Bundesliga-Reserverunde:

Die skurrile Geschichte eines vergessenen Wettbewerbs

Heute erinnern sich nur noch die wenigsten daran, doch es gab sie: die Bundesliga-Reserverunde. Ein Rückblick auf zwei Jahre voller bizarrer Ergebnisse, frustrierter Profis und bunter Anekdoten.

Selbst der DFB-Archivar winkte ab. Nein, dazu gibt es nichts mehr, teilte man beim Verband auf Anfrage mit. "Ich habe ein paar Bilder im Kopf, wie wir damals auf irgendwelchen Dörfern gespielt haben. Doch ich kann mich absolut nicht mehr an Details erinnern, tut mir leid", sagte Klaus Augenthaler am Telefon.

Sicherlich verständlich, schließlich herrschte ja nicht einmal Einigkeit über den Namen. Die Reserverunde der Bundesliga, bisweilen auch als Nachwuchsrunde bezeichnet, ist zweifellos ein vergessener Wettbewerb. Zu diesem Urteil kommt die hier vorgelegte Recherche, die sich im Zeitalter der Digitalisierung hauptsächlich auf klassische Medien wie Zeitschriften und Bücher stützen musste.   

Ausgetragen wurde die Reserverunde, diese Bezeichnung scheint sich letztlich durchgesetzt zu haben, nur in zwei Spielzeiten: 1994/1995 und 1995/1996. Die Idee dazu hatte vor genau 30 Jahren Reiner Calmund, zu jener Zeit Manager von Bayer Leverkusen. 

Der Gedanke dahinter: Die Reserverunde sollte ein Auffangbecken für Spieler unterschiedlicher Couleur sein. Regelmäßige Bankdrücker würden zu Spielpraxis auf hohem Niveau kommen, Rekonvaleszenten kontinuierlich wieder herangeführt werden, Nachwuchsspieler erste Berührungspunkte mit dem Senioren-Fußball bekommen. Einsätze von bis zu zwei Gastspielern waren ebenso erlaubt wie solche von Amateurkickern.

Der Handlungsspielraum für die Klubs war somit groß, es waren alle Lizenzspieler ohne Altersbeschränkung spielberechtigt. DFB-Liga-Direktor Wolfgang Holzhäuser nannte es "eine Ansammlung von Freundschaftsspielen", Calmund sah darin großen Nutzen: "Das Kapital im Lizenzbereich wird durch diese Öffnung effektiver genutzt. Ein logischer Schritt, wenn man bedenkt, dass von 40 U21-Spielern gerade einmal drei Stammspieler in ihren Klubs sind."

Gänzlich neu war Calmunds Einfall jedoch nicht. Es gab vielmehr zahlreiche Vorgänger-Wettbewerbe, die - so viel sei bereits verraten - ein ähnliches Schicksal erfuhren wie die Reserverunde der Neunzigerjahre. Vor vielen Jahren feierte nach Initiative mehrerer Vereine eine Nachwuchsrunde Premiere, zwischen 1979 und 1986 wurde sie erstmals offiziell und vom DFB anerkannt ausgespielt. 

Die beiden ersten Ausgaben gewann der 1. FC Kaiserslautern, der zu einem Finale mit der kompletten Profi-Kapelle antrat - es gab ja schließlich einen Titel zu gewinnen. Eine solche Herangehensweise war jedoch die klare Ausnahme. Da die Teilnahme freiwillig war, mangelte es den Klubs schnell an der nötigen Seriosität. So ließ man Spieltermine ungesühnt verstreichen und sagte zahlreiche Partien ersatzlos ab. In manchen Begegnungen wiederum kamen - kein Witz! - Masseure, Busfahrer oder der Platzwart zum Einsatz. Hauteng ausgefüllte Trikots natürlich inklusive. 

Borussia Mönchengladbach (1985) und Borussia Dortmund (1986) hießen die beiden letzten Sieger des nun Adi-Dassler-Pokal genannten Wettbewerbs, der darauf einschlief und acht Jahre lang pausierte. Bis Calmund am 31. Januar 1994 bei der Tagung der Bundesliga-Manager in Dortmund die Teilnehmer überraschte.

"Er legte plötzlich ein fertiges Konzept auf den Tisch und verteilte es unter uns. Das hat er sich auch wunderbar per Power Point vorbereiten lassen", sagt Michael Meier mit einem Lächeln, damals Manager des BVB, im Gespräch mit SPOX und GOAL: "Es waren alle begeistert." Und die Einführung anschließend beschlossen.

Schon am 13. Februar brachte eine Elefantenrunde den Wettbewerb im Hotel Sheraton in München in Form. Anwesend waren: Holzhäuser und Calmund, Bundestrainer Berti Vogts, Gerhard Mayer-Vorfelder als Vorsitzender des Liga-Ausschusses, Bayern Münchens Manager Uli Hoeneß sowie die beiden Vereinstrainer Ewald Lienen (MSV Duisburg) und Benno Möhlmann (Hamburger SV).

Vogts trat schließlich vor die Mikrofone und verkündete: "Mit dieser Reserverunde verfolgen wir mehrere Ziele. Wir wollen jungen Spielern und Reservisten Spielpraxis geben. Verletzte und gesperrte Akteure können getestet werden. Wir können das eine oder andere Talent einbauen und gleich sehen, wie weit diese Jungs sind." Holzhäuser äußerte die Hoffnung, dass der neue Wettbewerb "in diesem Jahr vom Willen aller Beteiligten getragen wird und mindestens zwei Jahre besteht".

Das festgehaltene Regelwerk sah vor, dass alle 18 Bundesligaklubs an der Reserverunde teilnehmen mussten. Aufgefüllt wurde sie von sechs Zweitligisten, deren Mitwirken freiwillig war. Die damals noch drei fixen Absteiger aus der Bundesliga hatten wie die drei bestplatzierten Vereine der 2. Liga ein Optionsrecht auf die Teilnahme.

