Edition: Suche...
25.06.2011 um 18:00 Uhr
Hope Solo: Der Name ist Programm

©Spox

Ich habe es im Eintrag über den WM-Kader der US-Frauenfußballnationalmannschaft schon angedeutet: Die US-Torfrau hat etwas Spezielles an sich. Sie hat - mit weitem Abstand - den besten Namen aller WM-Teilnehmerinnen, sie kann auf eine bewegte Geschichte zurückblicken, und sie kann mit Fug und Recht behaupten, Auslöser und Katalysator einer sehr wichtigen psychologischen Entwicklung im Frauen-Fußball gewesen zu sein.

Die Rede ist von Hope Solo.

11 Freundinnen müsst ihr sein

Ein Grund, warum Frauen-Fußball in den 90ern und frühen 2000ern in den Vereinigten Staaten so beliebt war, dass er sogar die riesige Rose Bowl füllen konnte, war mit Sicherheit der Medienhype um Mia Hamm. Einhergehend aber auch das Bild, das von dieser Mannschaft nach außen transportiert wurde: Sie galt als reibungsfrei. 11 Freundinnen auf dem Platz. 21 Freundinnen im Kader. Eine Idylle vor dem Herrn.

You can't live in the past

Bei der WM 2007 war Hamm nicht mehr dabei, der allergrößte Hype war abgeflaut, aber im WM-Kader stand noch die eine oder andere Übriggebliebene aus den großen alten Tagen. Stammspielerinnen waren längst nicht mehr alle. Eine neue Garde hatte übernommen. Stürmerin Abby Wambach zum Beispiel. Oder die wuselige Heather O'Reilly. Oder Hope Solo, die Torfrau.

Und dann, am Tag vor dem Halbfinale gegen die Brasilianerinnen, wurde Solo vom Nationalcoach Greg Ryan aus dem Tor geboxt, Backup Brianna Scurry spielte plötzlich von Anfang an. Grund: Scurry hatte vor Äonen (=3 Jahre zuvor) mal eben jene brasilianische Elf im Olympiafinale torlos gehalten. Ryans irrwitzige Idee ging natürlich grandios in die Hose und Scurry patzte sich beim 0:4 einen ab.

Nach dem Spiel stellte sich Hope Solo fast tränenaufgelöst den Kameras:

It was the wrong decision, and I think anybody that knows anything about the game knows that. There's no doubt in my mind I would have made those saves. […] You can't live in the past. […] Now is what matters, and that's what I think.

Eine Fußballerin kritisiert den Trainer. Schlimmer noch: Eine Fußballerin stellt indirekt die Qualitäten ihrer Mitspielerin in Frage. Und das öffentlich. Ein nie dagewesener Skandal.

2007: Gefühls-Achterbahn

Dieser kurzentschlossener Rundumschlag direkt im Anschluss an jenes Spiel war nur die logische Konsequenz einer sehr schwierigen Zeit in Hope Solos Leben.

Denn Hope Amelia Solo kann mit Fug und Recht behaupten, ein gemessen am gewöhnlichen Standard etwas bewegteres Leben geführt zu haben. Sie ist Tochter eines Vietnamveterans, eines ehemaligen Boxers, der mal Jeffrey, mal Jerry oder mal Johnny hieß. Seinen richtigen Namen kannte sie selbst nicht mal. Die Eltern ließen sich früh scheiden und als Daddy Jeffrey/Jerry/Johnny auf einem Trip nach Seattle vor den Augen vor Hope Solos kindlichen Augen verhaftet wurde, brach eine Welt zusammen.

Jahrelang bestand der einzige Kontakt aus Briefen in den Knast. Als der Vater wieder frei war, hütete Solo für die University of Washington (Seattle) das Tor. Fast immer Zaungast: Daddy Jeffrey/Jerry/Johnny, ihr größter Fan. Jeffrey/Jerry/Johnny lebte als Streuner im Wald und Hope verbrachte nicht nur eine Nacht vor seinem Zelt am Lagerfeuer, beim Grillen von Fleisch aus der Konserve.

