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Von: KEMPERboyd
24.05.2013 | 10620 Aufrufe | 13 Kommentare | 15 Bewertungen Ø 8.6
Jürgen Klopp im Guardian
Herzanfälle und Absage an Wotan
Eine Polemik
Ich bin nicht bekannt genug, um die Stimmung vor dem CL-Finale zu vergiften. Aber ich muss Dampf ablassen. Ich überziehe. Ganz bewusst. Warum: HIER http://www.guardian.co.uk/football/2013/may/21/jurgen-klopp-borussia-dortmund-champions-league

Es war eine Pressekonferenz, die mein Fußballweltbild erschütterte. Jetzt wird es wieder durchgerüttelt. Ich habe in meinem ganzen Leben keine Ausgabe des Guardian gelesen. Die Punchlines des Klopp-Artikels reichten mir eigentlich. Aber ich habe mich durchgequält. Ich bin fassungslos.

We are a club, not a company!???
In Dortmund funktioniert Autosuggestion. Und die scheint einen bedeutenden Teil der Arbeitszeit einzunehmen in der Konzernzentrale von Borussia Dortmund. Zu einer anderen Einschätzung kann man gar nicht kommen, wenn man den Artikel liest. Ist Herrn Klopp eigentlich klar, dass er juristisch gesehen stellvertretender Abteilungsleiter einer Kommanditgesellschaft auf Aktien ist? Borussia Dortmund war nicht nur der erste Verein, der seine Profiabteilung ausgegliedert und der Wirtschaftslogik unterworfen hat. Er ist bis heute der einzige Verein, den man kaufen kann. Zumindest 49 % davon. Ohne dass Herr Klopp, Herr Watzke oder sonst jemand zustimmt. Aber Borussia ist ja not for sale. Give me a break.

Wäre das den Herren klar, hätte man mal aus der sektenhaften Wahnwelt der echten Liebe ausbrechen können, als man vom Götze-Transfer erfuhr. Statt Herzanfälle zu bekommen und Filmpremieren in Essen (sic!) abzusagen (Klopp über Klopp) oder auf dem Trainingsgelände rumzuirren, als wäre jemand gestorben (Klopp über Zorc) wäre es angezeigt gewesen, als Abteilungsleiter und stellvertretender Abteilungsleiter das zu machen, was mittleres bis oberes Management so macht, wenn einem börsennotierten Unternehmen ein wichtiges Asset dank schlechter Vertragsgestaltung unter Marktwert abgekauft wird. Nämlich die Anleger informieren. Tat man nicht. Die Bafin ermittelt deswegen. Es wird wohl kaum ausreichen, der Börsenaufsicht mit kokettem Augenaufschlag zu versichern, man habe gedacht, man sei ein Verein, kein Unternehmen.

Mir ist klar, dass der Fußball eine gewisse Romantisierung braucht. Und nicht nur, um Geld zu verdienen. Der BVB ist nicht HDI. Und der FCB ist nicht wie BMW zu führen. Ich nehme Jürgen Klopp ab, dass er sich komplett mit seinem Arbeitgeber identifiziert. Sicher mehr als der stellvertretende Leiter der Schadensabteilung von Signal Iduna. Aber die Phantasterei muss Grenzen haben, gerade in der Außendarstellung. Der Profifußball ist nicht LEGO-Land. Und Borussia Dortmund ist nicht der beste Klötzchenzusammensetzer. Sie sind ein Unternehmen, das in einem schwierigen Markt in den vergangenen Jahren, insbesondere im Personalmanagement, besser gearbeitet hat als die meisten Konkurrenten. Nicht mehr, nicht weniger. Das muss man anerkennen und man braucht sich nicht dafür zu schämen, es zu sagen. Das kann man auch idealistisch ausschmücken. Aber die Darstellung muss im Rahmen bleiben. PR-Agenturen, die für große Unternehmen arbeiten, würden wohl sagen: sonst leidet die Authentizität. Ich sage: mit solchen Aussagen macht man sich schlicht lächerlich. Wer bei einem Verein, nicht bei einem Unternehmen arbeiten will, soll bei der SpVgg Oer-Erkenschwick trainieren. Die beschäftigen allerdings nur Freizeittrainer. Nebenher müsste man noch was Richtiges arbeiten. Ggf. in einem Unternehmen.

Das interessanteste Fußballprojekt der Welt
Jau. Drunter macht man es in Dortmund (intern) wohl schon lange nicht mehr. Man fragt sich, wenn man solche Sätze liest, ob der werte Herr Klopp zwischenzeitlich vergessen hat, dass er da mit einem Auftragsjournalisten spricht. Es gab Zeiten, da wusste Klopp die Arbeit in Hannover, Freiburg oder Mainz noch zu würdigen. Ist noch gar nicht so lange her. Solche und andere im Artikel wiedergegebenen Gesprächsfetzen zeugen von einer unfassbaren Selbstgefälligkeit.

