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29.02.2012 um 10:54 Uhr
Die englische Krankheit Teil 2
Seit 2002 sind in den Niederlanden 2700 Fussballvereine in ein Netzwerk integriert, das in seiner Struktur einer Pyramide gleicht. 36 dieser Vereine sind Profi-Vereine. Die restlichen Vereine sind Amateur-Clubs. An der Spitze der Pyramide befindet sich der niederländische Fussballverband (KNVB). Er durchdringt alle Bereiche des Fussballs in den Niederlanden und kann gewährleisten, dass jährlich eine Milliarde Euros in den Amateurbereich investiert wird. In England investiert die FA jährlich „nur" 20 Millionen Euros in den Amateur und Nachwuchsbereich. Von den Fernsehgeldern der Premier League fließen, per annum, lediglich 5% an diese Stellen. Sie sind also, im internationalen Vergleich, chronisch unterfinanziert. Des Weiteren übernehmen die holländischen Vereine ein großes Maß an sozialer Verantwortung für ihre Nachwuchsspieler. Sollte sich ein Profi-Verein dazu entscheiden, einen Jugendspieler nicht in den Lizenzspieler-Bereich aufzunehmen, so ist er gegenüber dem KNVB dazu verpflichtet, diesen Spieler an einen Amateur-Club zu vermitteln. Dieser soziale Aspekt und das Vermitteln von purer Freude am Fussballspielen, ohne übertriebene Ergebnisorientierung, sind Eckpfeiler der holländischen Fussballphilosophie. Und die Macht, die der niederländische Verband im eigenen Land hat, ermöglicht ihm die Umsetzung dieser Philosophie auf allen Ebenen. In England ist die Lage anders; gänzlich anders.
Von allen Verbänden in Europa ist die FA womöglich der schwächste. Seine Einflussmöglichkeiten auf den Fussball im eigenen Land sind stark begrenzt. Bei Machtkämpfen mit der Premier League und der Football League zieht die FA meist den Kürzeren. Die Premier League stellt dabei ein selbständiges, vom Verband ausgekoppeltes Unternehmen dar, das sich im gemeinsamem Besitz der teilnehmenden Clubs befindet. Für die Football League, die 2004 den Spielbetrieb der zweiten bis vierten Klasse übernommen hat, gilt das Gleiche. Gemeinsam ist ihnen, das sie vorrangig die Interessen der Vereine vertreten. Und Interesse haben die Vereine allzu oft nur an kurzfristigen Erfolgen. Nachhaltigkeit, die, in besonderem Maße, in der Jugendarbeit gefragt ist, bleibt dabei meistens auf der Strecke. Häufig unterlaufen die Vereine eine seriöse Jugendarbeit, indem sie ausländische Talente schon im Alter von 12 bis 14 Jahren verpflichten. Auch die Quote ausländischer Spieler in der Premier League ist vergleichsweise hoch. Sie beträgt 65%. In Spaniens „La Liga" beträgt die gleiche Quote lediglich 25%. Doch so „entmachtet" wie die FA im eigenen Land nun mal ist, konnte sie bisher wenig für den englischen Nachwuchs tun. Um das zu ändern, hat sie viel Geld in ein Projekt investiert, das die Zukunft des englischen Fussballs maßgeblich verändern soll. Es soll die Verantwortung für die Ausbildung des eigenen Nachwuchses wieder, ein Stück weit, weg von den Vereinen holen und hin zum Verband.