Dieser Daddy Jeffrey/Jerry/Johnny starb im Juni 2007 auf dem Weg, Hope Solo bei einem Freundschaftsspiel zuzusehen, überraschend an Herzversagen. Wenn sich eine Tochter über Wochen mit schwerem Herzen dem Konkurrenzkampf im Tor der besten Frauen-Nationalmannschaft im Fußball stellt, den Platz gewinnt, ein entgegen aller Erwartungen grandioses Turnier spielt und dann im Halbfinale grundlos auf die Bank gesetzt wird und ihre Ersatzfrau mitschuldig am Ende des Titeltraums ist, dann staut sich einiges auf. Und die Reaktion wird plötzlich verständlich.

Psychoterror gegen Hope Solo

Das eigentliche Lehrstück steckt jedoch in der Reaktion der US-Mannschaft auf diesen Eklat: Sie sprach sich einstimmig dafür aus, Hope Solo auszuschließen. Man muss sich das vorstellen: Solo durfte nicht mit dem Team essen, sie durfte nicht mit dem Team trainieren, sie durfte nicht mit der Mannschaft zur Medaillenzeremonie für Platz 3, geschweige denn auf's Bankett, und sie durfte auch nicht mit dem Mannschaftsflieger zurück in die Heimat fliegen.

Mann muss wissen, dass die Wortführerinnen immer noch die Spielerinnen der alten Garde waren. Kristine Lilly zum Beispiel, die Rekordnationalspielerin und alte Kollegin von Brianna Scurry. Die Fascho-Stimmung in der Mannschaft sorgte aber in den Wochen nach dem Turnier für eine beispiellose mediale Aufarbeitung in den US-Medien.

Klar, das Rollenbild im Frauenfußball in den USA war jenes: Auf dem Platz wird gekämpft, aber in der Kabine stellen sich wieder alle vor den Spiegel, tragen ihre Schminke auf und überhaupt haben sich wieder alle lieb. Dass mal eine auf Ochocinco macht und sich über das Team stellt? Ding der Unmöglichkeit. Trotzdem wurde die Reaktion der Mannschaft großteils verurteilt - die New York Times schrieb von "Kleinkrämerei, die man im Jahre 2007 nicht mehr erwartet hätte, und die nicht nur den Frauensport allgemein zurückwerfen würde, sondern all jenen Kritikern Recht geben würde, dass Frauen keine Sportler seien" (mit Dank an den großartigen Jürgen Kalwa/American Arena).

Hope ist gleich nicht mehr Solo

Outcome in Kurzfassung: Greg Ryan wurde gefeuert, Solo von der neuen Trainerin Pia Sundhage schrittweise rehabilitiert und schließlich auch wieder ins Tor gestellt, nachdem sie bei einigen Freundschaftsspielen auf der Bank sitzend mit keiner einzigen Mitspielerin ein Wort gewechselt hatte.

Beim Olympischen Finale 2008 in Peking spielten die USA gegen... Brasilien. Im Tor stand... Hope Solo. Und Solo flogen die Bälle nur so um die Ohren, doch die Hoffnung stirbt nie, wenn du diesen Namen besitzt. Die USA gewannen am Ende völlig unverdient 1:0, dank der grandiosen Torfrau.

Hope Solo ist bei der WM 2011 trotz Verletzungsproblemen der wichtigste Anker der US-Mannschaft. Unabhängig vom Ausgang des Turniers wird Hope Solos wichtigstes Erbe aber vor allem ein anderes bleiben: Sie hat das Thema "Konkurrenzkampf" im Frauenfußball auf die Agenda gebracht. Sie hat als erste öffentliche Kritik gewagt. Dafür bezahlt. Aber einen wichtigen Umdenkprozess eingeleitet.

Ich spiele nicht für Freunde. Ich spiele um zu gewinnen. Zwischen diesen beiden Extremen sollte der Sport liegen.
Aufrufe: 38504 | Kommentare: 25 | Bewertungen: 68 | Erstellt:25.06.2011
ø 9.1
KOMMENTARE
Um bewerten und sortieren zu können, loggen Sie sich bitte ein.
LBJ23_4MVP
28.06.2011 | 14:01 Uhr
0
0
LBJ23_4MVP : 
28.06.2011 | 14:01 Uhr
0
LBJ23_4MVP : 
starker blog. 10 Punkte!!!
0
Humbug
28.06.2011 | 14:08 Uhr
0
0
Humbug : 
28.06.2011 | 14:08 Uhr
0
Humbug : 
> in dem Fall "für Verunsicherung sorgen".

