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Gründer: midget | Mitglieder: 94 | Beiträge: 41
17.05.2010 um 23:09 Uhr
Geschrieben von donluka
Entgleiten und Entgleisen
Der Fußball bietet uns eine breite Palette an Emotionen. So sorgt er dafür, dass wir Menschen um den Hals fallen und Wolken küssen könnten, dass Helden geboren werden, aber auch, dass wir einzelne Situationen und Ereignisse als tragisch oder das Ende der Welt empfinden.

Die Karriere des Michael Ballack wird später als "tragisch" bezeichnet werden. Als unvollendet. Als knapp dran vorbei. Schließlich entglitten ihm zahlreiche Situationen, in denen er hätte aufschwingen können, zu Übermenschlichkeit und Unsterblichkeit. Statt dessen musste er sich mit irdischen Titeln begnügen und anderen Spielern beim Feiern zusehen. Ob so etwas wirklich "tragisch" im engeren Sinne des Wortes ist, liegt im Auge des Betrachters, aber es ist auf alle Fälle schade. Sogar sehr schade.

Ich mag Ballack irgendwie. Er ist trotz seiner Sonderposition recht normal geblieben - so scheint es. Und ich hätte sie ihm von ganzem Herzen gegönnt, diese eine letzte WM. Ob sie nun wirklich im großen Triumph für ihn geendet hätte, mag ich mal zu bezweifeln. Aber ich hätte mich für ihn gefreut, wenn er sein Können und seine Führungsqualitäten in die Waagschale hätte werfen und sich mit den Großen dieser Welt noch einmal hätte messen können.

Nun ist es leider anders gekommen. Nach zweiten und dritten Platzierungen wird seine Vita ungekrönt bleiben, vom großen Wurf mit der Nationalmannschaft. Man mag es das Pech der frühen Geburt nennen, denn warum brachten die Eltern Ballack ihren Sohn nicht einfach fünf Jahre später zur Welt? Er würde Teil eines derzeit aufzubauenden Teams sein und hätte die Blütejahre noch vor sich. So kam es aber, dass er zu Zeiten Ribbecks und Völlers spielte und wohl abtreten muss, wenn die Jungspunde, die sich zur Zeit in der Nationalmannschaft tümmeln, zu reifen beginnen.

Das ist alles sehr, sehr schade. Ich hätte mich sehr für ihn gefreut. Nur: Soll ich dieses Gefühl nun in Hass umwandeln? Eine Wut in mir entstehen lassen, die sich auf den vermeintlichen Staatsfeind Nr. 1, Kevin Prince Boateng richtet? Ist es wirklich so einfach, in unserer Welt, dass stets Einer herhalten muss, der die Schuld für "tragische" Entwicklungen auf sich nimmt? Ich möchte an dieser Stelle die Unnötigkeit, Blödheit und auch die Grobheit des Fouls von Boateng an unser aller Capitano nicht bagatellisieren. Nur: Machen wir es uns nicht alle ein bisschen einfach, wenn nun Hasstiraden entstehen, dem Spieler das Schlimmste angedroht wird und Löw sich sogar genötigt fühlt, dessen Bruder prophylaktisch in Schutz zu nehmen?

Der Mensch braucht Feindbilder, seitdem er denken kann. Er muss Ungerechtigkeiten, die er empfindet, kanalisieren und was eignet sich da besser, als ein lebendiges Gegenüber?

Aber werden wir damit dem Sachverhalt gerecht? Bringt es etwas, Verschwörungstheorien ("der wollte den Ballack für das Gruppenspiel gegen Ghana schachmatt setzen, bestimmt!") aus der Luft zu greifen, nur, damit wir uns besser fühlen? Damit wir ablenken können, von dem Gefühl von Trauer, dass wir eine WM ohne Ballack sehen werden und dass sie unerfüllt bleiben wird, die Träumerei einer vollendeten Weltkarriere des Michael B.?

