspieler, der den größten Einfluss auf ihn hatte.

"Ich hatte gleich das Gefühl, zu ihm eine Verbindung aufbauen zu können. Er kommt ebenfalls aus London, er spielte ebenfalls auf der Straße. Wir haben viele Gemeinsamkeiten. Er hat mir gute Ratschläge gegeben."

Letztlich ging es Sancho bei City aber nicht schnell genug, ihm fehlte eine klare Perspektive. Im Alter von 16, 17 Jahren drängte Sancho auf Einsätze im Profiteam, realisierte allerdings schnell, dass die Aussicht darauf im hervorragend besetzten Kader nicht gerade rosig war.

City bot Sancho damals einen Vertrag mit einem Wochengehalt von rund 35.000 Pfund an. Sancho lehnte ab und Guardiola verzichtete anschließend darauf, sein Top-Talent – wie ursprünglich geplant - zur US-Tour mitzunehmen.

"Wir haben alles versucht, um ihn zu halten. Er hätte mit uns trainiert und auch gespielt, wenn er gut genug gewesen wäre, denn auf diesem Level entscheidet allein die Qualität auf dem Platz", sagte Guardiola im September vergangenen Jahres.

Bei City hatten sie grundsätzlich große Pläne mit Sancho, wollten ihn in die erste Mannschaft integrieren, wie sie es mit Foden getan haben. Sancho allerdings hatte bereits entschieden, den Klub zu verlassen, ließ dafür nach der Nichtberücksichtigung für die US-Tour sogar Trainingseinheiten aufgrund angeblicher Krankheit sausen.

Letztlich sollte sein Gebaren belohnt werden. City entschied, dass ein Verkauf die einzig verbleibende Option ist – und bei Borussia Dortmund rieben sie sich die Hände.

Zahlreiche Top-Klubs wollten Sancho verpflichten, als dieser im Sommer 2017 auf dem Markt war. Ganz konkret war neben dem BVB auch der FC Bayern München interessiert. Sportdirektor Hasan Salihamidzic bestätigte im November vergangenen Jahres, dass die Bayern Sancho "haben wollten und ihm deshalb ein Angebot unterbreitet haben, das leider nicht angenommen wurde".

Sancho erklärte später, es sei verrückt gewesen, wie viele Klubs ihn verpflichten wollten. Letztlich sah er beim BVB, europaweit bekannt für das erfolgreiche Fördern junger Talente, schlicht die beste Perspektive für seine sportliche Entwicklung – und sollte damit richtig liegen.

Denn nach seinem rund acht Millionen Euro schweren Wechsel ging es steil bergauf für ihn. Zunächst war er Teil der englischen U17-Nationalmannschaft, die 2017 die Weltmeisterschaft gewann (Sancho wurde nach der Gruppenphase nach Dortmund zurückgerufen), dann debütierte er im Alter von 17 Jahren in der Bundesliga, und nun, mit 18, ist er Stammspieler und Leistungsträger bei den Schwarz-Gelben.

Sancho wirkt ruhig, höflich und bedacht im Gespräch mit Goal. "Ich bin gechillt, relaxt", antwortet er auf die Frage nach seinem Charakter. Es sei eine große Ehre, als bester Nachwuchsspieler ausgezeichnet zu werden. "Ich bin mir sicher, dass meine Familie stolz auf mich ist, aber ich muss weiter hart an mir arbeiten. Das ist noch nicht das Ende."

Sancho betont immer wieder, wie dankbar er all jenen ist, die ihm auf dem Weg nach oben geholfen haben. Namen will er keine nennen. Das sei nicht fair gegenüber denen, die er beim Aufzählen womöglich vergessen würde, sagt er. "Es waren eine ganze Menge Leute. Ohne sie wäre ich heute nicht hier."

Nach dem Gespräch muss Sancho, der mit seinem Vater in Dortmund lebt und regelmäßig mit seiner Mutter telefoniert, zum Deutschunterricht.