Bevor die Frage aufkommen kann, warum mit Nuri Sahin, Shinji Kagawa, Mario Götze und Robert Lewandowski vier der besten Spieler kein Interesse am interessantesten Projekt der Welt mehr hatten bzw. haben, gibt Jürgen Klopp die Antwort auf fast alle Fragen der modernen Welt: GELD. We cannot pay the same money. Natürlich. Umgekehrt wird wahrscheinlich kein Schuh draus. Ilkay Gündogan hat den FCN nur verlassen, weil Dortmund schöner als Nürnberg ist. Marco Reus verdient in Dortmund gewiss weniger als in Mönchengladbach. Aber wer würde Lucien Favre nicht verlassen, wenn er Teil des interessantesten Fußballprojektes der Welt werden kann??

Der dickste Hund
Auf Abflussrohrdurchmesser schwoll meine Halsschlagader aber beim Lesen des siebten Absatzes. Mitten in einer relativ ungelenken, offenbar wörtlich wiedergegebenen Suada über das, was man gemeinhin wohl Clubphilosophie nennt, versteckt, leuchtet mir das Wort taxes entgegen:

It could not be our way to do things like Real and Bayern and not think about taxes and let the next generation pick up our problems.



Die Vermeidung von Kraftausdrücken fiel mir selten so schwer. Zunächst mal: dass Real Madrid Steuerschulden hat, ist wohl gesichert. Wenn die Iberer eine Steuerverwaltung ihr Eigen nennen, die failed states die Schamesröte ins Gesicht treiben würde, ist das eine Sache. Wenn Real das für seine Zwecke nutzt, eine andere. Zu insinuieren, der FC Bayern als Unternehmen würde keine Steuern zahlen bzw. das der nächsten Generation überlassen, ist schlicht und ergreifend eine Unverschämtheit. Wenn der Trainer von Borussia Dortmund entsprechende Informationen hat, wären die Finanzbehörden sicherlich daran interessiert. Wenn er sie nicht hat, ist das nichts anderes als üble Nachrede.

Als Vertreter von Borussia Dortmund sollte er es aber ohnehin besser wissen. Es ist keine zehn Jahre her, dass sich sein Arbeitgeber bei der Finanzierung des Stadions, in dem heute von 80.000 Menschen echte Liebe praktiziert wird, völlig übernommen hatte. Die Kredite waren unter anderem vom Land NRW verbürgt worden. Wäre die Borussia Dortmund KGaA abgewickelt worden, hätte der Steuerzahler an Rhein und Ruhr ein leerstehendes Denkmal für Größenwahn bezahlt. Ein Mensch, der Gesteinsbrocken aus Glashäusern wirft, dürfte über mehr Selbstreflexionsgabe verfügen.

Man muss im Übrigen kein Verschwörungstheoretiker sein, um in diesem nur scheinbar hingerotzten Satz eine Anspielung auf Uli Hoeneß zu erkennen. Jürgen Klopps Sinn für Euphemismus und Ironie zu kennen, reicht aus. Ich will von ihm oder Herrn Watzke jedenfalls keine Appelle an Fans mehr hören, nicht zu überdrehen und sich im Rahmen der Fairness zu bewegen (sowieso lustig übrigens von Angestellten eines Vereins, dessen Fans mit Inbrunst die vermutlich verstorbene Mutter von Herrn Hopp als Anbieterin käuflicher Liebe brandmarken) und das Verhältnis zwischen den besten deutschen Vereinen zu belasten. Die Brunnenvergifter sitzen jedenfalls nicht in München.

A workers club
Jaha, der 200 Mio.-Umsatz-Arbeiterverein. Klischeealarm. Wie gesagt: Folklore brauchts. Ist ja in Ordnung. Aber gehts vielleicht ein bisschen subtiler? Luxusgeschöpf FC Bayern, Studentenverein Freiburg, Fischkopp Bremen, Hooliganverein Frankfurt, Chaosclub Schalke und über allem Arbeiterverein Dortmund. OMG. Deshalb sollen die englischen Fans Borussia unterstützen? Werden wahrscheinlich viele Arbeiter im Stadion sein, bei Eintrittspreisen ab 75 Euro aufwärts.

Karl Marx hätte es sicher sehr geschätzt, dass Jürgen Klopp das Ergebnis der Schufterei von Arbeitern bei SEAT, wenige Jahre später das der Arbeiter bei OPEL als das interessanteste der Welt verkauft. Aber Meinungsfreude ist ja keine Schande, und wer seine Meinung öfter wechselt, hat halt mehr Freude, die Kasse stimmt auch, so what. Maybe SEAT just cant pay the same money!?

Ach ja, und die unterbezahlten Arbeiter in El Salvador werden wohl vor Stolz geklatscht haben, als sie am Artikelende lasen, dass Jürgen Klopp proud to wear PUMA ist who is also a partner of Borussia Dortmund. Oh boy.

