„Beim Fußball rennen 22 Männer 90 Minuten lang einem Ball hinterher, und am Ende gewinnen immer die Deutschen." Unter den Fußballfans ist dieser Spruch von Gary Lineker (Originalzitat abweichend) legendär. Doch nicht nur der ergebnisorientierte Inhalt dieses Satzes hat sich seitdem verändert (insbesondere gegen Ende der 90er Jahre), sondern auch das „Fan-Sein".

War der gemeine Fußballfan früher - populistisch ausgedrückt - ein Prolet, der sich beim Spiel betrank und in einigen Fällen auch für Randale im Stadion sorgte, änderte sich in Deutschland vor allem während der Heim-WM2006 das Bild des Fußballfans an sich und auch der Personenkreis, der sich plötzlich als „Fan" bezeichnete.
Auf einmal war es populär, Fußball beim Public Viewing zu schauen und ein Autokorso nach gewonnenen Spielen zu veranstalten.
Bei aller Begeisterung darüber, dass die Nationalelf 2006 diesen Trend vorantrieb und damit auch eine wirklich tolle Atmosphäre in Deutschland schuf, so hat sich bei mir doch eine deutliche Abneigung gegen dieses Mainstream-Fansein entwickelt!

Denn das Problem ist, dass dieses Fansein nur alle 2 Jahre während einer WM oder EM anerkannt wird!

Ich muss mich 2 Jahre lang jede Woche rechtfertigen, weil ich Bundesliga, CL / EL, Freundschaftsspiele und Qualifikationsspiele schaue und vor der WM/EM heißt es dann: „Wo bekomme ich denn einen Spielplan? Ich darf die deutschen Spiele auf keinen Fall verpassen!" Ich sehe Kommentare (das allseits beliebte „Schlaaand") in diversen sozialen Netzwerken von Leuten, die mich dann während eines Spiels fragen, wann es eigentlich Eckball gibt und in welcher Trikotfarbe Nigeria spielt (beim Spiel gegen Schweden….).

Warum kommt es zu dieser offensichtlich erzwungenen Identifikation mit unserer Nationalmannschaft während eines Turniers? Kann man tatsächlich Fan einer Mannschaft sein, ohne den Sport in seinen Facetten und seinem Variantenreichtum überhaupt zu kennen und zu begreifen? Sind diese Ereignisse nur eine willkommene Gelegenheit, um den tristen Alltag mit Wirtschaftskrisen, Kriegen und politischen Desastern zu vergessen?
Oder lebe ich in einem Land voller Heuchler? Denn wie könnte es sonst sein, dass ein Spiel gegen Australien so immens wichtig ist und ein Spiel gegen die Niederlande vom genannten Personenkreis komplett ignoriert wird? Nur, weil das eine das Vorrundenspiel einer WM war und das andere nur ein Freundschaftsspiel (wohlgemerkt zwischen Vize-Weltmeister und Vize-Europameister)?
Die Hintergründe, warum es diese Entwicklung gab, sind sicherlich vielschichtig und verdienen einen eigenen Blog!

Aber für mich war der Fußball ein Rückzugsort und das ist er immer noch. Egal, was unter der Woche schief läuft, während den 90min eines Spiels kann ich komplett abschalten, mich nur auf dieses eine Spiel konzentrieren, mich ärgern, freuen, fluchen oder feiern.
Und auf einmal soll ich diese Emotionen und diese Vertrautheit mit Millionen andern teilen, für die dieser Sport nicht annähernd die gleiche Bedeutung hat wie für mich?
Ich soll also alle 2 Jahre nicht nur mit diesen Menschen mitfiebern, sondern auch noch dankbar sein, dass ich meinen Rückzugsort mit so vielen Menschen teilen muss? Ich soll dankbar sein, dass sich Leute alle 2 Jahre mit einem Thema beschäftigen, über das ich mir jeden Tag Gedanken mache?

ICH WILL DAS NICHT!

Ich will nicht mit Leuten Fußball schauen, die zwar jubeln, bei einem Gegentor dann aber die tröstenden Worte parat haben: „Ist ja nur ein Spiel". Ich will nicht mit Leuten schauen, die mir sagen, dass Philipp Lahm so putzig ist, dass sie ihn gerne adoptieren würden.
Und ich will erst recht nicht mit Leuten schauen, die für Frankreich sind, weil sie die schöneren Trikots haben!

Ich will, dass der Fußball wieder den richtigen Fans gehört, auch wenn mir bewusst ist, dass die Formulierung „richtig" Auslegungssache ist. Ich will auch während einer WM oder EM dafür kritisiert werden, dass ich mein Leben an einem Spielplan ausrichte und dafür gehasst werden und nicht sogar noch Unterstützung dabei finden. Kurz: Ich will den Fußball wieder für die Leute, für die er eine Bedeutung hat!

Versteht mich nicht falsch, ich bin keiner der Traditionalisten, die verlangen, dass alles so bleiben muss wie in den 70er Jahren. Und wenn jemand Fußball nur während WM/EM schauen möchte, kann er das gerne tun, das will ich niemandem streitig machen! Man muss kein Dauerkarteninhaber sein, um diesen Sport zu lieben. Aber schaut bitte um des Fußballs willen und nicht, weil es ein Event ist, für das eine deutschlandweite Feierverpflichtung auf den Straßen besteht!
Denn diese Heuchelei, die ein Großteil der Bevölkerung hier vorgibt, nervt mich mehr als es F. Inzaghi mit seinen Schwalben und seiner Theatralik jemals konnte!