Im August diesen Jahres wird in Burton upon Trent das FA National Football Centre (NFC) eröffnet werden. Dabei handelt es sich um einen zentralen Trainingsstützpunkt, auf dem alle U-Mannschaften, die A-Mannschaft und die Trainer Englands aus- und fortgebildet werden sollen. Die Kosten für dieses Projekt belaufen sich auf über 100 Millionen Euro. Dabei soll auch besonderes Augenmerk auf eine professionelle Trainerausbildung gelegt werden, denn, in Bezug auf die Übungsleiter ist England, im Vergleich zu anderen, führenden Fussballnationen, seit jeher das Schlusslicht. Im Jahr 2008 registrierte die Uefa lediglich 2700 englische Trainer mit A-Lizenz. Aus Deutschland registrierte sie, im gleichen Jahr, knapp 35000 Trainer, aus Italien 30000 und aus Spanien 24000. Die große Zahl an gut ausgebildeten Trainern kommt in Deutschland, Italien und Spanien natürlich auch der Jugend zugute. Aus diesem Grund, will die FA alles daran setzen, den Trainerpool, aus dem sie schöpfen kann, zu vergrößern. Denn schon bei der aktuellen Nationaltrainersuche fällt auf, wie begrenzt dieser eigentlich ist. Es gibt wenige englische Trainer, die Weltruf genießen, als Konzept-Trainer verschrien sind oder in die Verlegenheit geraten, internationale Spitzenclubs zu trainieren. Die Tendenz ist, in dieser Hinsicht, seit Jahren rückläufig. Doch der Mangel an hochqualifizierten, modernen Trainertypen ist ein Umstand, der dauerhaftem Erfolg im Weg stehen muss. Er ist ein entscheidender Faktor bei einem weiteren, womöglich dem größten Defizit im englischen Fussball: Dem Fehlen einer modernen Spielphilosophie.
Beim Stichwort „Spielphilosophie" darf ein Verweis auf die spanische Nationalmannschaft und den FC Barcelona nicht fehlen; so abgedroschen solche Fingerzeige mittlerweile auch sein mögen. Doch man kann nicht leugnen, dass Nachhaltigkeit und der Glaube an einen klaren, den Spielern gerecht werdenden, Plan in beiden Fällen große Erfolge gebracht hat. In Spanien werden grundsätzlich alle U-Mannschaften an die Spielphilosophie des „Tiki-taka" herangeführt. Und an dieser Philosophie wird auch nach Rückschlägen festgehalten. Es ist faszinierend zu beobachten, wie die spanische Nationalmannschaft, nach einem Rückstand, nie die Ruhe verliert und den Weg, den sie sich vorgenommen hat zu gehen, nicht verlässt. Dabei profitiert sie von dem Fundament, das durch die Ausbildung in den U-Mannschaften des spanischen Verbandes, gegossen wurde. In diesem Sinne ist die A-Nationalmannschaft nur ein Spiegel der U-Mannschaften. In England hat man nicht das Gefühl, dass die A-Nationalmannschaft auf einem ähnlich soliden Fundament steht. Und in brenzligen Situationen verstrickt sie sich oft in alten Gewohnheiten und Chaos.
Das Implementieren einer durchgehenden, modernen Spielphilosophie würde in England aber so lange schwierig bleiben, als die Ausbildung junger Spieler gänzlich den Clubs überlassen wird. Dass es zwischen dem Verband und den Clubs stets eine ausreichend große Interessenschnittmenge gibt, von der die Nationalmannschaft profitieren kann, ist fraglich. Deshalb ist es gut und richtig, dass die FA mit dem National Football Centre einen Weg in die richtige Richtung geht; einen Weg, der dem englischen Fussball mittel- und langfristig wieder Erfolge bescheren kann. Vor diesem Hintergrund erscheint es fast belanglos, wer sich aktuell der englischen Nationalmannschaft annimmt. Wahrscheinlich wird es Harry Redknapp sein. Und auch er wird die Chance haben, kurzfristige Erfolge einzufahren. Wie hoch diese Chance sein wird, ist jedoch eine andere Frage. Langfristig kann nur ein Strukturwandel dem englischen Fussball helfen. Und diesen wird Harry Redknapp nicht alleine vollziehen können. Für dieses Ziel müssten alle Beteiligte anfangen, am gleichen Strang zu ziehen. Dem fussball-verrückten England wäre es auf jeden Fall zu wünschen. Dabei ist es erstaunlich, wie ein Land, das Fussball „lebt" wie kein anderes, solche Probleme haben kann, auf Ballhöhe zu bleiben.
Aufrufe: 2439 | Kommentare: 0 | Bewertungen: 3 | Erstellt:29.02.2012
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