Barbara Rittner im tennisnet-Interview: "Angie und Jule brennen noch - das spürt man"

Von Ulrike Weinrich
Barbara Rittner
© getty

Barbara Rittner, Head of Womens Tennis im DTB, spricht im tennisnet-Interview über den neuen Kerber-Coach Rainer Schüttler, wunderbare Wimbledon-Momente, die anstehende Saison 2019 - und über eine große Sorge.

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Barbara Rittner hat sich viel Zeit genommen an diesem wolkenverhangenen Tag in Mannheim. Bei einer Tasse Kaffee lässt die 45-Jährige noch einmal die abgelaufene Saison Revue passieren und wagt einen Ausblick Richtung 2019. Ihr Hündchen Rone akzeptiert, dass Frauchen nach solch einem Jahr viel zu erzählen hat - und spielt derweil geduldig mit einem kleinen Gummiball.

tennisnet: "Aktualität schlägt bekanntlich alles. Deshalb gleich zu Beginn die Frage: Ist Rainer Schüttler der richtige Trainer für Angelique Kerber?"

Barbara Rittner: "Das passt. Allein schon aus astrologischen Gründen: Angie ist Steinbock, Rainer ist Stier. Nein, im Ernst: Ich glaube, Rainer bringt alles mit. Er hat Erfahrungen gesammelt als Spieler und auch als Coach. Außerdem ist er ein Typ, mit dem man gerne Zeit verbringt, der viel zu erzählen hat. Abgesehen von seinen menschlichen Qualitäten halte ich es auch für einen ganz wichtigen Punkt, dass Rainer unabhängig ist. Beide können mit ganz offenen Karten an die Sache rangehen.

"Ich traue Rainer eine große Gelassenheit zu"

tennisnet: "Was denken Sie, was das Ziel der Beiden ist?"

Barbara Rittner: "Sie haben mit Sicherheit ein gemeinsames Ziel formuliert. Bei Angie ist es ganz wichtig, dass sie sich wohlfühlt und das Drumherum stimmt. Da ist Rainer der perfekte Mann, finde ich. Beide haben gewisse Charakterzüge, die sich ähneln. Rainer weiß, wie es ist, wenn man sich manchmal selbst im Weg steht, das weiß ich auch, das weiß Angie auch. Und wenn man dafür ein gewisses Verständnis aufbringt, weil man selbst eben ähnlich gestrickt ist, wird es leichter, damit entsprechend gut umzugehen - gerade auch in Krisensituationen. Ich traue Rainer eine große Gelassenheit zu. Besonders auch, wenn es mal kritisch wird, wenn Angie mal hadert."

tennisnet: "Wie wird Schüttler an seine neue Aufgabe herangehen?"

Barbara Rittner: "Angie muss nichts mehr beweisen. Ich glaube, Rainer hat in dem Gespräch mit ihr festgestellt, dass sie immer noch brennt. Sie will die Karriere nicht ausklingen lassen, Angie möchte weiter Vollgas geben. Das ist mit Sicherheit eine der Voraussetzungen, die Rainer braucht. Beide sind harte Arbeiter mit viel Disziplin, die die gesetzten Ziele gemeinsam erreichen wollen. Ich freue mich wahnsinnig auf dieses neue Duo. Ein Schüttler auf der Damentour, toll! Auch für Rainer wird es sicherlich eine interessante Episode seines Arbeitslebens werden."

Rittner: Erholungsphasen sind wichtig für Kerber

tennisnet: "Ist es ein Problem, dass er noch nie eine Frau trainiert hat?"
Barbara Rittner: "Nein. Ich denke, Rainer hat genug Lebenserfahrung, um zu wissen, dass es sicherlich anders sein wird in gewissen Momenten. Aber er hat ja mit Joschi Thron (Kerbers Manager/Anmerkg. d. Red.) jemanden an seiner Seite, der Angie gut kennt und vermitteln kann. Ich stehe Rainer auch jeder Zeit gerne zur Verfügung. Aber sie werden es im 'Team Angie' schon gut machen."

tennisnet: "Welche Herausforderungen warten 2019 auf Kerber - aber auch auf Julia Görges, Andrea Petkovic & Co.?"

Barbara Rittner: "Bei Angie wird es vor allen Dingen auch darum gehen, den Turnierkalender sinnvoll zu gestalten und eine gute Balance zu finden. Mit wichtigen Erholungsphasen, damit sie ihr bestes Tennis mit der größten Motivation und Leidenschaft bei den Grand Slams auf den Platz bringt. Es gilt, sich nicht zu verheizen, aber trotzdem genug Matches zu haben, um sich konstant wohl zu fühlen. Aber klar, sie wird bald 31 Jahre alt, der Körper steckt nicht mehr alles so gut weg. Wenn es mal zwickt, muss sie sagen: 'Okay, da nehme ich mich mal raus, damit ich danach wieder Vollgas geben kann'."

Paris? "Ich halte es eher für möglich, dass Angie nochmal Wimbledon gewinnt"

tennisnet: "Und bei den anderen Spielerinnen?"

