DER NEUE MUHAMMAD ALI?

Am Samstag steigt der Kampf des Jahres: Anthony Joshua gegen Joseph Parker (22.45 Uhr live auf DAZN). Zeit also, um auf das Leben und die Karriere von Joshua zurückzublicken. Was hat seine kriminelle Jugend mit dem großen Triumph gegen Wladimir Klitschko zu tun? Was zeichnet den 28-jährigen Familienmenschen heute aus? Und: Kann er Muhammad Ali nacheifern?

Auf dem Olymp

Die Fäuste am Rücken oder wahlweise an den Schultern des Gegners abgestützt, wanken sich beide Kämpfer in einer beinahe umarmenden Gemeinschaftlichkeit durch den Ring. Immer wieder bekommen die johlenden Zuschauer im Exhibition Centre in London diese für das Schwergewichtsboxen typischen Ruhephasen zu sehen. Nur um im nächsten Moment die fliegenden Fäuste von Roberto Cammarelle und Anthony Joshua im Kampf um die Goldmedaille zu bestaunen.

Es ist ein offener Schlagabtausch, den sich der italienische Titelverteidiger und sein britischer Herausforderer im Finale der Olympischen Sommerspiele 2012 liefern. Ein Schlagabtausch, der mit einem 18:18-Punktstand bis zum Ende der dritten Runde andauert, ehe nach einigen Momenten des Bangens die Entscheidung um den Sieg verkündet wird: Anthony Joshua ist der neue Olympische Champion. Nicht unumstritten, aber trotzdem meisterhaft.

Nur fünf Jahre nach Beginn seiner Karriere ist "AJ" damit am zwischenzeitlichen Höhepunkt angekommen: im wahrsten Sinne des Wortes auf dem Olymp. Und anders, als es wohl viele andere Konkurrenten gemacht hätten, gratuliert er in diesem triumphalen Augenblick zunächst seinem Gegner und dessen Trainern, bevor er sich in seinem eigenen Eck feiern lässt. Ein wahrlich olympischer Moment.

Er glaube nicht, erzählt Joshua später, "dass dich eine Goldmedaille zu einem Mann macht. Sie repräsentiert vielmehr eine Reise. Und meine war sehr hart ..."

Im Hades gefangen

Dass Anthony Oluwafemi Olaseni Joshua, wie der Sohn nigerianischer Eltern mit vollem Namen heißt, eines Tages den Olymp des Boxens erklimmen würde, war nur wenige Monate zuvor nicht abzusehen. Damals war er nämlich eher - um in der griechischen Mythologie zu bleiben - ein Gefangener des Hades und somit in der kriminellen Unterwelt zu Hause.

Dabei wuchs Joshua eigentlich wohlbehütet auf. Mit zwei Schwestern und einem Bruder in Watford nahe London geboren, verbrachte er einige Zeit seiner Kindheit in Nigeria, bevor es mit zwölf Jahren zurück nach England ging. Die Eltern kümmerten sich um den kleinen "Femi", gaben ihm viel Liebe mit auf den Weg. Sein damaliger Traum: einmal Profi-Fußballer oder Leichtathlet werden, sportlich war der Knirps schließlich schon immer.

Joshua vs. Parker: Der Kampf des Jahres live auf DAZN

Doch Joshua geriet an falsche Freunde und dadurch immer häufiger in Schlägereien. Er brach vorzeitig die Schule ab, nahm eine Maurer-Lehre auf und sank dabei immer tiefer in den Sumpf der Kriminalität. Selbst Brandstiftungen gehörten zu seinem Strafenkatalog. 2009 dann die erste Verurteilung: Ein Gericht ordnete eine 13-monatige Strafe an, bei der er eine elektronische Fußfessel tragen musste, wollte er das Haus verlassen.