Gespielt wurde in drei Gruppen zu je acht Klubs, die man nach geographischen Gesichtspunkten einteilte. Gekickt wurde stets dienstags. Am Saisonende spielten die Gruppensieger sowie der beste Gruppenzweite in einem Halbfinale und Endspiel den Sieger aus. 

Anders als in den offiziellen Pflichtspielen hatten die Trainer die Möglichkeit, wie heute üblich einschließlich des Torwarts bis zu fünf Spieler einzuwechseln. Eine Gelb-Rote-Karte, wie sie beispielsweise Oliver Freund nach seinem Tor in einer Partie gegen den 1. FC Nürnberg (2:4) sah, zog keine Konsequenzen nach sich. Rot allerdings schon. So verpasste Bremens Keeper Frank Rost ein Bundesliga-Heimspiel gegen den VfB Stuttgart, weil er in der Reserverunde gegen Rostock vom Platz geflogen war.

Einen ähnlichen Vorfall erlebte auch Kaiserslauterns Marco Haber. Der war damals 23, sagt heute mit 52 allerdings erstaunt zu SPOX und GOAL: "Ich kann mich beim besten Willen nicht daran erinnern. Dass ich ein paar Mal in der Reserverunde gekickt habe - daran schon. Theoretisch möglich ist es also."

Mittelfeldspieler Haber wurde auserkoren, bei der 2:4-Niederlage gegen Duisburg nach 15 Minuten in den Kasten zu rücken. A-Jugend-Torwart Kay Warkus hatte nach einer Notbremse Rot gesehen - und der FCK keinen Ersatzkeeper dabei. Haber heute schmunzelnd: "Nach einer Viertelstunde ins Tor gegangen zu sein und wahrscheinlich alle vier Buden kassiert zu haben, daran müsste ich mich ja erinnern! Mir kommt es vor, als ob da irgendetwas nicht stimmt." Bestimmt nicht, diese vom kicker veröffentlichte Anekdote hatte man sich dort garantiert nicht ausgedacht.

Um Slapstick-Auftritte womöglich mitunter dickbäuchiger Busfahrer diesmal zu verhindern, rief der DFB für "schuldhaftes Nichtantreten" zudem eine Strafe von 30.000 Mark pro Partie aus. Auch zeigte sich der Verband großzügig, indem er den Vereinen als Anschubfinanzierung und Reisekostenzuschuss 600.000 Mark zur Verfügung stellte. In der ersten Saison sackte Dynamo Dresden den größten Anteil ein (43.000), da die Sachsen die längsten Strecken zurückzulegen hatten. Der 1. FC Köln dagegen erhielt nur 12.000 Mark. 

Dynamo-Präsident Rolf-Jürgen Otto besänftigte die Kohle dennoch nicht, er war ein ausgemachter Gegner der Reserverunde. "Wir sind zu einer Teilnahme verpflichtet, müssen aber bei unserem dünnen Kader auch Stammspieler einsetzen", tobte Otto. "Die im Westen können mit dem Fahrrad zu den Spielen fahren. Wir haben lange Reisen und hohe Kosten." 

Holzhäuser hielt dagegen: "Die Vereine werden wegen der Kosten nicht gleich Konkurs gehen. Die zurückzulegenden Kilometer werden in einer Pauschale vom DFB gezahlt." Man einigte sich am Ende darauf, dass die Dresdner ihre Partien zu Hause spielen und zu jenen im Ruhrgebiet per Flugzeug anreisen durften.

Echte Heimspiele waren nämlich eine Rarität. Größtenteils fanden die Begegnungen auf handelsüblichen Sportplätzen in der weitläufigen Umgebung der Klubs statt. Die Spiele zwischen dem VfB Leipzig und Borussia Dortmund legte man etwa auf halbem Weg ins nordhessische Baunatal. Andere Partien wurden an Orten wie Wesel, Solingen, Freising, Mörfelden, Rhede oder Mundingen ausgetragen.

"Wir haben meistens in irgendeinem Dorf auf einer Bezirkssportanlage mit Tartanbahn gespielt", sagt Florian Weichert zu SPOX und GOAL. Der heutige Journalist war 1994 vom VfB Leipzig nach Dresden gewechselt, hatte dort aber schnell seinen Platz im Kader von Trainer Sigfried Held verloren - auch weil Dynamo für jedes Bundesligaspiel des Stürmers Geld an Leipzig hätte zahlen müssen.

"Die Spielorte wurden teils sehr kurzfristig festgelegt. Da wusste man fast bei der Abfahrt noch gar nicht, wo es überhaupt hingeht. Ich weiß noch, wie einige Spiele im Herbst im Schutze der Dunkelheit unter vier Flutlichtkerzen, die gerade so glommen, stattfanden. Das war schon kalt und ungemütlich. Man wusste nie so richtig, was einen erwartet", erinnert sich Weichert.

Marinus Bester bestätigt Weicherts Eindrücke. Der damals 25-Jährige von Werder Bremen gehörte zu den treffsichersten Angreifern der Reserverunde. Beim 9:0 des SVW gegen Leipzig, dem höchsten Sieg des Wettbewerbs, erzielte er vier Tore. "Unsere Heimspiele fanden oft bei Partner-Vereinen im Umfeld von Bremen statt. Ich erinnere mich gut, wie wir eines Abends gegen den HSV unter gruseligen Lichtverhältnissen gekickt haben. Da war es richtig finster", sagt Bester, heute Trainer des Bezirksligisten SG Scharmbeck-Pattensen, gegenüber SPOX und GOAL.

Manchmal sah man sogar gar nichts mehr. Zwei laufende Partien fielen den Witterungsbedingungen zum Opfer: Duisburg gegen Homburg beim Stand von 3:1 in der zweiten Halbzeit wegen Nebels, Schalke gegen Meppen aus demselben Grund bereits nach 39 Minuten (1:1).

