Gestern gegen 19:50 Uhr gab es die 7. Medaille des Tages für deutsche Sportler. Marcel Nguyen gewann die Silber-Medaille im Turn-Mehrkampf.

Den meisten wird Marcel Nguyen wohl eher unbekannt sein. Er wurde 1987 als Sohn einer deutschen Mutter und vietnamesischen Vaters in München geboren, kam mit nur vier Jahren über das Mutter-Kind-Turnen zu der Sportart. Seit er acht Jahre alt ist trainierte er im Landesleistungszentrum München, zwei Jahre später wurde er in den Perspektivkader aufgenommen und durchlief alle Jugend-Kader, wurde deutscher Jugendmeister, nahm an internationalen Jugendmeisterschaften teil, besuchte nebenher ein Sportgymnasium. 2005 startete er erstmals bei der WM der Männer. Anschließend wechselte er nach Stuttgart, da es dort im Kunst-Turn-Forum die besseren Trainingsmöglichkeiten gab. Da es mit der Schule in Stuttgart etwas schwerer war, ging er nochmals für ein Jahr nach München zurück, um das Abitur abzuschließen. Kurz darauf im September 2007 stand dann die Heim-WM in Stuttgart an.

Es war das erste Mal, dass ich mich erinnern kann ihn turnen gesehen zu haben. Zu dem Zeitpunkt gab es ein sehr junges, eher unbekanntes deutsches Team. Nur Fabian Hambüchen war durch die Reck-Finalteilnahme bei den Olympischen Spielen 2004 mit nur 16 Jahren bekannt. Der Rest stand in seinem Schatten. Die 10 Tage waren einfach nur fantastisch, in der diese junge Mannschaft die Zuschauer begeisterte. Dabei überraschten sie, in dem sie Mannschafts-Bronze gewannen. Marcel Nguyen war ein Teil dieser Mannschaften und trug sein Teil dazu bei, auch dass sie 2008 an Olympia teilnehmen konnten, da dies gleichzeitig die Qualifikation war. Dort schafften sie einen vierten Platz.

Marcel Nguyens Parade-Gerät war immer der Barren, an dem er als einziger Turner weltweit den Tsukahara-Abgang zeigt, zwei Salti und eine Schraube. In den folgenden Jahren entwickelte er sich immer mehr zu einem Mehrkämpfer. 2010 gewann der gemeinsam mit dem deutschen Team den Europameister-Titel und Bronze am Boden. Bei den deutschen Meisterschaften gewann er den Mehrkampftitel. Er qualifizierte sich auch für die die WM im Herbst, konnte aber nicht teilnehmen, da er sich bei einem Länderkampf im Vorhinein das Wadenbein brach. Ein großer Rückschlag in Hinsicht auf die Heim-EM 2011 in Berlin. Doch er wurde rechtzeitig fit und gewann als erster Deutscher seit 56 Jahren den Titel am Barren. Zudem wurde er Dritter am Reck. Im Nachhinein schaffte er dort seinen richtigen Durchbruch und zeigt seitdem sehr konstante Übungen auf hohem Niveau.

Er hat sich enorm gewandelt. 2007 war er eher schmächtig, schüchtern, bekam bei Interviews kaum ein Wort raus, turnte öfters unsauber, konnte seine Leistungen in den wichtigen Momenten nicht immer zeigen. Er wollte aber selbst auch nicht im Mittelpunkt stehen. Über die Jahre entwickelte sich Marcel Nguyen zu einem der besten Turner der Welt. Er scheint offener, zielstrebiger, turnt konstant gute Übungen. Einen großen Anteil daran hat auch sein Trainer Valeri Belenki, selbst Weltmeister am Pauschenpferd, Team-Olympiasieger und Olympia-Bronze-Gewinner im Mehrkampf. Sie arbeiten nun seit sieben Jahren gemeinsam in Stuttgart. Marcel Nguyen selbst meint, dass er es braucht, wenn ihm sein Trainer in den Hintern tritt.

Nun kamen also die Olympischen Spiele. Noch in der zweiten Olympia-Qualifikation erwischte Marcel Nguyen einen eher schwarzen Tag, ließ alles etwas zu locker angehen und landete nur auf dem fünften Platz. Doch bei Olympia zeigte er wieder die Leistung, die man von ihm in den letzten 1,5 Jahren gewohnt war. Schon vergangenen Samstag in der Qualifikation turnte er sehr stark. Mit der Mannschaft zog er ins Finale ein, wo sie den 7.Platz erreichten. Im Mehrkampf konnte er sich gegen Philipp Boy durchsetzen und zog als Siebter ins Finale ein. Und er turnte den Mehrkampf seines Lebens. Er machte kaum einen Fehler, wurde von Gerät zu Gerät stärker, man sah die Freude, die er beim Turnen hatte. Valeri Belenki sagte ihm nach jedem Gerät, dass heute was drin wäre, doch er wollte das erst nach dem vorletzten Gerät glauben. Er ging als Letzter an den Boden und turnte unbeeindruckt seine Übung durch, was Silber im Mehrkampf bedeutete, die erste Mehrkampfmedaille für einen Deutschen seit 76 Jahren. Er umarmte alle Betreuer, sein Heimtrainer Valeri Belenki fiel ihn um den Hals. Danach meinte er, dass er erst einmal selbst mit der Welt klarkommen müsse. Bis jetzt sind es seine Olympischen Spiele. Er zeigte konstant überragende Übungen, ist der stärkste deutsche Turner momentan und konnte das nun mit der Silber-Medaille krönen. Es gibt wohl keinen anderen Turner, dem ich das mehr gegönnt hätte. Seit Beginn der Olympischen Spiele wuchs seine Fan-Anzahl bei Facebook von 20.000 auf knapp 90.000.


(C) SPOX

Wohl fast niemand hat ihm diese Medaille zugetraut. Seine ganze Karriere stand er im Schatten der anderen Turner. Zuerst der Wunder-Turner Fabian Hambüchen, dann der Strahlemann Philipp Boy. Vor Olympia kannten ihn wohl eher nur Turnbegeisterte und das obwohl er seit Jahren einer der drei besten deutschen Turner ist und sich in der Weltspitze festgesetzt hat. Auch die überragenden Übungen während des ganzen Olympischen Turniers schienen eher Wenige wahrzunehmen. Und nun ist er Silbermedaillen-Gewinner im Mehrkampf.

Und das war noch nicht das Ende. Am Sonntag und Dienstag steht er noch im Boden und Barren-Finale...