Zu diesem Zeitpunkt hatte der Boxsport bereits Einzug in Joshuas Leben erhalten. Sein Cousin zog ihn als 18-Jährigen mit zu einem Probetraining und schon bald zeigte sich das einmalige Talent des Teenagers. Doch Sätze wie "Boxen hat mein Leben zu 100 Prozent verändert. Das ist für mich die Schönheit am Sport. Er gab mir Disziplin und eine Struktur in mein Leben" (Joshua 2017 im GQ-Interview) mussten noch auf sich warten lassen. Als junger Bursche kämpfte er zwar bereits erfolgreich als Amateur und krönte sich dort zum Weltmeister, von den dunklen Spuren seiner Vergangenheit konnte sich Joshua aber noch nicht lösen.

2011 war es dann, als die Polizei ihn wegen erhöhter Geschwindigkeit anhielt - und in seinem Mercedes-Benz 220 Gramm Marihuana fand. Eine Menge, die als "Drogenbesitz mit der Absicht des Verkaufs" festgehalten wurde und somit eine Haftstrafe von 14 Jahren hätte nach sich ziehen können.

Ganz so hart traf es Joshua nicht. Das Gericht zeigte sich milde und verurteilte ihn lediglich zu zwölf Monaten gemeinnütziger Arbeit sowie 100 Sozialstunden. Seinen Platz im britischen Box-Kader verlor der geläuterte Übeltäter aber vorübergehend.

Spätestens nach der Suspendierung wusste Joshua, was die Stunde geschlagen hatte. Würde er seinen Lebensstil nicht ändern, wäre der Traum vom Profisport schon bald Geschichte. Also feuerte der so hervorragende Amateur-Boxer von nun an seine gesamte Energie in den Sport. Drogen? Gehörten der Vergangenheit an. Schlägereien? Sind Teil der Gegenwart und bleiben auch in der Zukunft - allerdings nur in geregelten Bahnen, umzäunt von vier Ringseilen.

Diese Fokussierung auf den Sport nahmen auch die britischen Box-Offiziellen wahr. Sie ließen Gnade walten und beriefen Joshua zurück in den Kader. Er schaffte den Sprung zu Olympia. Und damit den Durchbruch.

"Eigentlich wollte ich sehen, wie sich Eric Brechlin bei der Amateur-EM 2011 schlägt", erinnert sich DAZN-Experte Uli Hebel gegenüber SPOX an das erste Mal, als ihm Anthony Joshua auffiel: "Was blieb, war der Eindruck Anthony Joshuas. So eine unerhörte Athletik und unglaubliche Schlagkraft. Das Ganze zwar noch roh, aber mit lockerer Luft für Zukünftiges."

Diese Luft für Zukünftiges wollte Joshua nicht nur einatmen, er wollte sie geradezu aufsaugen. Also entschied er sich für den nächsten Schritt: Er ließ das Amateurboxen hinter sich und bestritt am 5. Oktober 2013 gegen Emanuele Leo seinen ersten Profikampf. Das Ergebnis für das frisch ernannte Member of the British Empire: Sieg in der ersten Runde durch technischen Knockout.

Die Kämpfe danach, die Joshua alle paar Wochen abriss, liefen ähnlich erfolgreich. Knockout in der zweiten Runde, Knockout in der ersten Runde, wieder Knockout in der zweiten Runde. Erst in seinem achten Kampf - gegen den Deutschen Konstantin Airich - musste Joshua überhaupt einmal in die dritte Runde, bevor er seinen Gegner zu Boden brachte.

"Ich habe gesehen, dass das der kommende Mann im Schwergewicht sein wird. In dieser neuen Generation würde er der nächste Klitschko-Nachfolger sein, das war meine Theorie - und die hat er bestätigt", schwärmt Ahmet Öner, Promoter und Gründer des Hamburger Boxstalls Arena Box-Promotion, im Gespräch mit SPOX. Die anatomische Größe sei Joshuas großer Vorteil. Zudem habe Joshua in "seiner Gewichtsklasse auch nicht lauter Lennox Lewis', Mike Tysons oder Muhammad Alis herumlaufen. Die Liga, quasi die Champions League des Boxens, ist ja sehr dünn".

