17.02.2013 um 21:11 Uhr
Geschrieben von vanGaalsNase
Rasenschach (Teil 1)
"Fußball ist wie Schach; nur ohne Würfel" - Dieser Spruch, den Lukas Podolski einst von Jan Böhmermann in den Mund gelegt bekam, offenbart zwar einen Fehler bezüglich der Schachregeln; inhaltlich weist er jedoch einen wahren Kern auf. Schach und Fußball teilen in vielerlei Hinsicht strategische und taktische Grundideen, von denen insbesondere der Fußball profitieren könnte. Dessen ist sich auch Felix Magath bewusst,* selbst wenn man in den letzten Jahren nicht viel davon zu sehen bekam.
1. gemeinsame Vorüberlegungen zur Spieleröffnung
Da der eigene Spielaufbau im Fußball in den letzten Jahren immer mehr Aufmerk-samkeit erhielt, kam es hier zu vielen neuen Betrachtungsweisen: die hinteren Spieler (Torwart, Innenverteidiger, Sechser) werden immer stärker am Ball, die Pässe werden zahlreicher, kürzer und eher selten wird der hohe lange Pass gespielt. Die Intention bei diesen Entwicklungen liegt in der Kontrolle des Spiels und der Minimierung des Zufalls. Hinter all dem steckt eine zunehmende Intellektualisierung des Fußballs.
Im Schach ist das seit mehr als einem Jahrhundert Standard, wo mittels Schach-notation und ausgiebigen Analysen versucht wird, sich spielerisch weiterzuent-wickeln; also vor allem intellektuell. Im Schach wird zwischen Eröffnungs-, Mittel- und Endspiel unterschieden. Als Eröffnung werden die ersten 10 bis 15 Züge einer Partie bezeichnet, bis die Entwicklung der Figuren (siehe unten) beendet ist. Darauf folgt das Mittelspiel, bis es schließlich zum Endspiel kommt, wenn nur noch wenige Figuren auf dem Brett sind. Dass es überhaupt zu einem Endspiel kommt, ist nicht zwingend der Fall, weil bereits viele Partien im Mittelspiel entschieden werden. Schon in der Eröffnung wird mittels einiger strategischer "Grundregeln" versucht, einen Stellungsvorteil zu erlangen, um im Mittelspiel mit taktischen Motiven und Kombinationen den Gegner zu besiegen. Aus diesem Grund ist es (für einen Meisterspieler) wichtig, neben Talent vor allem ein ausgeprägtes Wissen in der allgemeinen und speziellen Eröffnungslehre zu besitzen.
In beiden Sportarten spielen Taktik und Strategie eine wichtige Rolle. Bei der Taktik handelt es sich um alle organisierten Maßnahmen, die darauf ausgerichtet sind, die Spielziele situationsorientiert zu erreichen, während die Strategie als die grundsätzliche, langfristige Verhaltensweise definiert wird. Der polnische Schach-großmeister Savielly Tartakower (1887-1956) formulierte den Unterschied folgendermaßen: "Der Taktiker muss wissen, was er zu tun hat, wenn es etwas zu tun gibt; der Stratege muss wissen, was er zu tun hat, wenn es nichts zu tun gibt."
Diese Unterscheidung von Taktik und Strategie erscheint sinnvoll; dauert es im Schach doch regelmäßig einige Züge, bis sich die Figuren auf dem Brett gegen-seitig attackieren. Bis dahin sollten sich beide Parteien anhand strategischer Grundideen in eine gute Stellung gebracht haben, um später mittels Taktik Kombinationsmotive (Gabel, Fesselung etc.) nutzen zu können. Auch im Fußball muss sich erst entsprechend in Stellung gebracht werden, um organisiert angreifen und verteidigen zu können.
a) Schach
In der allgemeinen Eröffnungslehre geht es um die Prinzipien der Spielführung, sowie der Bewertung von Stellungen,** was den ersten Schritt beim Entwickeln eines strategischen Plans darstellt. Den Wert einer Stellung bestimmen Kraft, Raum und Zeit. Die Kraft beschreibt den Gesamtwert der Figuren. Der Raum ist die Gesamtmenge von Feldern, die die Figuren betreten können. Die Zeit stellt die Möglichkeit der Figuren dar, schnell in entscheidende Handlungen eingebunden zu werden. Diese drei Komponenten wirken stets zusammen. So kann man etwa einen Bauern, also Kraft, opfern (Gambit), um Tempo und damit Zeit aufzunehmen. Oder man öffnet durch das Gambit eine Linie und gewinnt dadurch Raum.