Die insbesondere beim ersten Gegentreffer eindrucksvoll zu Tage tritt.
0
xxlhonk
28.06.2011 | 14:47 Uhr
1
0
xxlhonk : 
28.06.2011 | 14:47 Uhr
0
xxlhonk : 
"Give me hope, Joanna,
give me hope joanna"
Wer erinnert sich nicht an den alten Klassiker?
Ein Klassiker wird auch dieser Blog.
Denn er ist toll.
Stark!

Eine Frage allerdings blieb für mich unbeantwortet:
Spricht Hope inzwischen wieder mit ihren Teamkameraden?
Und was macht Scully bzw Scurry ohne Moulder?
Ist die noch im Kader?

Was Hopes Verhalten angeht:
Ich hätte sie auch gefeuert.
Konkurrenzkampf hin oder her.
Es ist immer noch ein Teamsport.
Und wer nicht im Team spielen/arbeiten/leben will muss gehen.
Denn das Team (also das Gesamte), ist immer Größer als die Summe aller Einzelteile.
1
korsakoff
28.06.2011 | 14:59 Uhr
0
0
korsakoff : 
28.06.2011 | 14:59 Uhr
0
korsakoff : 
Was Hopes Verhalten angeht:
Ich hätte sie auch gefeuert.
Konkurrenzkampf hin oder her.
Es ist immer noch ein Teamsport.
Und wer nicht im Team spielen/arbeiten/leben will muss gehen.
Denn das Team (also das Gesamte), ist immer Größer als die Summe aller Einzelteile.


Nicht falsch, aber nicht weit genug gedacht. "Team" ist auch nicht, wenn Freundschaft mehr zählt als Leistung. Und das letzte, was man Hope Solo vorwerfen sollte, ist, dass sie nicht im Team spielen & arbeiten wollte. "Leben"? Naja. Sie lebt mittlerweile wieder dort. Weil sie gebraucht wird, und daher gehe ich mal davon aus, dass sie wieder miteinander reden (und sich vielleicht sogar wieder lieb haben, wer weiß).

Und Frau Scurry zwischen den Pfosten ist längst Vergangenheit (war 2007 schon nur noch Alteisen), kümmert sich mittlerweile um das Problem der Fettsucht bei Kindern. Auch kein schlechter Job.
0
xxlhonk
28.06.2011 | 15:13 Uhr
0
0
xxlhonk : 
28.06.2011 | 15:13 Uhr
0
xxlhonk : 
@korsakoff
Das sehe ich halt anders.
Egal was der Trainer entscheidet.
Am Ende hat man das nicht vor den laufenden Kameras zu kommentieren.
Wenn das ein Spieler gemacht hätte, hätte man den auch gefeuert.
Schaut euch Ballack an, dem man heute noch seinen Einsatz für Frings vorhält.
Aber anyway.

Und was Fettsucht von Kindern angeht:
Da wird sie die nächsten 10000 Jahre in Amiland genug Arbeit haben
0
Humbug
28.06.2011 | 16:48 Uhr
0
0
Humbug : 
28.06.2011 | 16:48 Uhr
0
Humbug : 
> Wenn das ein Spieler gemacht hätte,
> hätte man den auch gefeuert.