Zwei Experten diskutieren über Joshua

SPOX: Was sind Anthony Joshuas Stärken?

Uli Hebel: Die Athletik ist fast einzigartig. Beim Körper hat der Boxgott einen ausgegeben. Er ist lang, aber nicht zu lang. Hat Reichweite, Geschwindigkeit. Zudem kommt mir der Gesamtboxer Joshua oft zu schlecht weg. Die Beine sind steigerungsfähig - aber er bringt auch boxerisch viel mit. Also: Size und Skill. Und er hat sich seine gesamte Karriere hinweg weiterentwickelt und von Kampf zu Kampf Kleinigkeiten verbessert. Wir haben AJ nur selten im Beast-Mode erlebt - aus der Amateurzeit wissen wir aber: Den hat er drauf.

Ahmet Öner: Neben der guten Schlagkraft kann er mit Treffern umgehen. Gegen Wladimir Klitschko war er mit seinen Kräften am Ende und lag auf dem Boden. Doch ab der achten Runde hat er sich wieder berappelt und so den zweiten Frühling erlebt. Das hat ihn stark gemacht.

SPOX: Wo sehen Sie Schwächen bei Joshua?

Hebel: Bei seinem Körper. Das mag paradox klingen, aber er erinnerte mich im Takam-Kampf eher an einen Bodybuilder als an einen Boxer. Das hemmte seine Geschwindigkeit und er war nach anvisierten Aktionen erst einmal außer Atem. Dazu kommen ein paar Fragezeichen: Wie reagiert AJ, wenn der Gegner Druck macht, nach vorne geht? Wie ergeht es ihm in den sogenannten Championship-Rounds? Wie ist sein Kinn, das bisher kaum behauen wurde? Auch wenn ich vermute, dass es stärker als sein Ruf ist.

SPOX: Was sind Ihre Prognosen für den anstehenden Kampf gegen Joseph Parker?

Öner: Natürlich wird Parker versuchen, einen guten Kampf zu liefern. Immerhin ist er Titelträger und hat eine gute Psyche. Aber: Er wird es nicht schaffen. Die anatomischen Vorteile, die Joshua mitbringt, sind einfach zu groß. Er wird Parker ausknocken.

Hebel: Ich bin mir da nicht so sicher. Seit der Ansetzung frage ich mich: Wer wird wie taktieren? Wie gefährlich ist Parker wirklich - vor allem gegen einen Weltklassemann? Ich bleibe aber bei meiner Einschätzung und glaube, dass der Fight über die Runden geht - erstmals in Joshuas Pro-Karriere. Parker hat Herz und wird freiwillig nicht aufstecken, sonst gibt es kein Zurück nach Neuseeland. Aber: Gegen AJ wird er am Ende trotzdem deutlich verlieren. Einstimmig nach Punkten für Anthony Joshua. Ja, ich weiß ...

SPOX: Glauben Sie, dass Joshua als erster Boxer überhaupt alle vier Gürtel im Schwergewicht vereinen kann?

Öner: Ich glaube, sein großes Hindernis wird Deontay Wilder, der von Kampf zu Kampf stärker wird. Die Vergangenheit zeigt, dass Deontay ein abgezockter Typ und auch irgendwo dreckiger als Joshua ist. Je nachdem, wie ein möglicher Kampf laufen würde, könnte das zum Verhängnis oder aber zum Vorteil werden.

Hebel: Ich würde mir eine komplette Vereinigung wünschen. Das würde dem Boxsport, mit der wichtigsten Klasse Schwergewicht, sehr gut tun. Ob das Joshua sein kann oder ob es überhaupt möglich sein wird, wage ich zu bezweifeln. Zu sehr hat mich das Business diesbezüglich in den letzten Jahren enttäuscht. Karrieren wurden an Tischen entworfen, die großen Kämpfe kamen nie zu Stande. Insbesondere im Schwergewicht. Und wenn doch, wurde ein neuer Titel dazu erfunden. Boxer gingen sich aus dem Weg, und und und ...

