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13.03.2012 um 10:18 Uhr
Die Historie keiner Karriere
Ein ganz und gar aus der Luft gegriffener Abriss einer Leidenschaft: Fußball.

Für jeden von uns schreibt die Liebe zu diesem Sport eine ganz eigene Geschichte. Viele haben kleine und witzige Anekdoten parat, die sie springen lassen, wenn man bei Bier oder Zigarette darüber spricht. Nicht selten wird darüber gelacht, was man aktiv wie passiv mit und um den Sport erlebt hat. Es ist wie ein Roadtrip, nur auf Nocken. Fast. Eine kleine Reise durch die Vergangenheit.

Die ersten Schritte
In einem kleinen Dorf irgendwo im Westen wuchs ich auf. In der hinter dem Haus verlaufenden Straße tat sich nichts. Etwa drei Autos fuhren am Tag vorbei, meist saßen Provinzbesucher drin, die sich nicht vorstellen konnte, dass neben der schon kaum belebten Hauptstraße dieses Provinznestes mehr existierte. Da unten zockten wir mit einem hellblauen Toys"R"Us-Gummiball, von früh bis spät. Bei der leichtesten Böe zog es das Teil von links nach rechts oder wie einen Drachen in die Luft. Ständig knallte man bei Spielversuchen mit dem Fuß in reinster Ästhetik gegen Bordsteinkanten. An Sommertagen trug man Sandalen und ließ sich zu Vollspannversuchen mit Asphaltkontakt verleiten, die man nicht so schnell vergessen sollte. Ab und zu flog der Ball auf das Garagendach eines Nachbarn, der mehr an Sauron als den netten Opa von nebenan erinnerte. Mit einer Holzleiter und verflucht leise musste das Spielgerät zurückgeholt werden. Einer der Jungs spielte schon im Verein. Wir zogen nach. Die ersten Fußballschuhe gab es bei Deichmann. Mutti glaubte nicht daran, dass es ernst gemeint war. Wie es das war!


Aus der Schatztruhe eines Fans:
eine Autogrammkarte von Mario Basler, dem echten Super Mario!


Experimentierkasten Fußball
In der F-Jugend führte wie in fast jedem Jugendteam der Vater eines der Jungen die Trainingseinheiten. Wenn nicht gerade der eigene Sohn zur Schnecke gemacht wurde, waren wir zu unfähig. Torschusstraining in den unteren Jugenden ist in etwa so ansehnlich wie Steve Urkel auf dem Basketball-Court. Natürlich gab es auch schon talentierte Spieler, aber die mühten sich nicht sonderlich mit Klasse aufzufallen. Noch nicht. Allgemein hatte Fußball etwas von Kosmos-Experimentierkästen. Ach, so geht das. Hier darf ich nicht stehen? Mit beiden Beinen auf dem Boden? Der hat auch geschubst. Nein, ich will jetzt nicht spielen. Marc hat angefangen. Sind wir bald fertig? Es war ein einziger Zirkus. Ein großes Abenteuer. Nie hatte man genug. Und jeder war dabei. Es gab nur drei Jungs, die sich davor sträubten. Die spielten aber auch Blockflöte oder hatten andere Handicaps. Fußball war unser Leben.

Hänsel(n) & Grätschen
Kinder wachsen schnell. Früher wie heute. Einige vergaßen dabei scheinbar allzu gern, dass sich die Mitspieler nicht grundsätzlich gegen den nächsten Wachstumsschub zu wehren versuchten, sondern einfach später nachziehen würden. Trotzdem hieß das für die Hünen ein unmoralisches Verbrechen, weshalb man sich darum bemühte, die Kleinsten noch kleiner zu machen. Mal wurden sie in Ballnetzen gefangen, dann wiederum auf Latten gehievt oder durch die Gegend geschubst. Während Goliaths also mehr Zeit in die Verfeinerung der Künste im römischen Ringstil investierten, flitzten die Davids bald nur noch davon. Auch mit Ball am Fuß zogen sie den Riesen wie eine Antilope aus dem Blickfeld. Diese Ähnlichkeiten zu Tierdokus. So war das, damals.

