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Formel 1


Gründer: santiagodiaz | Mitglieder: 116 | Beiträge: 60
24.11.2014 | 4386 Aufrufe | 3 Kommentare | 2 Bewertungen Ø 10.0
Michael Schumachers Anfänge bei Ferrari
Die neue Mitte
Deutsche und Italiener: Zwei Mentalitäten, zwei Welten


Die auflagenstärkste deutsche Zeitung spart nicht an Schroffheit: "Rollende Mülltonne" steht da, und die Späne raspeln. Zumal das Blatt mit den großen Buchstaben - nicht unüblich für ihren Habitus - den Protagonisten so unverblümt wie direkt adressiert: "Schumi, steig aus der roten Gurke aus!" Dass unter der plakativen Überschrift eine Fotomontage abgedruckt ist, die eine rotgefärbte Gurke mit Slicks illustriert, macht die Sache kaum besser.

Italien schnaubt. Und tröstet sich mit der Erkenntnis, dass Schumi nicht aus der roten Gurke aussteigt. Noch nicht?

"Damals", sagt Michael Schumacher zu Auto, Motor und Sport, "damals sah ich Ferrari als einen Abschnitt in meiner Karriere, der nicht ewig dauern muss. Ich wollte zu der Zeit schon noch einmal etwas Neues versuchen." Als Schumacher diese Rückblende zieht, 2002, hat er gerade seinen fünften WM-Titel eingefahren, den dritten in Folge, den dritten mit Ferrari. Er kann nicht wissen, dass noch zwei Championate folgen werden, dass er in vier Jahren aufhören und in acht wiederkommen wird - mit Mercedes. Die Marke mit dem Stern hatte Schumacher, als Talent, in den professionellen Motorsport geschleust, und wären nicht höhere Weihen, glückliche Umstände oder das Scheckbuch aus Maranello dazwischengekommen, wäre die Geschichte womöglich ganz anders geschrieben worden.


Schumacher will zu McLaren


Sommer 1995. Benetton ist ein Rennstall aus Italien. Korrektur: Es ist DER Rennstall aus Italien. Nicht die Scuderia Ferrari, deren Pferd nicht so hoch springt wie es muss, auch nicht höher. Es springt gar nicht, es trabt bloß, wie ein müder Gaul. Der traditionsverbrämte Mythos liegt am Boden, und das andere italienische Team, Benetton, braust dem zweiten WM-Titel entgegen. Eine Schmach. Am Steuer des blau-grünen Flitzers sitzt Michael Schumacher, ein 26-jähriger Deutscher, dem allerhand Betrugsvorwürfe angedichtet werden, der Sperren abbrummen muss und öfter zur Renndirektion zitiert wird als Ferrari auf Formel-1-Podien. Benetton steht im Zwielicht und Schumacher auf der medialen Schlachtbank. Aber Ferrari braucht Hilfe. Sie brauchen Schumacher.

Als anerkannt schnellster Pilot im Feld kann er sich seinen Arbeitgeber aussuchen. Er hätte wie Alain Prost und Ayrton Senna das Team mit dem konkurrenzfähigsten Cockpit wählen können. Er hätte sich für einen verheißungsvollen Nachrücker entscheiden können. Oder er hätte bei Benetton bleiben können, um sein "Schummel"-Image mit sauberen Siegen reinzuwaschen.

Schumachers Manager Willi Weber, den alle nur "Mister 20 Prozent" nennen, ist ein Visionär; er begreift den Rennzirkus als Maschinerie mit der Lizenz zum Gelddrucken. Das Zauberwort heißt Vermarktung. Weber will seinen befreundeten Klienten genau dort unterbringen, wo die Werte des Hauses in Verbindung mit dem Dauersieger Schumacher den größten Profit versprechen. Ein gelebter Return of Investment. Bei Ferrari denkt jeder an Supersportwagen, an Automobilrennsport und die Formel 1. Bei Mercedes nicht unbedingt. Also drängt Weber auf Ferrari. Schumacher hält wenig davon.

"Ich hatte ein gutes Angebot von McLaren, und die gehörten damals eher zu den aufstrebenden Teams", offenbart er im Buch "König Schumi", das anlässlich seines 2006er Abschieds von Bild produziert wird.

Die Metapher der "roten Gurke" zeigt, wer den längeren Atem hat. Oder den längeren Hebel. Doch der nunmehrige Doppelweltmeister lässt sich nicht etwa von Ferraris ruhmreicher Historie umstimmen. Pathos, Leidenschaft, ehrfürchtige Verbeugungen vor dem "Cavallino rampante", nein, das ist seine Sache nicht. Was wiederum schwer mit dem italienischen Verlangen nach Traditionsbewusstsein vereinbar ist. Die Anfänge in Rot, sie gestalten sich verworren und diffizil, nicht nur wegen eines chronisch anfälligen Wagens der Saison 1996.

Keine Euphorie, keine Emotion: "Il Tedesco"


Zehn Jahre und fünf Ferrari-Titel später erscheint exakt ein Buch, an dem die Rennfahrer-Legende selbst mitarbeitet. Es heißt schlicht "Schumacher" und ist von Sabine Kehm verfasst, die im Jahr 2000 Pressesprecherin wird und irgendwann persönliche Managerin. Die Weltöffentlichkeit lernt Namen und Gesicht kennen, als sie Anfang 2014 vor einem Krankenhaus in Grenoble zur gefragtesten Ansprechpartnerin avanciert. Das Schicksal ist manchmal widerlich.

