Verrückter Erfolgstag für die deutschen Damen

Julia Görges - Königin von Moskau
© getty

Der verrückte Tag der deutschen Frauen: Julia Görges gewinnt ihren ersten Titel nach sechseinhalb Jahren und startet noch beim kleinen Masters, Carina Witthöft legt mit ihrem ersten Turniersieg nach.

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Es war am 24. Oktober 2011, als Julia Görges dem neuen deutschen Fräuleinwunder den ersten großen Triumph bescherte. Es war der Tag, an dem Görges die damalige Weltranglisten-Erste Caroline Wozniacki in der Stuttgarter Porsche-Arena sensationell im Finale besiegte, am Ende einer traumhaften Turnierwoche beim Heimspiel im Schwabenland. Die Tenniswelt schien Görges weit offen zu stehen, der größte Erfolg ihrer jungen Karriere war auch ein Tag der großen Hoffnungen.

Was dann in den nächsten Jahren im deutschen Frauentennis passierte, hätte niemand an jenem Abend in Stuttgart vorhersagen können. Görges (28) und Andrea Petkovic (29), einst die nationalen Marktführerinnen, schafften nie den Sprung in die engere Weltspitze. Görges verschwand für längere Zeit eher im Mittelbau der Tennis-Hackordnung, Petkovic kämpfte mit ewigem Verletzungspech, aber auch ewig schwankendem Leistungsniveau.

Vorbei an Angie

Und dann überholte sie beide plötzlich eine, die vor lauter Unzufriedenheit mit sich selbst fast schon ihren Sport aufgegeben hätte: Angelique Kerber, die unscheinbare Kielerin, rückte langsam, aber beharrlich immer weiter nach vorne. Sie setzte sich im Eliterevier der Top Ten fest, gewann erste Turnier-Titel. Und erlebte dann ein Märchenjahr 2016, mit zwei Grand-Slam-Siegen und dem Sprung auf Platz 1. Es war ein Szenario, mit dem man an jenem 24. Oktober 2011, dem Tag von Görges' Sieg ein kleines Wettvermögen hätte gewinnen können. Wenn man sich auf diese verwegene Wette eingelassen hätte.

Man muss diese seltsame Vorgeschichte kennen, um die neuesten Kapriolen zu verstehen. Die erstaunlichen Turbulenzen am letzten regulären Tennistag der Saison 2017, am 21. Oktober. Denn da war auf einmal Julia Görges wieder die deutsche Nummer eins, als stolze Siegerin des Turniers von Moskau (6:1, 6:2 gegen Daria Kasatkina) hatte sie die kriselnde, schwächelnde Kerber tatsächlich überholt - 284 Wochen nachdem die ehemalige Weltranglisten-Erste die nationale Führungsposition eingenommen und seitdem unterbrochen besetzt hatte.

Görges, deren Talente einst höher eingeschätzt wurden als aller ihrer Generationskolleginnen, rückte nun wieder in die Top 20 vor. Und Kerber, die vor Jahresfrist noch als "Spielerin der Saison 2016" beim WTA-Finale in Singapur ausgezeichnet worden war und dort auch noch einmal das Endspiel erreicht hatte, stürzte jetzt aus den Top 20 heraus - ein letzter Tiefpunkt einer Spielserie 2017, die mit Enttäuschungen und dauernden Rückschlägen gepflastert war.

Erfreuliche Verlängerung

Nun rückten also andere deutsche Spielerinnen ins Rampenlicht. Nicht nur Görges, die erfahrene Artistin im Wanderzirkus, die sechseinhalb Jahre nach dem Sieg von Stuttgart nun erst das nächste Erfolgserlebnis feierte. Sondern auch die 22-jährige Hamburgerin Carina Witthöft, die in Luxemburg den ersten Titel ihrer Karriere gewann - gegen die Olympiasiegerin Monica Puig aus Puerto Rico beendete sie eine souveräne Turnierwoche zupackend mit einem 6:3, 7:5-Triumph.

Für Görges wird die Saison jetzt auch noch in eine erfreuliche Verlängerung gehen, sie wird ab dem 29. Oktober beim kleinen Masters (WTA Elite Trophy) im chinesischen Zhuhai antreten. "Dieser Sieg fühlt sich absolut großartig an. Ich habe hart gearbeitet in den letzten Jahren und nie aufgegeben", sagte die sichtlich gerührte Görges in Moskau.

Vor zwei Jahren hatte Görges ihren Lebens- und Arbeitsschwerpunkt ins bayrische Regensburg verlegt und sich mit ihrem Freund, dem Physiotherapeuten Florian Zitzelsberger, und Coach Michael Geserer ein neues Team aufgebaut. Görges zeichnete in dieser Saison mehr denn je eine große Beharrungskraft aus, unermüdlich kämpfte sie um ihre Chancen - auch noch nach drei verlorenen Turnierfinals in Washington, Mallorca und Bukarest. "Sie ist immer dran geblieben. Wahnsinn, was sie da hingelegt hat", sagte Damentennis-Chefin Barbara Rittner über ihre langjährige Fed-Cup-Spielerin.

Görges gehört, ganz nebenbei, auch zu besten Doppelspielerinnen der Welt. So kreuzten sich vor einem Jahr in Singapur auch die Wege zweier deutscher Tennis-Nordlichter - Kerber spielte damals im Einzelwettbewerb, Görges trat im Doppel mit der Tschechin Karolina Pliskova an, verlor aber gleich das Auftaktmatch. Nun darf alleine Görges noch einmal Überstunden schieben, in Zhuhai. Viele mögen diese kleine WM nicht in der Szene, aber für die Deutsche ist es ein willkommener Bonus, ein Geschenk, das sie sich selbst gemacht hat mit dem starken Schlussspurt. "Da kann der Urlaub in Dubai gerne noch ein bisschen länger warten", sagt Görges.

"Enormes Potenzial"

Witthöft, mit 22 so alt wie Görges damals beim Stuttgarter Titelcoup, hat sich in ihren ersten Tourjahren auch schon durch viele Enttäuschungen und einiges Verletzungspech durchkämpfen müssen. Oft wurde sie auch als belangloses Tennissternchen verspottet, weil sie sich auch gern mal freizügig in den sozialen Medien präsentierte. Aber Witthöft ist, abseits dieser Facebook- und Instagram-Welt, eine äußerst zähe und methodische Arbeiterin.

Sie kann durchaus in den kommenden Jahren noch deutlich weiter in der Weltrangliste aufrücken, vor allem, wenn sie mehr Konstanz in ihr riskantes Spiel bringt. "Sie hat enormes Potenzial", sagt Rittner, die Frauenchefin des DTB. Aber was tatsächlich kommt im Wanderzirkus, weiß man nie. Siehe Görges, siehe Kerber.

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