Unter Berücksichtigung von Kraft, Raum und Zeit sollen nun die strategischen Ziele erreicht werden. Als wichtigstes Ziel in der Eröffnung wird die Entwicklung der Figuren angesehen. Anfangs von den Bauern "eingesperrt", sollen die Springer/ Pferde, Läufer, Türme und die Dame derart "befreit" werden, dass sie wirksam ins Geschehen eingebunden werden können.
Ein weiteres wichtiges Element in der Eröffnungslehre ist die Beherrschung des Zentrums. Das Zentrum bilden die Felder d4, d5, e4, e5. Dort postierte Figuren wirken auf das ganze Schachbrett und somit auf den Raum. Von hier aus haben vor allem die Springer, Läufer und die Dame mehr Zug-möglichkeiten als am Brettrand. Häufig sind Flügelangriffe ohne ausreichende Kontrolle des Zentrums erfolglos.
In der speziellen Eröffnungslehre gibt es zahlreiche Eröffnungen, die unter ständiger Berücksichtigung der allgemeinen Grundsätze ge-spielt werden; u.a. Sizilianisch, Spanisch oder Königsindisch. Jede Eröffnung hat mehrere Vari-anten, welche allesamt ausgiebig in Theorie und Praxis analysiert werden. So kann eine Eröffnungs-variante einen Gegner überraschen, wie es Garri Kasparow mit dem gleichnamigen Gambit (Variante der sizilianischen Verteidi-gung) gegen Anatoli Karpow im Weltmeisterschaftskampf 1985 tat. Ein Jahr später gelang es Karpow, diese Variante zu widerlegen. Sowohl die Eröffnung, als auch die Widerlegung derselben bescherten Kasparow und später Karpow Preise des Schachinformators für die beste Partie (Kasparow) und die beste theoretische Neuerung (Karpow).
b) Fußball
Im Fußball gelten (mittlerweile) ähnliche Grundregeln, um Spielsituationen zu bewerten, anhand derer das strategisch-taktische Handeln ausgerichtet wird. Auch hier müssen zunächst Kraft, Raum und Zeit beachtet werden. Allerdings bedeutet "Kraft" nicht, wie muskulös ein Spieler ist. Vielmehr geht es um seine Fähigkeiten im ganzheitlichen Sinn: Was sind seine Fähigkeiten in technischer, taktischer, konditioneller und geistiger Hinsicht?
weiter zu Teil 2
*Biermann, Christoph; Die Fußballmatrix; S. 93 ff.
**Tarrasch, Siegbert; Das Schachspiel; S. 317 ff.
1. gemeinsame Vorüberlegungen zur Spieleröffnung
Da der eigene Spielaufbau im Fußball in den letzten Jahren immer mehr Aufmerk-samkeit erhielt, kam es hier zu vielen neuen Betrachtungsweisen: die hinteren Spieler (Torwart, Innenverteidiger, Sechser) werden immer stärker am Ball, die Pässe werden zahlreicher, kürzer und eher selten wird der hohe lange Pass gespielt. Die Intention bei diesen Entwicklungen liegt in der Kontrolle des Spiels und der Minimierung des Zufalls. Hinter all dem steckt eine zunehmende Intellektualisierung des Fußballs.
Im Schach ist das seit mehr als einem Jahrhundert Standard, wo mittels Schach-notation und ausgiebigen Analysen versucht wird, sich spielerisch weiterzuent-wickeln; also vor allem intellektuell. Im Schach wird zwischen Eröffnungs-, Mittel- und Endspiel unterschieden. Als Eröffnung werden die ersten 10 bis 15 Züge einer Partie bezeichnet, bis die Entwicklung der Figuren (siehe unten) beendet ist. Darauf folgt das Mittelspiel, bis es schließlich zum Endspiel kommt, wenn nur noch wenige Figuren auf dem Brett sind. Dass es überhaupt zu einem Endspiel kommt, ist nicht zwingend der Fall, weil bereits viele Partien im Mittelspiel entschieden werden. Schon in der Eröffnung wird mittels einiger strategischer "Grundregeln" versucht, einen Stellungsvorteil zu erlangen, um im Mittelspiel mit taktischen Motiven und Kombinationen den Gegner zu besiegen. Aus diesem Grund ist es (für einen Meisterspieler) wichtig, neben Talent vor allem ein ausgeprägtes Wissen in der allgemeinen und speziellen Eröffnungslehre zu besitzen.