Als Schumacher 2006 aus der Formel 1 zurücktritt, erzählt er in Kehms Buch von seiner Beziehung zur italienischen Mentalität. "Das ist das, was ich an Ferrari so liebe: Die Herzlichkeit der Leute, die mit dem Team zu tun haben. Das ist hier nicht ein reines Arbeitsverhältnis, das ist wie zu Freunden zu kommen. Außerdem habe ich viel gelernt, unter anderem, dass ein bisschen Improvisation durchaus hilfreich sein kann. Früher dachte ich, das sei in diesem Business eher hinderlich, aber es gibt da so eine Mitte, die wirklich gut tut."

Man darf sich das ruhig plastisch vorstellen, wie bei zwei Menschen, die aufeinander zuschreiten. Gibt lediglich einer seinen Standpunkt auf, fällt die Waage aus dem Lot. Nähern sich jedoch beide an, jeder ein bisschen, treffen sie sich zwangsläufig - in der Mitte.

Die Romanze von Ferrari und Schumacher ist zunächst unterkühlt. Hier der temperamentvolle Rennstall, der einst viel gewann und dann begann, die Vergangenheit zu glorifizieren, was die Gegenwart stört. Und auf der anderen Seite des Pfades: Schumacher. "Il Tedesco", der Deutsche; mit diesem Streben nach Perfektion, nüchtern, technokratisch, reserviert. Kein Sinn für den Mythos. Keine Euphorie. Nicht einmal Emotion! Italien seufzt laut auf. "Er war vorsichtig und misstrauisch, sie waren vorschnell und empfindlich", schreibt Kehm.

Und sie, Ferrari, waren vor allem rückständig. Im Bild-Buch sagt Schumacher: "Es war ein Schock für mich, als ich im Herbst '95 zum ersten Mal ins Hauptquartier nach Maranello kam. Ich dachte, da erwartet dich jetzt etwas ganz Großes. Schließlich war ich ja nur Benetton gewohnt. Und jetzt laufe ich durch die Rennmotoren-Fabrik von Ferrari, und es sieht aus wie in der Werkstatt meines Go-Kart-Kumpels."

"Wenn Ferrari mit Schumacher nicht Weltmeister wird..."

1979 hat Jody Scheckter den letzten Fahrer-Titel für die Scuderia geholt. Verdammt lange her, von den Skulpturen der Heroen bröckelt schon die Farbe. "Wenn Ferrari mit Michael Schumacher nicht Weltmeister wird, dann werden sie es nie mehr", fürchtet Gianni Agnelli, in Italien als Fiat-Boss gleich hinter dem Papst angesiedelt. Der "Commendatore" Enzo Ferrari pflegte stets zu sagen, seine Autos gewönnen Grand Prix, die Fahrer verlören sie. Diese Leitschnur wird mit der Ankunft Schumachers neu geflochten, wenngleich es bis zur "roten Göttin" noch ein weiter Weg ist.

Als Schumacher im September 2000 beim Großen Preis von Monza triumphiert - und damit den Siegesrekord von Senna einstellt - bricht er auf der Pressekonferenz in Tränen aus. "Schumi, wir haben dein Herz gesehen", jubiliert der Springer-Verlag prompt, während die italienische Presse eine rare sentimentale Schwäche des Renn-Roboters beklatscht. Die Annäherung ist in vollen Zügen - weil beide Parteien von ihrer rigiden Position abrücken. Die Tifosi erkennen, "dass es nicht bedeutet, dass man keine Gefühle hat, wenn man sie nicht permanent offen thematisiert oder gar theatralisch demonstriert", erklärt Kehm.

Einen Monat darauf gewinnt Michael Schumacher im fünften Versuch seine erste WM mit Ferrari. Der Pflock einer Ära. Im hessischen Heppenheim leuchten die Augen eines 13-jährigen Knaben mit Zahnspange, dessen Kinderzimmer mit Schumi-Postern tapeziert ist. Irgendwann einmal, sagt er sich, will er seinem Idol nacheifern.


Bildquelle: spox.com

KOMMENTARE
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yummycandy
28.11.2014 | 08:53 Uhr
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yummycandy : 
28.11.2014 | 08:53 Uhr
0
yummycandy : 
Es war ein Dreamteam aus Brawn, Schuhmacher, Jean Todt und den super Mechanikern, die nach und nach den passenden Untersatz für MS zusammbastelteten und so die ganzen Siege ermöglichten. Das passte einfach so gut, das ein Sieg später schon fast vorprogrammiert war.

Weber hatte eigentlich nen sehr geringen Anteil dran. Vielmehr war MS nicht nur ein guter Fahrer im Rennen, sondern auch als Testfahrer gab er genau das richtige Feedback, welches das Team brauchte. Und er war ein Workaholic, bzw. Perfektionist.
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Red_7
27.11.2014 | 09:06 Uhr
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Red_7 : 
27.11.2014 | 09:06 Uhr
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Red_7 : 
Das ist auch das Vermächtnis von Luca die Montezemolo. Ferrari war damals defizitär, hatte einen durchschnittlichen Rennstall an der Backe und dann hat er LdM mit einem guten Händchen Leute so in Position gebracht, dass es auf einmal anfing zu klicken.

Dazu kam eine gute Verkaufsstrategie, die auch die Firma Ferrari aus den roten Zahlen rausgebracht hat und davon lebt Ferrari bis heute. Mal schauen wie das nach den ganzen Chefsesselwechseln weitergeht. Brawn wird jawohl kein Comeback geben.
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MarcelPutz
25.11.2014 | 02:09 Uhr
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MarcelPutz : 
25.11.2014 | 02:09 Uhr
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MarcelPutz : 
Wie geil das Auto damals aussah <3 <3 <3
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