Dennis Seidenberg hat die Chance, mit den Boston Bruins zum zweiten Mal innerhalb von drei Jahren den Stanley Cup zu gewinnen. Vor Spiel 1 gegen die Chicago Blackhawks spricht der 31-Jährige über den verrückten Bruins-Goalie Tuukka Rask, Jaromir Jagrs Tenniskünste und die Anschläge von Boston.
SPOX: Sie haben mit den Bruins im Conference-Finale gegen Pittsburgh in der gesamten Serie nur 2 (!) Gegentore bekommen. Wie war das möglich, obwohl auf der anderen Seite mit Sidney Crosby und Evgeni Malkin die wohl beiden besten Spieler der Welt standen?
Dennis Seidenberg: Ich muss wirklich sagen, dass wir in der gesamten Serie als Mannschaft hervorragend funktioniert haben. Wir haben in Schichten verteidigt und eine Mauer nach der anderen aufgebaut. Wir haben versucht, in jeder Situation und in allen Zonen immer in Überzahl zu sein. So haben wir es geschafft, sie zu überwältigen. Man hat auch gemerkt, wie der Frust bei ihnen größer geworden ist. Vor allem in Spiel 1 haben sie dann Strafzeiten genommen. Wir haben einfach defensiv richtig gut gespielt und ihnen das Leben brutal schwer gemacht. Ich merke übrigens gerade wieder, wie schlecht mein Deutsch geworden ist. (lacht)
SPOX: Kein Problem, passt schon. Dennoch muss man ehrlicherweise sagen, dass es keine klassische 4-0-Serie war. Die Pens hatten auch Pech und fast alle Bounces waren auf Seite der Bruins. Das hat selbst Ihr Coach Claude Julien so gesehen.
Seidenberg: Das stimmt. Wir hatten sicher auch das nötige Quäntchen Glück. Gerade in Spiel 1 hatten die Penguins ja sogar sechs Pfostenschüsse. Auf der anderen Seite haben wir uns das Glück aber auch durch unsere harte Arbeit verdient. Wenn du so hart arbeitest, springt die Scheibe dann auch öfter für dich.
SPOX: Der entscheidende Faktor hieß ohne Zweifel Tuukka Rask. Sagen Sie ein paar Worte zu Ihrem Keeper?
Seidenberg: Tuukka ist ein unglaublicher Rückhalt für uns. Nicht nur im Moment, sondern schon während der ganzen Saison. Wenn du so einen Torhüter hinten drin stehen hast, gibt einem das als Team unglaublich viel Selbstvertrauen. Du weißt genau: Selbst wenn die Verteidigung vor ihm mal zusammenbrechen sollte, ist immer noch er da, der uns im Spiel hält. Es ist Wahnsinn, was er pariert.
SPOX: Viele Spieler waren schon beim Stanley-Cup-Triumph vor zwei Jahren dabei. Die große Veränderung ist eben, dass Rask im Tor steht und nicht mehr Tim Thomas. Was unterscheidet beide von der Persönlichkeit her?
Seidenberg: Tuukka und Timmy kann man überhaupt nicht miteinander vergleichen, alleine schon vom Goalie-Stil her. Tuukka ist sehr kontrolliert und steht positionell immer gut da, Timmy hatte eine ganz andere Art. Aber Tuukka ist genauso gut, wenn nicht noch besser. In einem Punkt sind sie sich aber ähnlich: Beide sind extrem emotional und ehrgeizig. Sie wollen jede Scheibe halten, auch im Training. Wenn Tuukka eine Scheibe reinkriegt, die wehtut, dann dreht er gerne mal durch. Dann muss man auch mal zu ihm hingehen und sagen, dass er sich wieder beruhigen soll. Aber Torhüter sind ja generell ein bisschen anders. (lacht)
SPOX: Dass die Bruins im Finale stehen, ist umso bemerkenswerter, wenn man an die 1. Runde und die Serie gegen Toronto zurückdenkt. Beim Stand von 1:4 im letzten Drittel von Spiel 7 war die Saison eigentlich schon gelaufen und Sie im Urlaub...