Diese Gemengelage sorgte für zweierlei: Ein extrem überschaubares Zuschauerinteresse sowie Frust bei arrivierten Spielern. Bisweilen verirrten sich lediglich 200 Fans zu den Partien, das Aufeinandertreffen des VfB Stuttgart und 1860 München lockte einmal so gut wie gar niemanden an. "Die Zuschauerzahlen waren natürlich nicht berauschend, aber es ging uns bei der Idee an sich auch nicht um die Zuschauer", sagt Initiator Calmund im Gespräch mit SPOX und GOAL. "Das ist doch noch bis heute so: Wenn da nicht die erste Mannschaft antritt, dann kommen nur wenige." Weichert ergänzt: "Die Vereine haben das kein bisschen vermarktet, wie man es heute garantiert machen würde. Zu dieser Zeit hat die Bundesliga auch gar nicht geboomt." 

Eine positive Ausnahme bildete das Revierderby zwischen Dortmund und Schalke, bei dem BVB-Torjäger Stéphane Chapuisat nach zweimaliger Knie-Operation und achteinhalb Monaten Pause wegen eines Kreuzbandrisses sein Comeback feierte. 5500 Zuschauer im Stadion Rote Erde sahen ein 3:3, bei dem "Chappi" in seinen 45 Minuten Einsatzzeit ein herrliches Freistoßtor gelang.

Der gänzlich fitte Marcel Witeczek, ein Jahr zuvor für die stattliche Ablöse von 5,5 Millionen Mark vom FCK zu den Bayern gekommen, fand dagegen deutliche Worte für seine Teilnahme an der Reserverunde. "Für einen gestandenen Profi ist es nicht gerade angenehm, dort spielen zu müssen. Das Selbstvertrauen fördern solche Spiele nicht. Für mich war das erste Spiel, das ich bei Waldhof Mannheim mitmachen musste, ein richtiger Schock", sagte er 25-jährig dem kicker. "Vier Stunden waren wir mit dem Bus unterwegs, anschließend sofort spielen - das macht nicht unbedingt Spaß. Für uns Profis sind solche Spiele eine Pflichtaufgabe, auf die man sich nicht speziell vorbereitet. Für mich persönlich waren diese Spiele frustrierend." 

Auch Karlsruhes Heiko Bonan beschwerte sich öffentlich: "Von der Hälfte meiner Mitspieler habe ich nicht einmal den Namen gekannt." Da hatte sogar sein Trainer Winfried Schäfer Verständnis: "So ein Spiel ist für ihn sicher nicht angenehm und er kann dabei keine überragende Leistung bieten. Wichtig ist, dass ich ihn unter Wettkampfbedingungen beobachten kann." 

Bonans Teamkollege Edgar Schmitt, der mit 33 seinen Stammplatz verloren hatte und regelmäßig in der Reserverunde auflief, haderte im kicker: "Manchmal packt mich schon der Frust, wenn ich daran denke, dass ich noch vor einem dreiviertel Jahr einer der besten Stürmer der Bundesliga war." Der zwei Jahre jüngere Herbert Waas, zur Winterpause nach Dresden gewechselt, aber dort kaum zum Einsatz gekommen, klagte: "Einsätze in der Reserverunde sind sicher kein schönes Gefühl, aber ich brauche natürlich auch Spielpraxis. Mehr möchte ich dazu aber nicht sagen - ich will mich schließlich nicht um Kopf und Kragen reden."

Gegen derlei Ausflüchte wetterte Calmund damals: "Die Spieler müssen kapieren, dass das keine Degradierung ist. Hier muss man an die Berufsauffassung appellieren. Wer das nicht kapiert, muss den Beruf wechseln." Ihm half allerdings nicht, dass so mancher Trainer die Reserverunde durchaus als Disziplinarmaßnahme einsetzte. 

So ließ Otto Rehhagel beim FC Bayern den hoch dekorierten, aber wechselwilligen Stürmer Jean-Pierre Papin zu dessen Verärgerung dort auflaufen. Beim HSV verzichtete man für das Bundesligaspiel in München auf die 25-jährige "Zaubermaus" Sergio Zarate, da Trainer Möhlmann die Einstellung des Argentiniers im Training nicht passte. Zur Strafe gab's stattdessen einen Auftritt in der Reserverunde gegen Dresden.

Selbst der berühmte Fall Maurizio Gaudino streifte die Reserverunde. Der Mittelfeldspieler von Eintracht Frankfurt war am 2. Dezember 1994 von Coach Jupp Heynckes zusammen mit Kapitän Anthony Yeboah suspendiert worden. Dem Duo und auch Jay-Jay Okocha wurde im Abschlusstraining vor dem Spiel gegen Hamburg mangelnder Trainingseifer vorgeworfen, Heynckes setzte daher für den Nachmittag ein Straftraining an. Das wurde von den Spielern abgelehnt - weil sie sich "körperlich und mental kaputt" fühlten, wie Gaudino wissen ließ.

Wenig später stand Frankfurts Reserverundenspiel in Garching gegen 1860 an. Heynckes wollte, dass Gaudino, der kurz zuvor deutscher Nationalspieler geworden war, dort mitspielte. Doch der schaltete Anwalt Horst Kletke von der Vereinigung der Vertragsspieler ein. "Ich habe es nicht nötig, mich bei der Reserve zu beweisen, da sitzen andere auf der Bank oder auf der Tribüne. Für die oder solche Spieler, welche monatelang verletzt waren, ist diese Runde gedacht. Ich war kurzzeitig ausgefallen und bin seit einer Woche wieder topfit", sagte Gaudino.

Eintracht-Vizepräsident Bernd Hölzenbein ließ das nicht gelten: "Er ist schließlich Angestellter des Vereins und verdient, auf Deutsch gesagt, ein Schweinegeld. Aber der WM-Fahrer Gaudino ist sich wohl zu schade, Spielpraxis zu sammeln. Maurizio sollte froh sein, dass er kicken darf." Heynckes war ohnehin fassungslos: "So etwas ist nicht meine Welt, nicht der Fußball, mit dem ich aufgewachsen bin."