SPOX: Was macht Joshua aus Sicht eines Promoters gesprochen so besonders?

Öner: Er ist eine neue Art der Klitschkos. Ihn macht sympathisch, dass er black ist und nicht zur weißen Elite gehört. Es gibt auf dieser Welt viel Rassismus, den man nicht leugnen kann. Und ich finde, ein schwarzer Weltmeister im Schwergewicht passt - so bin ich groß geworden. Sie haben uns gegenüber einfach mehr Explosivkraft.

Der Beginn einer Ära

Aktuell nennt Joshua die Schwergewichtsgürtel der IBF, WBA und der IBO sein Eigen. Auf dem Weg dorthin bewältigte "AJ" 20 Profikämpfe, die er allesamt durch K.o. gewann. Immer konnte er sich dabei auf seinen Jab und seine schier unersättliche Power verlassen, die ihn aus seiner defensiven, risikoarmen Grundhaltung heraus in Blitzgeschwindigkeit in die Offensive bringt und so für wirkungsvolle Treffer sorgt.

Mit seiner Größe von 1,98 Metern und einer Reichweite von 208 Zentimetern schaltete Joshua leichte wie schwere Gegner aus - bis es am 27. April 2017 zum neuen Highlight seiner bisherigen Karriere kam: zum Kampf gegen Wladimir Klitschko.

Der langjährige Dominator der Szene war rund 15 Monate zuvor überraschend von Tyson Fury vom Thron gestoßen worden. Gegen Joshua ging es nun um den IBF-Titel sowie um die beiden vakanten Titel des IBO- und WBA-Superchampions. Und: um eine mögliche Wachablösung im Schwergewicht.

"Ich kann mit einem Sieg meine Ära beginnen. Es ist ein Mega-Kampf. Hier stehen zwei Männer am Scheideweg. Für wen geht es hoch, für wen runter?", war sich Joshua gegenüber der Sport Bild um die Bedeutung des Fights bewusst: "Ich kann ihn zur Seite stoßen und meinen Weg zum Thron ebnen. Und so viele Augen werden weltweit auf uns gerichtet sein."

Tatsächlich sorgte die Ansetzung für überragende TV-Quoten. Das Wembley Stadium, in dem der Kampf ausgetragen wurde, war mit 90.000 Zuschauern restlos ausverkauft. Ein Mega-Fight, wie er im Buche steht. Und die beiden Protagonisten versprachen nicht zu viel. Zwar brauchte der Kampf einige Runden, um in die Gänge zu kommen, dann aber wurde es spektakulär:

5. Runde, keine 30 Sekunden sind auf der Uhr vergangen. Immer wieder schnellen Joshuas Hiebe mitten in Klitschkos Gesicht. Der Ukrainer versucht, die Fäuste seines Gegenübers irgendwie abzuwehren, ist aber gegen dessen Power machtlos und sackt zu Boden - zum ersten Mal seit elf Jahren.

Doch Klitschko kämpft, mit sich und dem Gegner. Er kämpft und gibt nicht auf, steht auf und meldet sich zurück. Er quält sich in die sechste Runde, ehe er plötzlich Oberwasser bekommt und Joshua wiederum zu Boden streckt. Es ist das erste Mal in der noch jungen Karriere des Engländers, dass er Feindkontakt mit der Matte macht.

In regelmäßiger Abwechslung wird das Zepter der Dominanz nun zwischen Klitschko und Joshua herumgereicht. Mal sieht der eine wie der kommende Triumphator aus, mal der andere. Das Kopf-an-Kopf-Duell geht bis in die elfte Runde. Bis in die Runde, die Klitschkos Karriere beenden sollte.

Wie die Feuerwehr legt Joshua im vorletzten Run los, setzt einen Treffer nach dem anderen und katapultiert Klitschko zum zweiten und dritten Mal gen Boden. Bevor es den vierten Knockdown gibt, bricht Ringrichter David Fields den Kampf ab und erklärt Joshua damit nach technischem Knockout zum neuen Champion.