Abenteuerreise ins Stadion
Die ersten Stadionbesuche mit der Mannschaft vergisst man wohl nie. Mit einem knappen Meter wirken die Tempel des Entertainments einfach nur gigantisch. Die Stimmung überwältigte und der Nervosität folgte pure Begeisterung, die noch Tage verweilte. Wie im Rausch nahm man das Abenteuer wahr und war sich sicher den tollsten Sport der Welt zu erleben. Aktiv wie passiv, eine Leidenschaft sondergleichen. Wenn dann noch geistreiche Pläne ausgemacht wurden, wie man den Trip noch unvergesslicher gestalten könnte und am Ende einige Ordner dafür sorgen, dass man den Stadionrasen wieder verlässt, wusste man:
das war eine der besten Erfahrungen der Kindheit.
Ein Freak, der nicht näher genannt werden möchte, hatte es gewagt, während des Warmmachens der Profis im Westfalenstadion die Bande am Feldrand zu bezwingen, über den Rasen zu laufen, um in der Feldmitte ein Autogramm von Lars Ricken zu erhaschen. Gefolgt von gefühlt 50 Ordnern erreichte er schließlich den Star. Die Ordner hielten den Jungen bereits an der Jacke fest, da gab besagter Profi nur locker von sich: „Lasst den Kleinen, er möchte doch nur ein Autogramm."
Pikant an der Geschichte... der Junge trug eine Bayern München-Bauchtasche und seine Aktion sorgte fast dafür, dass die gesamte Mannschaft des Stadions verwiesen wurde. Typisch Fußballer, alle sind sie verrückt.


Unvergesslicher Tag, der 27. Februar 1999:
die Beute, ein Stadionheft-Cover mit Lars Ricken-Autogramm


Pubertäre Rebellion gegen alles
Einige Zeit später, in der Blüte der Jugend, wurde plötzlich klar, dass das mit dem Fußball ja schön und gut sei, aber es auch andere Dinge gäbe. Vorher ließ man nichts zwischen sich und den Ball. Doch dann, ganz überraschend, änderte sich alles und die Gefühle spielten Achterbahn. Der Trainer nervte mehr als üblich, die Mannschaft war doch nicht so die eingeschworene Gemeinschaft, da draußen lief Eminem. Fasziniert von Tagträumereien und wirren Hirngespinsten zerfiel die Einheit. Mehr und mehr wich die sonst unerschütterliche Liebe zum Ball. Fußballspiele waren plötzlich langweilig und man fuhr die Stollen aus. Grobheiten wurden gängige Praxis, um den Kopf klar zu kriegen. Die Pubertät stiftete nicht nur in der Familie Brand um Brand, auch auf dem Rasen flogen die Fetzen. Dem Trainer glaubte man sowieso nicht mehr, diesem naiven Überbleibsel der alten Schule. Vor dem Training wurde geraucht wie aus Schornsteinen und Beck's-Dosen zerdrückt als wäre das schon bald olympisch. Es glich mehr Anarchie als Sport, doch irgendwann fingen sich auch die Letzten wieder ein... oder verließen den Zirkus.

Liebe zum Spiel oder ihr
Und als sich alles wieder einpendelte und die heile Welt zurückkehrte, verlor die Heimat ihren Reiz. Die Sekundarstufe II, eine Ausbildung in der großen Stadt oder das erhoffte Studium weit, weit weg fraßen das Leben im Verein auf. Die Entscheidung fiel: Aus(tritt) und vorbei.
Wie nach jeder lang andauernden Beziehung blieben viele Erinnerungen und Gewohnheiten zurück, die man mehr oder weniger vermisste, aber ganz vergessen konnte man sie doch niemals. So war es auch mit Fußball. Nur die Tränen sparte man sich. Irgendwann kehre man zurück, man verspricht es. Man glaubt auch fest daran, aber häufig ist es wie mit der Ex. Es gibt kein Zurück.


Im nostalgischen Sinne

tobzzzzn
Aufrufe: 6196 | Kommentare: 4 | Bewertungen: 14 | Erstellt:13.03.2012
ø 8.9
KOMMENTARE
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Yagger
14.03.2012 | 10:47 Uhr
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Yagger : 
14.03.2012 | 10:47 Uhr
-1
Yagger : 
Wieder super geschrieben!
Bin gerade von deinem Blog "Der ultimative Stadion-Guide" (ebenfalls klasse!) zu dem hier gefolgt.