Gaudino musste die Reise in Münchens Norden schließlich doch antreten - und unter den Augen von Heynckes und Hölzenbein 90 Minuten lang mitspielen. Beim 2:1-Sieg der SGE erzielte er sogar ein Tor. Es war nicht Gaudinos einziger Auftritt: Beim 3:2 gegen Freiburg stand er gemeinsam mit seinem zuvor bereits ausgeliehenen und später für 3,5 Millionen Mark von Lazio verpflichteten Nachfolger Thomas Doll auf dem Platz. Der wollte nur ein paar Stunden nach seiner Landung aus Rom auf eigene Initiative in der Reserverunde mittun, Dolls Vertrag wurde sogar erst zwei Stunden nach dieser Partie offiziell unterschrieben. Heynckes' Welt war wieder in Ordnung: "Er wollte unbedingt spielen."

Das ging durchaus auch anderen so, schließlich "gab es unterschiedliche Motivationslagen bei den Spielern", wie Weichert erklärt: "Für einige Spieler war es gar nicht so schlecht. Manche waren ausgemustert worden und hatten darauf zwar keinen Bock, andere kamen nach einer Verletzung zurück und drängten über diese Spiele zurück in die Profimannschaft. Meist hat man auf Augenhöhe gespielt. Da auch viele Nachwuchsspieler dabei waren, die die Runde als Chance begriffen haben, war oft richtig Feuer in den Partien. Ich persönlich habe sehr davon profitiert, denn ich musste mich ja aufgrund meiner sportlichen Situation dort anbieten und wollte eine Trotzreaktion zeigen. Auch mit Blick auf Manager anderer Klubs, die hin und wieder zuschauten."

Reserverunde-Torjäger Beister ging es ähnlich: "Für mich als noch nicht etablierten Profi war das eine gute Möglichkeit, um mich bei Otto Rehhagel in Erinnerung zu rufen. Mir fehlte die regelmäßige Wettkampfpraxis, daher hat es mir in der Reserverunde wirklich Spaß gemacht. Wenn die gestandenen Spieler mal dort mitfahren mussten, dann haben sie schon mit den Augen gerollt. Gefühlt war das wie Testspiele während einer Saisonvorbereitung. Man konnte außer einem Spiel auch nichts gewinnen, es gab ja am Saisonende keinen Pokal."

Statt einer Trophäe erhielten manche Spieler eine andere Form der Belohnung: Einen Einsatz bei den Profis. So erging es Dortmunds Marc Arnold, der sich in der Reserverunde als extrem treffsicher erwies.  Als Mitte Oktober 1994 vor dem UEFA-Cup-Hinspiel des BVB bei Slovan Bratislava (1:2) Chapuisat, Lars Ricken und Flemming Povlsen verletzt ausfielen, bekam der 24-jährige Arnold seine Chance an der Seite von Karl-Heinz Riedle - obwohl der Neuzugang aus Ulm zuvor noch nicht einmal ein Bundesligaspiel absolviert hatte. Seine guten Leistungen in der Reserverunde machten es möglich.

Von seinem BVB-Debüt erfuhr Arnold erst in der Spielersitzung: "Da war ich nervöser als auf dem Platz." 73 Minuten Einsatzzeit erhielt der offensive Mittelfeldspieler, vom kicker gab es nach einer quirlig-lebendigen Vorstellung die Note 3. Auch Trainer Ottmar Hitzfeld war zufrieden: "Er hat ein gutes Spiel gezeigt, gute Pässe geschlagen und ist selbst auch zum Abschluss gekommen." 

Auch der umgekehrte Weg war dank der Spielgelegenheit in der Reserverunde möglich: So feierten dort Povlsen und Karlsruhes Manfred Bender nach Kreuzbandrissen genauso ihr Comeback wie die Gladbacher Martin Dahlin (nach Muskelteilabriss in der Wade) und der von einer Meniskus-OP genesene Karlheinz Pflipsen. 

Nur bei Riedle kam der Einsatz Mitte November 1995 beim SV Meppen (2:2) noch zu früh. Nach 71 Minuten war das erste Spiel des BVB-Stürmers nach Kreuzbandriss vorüber. Das Knie hielt der Belastung nicht stand, direkt im Anschluss fuhr Riedle zum Spezialisten Dr. Rüdiger Hartmann nach Osterholz-Scharmbeck. "Das Spiel war doch wohl noch ein bisschen zu früh", sagte er zerknirscht. 

Offiziell begonnen hatte die Reserverunde am Dienstag, den 30. August 1994. Folgende Vereine spielten in den Gruppen Nord, Mitte und Süd mit:

Den höchsten Sieg am 1. Spieltag feierte Leverkusen mit einem 6:2 beim FC Homburg. Für Bayer traf Pavel Hapal dreifach (und tat das auch im nächsten Spiel), zusammen mit FCK-Neuzugang Dirk Anders führte der Tscheche die Torjägerliste an.  

Nach fünf Spieltagen standen Dortmund, Gladbach und der FC Bayern an der Spitze der drei Gruppen. Die Fohlen, die oft mit dem prominenten Sturmduo Martin Max und Bachirou Salou antraten, waren dabei die einzige verlustpunktfreie Mannschaft. Die Zweitligisten Hannover 96 und FC Homburg dagegen hatten jedes Spiel verloren und je 21 Gegentore kassiert.

Auch nach neun Spielen stand noch kein Zähler auf Homburgs Konto, dafür nach einer 3:11 (0:6)-Heimpleite gegen Schalke 04 die bis dato höchste Schlappe der Saison. Teodor Rus hatte in dieser Partie alle drei Tore für den Tabellenletzten erzielt, der schließlich 13 Partien benötigte, ehe mit einem 2:2 auswärts gegen Gladbach der erste Punkt eingefahren wurde - dank Rückkehrer Sergio Maciel, einst der erste argentinische Stammspieler in einem Bundesliga-Team. 