Seidenberg: Ich musste in Spiel 7 ja früh verletzt raus und war auch schon dabei, über den Sommer nachzudenken. Ich habe mir überlegt, was mit dem Kader passiert, wie die nächsten Schritte der Bruins aussehen könnten. Dann haben wir das 2:4 geschossen und ich dachte mir: 'Na, vielleicht gibt's doch noch eine Chance.' Dass wir es noch gedreht haben, war wirklich ein kleines Wunder. Irgendwie durch die 1. Runde zu kommen, ist immer ein Schlüssel. Vor zwei Jahren war es gegen Montreal mit dem OT-Sieg in Spiel 7 auch sehr kritisch. Es hat sich jetzt wieder genauso angefühlt wie damals: Sobald wir die 1. Runde überstanden haben, fangen wir an, mit mehr Selbstvertrauen zu spielen und kommen ins Rollen.
SPOX: Ein Schlüssel für den Final-Einzug war, dass die Verletzungsprobleme in der Defense so gut kompensiert wurden. Nicht nur Sie sind einige Spiele lang ausgefallen, aber dann kommt jemand wie Torey Krug, erzielt in vier Spielen fünf Tore und mischt die NHL auf. Als Rookie.
Seidenberg: Wie er in den Playoffs spielt, ist echt unglaublich. Er hat nicht nur offensiv einen großen Teil zu unseren Siegen beigetragen, er spielt auch in der Verteidigung sehr gut und kontrolliert. Ein überragender Junge.
SPOX: Ein weiterer Faktor bei den Bruins ist bekanntermaßen immer die starke 4. Reihe. Gregory Campbell hat ja jetzt Heldenstatus erlangt, seit er sich bei einem Block das Bein brach und danach über eine Minute lang auf dem Eis blieb. Was ist er für ein Typ?
Seidenberg: Genauso wie er den Wechsel zu Ende gefahren ist, so ist er auch als Mensch. Er ist unfassbar ehrgeizig und arbeitet sehr, sehr hart für die Mannschaft. Er gibt nie auf. Er hat sich mit seinem Shift so berühmt gemacht, dass es jetzt Plakate und T-Shirts darüber gibt. Er wird verehrt in Boston.
SPOX: Sie selbst spielen wieder mit Superstar Zdeno Chara zusammen und erhalten sehr viel Eiszeit (die meiste in Spiel 4 gegen die Pens). Mit Chara verstehen Sie sich inzwischen blind, oder?
Seidenberg: Ja, es klappt richtig gut. Mit Chara zu spielen, macht einfach großen Spaß. Wir haben einen ähnlichen Stil. Wir wollen das Spiel einfach halten und hart gegen den Gegner spielen. Ich hoffe, wir können das auch im Finale so durchziehen.
SPOX: Sie blocken auch unglaublich viele Schüsse. Wie viel denkt man dabei eigentlich nach?
Seidenberg: Man denkt auf jeden Fall nach. Wenn du kontrolliert die Schüsse blockst, bleibst du auch meist von Verletzungen verschont. Problematisch wird es immer dann, wenn die Scheibe vom Schläger wegspringt, dann ist die Gefahr groß, dass sie nach oben weggeht und dich im Gesicht treffen kann. Im Spiel selbst gibt es dann natürlich auch Situationen, in denen du nicht mehr viel nachdenkst, weil so viel Adrenalin dabei ist und du einfach mit allen Mitteln ein Tor verhindern willst.
SPOX: Der Vater des Erfolgs ist Coach Claude Julien. Sie hatten schon einige Trainer in Ihrer Karriere. Was zeichnet Julien aus?
Seidenberg: Er ist in erster Linie ein sehr guter Lehrer. Er hat die Gabe, sein System der Mannschaft sehr gut beizubringen und dafür zu sorgen, dass sie es gut umsetzt. Wenn wir seine Anweisungen befolgen und es so machen, wie er es uns predigt, spielen wir ein sehr, sehr gutes Eishockey. Er macht einen sehr guten Job.
Teil 2: Seidenberg über Chicago, Tennis und die Anschläge von Boston
SPOX: Jetzt geht es im Finale gegen die Blackhawks. Chicago stand im Conference-Halbfinale gegen Detroit kurz vor dem Aus, fightete sich aber auch zurück. Was erwarten Sie für eine Serie?