Da auch ich als Fussballer meine Geschichten habe, dachte ich sogar gestern auch daran, dass mal zu verfassen.

Wobei es bei mir einiges anders war.
- Ich war nie ein Straßenkicker
- ich hab gespielt, weil mein Bruder auch dort war
- später weil Freunde dort waren
- Training war immer doof, Spiele waren schön

Bis zum Ende der Jugend (A-Jugend BOL/Bayernliga) hab ich von der C-Jugend an immer mal mehr gespielt, dann war ich wieder durch andere Sachen gar nicht beim Fussball, so dass ich in meinem 1. B-Jugend Jahr gleich in der 2. der A-Jugend gespielt habe, dann 2 Jahre nicht gespielt habe und in der A-Jugend im letzten Jahr wieder zum Zuge kam.

Erst durch den Wechsel in eine "Dorf"-Mannschaft nach verlassen der Jugend kam meine richtige Leidenschaft. Immer beim Training, immer beim Spiel, immer 110% obwohl es nicht mein Heimatdorf war usw.

Jetzt darf ich durch den bayrischen 2.Pass in meinem Wahlheimatdorf auflaufen und mit Freunden kicken und in meiner neuen Heimat mit einer anderen Mannschaft auflaufen, auch lauter super Typen.
Und ich will einfach nur jeden Tag spielen, wenn das Training oder spiel vorbei ist, kommt bei mir eher ein "Schade, schon vorbei" in Gedanken.

Am Sonntag mein 1. Spiel für den neuen Verein, Heimspiel. Ich freu mich

Btw. einer meiner 1. Stadionbesuche war auch in Dortmund ;)
Mein Bruder ist in der B-Jugend von der Bezirksoberliga in die Bayernliga aufgestiegen und durch seinen Couch ging die Mannschaft zum Spiel BVB-VFB Stuttgart am 14.09.1996, Karten im Fanblock vom BVB, ich mit Bayerntrikot. Die Tribüne hat gebebt, besonders als Elber den von Klos gehaltenen Ball ins Torhaut und Klos 50m zum Schiri sprintet.
http://www.youtube.com/watch?v=EdyIsjOGbjU
Unvergesslich :) Nach der Halbzeit zog ich aber Sicherheitshalber meinen Pulli übers Bayerntrikot
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tobzzzzn
15.03.2012 | 08:23 Uhr
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tobzzzzn : 
15.03.2012 | 08:23 Uhr
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tobzzzzn : 
Besten Dank für den Einblick in deine Historie, Yagger. :)

Training fand ich mit wenigen Ausnahmen auch eher öde, das lag häufig an den damaligen Trainern im Jugendbereich. Da hatten wir selten Grund zur Freude. Im Nachhinein hab ich nur Udo Lattek vor Augen, wenn ich an meine unterschiedlichen Trainer denke. Erst ab der C-Jugend bockte selbst das Training. Ein ehemaliger HSV-Jungprofi (aus der Salihamidzic-Zeit) brachte den frischen Wind, den unsere Dorfkapelle dringend nötig hatte.

Im Gegensatz zu dir hab ich mich hauptsächlich in den Kreisligen rumgetrieben, womit ich den Beweis erbracht habe, dass nicht jeder Straßenkicker talentiert ist.

Heute geht es mir ähnlich. Anders als früher kann es gar nicht oft genug auf den Bolzplatz, Asphalt oder ins Kleinfeld gehen. Meinen alten Heimatverein vermisse ich aber kein Stück.

Der Ball muss rollen!
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GNetzer
15.03.2012 | 14:04 Uhr
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GNetzer : 
15.03.2012 | 14:04 Uhr
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GNetzer : 
Starker Text! Kann mit allem mithalten, was in einer meiner Lieblings-Gruppen geschrieben wurde: KLICK
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Schnumbi
16.03.2012 | 08:30 Uhr
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Schnumbi : 
16.03.2012 | 08:30 Uhr
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Schnumbi : 
sehr sehr gelungen
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