Kuriose Ergebnisse und Begebenheiten gab es ohnehin zuhauf. Schalke unterlag beispielsweise Leverkusen zu Hause mit 0:7, dabei kam die Werkself auf sieben verschiedene Torschützen. Am 2. Spieltag traf Trainer-Sohn Jens Rehhagel beim 4:4 gegen den BVB für Werder - und tatsächlich stand sein Papa Otto in den ersten Partien noch an der Seitenlinie.

Rehhagel senior hatte schon vor der Partie für Aufsehen gesorgt, wie Dortmunds Trainer Michael Henke gegenüber SPOX und GOAL verrät:

Bei manchen Teams war die Personallage bisweilen so angespannt, dass selbst die Übungsleiter einspringen mussten. Als der FC Bayern, der am 6. Spieltag mit dem frustrierten Stürmer Witeczek als Libero beim 1. FC Nürnberg mit 0:4 unter die Räder kam, zu Hause 1:3 gegen Freiburg verlor, half Augenthaler als Spielertrainer aus. Dies geschah mehrfach, beim Rückspiel gegen den Club (4:2) traf er sogar. Aber, siehe oben: Daran erinnern kann er sich nicht mehr.

Erwähnenswert ist auch der Südschlager zwischen KSC und VfB nicht nur wegen des Ergebnisses von 4:0 für die Badener. Denn es war Gunther Metz, der dreifach traf. Der war Libero und erzielte in dieser einen Partie somit fast die Hälfte an Toren, die ihm in seinen 358 Pflichtspielen für Karlsruhe gelangen (7).

Bei der Partie zwischen Kaiserslautern und Uerdingen wehte dagegen ein Hauch des Vorgänger-Wettbewerbs über den Sportplatz. Der Verband hatte vergessen, das Schiedsrichtergespann von dem vorgezogenen Spieltermin zu unterrichten. Daher musste FCK-Masseur Heinrich Loch an die Pfeife. "Zum Glück verlief alles sehr fair. Denn ich hatte weder Gelbe, noch Rote Karten dabei", sagte er damals dem kicker und war glücklich, dass er in seinem eigentlichen Metier nicht gefragt war: "Bei Oliver Schäfer war es einmal fast so weit, dann hätte mir unser Zeugwart meine Sachen gebracht." 

SPOX und GOAL wollten vom mittlerweile betagten Loch wissen, wie es zur Entscheidung kam, dass er die Begegnung leitete: "Es stand zur Debatte, dass einer der beiden Trainer oder deren Co-Trainer pfeifen. Keiner von denen wollte es aber machen. Vielleicht haben die sich nicht getraut. Dann habe ich gesagt: Also gut, ich mach's", erinnert sich Loch.

Der Masseur verhängte für seinen Klub gar einen Elfmeter, den Anders verwandelte - allerdings zum Endstand von 1:5. Bereits zur Pause lagen die Pfälzer mit 0:5 zurück. Loch: "Es gab gleich am Anfang eine Situation, da habe ich nicht gepfiffen, sondern Vorteil für Uerdingen laufen lassen. Am Ende des Angriffs haben die dann ein Tor erzielt. Da bekam ich den Unmut unserer Jungs schon zu hören. Ich wollte uns aber auf keinen Fall bevorzugen. Nach dem Spiel habe ich mir natürlich ein paar Sprüche anhören müssen. Nach dem Motto: Kaum pfeifst du, schon kriegen wir fünf Stück. (lacht) Das war aber ganz gewiss nicht meine Schuld."

Am Saisonende standen mit Leverkusen (23:5 Punkte), Frankfurt (19:9) und Dresden die drei Gruppensieger fest. Gladbach qualifizierte sich als bester Gruppenzweiter für das Halbfinale, das am 30. Mai 1995 ausgetragen wurde. Dem FC Bayern wurde die Teilnahme an der Runde der letzten Vier erst im finalen Saisonspiel vermasselt: Ein Sieg vor heimischem Publikum hätte gereicht, doch Waldhof Mannheim siegte mit 4:1. Da half auch nicht, dass sich Coach Augenthaler als einziger Spieler einwechselte.

Nachdem Leverkusen mit 4:1 über Frankfurt triumphiert und Gladbach mit 1:3 gegen Dresden verloren hatte, kam es am 12. Juni 1995, natürlich einem Dienstag, um 18.30 Uhr vor 678 Zuschauern im Erfurter Steigerwaldstadion zum Endspiel. Bei Bayer wurde man aus unerklärlichen Gründen vom Termin des Finales überrascht, denn Coach Peter Herrmann hatte das Gros seiner Spieler bereits zuvor in den Urlaub geschickt. Herrmann hatte dann viele Telefonate zu führen, um eine schlagkräftige Truppe zusammen zu bekommen. Selbst Neuzugang Sebastian Helbig, der aus Erfurt kam, musste bereits ran und stand mit Gastspielgenehmigung 72 Minuten auf dem Feld.

Da war die Messe bereits gelesen, Leverkusen fegte mit 6:1 (3:0) über Dynamo hinweg. Hapal erzielte mal wieder einen Hattrick (8., 38., 44.) und sicherte Leverkusen somit den Titel ohne Trophäe. 13 von 16 Spielen hatte die Werkself somit für sich entschieden.

Der FCK kam jedoch nur auf elf von 14 möglichen Partien. Der Grund, nicht nur in Kaiserslautern: Spielausfälle und -verlegungen waren ein steter Begleiter des Wettbewerbs. Bereits am 1. Spieltag wurde das Duell zwischen Nürnberg und Stuttgart verlegt. Später fiel die Partie zwischen Freiburg und Bayern der Bundesliga zum Opfer, weil der FCB tags darauf beim FCK gastierte. Auch Überschneidungen mit Europacup oder DFB-Pokal zerrissen den Spielplan immer wieder und sorgten für ein wahres Terminchaos. Mannschaften wie Stuttgart und Karlsruhe, die vorwiegend mit Nachwuchsspielern antraten, hatten aufgrund von Oberligaspielen unter der Woche Schwierigkeiten.