"Jadon ist ein top-talentierter Spieler, der sich mehr und mehr in der Stadt eingelebt hat. Er ist immer noch dabei, sich zu entwickeln - nicht nur auf dem Platz, sondern auch von seiner Persönlichkeit her. Die Zeit und den Raum geben wir ihm", sagt Sebastian Kehl, Leiter der Lizenzspielerabteilung beim BVB, zu Goal.

Sancho, so Kehl weiter, habe schon einen großen Schritt nach vorne gemacht. "Er wird reifer und wirkt beständiger." In 25 Ligaspielen erzielte Sancho acht Tore und legte zwölf weitere auf, ist damit nach Robert Lewandowski, Sebastian Haller und Marco Reus bester Scorer der Bundesliga.

"Zu Beginn der Saison hat er noch nicht so viel gespielt, aber dann hat er sich in die Startelf gespielt und sehr gute Leistungen gezeigt. Jadon ist unheimlich wichtig für uns, weil er ein sehr guter Eins-gegen-Eins-Spieler ist", schwärmt Reus im Gespräch mit Goal.

Tatsächlich gelangen Sancho in der laufenden Bundesligasaison mit Abstand die meisten erfolgreichen Dribblings aller Akteure (83, Platz zwei belegt Gladbachs Thorgan Hazard mit 55).

„Es gibt nur wenige Spieler, die in dem Alter schon so komplett sind. Er hat enormes Potenzial, aber er hat - wie alle jungen Spieler - auch noch Raum für Verbesserungen - und das ist auch gut so”, so Reus weiter.  

Der Dortmunder Kapitän fordert und fördert seinen elf Jahre jüngeren Teamkollegen.

"Marco hat mir geholfen, als Spieler zu reifen. Er weiß, wann ich in meinem Spiel bin und wann nicht. Im Spiel gegen Frankfurt (1:1, Anm. d. Red.) sagte er mir: 'Entspann dich, sei du selbst, du hast nichts zu verlieren, du spielst bisher gut.' Die Partie war wichtig und ich ein bisschen nervös. Man konnte sehen, dass ich etwas neben mir stand. Doch schließlich fand ich besser zu meinem Spiel", erzählt Sancho.

Reus beschreibt Sancho als lustigen, eher ruhigen Typen. Jeder komme gut aus mit dem Engländer, der noch immer der Beste sein will, wie damals auf den Straßen Kenningtons.

"Natürlich" sei es ein Ziel, eines Tages den Ballon d’Or zu gewinnen, sagt Sancho. "Ich denke, das sollte das Ziel jedes Fußballers sein. Leo Messi, Cristiano Ronaldo, Luka Modric oder Ronaldinho – all diese Größen haben diesen Award gewonnen. Das sollte als große Inspiration für jeden Fußballer dienen."

Um seinen Traum zu verwirklichen, will Sancho bodenständig bleiben, sich weiterentwickeln. Er könne sich noch in vielen Bereichen verbessern, sagt er. "Deshalb setze ich mir persönliche Ziele. Da geht es um kleine Details. Zum Beispiel, an meinem linken Fuß zu arbeiten, schneller zum Abschluss oder früher hinter die gegnerische Verteidigung zu kommen."

Während Sancho all das im März 2019 auf dem Trainingsgelände des BVB in Dortmund-Brackel erzählt, tragen die Kids in Kennington sein Trikot, eifern ihm auf den Bolzplätzen nach, wie Sancho einst Ronaldinho nacheiferte.

"Jadon ist inzwischen ein Bezugspunkt für die jungen Leute hier", sagt Leandre: "Ich weiß, er ist erst 18, aber er ist zu einem Vorbild geworden. Im Londoner Süden spricht man über ihn. Die Kids rennen umher und sagen: 'Jadon Sancho hat hier um die Ecke gelebt.'"