Seidenberg: Ich denke, dass man Chicago schon mit Pittsburgh vergleichen kann. Die Blackhawks sind auch offensiv sehr stark, technisch sehr begabt - und sie haben wendige Verteidiger, die sich gerne und oft in die Offensive einschalten. Wir müssen es genauso machen wie gegen die Pens, wir müssen defensiv gut stehen und ihren talentierten Stürmern das Leben schwer machen.
SPOX: Chicago ist auch sehr tief besetzt. Sie haben Ihre Superstars mit Jonathan Toews und Patrick Kane, aber Toews hat in den Playoffs erst ein Tor geschossen. Dafür trifft jemand wie Bryan Bickell (8 Tore) wie am Fließband. Was ist noch ein Schlüssel zum Triumph der Bruins?
Seidenberg: Es gibt keine großen Geheimnisse. Das Wichtigste ist, dass wir als Mannschaft so weiterspielen. Wenn wir unser Spiel spielen, dann ist es egal, gegen welchen Gegner es geht, dann wird es schwer für die Blackhawks, uns zu schlagen.
SPOX: Sollten Sie zum zweiten Mal den Stanley Cup gewinnen, müssen Sie ihn dann aber auch nach Deutschland bringen, dass ist Ihnen hoffentlich schon klar, oder?
Seidenberg: (lacht) Daran will ich noch nicht denken und darüber will ich lieber noch nicht reden. Das letzte Mal habe ich ja auf einer Yacht meine beiden Töchter über dem Cup getauft, jetzt habe ich noch einen kleinen Sohn. Er ist noch nicht getauft...
SPOX: Wir müssen auch noch über die Anschläge von Boston sprechen, an die sich auch jetzt anlässlich der Finals wieder erinnert wird. Wo waren Sie, als es passierte?
Seidenberg: Ich weiß es noch ganz genau. Ich habe meinen Mittagsschlaf gemacht in der Vorbereitung auf unser Spiel gegen Ottawa. Vorher habe ich sogar noch ein bisschen den Marathon angeschaut im Fernsehen. Als ich dann wieder aufwachte, hatte es ein paar Minuten zuvor die Explosionen gegeben. Wir waren nur drei Kilometer vom Tatort der Bombenanschläge entfernt. Es war erschreckend, dass so etwas so nah bei dir passiert. Es war in den Tagen danach auch sehr beängstigend. Wir wohnen in der Innenstadt, meine Kinder gehen nur einen halben Kilometer entfernt zur Schule. Zum Glück waren sie an dem Tag außerhalb beim Tennis, sodass ich wusste, dass sie okay sind.
SPOX: Zwei Tage später kam das Heimspiel gegen Buffalo. Es war eine bewegende Stimmung im TD Garden an diesem Abend. Stichwort: Boston Strong.
Seidenberg: Es war eine unglaubliche Atmosphäre, speziell bei der Nationalhymne. Es gibt dieses Bild, wie ich in der blau-gelben Gedenkschleife stehe und nach oben auf den Videowürfel schaue, das Bild war in allen Zeitungen. Es war unglaublich emotional und es war schwierig, ein paar Minuten später Eishockey spielen zu müssen.
SPOX: Ihre Fans wissen, dass aus Ihnen auch ein großer Tennisspieler hätte werden können. Gerade sind die French Open zu Ende gegangen, haben Sie das Turnier verfolgt?
Seidenberg: Klar, wann immer es ging, liefen die Matches in der Kabine. Wir haben das Halbfinale von Nadal gegen Djokovic gesehen, das war wieder ein unfassbares Match. Ich bin nach wie vor voll dabei und verfolge alles.
SPOX: Wer sind denn die besten Tennisspieler bei den Bruins? Also neben Ihnen?
Seidenberg: Es gibt ein paar Jungs, die Tennis spielen. Krejci, Bergeron, Rask, Jagr spielt auch, aber anscheinend nicht so gut. Es gibt aber schon ein paar, die den Ball ganz gut treffen.
SPOX: Aber für Sie reicht es nicht, oder?
Seidenberg: (lacht) Nein, nein.
Der Playoff-Spielplan
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