Die Lauterer wollten am Saisonende auf die drei noch ausstehenden Nachholspiele verzichten und riefen den DFB an. "Wir können in der wichtigen Endphase der Bundesliga-Saison keine Verrenkungen wegen der Reserverunde machen", sagte Manager Rainer Geye. Dem Ersuchen wurde stattgegeben, da die vier Finalteilnehmer ohnehin feststanden und man schlicht keine geeigneten Spieltermine mehr fand.

"Für mich nicht", sagt Calmund heute auf die Frage, ob die zahlreichen Spielverlegungen nicht absehbar gewesen sein müssten, "gerade weil man die Gruppen ja regional einteilte. Es gab den einheitlichen Beschluss von 1. und 2. Liga, diese Runde ins Leben zu rufen." So zog die Liga nach der ersten Saison ein zwiespältiges Fazit: Der Stellenwert der Reserverunde war zwar gering, die Ziele - Spielpraxis für zuvor verletzte Spieler, Amateure und Jugendspieler konnten sich auf hohem Niveau messen - wurden jedoch erreicht. 

Selbst die Chance, Gastspieler vor einer möglichen Verpflichtung im Spielbetrieb zu testen, wurde reichlich genutzt. Gladbach beispielsweise stellte die beiden Brasilianer Webert Pinto (21) und Alexandre dos Santos (24) von Cruzeiro beim 1:1 gegen Duisburg auf und ließ seinen 21-jährigen Torhüter Dimo Wache in Homburg vorspielen. Die Finnen Sami Väisänen (22) und Sami Ristilä (21) vom FC Haka trafen bei Uerdingens 6:1 gegen Meppen sogar jeweils, wurden letztlich aber nicht verpflichtet.

Trotzdem ergriff man zur neuen Saison 1995/96 die Maßnahme, den Modus zu verändern: Die 24 Mannschaften wurden nun auf vier Sechsergruppen (Nord, West, Südwest, Süd) verteilt, so dass nur noch zehn statt 14 Partien auszutragen waren. Halbfinale und Finale fielen weg, als Sieger wurden die Gruppenersten gekürt. Klaus Mai vom DFB-Liga-Sekretariat verkündete: "Der übergeordnete Spielbetrieb darf durch die Reserverunde nicht beeinträchtigt werden. Im nächsten Jahr wollen wir die Durchführung der Runde aber strenger handhaben."

Wie alle gut gemeinten Vorhaben für die Reserverunde scheiterte jedoch auch dieses - und zwar krachend. So wurden gleich am 1. Spieltag drei Begegnungen ohne genauen Nachholtermin verlegt. Nach sechs Spieltagen mussten ganze 16 Partien nachgeholt werden, vier in jeder Gruppe. Am Ende hatte lediglich der SC Freiburg alle zehn Spiele absolviert, anschließend standen noch 22 Nachholspiele noch an. Der HSV, der noch die Hälfte aller Duelle auszutragen hatte, stellte Antrag beim DFB, auf die drei ausstehenden Heimspiele zu verzichten - abgelehnt!

Dass die Lust aufs Mitmachen bei der Reserverunde vielerorts gering war, konnte man gerade an den Entscheidungen der nicht zur Teilnahme verpflichteten Zweitligisten ablesen. Saarbrücken, Fortuna Köln, Chemnitz, Wattenscheid, Hertha und der VfB Leipzig entschieden sich zur zweiten Saison dagegen. Die Liga-Konkurrenz aus Wolfsburg, Hannover, Meppen, Waldhof, Mainz und Duisburg ergriff jedoch, teils erneut, die Chance.

Bereits der 1. Spieltag hatte es sportlich in sich: Dortmund siegte dank des dreifachen Torschützen Arnold mit 5:0 beim MSV, der HSV gewann in Hannover mit 6:1 (drei Tore durch Stefan Siedschlag, der auch am 2. Spieltag beim 5:3 gegen Rostock dreifach traf), Debütant St. Pauli startete fulminant mit einem 5:3 in Wolfsburg (dreifacher Torschütze Martin Driller) und Joachim Löw stand als Trainer des VfB bei einem 1:1 in Karlsruhe an der Seitenlinie.

Titelverteidiger Leverkusen kassierte gegen die Neulinge Mainz (1:2) und Düsseldorf (1:4) direkt zwei Pleiten, verlor am 3. Spieltag auch das Derby gegen Köln und rutschte auf den letzten Platz ab. Erst im siebten Spiel feierte der souveräne Vorjahressieger den ersten Sieg: ein 3:2 gegen Tabellenführer Düsseldorf.

An Spieltag drei war Derby-Tag im Norden und Süden: Hamburg (mit Hasan Salihamidzic) und St. Pauli (mit Holger Stanislawski) trennten sich 1:1 - das spätere Rückspiel gewannen die Kiezkicker aber mit 1:0. In München trafen der FC Bayern und 1860 aufeinander. Der Rekordmeister, wieder mit Augenthaler als Spielertrainer und zudem Gerd Müller als Coach auf der Bank, trat in hochkarätiger Besetzung an. Beim 4:2 erzielte Papin zwei Tore, auch Emil Kostadinov, Mehmet Scholl und Christian Nerlinger standen auf dem Platz.

Beim Rückspiel rächten sich die Löwen und boten beinahe ihre erste Mannschaft auf: Harald Cerny, Miroslav Stevic, Horst Heldt, Olaf Bodden und Bernhard Winkler kamen zum Einsatz und schossen einen 4:1-Erfolg heraus. Bei den Bayern, die vor diesem 7. Spieltag nur fünf Punkte auf dem Konto hatten, war der spätere Profi Alexander Klitzpera der bekannteste Akteur. 