Ist es nicht vielmehr an der Zeit, das Foul an sich für abscheulich zu erklären, nicht aber den foulenden Akteur? Will mir wirklich jemand, der schon einmal Fußball gespielt hat, sagen, Boateng hätte bewusst versucht, seinen Gegenspieler derart zu verletzen?

Ist das nicht zu plump? Ist es nicht zu billig, sämtliche Entgleisungen Boatengs mit seiner Sozialisation zu begründen? Warum ist Ballack kein ewiger Sozialist, wenn Boateng ein ewiger Ghettogangsta ist? Hat nicht jeder Mensch das Recht, Fehler zu begehen und sich zu ändern?

Viele Fragen sind es, die mir hier durch den Kopf gehen. Bei all diesen Fragen kreisen meine Gedanken darüber, wie sich der verletzte Spieler selbst fühlt, dessen Traum zerplatzt ist. Dieser Gedanke macht mich traurig und auch wütend, aber deswegen fange ich doch nicht an, einen jungen Typen wie Boateng zu hassen.

Was wäre denn gewesen, wenn sich Ballack im stillen Kämmerlein verletzt hätte? Beim Bierkastentragen etwa. Hätten wir dann sämtlichen Brauereien dieser Welt den Krieg erklärt? Oder tut eine Verletzung mehr weh, wenn der Verursacher in Superzeitlupe eingefangen wird?

Und wo wir schon einmal beim Fragen sind: Wollen wir nicht versuchen, uns dennoch auf die WM zu freuen? Und Ballack zu wünschen, dass er eines Tages doch noch eine Gelegenheit bekommt, seine Karriere abzurunden?

Ich für meinen Teil würde mir in den Diskussionen, die sich derzeit abspielen, ein wenig mehr an Augenmaß wünschen. An Augenmaß, Größe und der Denkweise: Verurteilen kann man die "Tat", die Handlung, die zu dieser schlimmen Verletzung führte. Man sollte sich dabei aber vielleicht die Entgleisungen sparen, hektisch Stereotypen unter Zuhilfenahme von küchenpsychologischen Konstruktionen hervorzukramen. So einfach ist die Welt nun einmal nicht. Und der Fußball eben auch nicht.
Aufrufe: 14554 | Kommentare: 111 | Bewertungen: 62 | Erstellt:17.05.2010
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KOMMENTARE
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donluka
20.05.2010 | 14:06 Uhr
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donluka : 
20.05.2010 | 14:06 Uhr
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donluka : 
Nunja...die Bild-Zeitung...? Echt?
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tshabalala
20.05.2010 | 13:31 Uhr
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tshabalala : 
20.05.2010 | 13:31 Uhr
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tshabalala : 
^ bis auf den russen-kommentar sehe ich die sache ähnlich wie mein vorredner.

Zitat Blogschreiber:
Will mir wirklich jemand, der schon einmal Fußball gespielt hat, sagen, Boateng hätte bewusst versucht, seinen Gegenspieler derart zu verletzen?

vielleicht hat er nicht ans ausmaß der verletzung in dem moment gedacht, aber verletzen wollte er ihn, hundert pro. das sag ich dir als aktiver fussballspieler, zocke seit mehr als 24 jahren.
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skawon33
19.05.2010 | 22:04 Uhr
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skawon33 : 
19.05.2010 | 22:04 Uhr
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skawon33 : 
"Was wäre denn gewesen, wenn sich Ballack im stillen Kämmerlein verletzt hätte? Beim Bierkastentragen etwa. Hätten wir dann sämtlichen Brauereien dieser Welt den Krieg erklärt? Oder tut eine Verletzung mehr weh, wenn der Verursacher in Superzeitlupe eingefangen wird? "

was is das denn für ein lächerlicher vergleich.

hier geht es um die tat an sich. sicherlich. mit seiner hautfarbe/herkunft sollte man das nicht über einen kamm scheren. ein kleiner schmieriger russe der bei arsenal spielt ist genau so ein kleines schweinchen.

hier geht es um die unsportlichkeit an sich. das boateng jetzt für seine unsportlichkeit mal verdammt wird ist völlig normal, weil es diesmal den deutschen vorzeigefussballer schlechthin getroffen hat. objektiv betrachtet erinnere ich mich noch an seinen karatekick gegen hasebe.
spätestens seitdem hätte man ihm aus dem verkehr ziehen sollen.

es geht um die tatsache, das er absichtlich und mit vollem hass diesem foul begangen hat. nachzuweisen wird dies sicher schwer sein. aber es ist so, die vergangenheit hat es gezeigt.

