Hansi Flick war gezwungen, beim 2:1-Sieg des FC Bayern gegen Borussia Mönchengladbach umzubauen. Mit Lucas Hernandez, Michael Cuisance und Joshua Zirkzee durften drei Reservisten ran. So schlugen sie sich.
Der FC Bayern München stürmt weiter unaufhaltsam in Richtung achte Meisterschaft in Serie. Gegen Champions-League-Aspirant Borussia Mönchengladbach musste sich die Mannschaft von Trainer Hansi Flick in Geduld üben, ehe Leon Goretzka kurz vor Schluss mit seinem sechsten Saisontreffer den nächsten Dreier herausschoss.
Im Vorfeld des Spitzenspiels war klar, dass Flick einige etatmäßige Kräfte würde ersetzen müssen. Thomas Müller und Robert Lewandowski standen beide aufgrund der fünften Gelben Karte, die sie sich jeweils beim 4:2 in Leverkusen eingehandelt hatten, nicht zur Verfügung. Thiago, der bei der Werkself nach Verletzungspause zwischenzeitlich wieder im Kader stand, fehlt wegen einer Leisten-Operation wochenlang.
Neben den Umstellungen, die sich ohnehin besonders aus dem Fehlen von Lewandowski und Müller ergeben hätten, entschied sich Flick dazu, auch Alphonso Davies erstmals nach 30 Startelf-Einsätzen am Stück eine Pause zu gönnen.
Für ihn rückte Lucas Hernandez auf die Linksverteidigerposition, Michael Cuisance ersetzte Leistungsträger Müller auf der Zehn und Joshua Zirkzee sollte die enorme Lücke, die FCB-Tormaschine Lewandowski hinterlassen hatte, füllen.
Drei Spieler, die im Laufe der bisherigen Saison aus verschiedenen Gründen noch nicht allzu häufig zum Zuge gekommen waren, erhielten gegen die Fohlen ihre Chance, sich zu zeigen. SPOX und Goal analysieren, wie sich das Trio schlug.
FC Bayern: So schlug sich Lucas Hernandez
Der Franzose, der im Sommer vergangenen Jahres von Atletico Madrid an die Isar gewechselt war, dürfte sich sein erstes Jahr in München anders vorgestellt haben. Immer wieder wurde Hernandez während der Spielzeit von Verletzungen zurückgeworfen, fiel unterdessen wegen eines Innenbandrisses im Sprunggelenk drei Monate aus.
Im Heimspiel gegen Fortuna Düsseldorf vor zwei Wochen, als der Weltmeister nach längerer Startelf-Abstinenz mal wieder von Beginn an als Innenverteidiger ran durfte, war aufgrund von muskulären Problemen nach 45 Minuten Schluss.
Dass er gegen die Elf vom Niederrhein auf der linken Defensivseite starten durfte, mutete tatsächlich überraschend an, hatte Hernandez doch seit Oktober beim FCB nur noch sporadisch auf jener Position agiert, die er in der Equipe Tricolore für gewöhnlich bekleidet.
Dass die viel zitierten Automatismen fehlten, wurde recht schnell deutlich. Ständig bemängelte Flick gebetsmühlenartig und lautstark die fehlende "Linie in der Kette", was zu großen Teilen daran lag, dass Hernandez häufig unglückliche Entscheidungen traf und im falschen Moment wahlweise vorrückte oder zurückwich.
In Minute 22 hätte der 24-Jährige den entstandenen Eindruck beinahe wettgemacht. Nach einer verunglückten Abwehr von Matthias Ginter tauchte Hernandez plötzlich komplett frei vor Gladbach-Keeper Yann Sommer auf, brachte allerdings das Kunststück fertig, aus acht Metern am Schweizer zu scheitern, der sich quasi im Elfmetermodus für eine Ecke entschieden hatte.
Hernandez sammelt keine Pluspunkte
Während man im Anschluss geneigt war, dem gelernten Abwehrspieler seine fehlende Kaltschnäuzigkeit vor des Gegners Tor nachzusehen, sammelte Hernandez jedoch auch in seinem Kerngeschäft, dem Verteidigen, nicht unbedingt Pluspunkte.
Nur knapp drei Minuten nach seinem Fehlschuss vermochte es Hernandez nicht, ausreichend Druck auf Lars Stindl auszuüben, der den Freiraum dankend annahm und Breel Embolo bediente, dessen Kopfball jedoch von Manuel Neuer entschärft wurde.
Im Vorfeld des Gladbacher Ausgleichs ließ Hernandez Gegenspieler Patrick Herrmann davoneilen, der die Kugel scharf nach innen passte und in Benjamin Pavard einen ungewollten Abnehmer fand.