Skurril auch die beiden Duelle zwischen Bayern und Stuttgart, die kurz nacheinander ausgetragen wurden und mit 3:1 und 3:0 an den VfB gingen. Denn: Im ersten Spiel waren Augenthaler und Löw die Trainer, ein paar Tage später hatten Rainer Ulrich bei Bayern und Rolf Fringer bei den Schwaben das Sagen.

Mit Heiner Schuhmann hatte der FCB in dieser Spielzeit sogar noch einen vierten Coach parat. Mit ihm an der Seitenlinie gab es in zwei Spielen zwei Pleiten (1:8 Tore). Besonders bitter war das 0:6 bei Waldhof im Duell Letzter gegen Vorletzter, wodurch die erneut mit einer Amateurtruppe angetretenen Bayern die rote Laterne übernahmen. 

Derby-Tag Nummer zwei fand am Saisonende statt, als die zahlreichen Nachholspiele absolviert wurden. Dortmund feierte ein 4:1 auf Schalke, der HSV bekam beim 1:4 in Bremen einen Doppelpack von Abwehrmann Gunnar Sauer eingeschenkt und St. Pauli ging bei Rivale Rostock mit 2:7 unter - Rocco Milde hatte vierfach getroffen.

Für die von Klaus-Peter Nemet angeleiteten Paulianer hatte das Folgen: Nach der Klatsche strich der strenge Chefcoach Uli Maslo mehrere Spieler wie Dieter Schlindwein, Jens Scharping oder Frank Böse wegen mangelndem Einsatz aus dem Kader für die Bundesligapartie am 34. Spieltag zu Hause gegen Uerdingen. Das half jedoch nichts: Aufsteiger St. Pauli, das schon den Klassenerhalt sicher hatte, zeigte beim 0:2 eines der schlechtesten Saisonspiele - es gab vorübergehend sogar Pfiffe. 

Maslos Disziplinarmaßnahme fruchtete allerdings in der Reserverunde. In der Gruppe Nord fiel die Entscheidung über den Gesamtsieg in den Nachholspielen: Während St. Pauli mit 1:0 in Hannover gewann, verlor Bremen das Rückspiel gegen den HSV mit 0:1. Damit überholte die Mannschaft vom Millerntor (20 Punkte) die Werderaner (18) noch am finalen Spieltag. 

Ein ähnliches Ende fand die Gruppe West. Dort siegte der BVB mit 21 Punkten vor Uerdingen mit 20. Dem KFC hätte ein Sieg beim Letzten aus Duisburg, der bis dato nur auf drei Zähler kam, gereicht - man kassierte jedoch ein 1:4. 

"Bei uns hatte der Wettbewerb einen hohen Stellenwert", versichert Manager Meier, dessen Dortmunder in den beiden Jahren der Reserverunde Meister in der Bundesliga wurden, heute rückblickend. "Unser Team bestand bewusst aus Profi-, Amateur- und Jugendspielern. Michael Henke hat das mit Leidenschaft gemacht. Ich habe ihm gegenüber immer betont, dass das für ihn eine gute Gelegenheit ist, um seine Fähigkeiten als alleinverantwortlicher Trainer zu testen. Er hat es geschafft, auch die arrivierten Spieler dafür zu motivieren und eine gewisse Begeisterung zu wecken."

Die nach Punkten beste Mannschaft der Saison war der SC Freiburg, der mit 22 Zählern die Gruppe Süd gewann. Sieger der Gruppe Südwest wurde Düsseldorf (16 Punkte), nach St. Pauli ein weiterer Aufsteiger aus der 2. Liga.

Eine dritte Saison gab es nicht. Nicht einmal ein offizieller Schlussstrich wurde gezogen. Die Reserverunde starb einen leisen Tod und erlitt somit dasselbe Schicksal wie die Runde in den Achtzigerjahren. Hört man sich heute bei den Protagonisten von damals um, schwingt noch bei vielen Resignation mit. "Es ist an der Bequemlichkeit der Vereine gescheitert", sagt Calmund. Meier pflichtet bei: "Es wurde nie als die Pflichtveranstaltung angesehen, die es eigentlich war und hätte sein sollen. Es gab ja auch keine wirklich harten Konsequenzen, wenn man ein Spiel absagte."

Es dauerte bis zum November 2001, ehe eine Wiedereinführung der Reserverunde zum Thema wurde. Schalkes Manager Rudi Assauer hatte einen entsprechenden Antrag eingereicht, doch diesen schmetterte die Mehrheit der Klubs ab. Die Debatte darüber schwelte noch eine Weile, fand aber ihr Ende nur wenige Monate später im März, als alle Altersbeschränkungen für Profis in den Amateurteams (Regional- oder Oberliga) wegfielen.

Blickt man über Deutschlands Grenzen hinaus, verfolgen andere Länder teils bis heute einen Ansatz, der der Idee der Reserverunde in nichts nachsteht. In den Niederlanden wurde zwischen 1992 und 2016 die Beloften Eredivisie, die bis zur Saison 2000/01 den Namen Reserve Teams Eredivisie trug, ausgetragen. 

Darin versammelten sich die zweiten Mannschaften der Profiklubs. Einen Aufsteiger gab es zunächst nicht, da der Wettbewerb nicht in die Struktur der Profi- und Amateurligen integriert wurde. Das änderte sich ab der Saison 2012/13, an deren Ende die PSV Eindhoven, Ajax Amsterdam und Twente Enschede in die zweitklassige Eerste Divisie aufstiegen. Die Liga wurde anschließend zwar aufgelöst, zweite Mannschaften bis zur 2. Liga sind aber weiterhin erlaubt.