"Hat nicht jeder Mensch das Recht, Fehler zu begehen und sich zu ändern"
hätte er dies nicht schon längst tun können? war dies das erste mal das er so ein foul begangen hat? war es das erste mal das er deswegen im brennpunkt stand? Nein.
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donluka
19.05.2010 | 14:05 Uhr
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donluka : 
19.05.2010 | 14:05 Uhr
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donluka : 
@mrpink: So war es gemeint!
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mrpink27
19.05.2010 | 14:00 Uhr
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mrpink27 : 
19.05.2010 | 14:00 Uhr
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mrpink27 : 
Ich glaube die Frage die dieser Blog bearbeitet ist nicht: Hat KPB diese oder irgendeine schlechte Presse verdient und wie viel Schuld hat er an seinem Image?
Sondern: Was sagt eine übertriebene Presse, was sagen z.T mit rechts-extremem Vokabular versehene Reaktionen (von wem auch immer) über uns, über unsere Medien, über unser Selbstvertrauen und unser Selbstverständnis aus?
Was bewirkt eine Hetzkampagne gegen KPB bei einem Leser, wird so Rivalität gefördert, wird Unterschichten- oder sogar Fremdenhass geschürt? Warum wird wieder gespalten anstatt zu verbinden? Für die Auflage, die Schlagzeile? oder wollen die Kommentatoren den härtesten Kommentar abliefern? müssen die englischen Medien die scheinbaren Vorteile ihrer Elf in den Fokus rücken?
Einer schrieb hier, in Berlin gebe es kein Ghetto. Kann ich nicht beurteilen (wenn man an brennende Autos in Hamburg denkt oder die U-Bahn Attaken und die (z.T. übertriebenen) Medien Reaktionen. sagt einiges über unsere Gesellschaft aus). Nicht jeder aus einer "schlechten Gegend" ist ein geborener Gewalttäter (weder durch seine DNA, noch durch das Viertel) und nicht jeder "gut bürgerlich" erzogene ist ohne Fehl und Tadel.
wenn es guter Stil ist in den Medien Menschen zu zerfetzen ohne Rücksicht auf die Konsequenzen nicht nur der Betroffenen sondern auch für die Leser, dann will ich mit diesem Stil nichts zu tun haben. Medien bezeichnen sich gerne als vierte Macht, als Kontrollorgan o.ä. Sie können aber auch zu Tätern werden, zu Verstärkern und Aufrührern.
Medien müssen nicht immer deeskalieren sollten aber auch nicht zur Eskalation beitragen.
Für mich ging es in diesem Blog nicht direkt um das Foul und die Verletzung sondern um die Reaktion in der öffentlichkeit.
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giano21
19.05.2010 | 13:58 Uhr
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giano21 : 
19.05.2010 | 13:58 Uhr
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giano21 : 
Trifft genau meine Meinung.
Ja, das Foul war dumm und brutal.
Ja, Boateng war noch nie der nette Junge von nebenan.
Aber wieso werden Leute wie Frings und van Bommel, oder früher Vogts, so hoch gelobt? Eben weil sie auch mal dazwischen treten/getreten haben. Das ist nicht schön und auch nicht im Sinne der Regeln, aber ganz ehrlich, haben sich nicht einige gewünscht, das Lopez' Knöchel im Rückspiel endgültig bricht? Also alles eine Frage der Perspektive.
Und jetzt beruhigt euch wieder.
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lordi278
19.05.2010 | 13:50 Uhr
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lordi278 : 
19.05.2010 | 13:50 Uhr
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lordi278 : 
gute Anstöße, gute Schreibe 10 Pkt

aber

"Ist das nicht zu plump? Ist es nicht zu billig, sämtliche Entgleisungen Boatengs mit seiner Sozialisation zu begründen? Warum ist Ballack kein ewiger Sozialist, wenn Boateng ein ewiger Ghettogangsta ist? Hat nicht jeder Mensch das Recht, Fehler zu begehen und sich zu ändern? "

Nein! Boateng hat dieses Image doch selbst gefördert und damit kokketiert, er ist es doch, der in seinen Stellungnahmen sein Image so rüberbringt UND er ist es, der Mehrfach mit vergleichbaren Fouls und Unsportlichkeiten aufgefallen ist!