Die Borussen hatten Hernandez' Seite als Schwachstelle ausgemacht, fuhren ihre Angriff dementsprechend vor allem über Herrmann. Nach 62 Minuten setzte Flick wieder auf seine bewährte Viererkette, brachte Davies für den merklich angefressenen Hernandez. Die ernüchternde Bilanz: 16,7 Prozent gewonnene Zweikämpfe (Quelle: Opta), keine klärende Aktion, kein abgefangener Ball und kaum Anlass für gestärktes Selbstbewusstsein.
Flick gab sich mit Blick auf die Leistung seines Aushilfs-Linksverteidigers nach der Partie bei Sky diplomatisch. "Lucas macht das gut, auch wenn er heute enttäuscht war, dass er rausmusste." Generell sei es schwierig gewesen, in den letzten Trainingseinheiten viel einzustudieren.
Flicks weitere Aussagen ließen allerdings durchblicken, dass Hernandez aktuell weit davon entfernt ist, als Wunschlösung zu gelten. "Wir haben eine eingespielte Mannschaft (...) Es ist einfach so, dass Alphonso Davies uns mit seiner Dynamik auf der linken Seite guttut." Dass er mit Kingsley Coman und eben Davies noch zwei Stammkräfte in der Hinterhand hatte, sei "der entscheidende Pluspunkt" gewesen.
Fazit: Hernandez hat es verpasst, Werbung in eigener Sache zu betreiben. Die Erwartungen, die an das Preisschild von 80 Millionen Euro und das Siegel "Rekordtransfer" geknüpft sind, scheinen wie eine unsichtbare Bürde auf dem 17-maligen Nationalspieler zu lasten. Allerdings muss bei der Bewertung des Defensivmannes auch die lange Verletzungszeit und die daraus resultierende fehlende Spielpraxis berücksichtigt werden. Sich unter diesen Gesichtspunkten nahtlos in ein derart funktionierendes System zu integrieren, ist nicht die leichteste Aufgabe. Die Zukunft wird zeigen, ob es ihm gelingt, Flick von sich zu überzeugen.
FC Bayern: So schlug sich Michael Cuisance
Nachdem der Franzose gegen Düsseldorf erstmals eine komplette Pflichtspiel-Halbzeit für die Bayern-Profis absolvieren durfte, feierte er ausgerechnet gegen die alten Teamkollegen aus Mönchengladbach sein Startelf-Debüt. "Er nimmt eine sehr gute Entwicklung. Er hat in der Coronapause gut trainiert und in Sachen Fitness nachgelegt", begründete Flick seine Entscheidung vor dem Spiel und schob nach: "Er ist auch deutlich positiver geworden. Er hat sich diesen Startelf-Einsatz verdient."
Als freischaffender Künstler hinter Zirkzee aufgeboten, hätte der 20-Jährige beinahe schon nach elf Minuten Flicks Vertrauen zurückgezahlt. Perisic hatte per Brust aufgelegt, Cuisances Volleyabnahme segelte aber einen guten Meter am Giebel des Gladbacher Gehäuses vorbei.
Insgesamt machte Cuisance, der nicht unbedingt für seine auffallend positive Körpersprache bekannt ist, einen engagierten Eindruck, lief viel, forderte Bälle und scheute darüber hinaus auch die obligatorischen Zweikämpfe nicht. Zudem trennte Cuisance sich schneller von der Kugel als bei seinem Auftritt gegen die Fortuna und versuchte, vor allem Serge Gnabry in Szene zu setzen.
Cuisance war es allerdings, der mit seinem Ballverlust im Mittelfeld Gladbachs Ausgleich unfreiwillig einleitete, nur, um quasi im Gegenzug beinahe den alten Abstand wiederherzustellen. Eine Kombination, die er selbst mit einem sehenswerten Dribbling eingeleitet hatte, schloss der Startelf-Novize per Kopf ab, setzte den Ball jedoch neben Sommers Kasten.
Cuisance taucht nach dem Seitenwechsel unter
Zum Ende der ersten Halbzeit und nach dem Seitenwechsel tauchte Cuisance unter und wurde schließlich von Coman ersetzt. Zwar verbuchte der Linksfuß nach Zirkzee die wenigsten Ballaktionen aufseiten der Gäste (33), wartete aber mit einer deutlich besseren Passquote (79,2 Prozent) auf als seine Nebenmänner Gnabry (65,5 Prozent) und Perisic (60,7 Prozent). Außerdem gewann Cuisance immerhin die Hälfte seiner direkten Duelle.
"Er hatte zwei gute Chancen und hat am Spiel teilgenommen. Ich war zufrieden mit ihm", resümierte Flick im Nachgang auf der Pressekonferenz bezüglich der Leistung von Cuisance. "Er hat heute gespielt, weil er im Training zeigt, dass er Qualitäten hat."