Barbara Rittner: "Auch bei einer Görges oder einer Petkovic ist das Ziel, bei den Grand Slams gut zu spielen. Es geht natürlich auch darum, bei kleineren Turnieren weit zu kommen. Denn das ist die nötige Vorbereitung, da sammelt man das Selbstvertrauen für die Majors - Tag für Tag. Im Blickpunkt wird stehen: Auf der großen Bühne das Beste rauszuholen. Das beinhaltet die vier Grand-Slam-Events, den Fed Cup und die deutschen Turniere."

tennisnet: "Was hätte für Kerber eine höhere Wertigkeit: Zum ersten Mal die French Open zu gewinnen und ihren Karriere-Grand-Slam zu komplettieren - oder zum zweiten Mal die Wimbledon-Schale zu holen?"

Barbara Rittner: "Ich glaube, wenn man Angie fragen würde, wäre es ihr egal. Ich halte es aber eher für möglich, dass sie das zweite Mal Wimbledon gewinnt. Von ihrer Spielanlage her ist es schwierig, in Paris zu triumphieren, aber es ist nicht unmöglich. Es kommt gerade bei den French Open auch immer auf die Witterungsbedingungen an. Wenn in Paris mal zwei Wochen lang die Sonne scheint und die Courts schnell sind, dann kann das Angie auch mal entgegenkommen. Wenn es dagegen vorher schon drei Wochen regnet, gibt es erste Runden, die für die Topspielerinnen schon mal schwer werden können."

Rittner zieht den Hut: Kerber und Görges brennen noch

tennisnet: "Kerber, Görges und Petkovic sind mittlerweile über 30 Jahre alt. Aber 30 ist ja bekanntlich das neue 20..."

Barbara Rittner: "Körperlich stehen sie voll im Saft. Ich habe ja selbst 15 Jahre Profitennis gespielt, wenngleich nicht auf diesem allerhöchsten Niveau. Aber ich weiß, wie man in puncto Motivation auch ausbrennt. Ich habe dann mit 31 aufgehört. Ich ziehe deshalb meinen Hut vor dieser Generation und finde besonders eine Sache ganz bewundernswert bei einer Kerber, bei einer Görges: Sie brennen noch, das spürt man. Sie wollen wirklich weiter Vollgas geben."

tennisnet: "Wann ist das beste Tennisalter?"

Barbara Rittner: "Ich glaube, dass man von Mitte Zwanzig bis Mitte Dreißig sein bestes Tennis abrufen kann, wenn der Körper mitmacht und man es mental schafft, sich frisch zu halten. Am Ende seiner Laufbahn ist man mit der gesammelten Erfahrung ruhiger und gelassener. Ich habe auch die besseren Partien im Alter gespielt. Ich freue mich darüber, dass die Mädels noch hohe Ziele haben und so motiviert sind."

Fed Cup: Mitte Dezember gibt es erste Aussagen

tennisnet: "Rechnen Sie im Fed-Cup-Erstrundenduell im Februar gegen Weißrussland mit der stärksten deutschen Aufstellung?"

Barbara Rittner: "Die Gespräche führt Teamchef Jens Gerlach. Er hat den Auftrag, das bis Mitte Dezember auszuloten. Ich erhoffe mir von allen bis dahin eine Grundeinschätzung, wie wichtig der Fed Cup für sie ist. Eine Aussage, die wir bis dahin von den Spielerinnen bekommen könnten, wäre: 'Wenn alles normal läuft, stehe ich zur Verfügung' - oder eben nicht. Mehr können wir zu diesem Zeitpunkt nicht kriegen."

tennisnet: "Wenn Sie auf 2018 zurückblicken: Wie zufrieden sind Sie?"
Barbara Rittner: "Wenn man als Head of Womens Tennis eine Wimbledonsiegerin in den eigenen Reihen hat, dann kann es nur eine gute Saison gewesen sein. Die Tage von London werde ich nie vergessen, das war eine tolle Erfahrung, ich durfte das Finale ja auch noch live kommentieren im TV. Eine Jule Görges hat natürlich auch eine tolle Saison gespielt. Ich finde es außerdem sehr schön zu sehen, wie stark und seit Paris konstant eine Andrea Petkovic aufgetreten ist und Weltklasse-Tennis gezeigt hat. Es hat mich zudem unheimlich gefreut, dass ganz am Ende der Saison eine Sabine Lisicki gezeigt hat, dass sie noch ein Wörtchen mitreden kann."

"Die Lücke hinter Kerber, Görges & Co. wird größer"

tennisnet: "Ganz zufrieden wirken Sie trotzdem nicht..."

Barbara Rittner: "Was alles ein bisschen überschattete: Im Fed Cup haben wir in der ersten Runde eine Chance, die wir gar nicht hatten, genutzt (3:2-Sieg in Weißrussland/Anmerkg. d. Red.). Im Halbfinale aber haben wir uns dann Zuhause beim 1:4 gegen Tschechien unter Wert verkauft."

tennisnet: "Die sogenannte goldene Generation wird nicht mehr ewig spielen. Wie zuversichtlich sind Sie, wenn es um die Zeit danach geht?"

Barbara Rittner: "Was mir Sorge bereitet, ist die Tatsache, dass die Lücke hinter der Generation um Kerber, Görges & Co. gerade größer statt kleiner wird. Eine Carina Witthöft zum Beispiel stand zum Ende letzten Jahres auf Weltranglistenposition 51. Wir hatten die Hoffnung, dass sie im November 2018 eher die Nummer 30 oder 40 ist - aber Carina steht auf Position 172. Annika Beck hat leider aufgehört mit dem Profitennis. Anna-Lena Friedsam kommt jetzt erst nach zwei Schulter-Operationen zurück. Und Antonia Lottner hat den Sprung in die Top 100 auch noch nicht geschafft."

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