ZB bei Klose damals... wer mir erzählt das sei keine Absicht gewesen, dem spreche ich in der Tat ab, je sebst Fußball gespielt bzw Ahnung davon zu haben!

Deshalb ist es gerechtfertigt, den Fußballer und nicht nur das Foul zu bewerten.... nicht den Menschen und nicht über den Sport hinaus, da geb ich Dir recht!

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Crunchtime
19.05.2010 | 13:16 Uhr
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Crunchtime : 
19.05.2010 | 13:16 Uhr
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Crunchtime : 
Wer hat Angst vorm schwarzen Mann?

NIEMAND!!!!!!!!!

Und wenn er kommt?

Dann laufen wir...

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midget
19.05.2010 | 13:09 Uhr
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midget : 
19.05.2010 | 13:09 Uhr
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midget : 
@TMV:

wedding hin oder her neukölln ist eh schlimmer :P
aber mal im ernst, ohne dass ich jetzt mitleid mit ihm habe, so denke ich dennoch:
wenn du schon von gott nicht allzu viel hirn mitbekommen hast, verschlimmert die tatsache mit dem wedding die sache dennoch. denn dort wirst du ganz sicher keine akademischen freunde finden die dich zur vernunft bringen, wenn du eh schon abseits stehst.
dort ist die chance größer einen ebert zu finden mit dem du spiegel zertreten kannst oder alten fraun die handtasche klaust.
von daher spielt der sozialisierungsfaktor schon ne rolle und dieses umfeld hat er sich nicht ausgesucht.

du kannst nicht immer von deinem intellekt ausgehen und sagen" pech gehabt, spinner"...

nichts desto trotz habe ich meinen standpunkt ja auch schon erklärt.
geht mir eh auf en sack hier alles...

viel wichtiger ist die tatsache, wann der effzeh mal nen neuen LV präsentiert :)
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Rheodred
19.05.2010 | 13:07 Uhr
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Rheodred : 
19.05.2010 | 13:07 Uhr
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Rheodred : 
In Schutz nehmen will zumindest ich Ihn nicht, wozu auch?
Aber genau so, wie ich mich darüber geärgert habe, dass alle Welt sich über die Sperre für den "armen" Ríbery ereifert hat, ärgere ich mich über die Art und Weise, wie man da jetzt gegen Boateng Stimmung macht.

Und die anderen "Treterbeispiele", die ich gebracht habe, sollten auch eher dazu dienen, die ganze Diskussion von seinem Hintergund ein wenig weg zu ziehen.
Eben weil ich der Meinung bin, dass seine Herkunft mit seiner Spielweise -wenn überhaupt- nur am Rande zu tun hat. Nur mit der Art der Berichterstattung darüber.
Ein schönes Beispiel für das unterschiedliche Maß findet sich sogar hier bei Spox, bei der Karlheinz Förster Kolummne. Aus dem Kopf zitiert:
"...der ehemalige Weltklasseverteidiger, der auch als ´der Treter mit dem Engelsgesicht´ bekannt war." Ah ja.

Hätte Boateng nicht so eine Herkunft, hätte zum Beispiel ein Marcel Reif nicht ins Mikro gekräht "der ist nicht sozialisierbar", würde das ganze Thema so hoch überhaupt nicht aufgehängt.

Boateng ist ein (über)harter Spieler, für dessen geistiges Niveau man offensichtlich das Laminat anlupfen muss. Nicht weniger. Aber eben auch nicht mehr.
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