Auch Gladbach-Coach Marco Rose hatte insgesamt ein gelungenes Cuisance-Debüt gesehen: "Ich habe ihm gratuliert. Ich freue mich sehr für ihn, dass er von Anfang an ran durfte. Er hat sich reingehauen, seine Aufgaben erfüllt, ist viel gelaufen und war fleißig. Das war sehr ordentlich."
Fazit: Tatsächlich hat Cuisance die von Flick bemühten Qualitäten angedeutet, die bekanntermaßen vornehmlich im technischen Bereich liegen. Auch der Fleiß, den Rose ihm attestierte, war gegen seine ehemaligen Mitspieler definitiv vorhanden. Allerdings war am Samstagabend auch offensichtlich, dass Cuisance trotz gesteigerter Fitness im physischen Bereich Entwicklungsbedarf hat, ihm im Zweikampf bisweilen die nötige Robustheit fehlt. Auch die Kunst, als Zehner konstant am Spiel zu partizipieren, ist sicherlich noch ausbaufähig. Dennoch: Ein Debüt mit mehr Licht als Schatten.
FC Bayern: So schlug sich Joshua Zirkzee
Im Vergleich zu Cuisance war die Startelf-Berücksichtigung für den 19-Jährigen keine erstmalige Erfahrung, vertrat Zirkzee doch vor der Coronapause Lewandowski bereits zweimal (beim 6:0 bei Hoffenheim sowie beim 2:0 gegen Augsburg). Dementsprechend war der Einsatz des jungen Niederländers, der bis dato dreimal für die Bayern-Profis als Torschütze in Erscheinung getreten war, wohl die kleinste Überraschung im Flick'schen Rotationsexperiment.
Zu Beginn der Partie ließ sich der großgewachsene Angreifer ein ums andere Mal fallen, ließ die Anspiele prallen und fungierte somit als klassischer Wandspieler. Abwechselnd mit Cuisance lief Zirkzee die Gladbacher Hintermannschaft als Erster an, um einen geordneten Spielaufbau der Borussen zu unterbinden und die Gäste möglichst zu langen Bällen zu zwingen. In aussichtsreiche Abschlusspositionen kam der Rohdiamant aber nicht.
Bis zur 26. Minute, als Sommer einen folgenschweren Pass spielte, der genau auf Zirkzees Schlappen landete. Mit dem Selbstverständnis und der Genauigkeit eines erfahrenen Top-Stürmers münzte der U-Nationalspieler den Fauxpas des Gladbach-Schlussmanns in die Münchner Führung um, was ihm von der Bayern-Bank anerkennende Jubelrufe bescherte.
Nach nur 216 Bundesliga-Minuten standen nun vier Treffer im deutschen Oberhaus zu Buche, durchschnittlich benötigte der großgewachsene Knipser also 54 Minuten pro Tor - eine herausragende Bilanz.
Gladbach hält Zirkzee gut in Schach
Ansonsten ist Zirkzees Spielfilm schnell erzählt: Über weite Strecken gut von Gladbachs Hintermannschaft in Schach gehalten, hatte der Mann an vorderster FCB-Front einen schwierigen Stand, kam zum Zeitpunkt seiner Auswechslung in der 77. Minute auf lediglich 23 Ballaktionen.
Trotz seiner 1,93 Meter verlor er jedes seiner fünf Kopfballduelle und brachte nur einen Torschuss auf die Uhr. Dieser fand aber bekanntlich den Weg ins Netz. "Er hat das Tor super gemacht. Das zeigt seine Qualität. Es zeichnet ihn auch im Training aus, dass er im Abschluss sehr mutig ist", schwärmte Flick auf der Pressekonferenz.
Der Trainer gab gleichwohl zu bedenken: "Aber man hat heute auch gesehen, dass er schon noch das eine oder andere dazulernen muss. Dafür sind wir Trainer da, um solche Spieler zu entwickeln."
Fazit: Eine alte fußballerische Binsenweisheit besagt: "Stürmer werden an Toren gemessen". Demnach hat Zirkzee seinen Job, dessen Beschreibung immerhin beinhaltete, keinen Geringeren als Lewandowski bestmöglich zu vertreten, durchaus erfüllt. Dass in diesem Alter gerade auf der anspruchsvollen Mittelstürmerposition noch nicht jedes Dribbling, noch nicht jeder Pressingversuch und noch nicht jeder Laufweg von Erfolg gekrönt sein kann, ist selbstverständlich. Flick weiß trotzdem, dass er in Zirkzee eine schon jetzt verheißungsvolle Option in seinen Reihen hat.