Weil Klitschko bereits 41 Jahre auf dem Buckel und gegen Fury den Nimbus der Unantastbarkeit verloren hatte, war Joshuas Sieg zwar ein großer Triumph, aber keine Sensation. Auch Öner glaubte schon zuvor an eine Klitschko-Niederlage. "Ich habe vorher 1.000 Euro auf Joshua gesetzt, mehr wurden nicht angenommen. Die Quote war bei 1,8", erinnert sich der Promoter und verweist auf seine gute Nase bei Sportwetten: "Als Axel Schulz 1999 gegen Wladimir gekämpft hat, habe ich mit Uli Wegner gewettet und auf Wladimir gesetzt. Damals war seine Zeit und jetzt ist eben Joshuas gekommen."

Der Mensch

Wirft man einen Blick auf Joshuas Homepage, sieht man einen friedlich lächelnden, sympathischen jungen Mann. Einen wahren Good Guy eben, der wenig mit dem bösen Boxer gemein hat, der es liebt, seinen "Gegnern wehzutun" und "mit Schlägen immer mehr Zerstörung" anzurichten, wie es "AJ" einmal so martialisch ausdrückte.

Anstatt großen Wert auf dicke Karren und Traumvillen zu legen, stellt Joshua lieber seine Familie in den Vordergrund. "Ich wohne immer noch in einer Wohnung bei meiner Mutter in Golders Green im Norden Londons. Ich bin ein Familienmensch. Aber ich will da langsam mal ausziehen. (lacht) Doch ich bin in der Wohnung glücklich. Dort zu leben, motiviert mich auch sehr. Ich strebe so immer weiter nach besseren Dingen", erklärt er seinen Lebensstil und betont: "Ich muss niemandem etwas beweisen."

Auch Uli Hebel sieht in Joshua einen Menschen "ohne Überschwang und mit der nötigen Portion Demut. Ich nehme ihn als Gentleman und Genießer wahr, der Tipps von anderen annimmt. Der versucht zu lernen und weiß, dass er nicht am Ziel ist".

Anders sieht das Ahmet Öner. Der Promoter verweist auf die Industrie des Boxsports, in der viel Geld verdient werde, und geht im Fall Joshua von Kalkül aus: "Er passt in die Welt so hinein, dass er sagt, Boxen sei keine Sportart für Doofe, sondern Hightech. So haben es auch Lewis und die Klitschkos gehalten, die waren ebenfalls Schauspieler."

Auch, dass Joshua noch zu Hause wohnt und gerne Schach spielt, glaubt Öner nicht. "Ich halte ihn vielmehr für medial vorbereitet. Man sieht nicht den echten Joshua, das ist alles Marketing", ist er sich sicher: "Natürlich liebt er seine Mutter und braucht seine Familie, weil Familie stark macht. Daraus kann man aber nicht auf seinen Charakter schließen."

So oder so hat sich der 28-Jährige von einem Kleinkriminellen zu einem Vorzeigemann entwickelt. Er möchte jemand sein, zu dem man aufschaut. Vor allem sein Sohn, sagt Joshua, soll das eines Tages tun können. "Es wird die Zeit kommen, da wird er von mir Dinge über das Leben wissen wollen. Damit ich diese Fragen beantworten und ihn begeistern kann, muss ich mich selbst weiterbilden. Er soll mich ansehen, als wenn ich ein Superheld wäre", beschrieb Joshua im GQ-Interview seine Ziele.

Bei der Kindeserziehung legt der Vater dabei verschiedene Maßstäbe an - abhängig vom Geschlecht. Demnach sei er zu seinem Sohn weniger streng als zu seiner Nichte. Seine Erklärung: "Meiner Ansicht nach musst du lernen, eine gute, respektvolle Frau zu sein und eines Tages die Ehefrau von jemandem werden und dann die Sittlichkeiten einer Familie einhalten."