Mich wundert es auch immer noch, dass Mark Webber in der vergangenen Saison nach der Flügelgeschichte in Silverstone nicht von Red Bull Racing vor die Tür gesetzt wurde.
0
mehrfussball
28.06.2011 | 18:01 Uhr
0
0
28.06.2011 | 18:01 Uhr
0
Ich finde den Artikel ja interessant, aber einige Textstellen sind mir dann doch sehr unangenehm aufgefallen.
Man kann die überreaktion des US-Teams auf Solo's Kritik ihrer Mitspielerin vieles nennen, aber mit Faschismus hat das wirklich nichts zu tun.
Auch mit Formulierungen wie "Outcome in Kurzfassung:" kann ich nichts anfangen. Solche idiotischen Anglizismen haben selbst in einem spox-Blog nichts zu suchen.
0
korsakoff
28.06.2011 | 18:11 Uhr
0
-1
korsakoff : 
28.06.2011 | 18:11 Uhr
-1
korsakoff : 
Wenn bei Jürgen Kalwa "fascho" drinnen steht, dann handelt es sich um "fascho". Ganz einfach. Ein Anglizismus in einem Blog über amerikanischen Fußball? Skandal.
0
iFaker
28.06.2011 | 18:22 Uhr
0
0
iFaker : 
28.06.2011 | 18:22 Uhr
0
iFaker : 
Sehr interessanter Artikel!
0
Tee
28.06.2011 | 20:09 Uhr
0
0
Tee : 
28.06.2011 | 20:09 Uhr
0
Tee : 
Also die Tore waren bis auf das 0-3 alle haltbar, vor allem 0-2 und 0-4 waren quasi must-saves!
Ansonsten: Ganz ehrlich, wenn ich so verarscht werden würde, dann wäre ich auch sauer und dann würde ich das auch öffentlich machen. Wo kommen wir denn hin? Nen Spieler ist kein Sklave, weder des Trainers, noch der Mannschaft. Und wenn es so einen Aufstellungsskandal gibt, dann kann man sich dazu auch äußern. Wenn man immer nur auf Friede Freude Eierkuchen macht, bewegt man nen Scheißdreck!
0
COMMUNITY LOGIN
Du bist nicht angemeldet. Willst Du das ändern?
Benutzername:
Passwort:
 

Wir aktualisieren unsere Nutzungsbedingungen und unsere Datenschutzrichtlinie. Wir haben neue Community-Richtlinien zur Inhaltsnutzung - Verhaltenskodex eingeführt und mehr Informationen darüber bereitgestellt, wie wir Ihre Daten erheben und nutzen. Indem Sie unsere Website und unsere Dienste weiterhin nutzen, stimmen Sie diesen Aktualisierungen zu.
Neueste Kommentare
Hassel_the_Hoff
Artikel:
Natürlich hat er Recht, Uli und Rummenigge sind vermutlich bis zu ihrem letz
23.04.2024, 11:16 Uhr - 0 Kommentare
djoker_15
Artikel:
PO Murray!!! was für ein spiel. AD und Russell treffen alles, Lebron auch mi
23.04.2024, 11:14 Uhr - 75 Kommentare
Milchtrinker79
Artikel:
mit ihm wäre bei der EM bereits der Titel drin gewesen... wäre ne krasse Ver
23.04.2024, 11:13 Uhr - 3 Kommentare
gummikeks
Artikel:
Wie irrwitzig wäre es wenn Spox zu jedem Spieler, der dem FCB angeboten wird
23.04.2024, 11:12 Uhr - 0 Kommentare
newbrooklyn
Artikel:
Ich wäre auch für einen Verbleib von Tuchel, jedoch müssten die Nichtskönner
23.04.2024, 11:11 Uhr - 27 Kommentare
SeppV
Artikel:
Es ist so schön anzusehen, wie die Medien im Dunkeln tappen. Speziell bei Sp
23.04.2024, 11:11 Uhr - 31 Kommentare
Fabianio
Artikel:
Wie schafft er es zwei Jahre in Dortmund zu sein und noch nie den Namen Lars
23.04.2024, 11:08 Uhr - 2 Kommentare
TheHumanMismatch
Artikel:
Ich mache mich jetzt mal unbeliebt. Fouls sind Fouls. Ich finde es grenzwert
23.04.2024, 11:07 Uhr - 7 Kommentare
Nachbar1893
Artikel:
Ich hol schon mal das Popcorn raus. Egal welcher Trainer jetzt noch kommt, d
23.04.2024, 11:06 Uhr - 59 Kommentare
Mac_Rumour
Artikel:
Sky und Bild bestätigen das aber mittlerweile... was auch immer das heißt
23.04.2024, 11:04 Uhr - 155 Kommentare