"Jeder Mensch braucht Liebe"

Benjamin Wahlen
19. Juli 201615:42
Bruno Labbadia übernahm den HSV im April 2015 und rettete ihn vor dem drohenden Abstieggetty
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Bruno Labbadia marschierte im Rekordtempo von der Regional- bis in die Bundesliga und stand trotz guter Ergebnisse häufig in der Kritik. Im Interview spricht der 50-Jährige über die Gründe für sein schlechtes Standing und räumt eigene Fehler ein. Außerdem erklärt er, wie der Hamburger SV wieder nach oben kommt und warum Visionen nur wenig bringen.

SPOX: Herr Labbadia, sportlich liegt eine einigermaßen ruhige Saison hinter dem Hamburger SV, worauf nach den beiden vorherigen Relegationsdramen nicht viele gewettet hätten. Da fällt der Start in die neue Spielzeit leichter, oder?

Bruno Labbadia: Da muss ich Ihnen widersprechen. Auch wenn es nach außen hin eher ruhig wirkte, mussten wir sehr strampeln, um nicht unten rein zu geraten. Uns ist klar, dass unfassbar viel Arbeit vom gesamten Team dazugehört, um dort zu stehen, wo wir jetzt sind. Mannschaftliche Geschlossenheit und Bereitschaft müssen die Grundlage sein, nur darauf können wir aufbauen. Man darf nicht vergessen, dass wir den Abgang von vielen Führungsspielern kompensieren mussten. Trotzdem hätte ich gerne gesehen, dass wir noch einen Schritt mehr machen - den wollen wir in der kommenden Saison gehen.

SPOX: Obwohl die Ergebnisse auch bei Ihren vorherigen Stationen immer sehr gut waren, standen Sie dennoch immer wieder in der Kritik. Worauf führen Sie das zurück?

Labbadia: Wenn man die nackten Zahlen betrachtet, wurden die Ziele immer erreicht, da haben Sie Recht. In Stuttgart haben wir es beispielsweise darüber hinaus geschafft, den Etat von 60 auf 40 Millionen Euro zu drücken und einen zweistelligen Millionenbetrag an Transfererlösen zu erwirtschaften. Das spielte zwar für die Wahrnehmung in der Bundesliga kaum eine Rolle, für den Verein aber eine sehr große. Das war mir immer wichtiger als meine persönliche Außendarstellung.

SPOX: Sehen Sie Gründe dafür auch bei sich selber?

Labbadia: Es gab sicher den einen oder anderen Punkt, bei dem ich mich sehr zurückgenommen habe, um mich nicht in den Vordergrund zu stellen. Ich hatte immer den Gedanken, dass man als Trainer die Mannschaft scheinen lassen muss - das sehe ich auch heute noch so. Allerdings habe auch ich mich dahingehend weiterentwickelt, dass ich das, was ich fühle, mehr und öfter rauslasse, so wie ich auch als Spieler war. Auch als Trainer muss man permanent lernen und sich selbst hinterfragen. Ich bin in kurzer Zeit durch die vierte, dritte und zweite Liga in die Bundesliga gegangen. Trotzdem gibt es immer wieder Dinge, die auch ich verbessern muss und möchte. Die Kunst ist nicht, keine Fehler zu machen, sondern vielmehr aus den Fehlern zu lernen.

SPOX: In Hamburg ist die Wahrnehmung Ihrer Person eine ganz andere, es gibt rührende Geschichten von Dankesbriefen und großen Plakaten. Tut das gerade nach Ihren letzten Stationen besonders gut?

Labbadia: Natürlich, jeder Mensch braucht Liebe, Zuneigung und Anerkennung. Ich bin ein extremer Gefühlsmensch. Wenn ich mich einer Sache verschreibe, dann gebe ich absolut alles von mir her. Umso verletzender ist es, wenn man diesen Einsatz und diese Hingabe dann nicht so zurückbekommt, wie man es möglicherweise verdient hätte. In Hamburg erfahre ich jedoch gerade einen großen Rückhalt aus dem Umfeld des Vereins. SPOXspox

SPOX: Nach Ihrem Engagement beim VfB Stuttgart nahmen Sie sich eine fast zweijährige Pause. Haben Sie sich mit dem Gedanken beschäftigt, dem Trainergeschäft den Rücken zu kehren?