Was mich wundert, ist, dass das Ganze in Deutschland kaum Aufsehen zu erregen scheint. Mal abgesehen von der wirklich absolut unbedeutendsten Aussage, dass der FC Bayern der Dr. No des Finales sei. Man stelle sich mal vor, was in Deutschland los wäre, Matthias Sammer hätte in einer englischen Postille davon schwadroniert, mit Pep Guardiola und Mario Götze gründe man das interessanteste Fußballprojekt der Welt, man könne halt nicht dasselbe Geld bezahlen wie Man City oder PSG und anders als der BVB zahle man seine Steuern. Das müssten die neutralen Besucher des Wembley-Stadions respektieren und für die Roten halten. Presented by adidas. Shitstorm. Tagelang. Auf allen Kanälen und sicher nicht wegen der 007-Metapher. Und womit? Mit Recht.

Ich bin trotzdem sicher, dass sich Jürgen Klopp mit diesem Interview keinen Gefallen getan hat. Die Zeiten, in denen er behaupten kann, 2 und 2 ergebe 5 und ihn alle als mathematischen Visionär feiern, werden vorübergehen. Die Zeit als Liebling der Medien ist begrenzt. Ich respektiere ihn trotzdem. Seine Arbeit, seine Gabe zur Emotionalisierung. Er ist und bleibt für mich charismatisch und nicht einmal unsympathisch. Und ich bleibe dabei, dass die Bayern es 2008 mit ihm hätten versuchen sollen. Vielleicht ist er vom Finalfieber gepackt worden. Vielleicht ist er einfach ins Plaudern geraten. Aber dieses gesponsorte Interview ist eine Farce.
KOMMENTARE
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GodLike1848
25.05.2013 | 15:58 Uhr
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25.05.2013 | 15:58 Uhr
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Guter Bog, sprichst mir aus der Seele!

Klopp ist ein verdamt guter Trainer, was er in den letzten Jahren aus dem BVB gemacht, verdient schon Anerkennung.
Aber man hat bei ihm und Watzke einfach das Gefühl, die sagen das was die Fans hören wolen, lachen sich aber innerlich enen ins Fäustchen weil sie sich 100% bewusst sind, was sie da für eine Scheiße labbern.
Denke mal so ist das auch hier gelaufen, ich schätze Herrn Klopp als viel zu Intelligent ein, als das der den Mist wirklich glaubt, den er da erzielt hat. Da gehts einfach nur darum möglichst viele Engländer auf seine Seite zu ziehen und die finden halt sonen emotionalen Kram total Geil.
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Gaucho91
25.05.2013 | 16:55 Uhr
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Gaucho91 : 
25.05.2013 | 16:55 Uhr
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Gaucho91 : 
du interpretierst da meiner meinung nach sehr viel rein
He still seems tightly bound to Dortmund – but will this always be the case? "I don't know. In this moment I don't think of anything else. If I went to many clubs now and said: 'Hello – bring me offers', maybe some would start running. But I'm not interested because, for me, this is the most interesting football project in the world. In three or four years, if someone wants me, we can speak. But, for now, this is the best place for me."
da gehts nicht darum, dass er meint, dass dortmund am coolsten ist und sein projekt alle anderen in den schatten stellt. er redet von sich und von seinen gründen warum er bei dortmund bleiben will, weil er da was aufgebaut hat und das auch zuende führen will.
als nächstes:klopp jammert rum, weil er spieler abgeben muss, obwohl er selber anderen clubs welche wegkauft? ich verstehe das argument nicht. es ist doch kein argument zu sagen, dass dortmund kleineren klubs die spieler wegkauft. das ändert doch nichts daran, dass die bayern es auch tun. wo ist der sinn dieser debatte?
er erläutert ganz genau die gründe warum gewisse spieler den verein verlassen haben und dass man sich jetzt drum kümmern muss sie zu ersetzen. Und im Gegensatz zu dem was du hier geschrieben hast sind die gründe eben nicht geld. so hatte sahin die chance zu real zu gehen, was wohl jeder normale mensch zumindest 2 mal überdacht hätte, kagawa ist zu manu, weil die in japan verständlicherweise ein besseres standing haben und götze geht zu bayern, weil es die erste und letzte chance ist, und man darf ruhig mal zu den bayern gehen. dazu kommt ja noch guardiola. die interpretation von den bösen bayern, die dortmund alles wegkaufen, die sehe ich nicht! das steht da einfach nicht.
ich verstehe dich total, aber ausgerechnet das interview als auslöser ist irgendwie nicht verständlich für mich.
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PraiseTheSun
30.05.2013 | 13:38 Uhr
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30.05.2013 | 13:38 Uhr
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Wie üblich, sehe ich einen Blog von dir und merke dann das du schon einen neuen zuvor veröffentlicht hast. Wieder einmal herrlich geschrieben, ungewohnt bissig in der Argumentation und mal mit einigen schönen Spitzen. "Der Profifußball ist nicht LEGO-Land. Und Borussia Dortmund ist nicht der beste Klötzchenzusammensetzer." Bester Spruch auf SPOX. :D 10 Punkte, also business as usual. ;)
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