Immer noch Bestand hat in England die Premier League 2, die die zwischen 1999 und 2012 ausgetragene Premier Reserve League ablöste. Sie begann als 22er-Liga für U21-Mannschaften. 2016 stellte man auf U23-Teams um, 2022 kehrte man zum ursprünglichen Modus zurück. Aktuell besteht der Wettbewerb aus 26 Vereinen, die 20 reguläre Saisonspiele sowie eine K.o.-Phase mit 16 Mannschaften austragen. Seit zehn Jahren spielen die Nachwuchsmannschaften parallel dazu auch einen Pokalsieger im Premier League Cup aus.

Und was passiert heutzutage in der Bundesrepublik? Im Zuge der Diskussionen um Probleme in der deutschen Nachwuchsförderung, mangelnde Spielpraxis junger Talente auf höherem Niveau und den ohnehin komplizierten Übergang vom Junioren- in den Seniorenfußball ist der Gedanke, mit dem vor 30 Jahren die Reserverunde zurück ins Leben gerufen wurde, gewissermaßen wieder aktuell.

Gegenüber der Rheinischen Post sagte beispielsweise Christian Keller, Sportchef beim 1. FC Köln, "dass wir den Übergangsbereich falsch gestalten". Konkret sprach Keller "die zwei, drei Jahre nach der U19 an". Es sei eine "Riesenherausforderung", junge Spieler an "die Intensität im Herrenfußball" zu gewöhnen.

Im September 2023 rief der VfL Bochum, der keine zweite Mannschaft besitzt, das Projekt "Perspektivteam" ins Leben. Dort spielen in einer U21 die besten Talente der U16, U17 und beider Jahrgänge der U19 mit Jungprofis des Lizenzspielerkaders zusammen, die durch zusätzliche Trainingseinheiten gefördert werden.

Gekickt wird in Testspielen gegen Senioren-Teams, um "ein Bewusstsein dafür schaffen, was Intensität, Körperlichkeit und Zweikampfverhalten im Herrenbereich bedeuten", wie Geschäftsführer Sport Patrick Fabian erklärte: "Wir haben intensiv darüber nachgedacht, wie wir unseren Ausbildungsgedanken optimieren können. Ziel ist es, unsere Top-Talente sowie die Jungprofis durch Spiel- und Wettkampfpraxis auf ein höheres Leistungslevel zu heben. Die zusätzlichen Trainingseinheiten unter Profibedingungen an der Schnittstelle zur Lizenzmannschaft sollen den Spielern aus dem Talentwerk einen Anreiz bieten, dem Profitraum näher zu kommen."

Auch bei Union Berlin finden sich U17- und U21-Perspektivteams, die sich teils mit internationalen Gegnern wie Basel, Monaco oder Eindhoven messen. Fundamental sind vor allem die Veränderungen, die die Reform der Junioren-Bundesligen mit sich bringen. Am 8. Dezember 2023 informierte der Deutsche Fußball Bund über deren Ausgestaltung. Die Anklänge an die Reserverunde aus den Neunzigerjahren sind teils frappierend.

Die bislang dreigleisigen Bundesligen der U17 und U19 werden ab der Saison 2024/2025 durch neue Wettbewerbsformate ersetzt. Die sogenannte "DFB-Nachwuchsliga" besetzen künftig die Vereine aller 56 Leistungszentren aus dem deutschen Profifußball. Sie startet mit einer Vorrunde in regional aufgeteilten Gruppen zu je acht Teams, Hin- und Rückspielen und damit 14 Partien - also exakt so wie einst 1994/95.

Ein Abstieg ist nicht möglich. Die Begründung: Das bloße Vermeiden von Misserfolgen habe zuletzt im Spitzennachwuchsbereich dominiert und die Entwicklung von Spielern mehr gebremst als gefördert, beruft sich der Verband auf entsprechende Studien. "Bisher war immer die halbe Liga im Abstiegskampf. Ich sehe nicht, dass jemand, weil er mit 15 die Bälle hinten weggebolzt hat, um nicht abzusteigen, am Ende hilft", sagte der beim DFB für Nachwuchs, Training und Entwicklung zuständige Hannes Wolf.

In der zweiten Saisonhälfte teilen sich die Gruppen in eine Liga A und Liga B auf. In Liga A tragen die Erst- und Zweitplatzierten jeder Vorrundengruppe sowie die besten Gruppendritten (insgesamt 24 Klubs) in vier Gruppen zu sechs Teams weitere zehn Begegnungen aus, über die sich die vier besten Mannschaften jeder Gruppe für das Achtelfinale um die Deutsche Meisterschaft qualifizieren. Anschließend entscheidet ein K.o.-Modus mit jeweils nur einem Spiel über das Weiterkommen. Somit erreicht man mehr Alles-oder-nichts-Duelle um den Titel.

"Wir wollen mehr individuelle Qualität entwickeln. Wir brauchen alle Spielertypen, wir dürfen keinen verlieren", skizzierte Wolf das Ziel der Reform, zu der auch ein höheres Auswechselkontingent zählt: Statt wie bislang fünf dürfen nun sieben Spieler pro Mannschaft getauscht werden. "Es muss verhindert werden, dass jemand drei Stunden im Bus sitzt und ohne Einsatz zurückfährt", sagte Wolf.

Die Einführung der Nachwuchsliga wird letztlich eine von zahlreichen Veränderungen sein, die es in den vergangenen 30 Jahren im deutschen Fußball gab. Dennoch ging es damals und geht es heute nur mit dem von Holzhäuser einst geäußerten "Willen aller Beteiligten", um die nicht unähnlichen Problematiken beider Epochen in den Griff zu bekommen. Die Idee und Intention, ja geradezu der Geist der Bundesliga-Reserverunde, wenngleich sie nur von kurzer Dauer war und selbst bei ihren Protagonisten längst in Vergessenheit geraten ist, reicht somit bis in die Gegenwart. Oder, Herr Augenthaler? "Das würde ich absolut bejahen."