Labbadia: Ich habe mir in dieser Zeit viele Gedanken gemacht. Dabei ging es aber nie darum, dem Fußball den Rücken zu kehren, dafür liebe ich diesen Sport viel zu sehr. Es sind vielmehr die Dinge abseits des eigentlichen Trainerjobs, mit denen ich mich auseinandergesetzt habe, wo es politisch wird und wo man manchmal mehr geben sollte, als man eigentlich möchte. Als sehr geradliniger Mensch eckt man da auch mal an. Aber ich habe auch viel Zeit mit meiner Familie verbracht und sehr frei gelebt. Letztlich stand die Erkenntnis, dass ich zwar ohne Fußball leben kann, es aber nicht möchte.

SPOX: Gab der Hilferuf des abstiegsbedrohten HSV dann den letzten Ausschlag?

Labbadia: Nein, die Entscheidung weiterzumachen, hatte ich schon deutlich früher getroffen. Es gab davor schon einige Angebote anderer Vereine, bei mir muss aber immer auch das Gefühl mitspielen und stimmen. Und das war einfach nicht der Fall.

SPOX: Bis dann der HSV kam...

Labbadia: Genau. Ich empfinde eine ganz besondere Bindung zu diesem Verein. Meine Familie und ich leben und lieben diese Stadt, deshalb stand es für mich außer Frage zu helfen. Der Zuspruch aus dem Umfeld, der mir nicht erst nach der Rettung entgegengebracht wird, ist dabei ein zusätzlicher Ansporn. Es tut einfach gut, wie offen und ehrlich die Menschen dieser Stadt auf mich zugekommen sind. Der HSV ist kein normaler Job für mich und macht mir unheimliche Lust auf mehr. Bundesliga Spielplaner - Der Tabellenrechner von SPOX.com

SPOX: Geht damit nicht gleichzeitig ein großer Druck einher?

Labbadia: Natürlich, das ist in fast allen Bereichen gleich: Wenn du dir diesen Ansporn als etwas Positives herausziehst, nimmst du in den Momenten, in denen es nicht so gut läuft, auch alles auf dich. Es gab Situationen, in denen ich das Gefühl hatte, alles lastet auf meinen Schultern. Aber das macht den Job des Trainers aus. Er ist vielschichtig, nie langweilig und stellt einen jeden Tag vor neue Herausforderungen.

SPOX: Ihre Bindung zum HSV geht sogar so weit, dass Sie auf einen langfristigen Vertrag verzichten, um dem Verein im Falle einer Trennung eine hohe Abfindungszahlung zu ersparen...

Labbadia: Das ist ein Grund, richtig. Ich mache mir nichts vor und bin kein Träumer, wenn du als Trainer keine Leistung und Resultate bringst, setzt man dich vor die Tür. Und in diesem Fall möchte ich dem Verein nicht finanziell schaden. Gleichzeitig möchte ich mir aber auch die Möglichkeit offen lassen, eine freie Entscheidung zu treffen, wenn ich das Gefühl habe, es läuft nicht mehr so, wie ich mir das vorstelle. Diese Freiheit habe ich mir erarbeitet und sie lässt mich klar und strukturiert arbeiten.

SPOX: Gleichzeitig sagen Sie, sich gut vorstellen zu können, auch in zehn Jahren auf der Trainerbank in Hamburg zu sitzen.

Labbadia: Genau. Das eine schließt das andere ja in keiner Weise aus. Ich brauche, wie gesagt, das hundertprozentige Gefühl, dass ich der richtige Mann am richtigen Platz bin. Das ist auf der einen Seite eine Stärke, es kann aber auch zur Schwäche werden, weil man schneller verletzt und gekränkt werden kann.

SPOX: Was unternehmen Sie dagegen?

Labbadia: Ich habe gelernt, mir regelmäßig wieder Pausen zu nehmen, auch wenn es nur zwei Stunden sind. Das klappt nicht immer, oftmals reichen aber auch ganz banale Dinge wie ein Kinobesuch mit der Familie, um ein wenig Abstand zum Fußball und zur Engstirnigkeit, in die man als Trainer leicht gerät, zu gewinnen. Man ist tagtäglich in einem ganz bestimmten Kosmos und kann sich nur weiterentwickeln, wenn man sich mal komplett rausnimmt, seine Sichtweise verändert und mal mit anderen Menschen spricht, die nichts mit dem Fußball zu tun haben. Oftmals kann man dort wertvolle Eindrücke sammeln, die einem dann im Beruf wieder weiterhelfen.