Es sind Sätze, die in der heutigen Welt keinen Platz finden und ihm erstmalig wirklich negative Schlagzeilen einbrachten. Zuvor polarisierte Joshua nur ein einziges Mal, als er bei Twitter ein Bild von sich in einer Moschee postete und damit Islam-Kritiker gegen sich aufbrachte. Ansonsten? Hält sich der Liebling der Massen gerne zurück.

Wie Muhammad Ali?

SPOX: Joshua hat nur zweieinhalb Jahre nach seinem Profi-Debüt seinen ersten Weltmeisterschaftsgürtel gewonnen und war damit knapp ein Jahr schneller als Muhammad Ali. Sind Vergleiche also berechtigt?

Öner: Wenn Joshua etwas politischer wäre, wäre er der neue Muhammad Ali. Wir haben zurzeit eine sehr kritische und unfriedliche Welt, überall gibt es Terror, Gefahren und Probleme. Joshua müsste in Krisengebiete reisen und dort die Konversation suchen. Davon sehe ich aber nichts.

SPOX: Verurteilen Sie das?

Öner: Nein, bitte nicht falsch verstehen. Ich nehme ihm das nicht übel. Aber wenn du dich mit Ali vergleichen lassen willst, musst du dich politisch äußern. Ali war als Gesamtpaket Ali, nicht nur als Boxer. Natürlich war er Weltmeister, aber in seiner besten Zeit hat er gar nicht geboxt, sondern war der Mensch Ali - Stichwort Vietnam-Verweigerung und Malcolm X. All das hat Muhammad Ali zu Muhammad Ali gemacht. Man kann ihn nicht aufs Boxen reduzieren.

Hebel: Bitte vergleicht Joshua nicht mit Ali. Zuallererst, weil ich niemanden mit Ali vergleichen will und würde. Das geht alleine schon aufgrund der unterschiedlichen Ären nicht. Zum anderen ist Ali in Sachen Fähigkeiten überlegen. Die Beinarbeit lässt sowieso keinen Abgleich zu - die Defensive, das Kinn. Ali hatte Frazier vor den Fäusten, Foreman, Liston, Holmes. Joshuas einziger Hall-of-Fame-Gegner ist bis jetzt Klitschko. Selbst, wenn man die Boxer vergleichen wollte, ist spätestens beim politischen Vermächtnis Schluss. Also: Nein! Bei einem Vergleich mit Ali käme aber kaum einer gut weg...

Tatsächlich ist Ali über die Sportgrenzen hinaus eine Institution. Er gilt als unantastbar, als die einzig wahre Legende des Boxens. "Dass die Leute ihn mit Muhammad Ali vergleichen, muss ihn beschämen. Seien wir realistisch: Joshua ist ein guter, junger Boxer, aber er ist kein Muhammad Ali", wählt auch Frank Warren, Promoter-Ikone und Mitglied der International Boxing Hall of Fame, gegenüber IFL TV deutliche Worte.

Was feststeht: Um in alieske Sphären aufzusteigen, fehlt Joshua noch jede Menge. Allein die Kampfbilanz spricht mit 56-5-0 eine klare Sprache für Ali. Joshua ist zwar immer noch ungeschlagen und gilt als wahres K.o.-Monster, hat allerdings auch nur 20 Kämpfe bisher absolviert.

Zumindest aber könnte ihn sein nächster Fight wieder ein Stückchen näher an The Greatest heranbringen. Dazu muss Joshua aber erst einmal Joseph Parker aus dem Weg räumen. Ob das gelingt, wird das Duell im Principality Stadion Cardiff (Samstag, 22.45 Uhr live auf DAZN) zeigen. Der Neuseeländer hat immerhin vier Siege mehr auf seinem Konto und zeigt sich vor dem Kampf entsprechend selbstbewusst: "Joshua hat ein Glaskinn. Wir wissen das, er weiß das, jeder weiß das."