In beiden Sportarten spielen Taktik und Strategie eine wichtige Rolle. Bei der Taktik handelt es sich um alle organisierten Maßnahmen, die darauf ausgerichtet sind, die Spielziele situationsorientiert zu erreichen, während die Strategie als die grundsätzliche, langfristige Verhaltensweise definiert wird. Der polnische Schach-großmeister Savielly Tartakower (1887-1956) formulierte den Unterschied folgendermaßen: "Der Taktiker muss wissen, was er zu tun hat, wenn es etwas zu tun gibt; der Stratege muss wissen, was er zu tun hat, wenn es nichts zu tun gibt."
Diese Unterscheidung von Taktik und Strategie erscheint sinnvoll; dauert es im Schach doch regelmäßig einige Züge, bis sich die Figuren auf dem Brett gegen-seitig attackieren. Bis dahin sollten sich beide Parteien anhand strategischer Grundideen in eine gute Stellung gebracht haben, um später mittels Taktik Kombinationsmotive (Gabel, Fesselung etc.) nutzen zu können. Auch im Fußball muss sich erst entsprechend in Stellung gebracht werden, um organisiert angreifen und verteidigen zu können.
a) Schach
In der allgemeinen Eröffnungslehre geht es um die Prinzipien der Spielführung, sowie der Bewertung von Stellungen,** was den ersten Schritt beim Entwickeln eines strategischen Plans darstellt. Den Wert einer Stellung bestimmen Kraft, Raum und Zeit. Die Kraft beschreibt den Gesamtwert der Figuren. Der Raum ist die Gesamtmenge von Feldern, die die Figuren betreten können. Die Zeit stellt die Möglichkeit der Figuren dar, schnell in entscheidende Handlungen eingebunden zu werden. Diese drei Komponenten wirken stets zusammen. So kann man etwa einen Bauern, also Kraft, opfern (Gambit), um Tempo und damit Zeit aufzunehmen. Oder man öffnet durch das Gambit eine Linie und gewinnt dadurch Raum.
Unter Berücksichtigung von Kraft, Raum und Zeit sollen nun die strategischen Ziele erreicht werden. Als wichtigstes Ziel in der Eröffnung wird die Entwicklung der Figuren angesehen. Anfangs von den Bauern "eingesperrt", sollen die Springer/ Pferde, Läufer, Türme und die Dame derart "befreit" werden, dass sie wirksam ins Geschehen eingebunden werden können.
Ein weiteres wichtiges Element in der Eröffnungslehre ist die Beherrschung des Zentrums. Das Zentrum bilden die Felder d4, d5, e4, e5. Dort postierte Figuren wirken auf das ganze Schachbrett und somit auf den Raum. Von hier aus haben vor allem die Springer, Läufer und die Dame mehr Zug-möglichkeiten als am Brettrand. Häufig sind Flügelangriffe ohne ausreichende Kontrolle des Zentrums erfolglos.
In der speziellen Eröffnungslehre gibt es zahlreiche Eröffnungen, die unter ständiger Berücksichtigung der allgemeinen Grundsätze ge-spielt werden; u.a. Sizilianisch, Spanisch oder Königsindisch. Jede Eröffnung hat mehrere Vari-anten, welche allesamt ausgiebig in Theorie und Praxis analysiert werden. So kann eine Eröffnungs-variante einen Gegner überraschen, wie es Garri Kasparow mit dem gleichnamigen Gambit (Variante der sizilianischen Verteidi-gung) gegen Anatoli Karpow im Weltmeisterschaftskampf 1985 tat. Ein Jahr später gelang es Karpow, diese Variante zu widerlegen. Sowohl die Eröffnung, als auch die Widerlegung derselben bescherten Kasparow und später Karpow Preise des Schachinformators für die beste Partie (Kasparow) und die beste theoretische Neuerung (Karpow).
b) Fußball
Im Fußball gelten (mittlerweile) ähnliche Grundregeln, um Spielsituationen zu bewerten, anhand derer das strategisch-taktische Handeln ausgerichtet wird. Auch hier müssen zunächst Kraft, Raum und Zeit beachtet werden. Allerdings bedeutet "Kraft" nicht, wie muskulös ein Spieler ist. Vielmehr geht es um seine Fähigkeiten im ganzheitlichen Sinn: Was sind seine Fähigkeiten in technischer, taktischer, konditioneller und geistiger Hinsicht?
weiter zu Teil 2
*Biermann, Christoph; Die Fußballmatrix; S. 93 ff.
**Tarrasch, Siegbert; Das Schachspiel; S. 317 ff.
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