SPOX: Bernhard Peters, Ihr Direktor Sport, der oft als Trainer der Trainer bezeichnet wird, äußerte sich vor Beginn der letzten Saison sehr ähnlich im Interview mit SPOX. Geben Sie uns einen Einblick in Ihre Zusammenarbeit?

Labbadia: Bernhard Peters ist ein absoluter Fachmann, der sich hier im Verein vor allem in der Jugendarbeit und Trainerausbildung viel vorgenommen und bereits einiges bewirkt hat. Wir arbeiten sehr kollegial miteinander. Wenn es Schnittstellen bei jungen Spielern gibt, tauschen wir uns aus und besprechen die nächsten Schritte.

"Ich bin der Gute, oder?" - Bernhard Peters im Interview

SPOX: Peters beschäftigt sich mit sehr visionären Gedanken und setzte in Hoffenheim und beim Deutschen Hockey Bund bereits Konzepte über viele Jahre hinweg um. Hat dem HSV eine solche Konstanz in den vergangenen Jahren gefehlt?

Labbadia: Auf jeden Fall, Kontinuität ist eine der wichtigsten Grundvoraussetzungen, wenn man erfolgreich sein möchte. Das gilt für den Fußball wie für jeden anderen Betrieb und jede Firma. Stellen Sie sich vor, in Ihrem Unternehmen wechselt jedes Jahr der Chef, der Manager und der Betriebsratsvorsitzende - wie soll das funktionieren? Schauen Sie sich die Vereine wie Dortmund, Gladbach, aber auch Mainz und Augsburg an, die den HSV in den letzten Jahren überholt haben. Dort sind seit drei, vier, teilweise sogar fünf Jahren dieselben Personen tätig gewesen und haben gemeinsam eine Vielzahl von richtigen, durchdachten Entscheidungen getroffen.

SPOX: Aber der HSV holt wieder auf?

Labbadia: Wenn man sich anschaut, wo wir vor knapp anderthalb Jahren standen und wie viele etablierte Spieler mit großen Namen wir seitdem abgegeben haben, können wir mit der Entwicklung durchaus zufrieden sein. Man darf bei all den Visionen, der mittel- und langfristigen Planung auch die Kurzfristigkeit nicht vergessen. Visionen zu haben ist toll, aber wir haben in den letzten Jahren an der Grenze gearbeitet, da ging es um das nackte Überleben und darum, eine Festigung des Vereins in der Bundesliga zu erreichen. Wenn die Kurzfristigkeit nicht gegeben ist, bringen mir auch die innovativsten Ideen in der Mittelfristigkeit nichts - denn dann erreiche ich diese erst gar nicht.

SPOX: Also braucht es einen guten Mittelweg?

Labbadia: Es braucht vor allem eine gute Aufgabenverteilung. Jeder hat ein Hauptaufgabengebiet, in das er einen Großteil seiner Arbeit, Kompetenz und Konzentration steckt, muss gleichzeitig aber auch an seine Kollegen und deren Ziele denken. Alle müssen als Teamplayer funktionieren und dürfen nicht eifersüchtig sein, wenn ein anderer mal mehr Lorbeeren erntet als man selbst. Das ist bei uns zwar gegeben, trotzdem ist der Weg, sich wieder hoch zu arbeiten, mindestens genau so lange, wie es gedauert hat, sich abzuwirtschaften.

SPOX: Fühlen Sie sich in den letzten Jahren zu sehr in dieser Kurzfristigkeit gefangen?

Labbadia: Nein, das war mir ja von Anfang an klar. Wir steckten in einer Situation, in der wir keine Zeit hatten, groß etwas zu entwickeln. Vielmehr zählten nur schnelle Resultate, um den Ligaverbleib zu schaffen, was für den Verein überlebenswichtig war. Jetzt sind wir mittlerweile so gefestigt, dass wir im letzten Jahr fast keine Abstiegssorgen haben mussten. Darauf können wir aufbauen und den nächsten Schritt machen. Das bedeutet aber gleichzeitig, sich als Verein einigermaßen von der öffentlichen Meinung zu lösen und manchmal Entscheidungen zu treffen, die auf den ersten Blick unpopulär erscheinen, dem Weiterkommen der Mannschaft aber dienen. Dafür braucht man eine breite Brust und ein starkes Team, das sagt: Da gehen wir jetzt gemeinsam durch. Wir verspüren große Lust, mit dem HSV nun den nächsten Schritt zu gehen und die Spieler, die Mannschaft und den Klub weiterzuentwickeln.