ATP Finals: Die Zverevs - eine einmalige Tennisfamilie

Von Jörg Allmeroth
Die Zverevs - eine enorm erfolgreiche Tennis-Familie
© getty

Zwei Brüder in der Weltspitze, einer seit Sonntag sogar Gewinner des inoffiziellen Weltmeister-Titels im Tennissport: Deutschland kann sich über die Zverevs freuen.

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Wahrscheinlich kennt Irina Zverev inzwischen jeden noch so unscheinbaren Winkel in North Greenwich, weit im Osten Londons, nahe der berühmten O2-Arena. Denn wenn ihr Sohn Alexander drinnen im Entertainment-Palast um Spiele, Sätze und Matches kämpfte, ging die Mama ihrer gewohnten Beschäftigung nach: Sie führte den kleinen Familienpudel Lövik in längeren Spaziergangen aus, möglichst weit weg vom Schauplatz der Tennis-WM. Immer wenn der Sohn in dramatische Duelle verstrickt ist, braucht die 51-jährige Mutter ja ganz dringend Ablenkung und Zerstreuung.

Sie könne die "Aufregung nicht vertragen", sagt die Tennismutter, "ich bin dann lieber mal weg. Aber Ruhe habe ich natürlich nicht." Irgendwann klingelt dann das Handy, meist ist ihr Mann am anderen Ende, er ist dann der Überbringer der immer häufiger werdenden guten Nachrichten. So wie auch am Sonntagnachmittag, als Alexander Zverev senior die bisher beste Botschaft über Alexander Zverev junior mitzuteilen hatte - die Botschaft, dass der gemeinsame Sohn wirklich und tatsächlich der neue Weltmeister im Herrentennis ist.

Tennis atmen, trinken und essen

"Es war ein unglaublicher Moment. Zu schön, um wahr zu sein", sagt Irina Zverev. Sie stürmte dann noch im Laufschritt hinein in die mächtige Halle, ran an den Centre Court - und dort wurde dann auch ein Bild für die Ewigkeit festgehalten: Ein Küßchen, eine Umarmung zwischen Mutter und Sohn, und eine kleine Kuschelei des Champions mit Lövik, dem Maskottchen der Tennis-Wandertruppe. Irina Zverev ist die diskrete Chefin dieses Familienunternehmens, das seit fast anderthalb Jahrzehnten die Kontinente bereist, zuerst mit dem älteren Sohn Mischa (31) - und Alexander als Steppke im Schlepptau. Und dann mit Mischa und Alexander ("Sascha"), den beiden Hochbegabten.

"Wir atmen, trinken und essen Tennis", sagt Mutter Zverev, die selbst einmal die viertbeste Spielerin Russlands war - einst vor der Auswanderung nach Deutschland in den 90er Jahren. Hunderte, tausende Tennislektionen bekam auch Alexander von seiner Mutter, die technische Handschrift ist klar zu erkennen, die grundsolide Ausbildung in allen Schlägen. Aber auch der Charakter der Mutter: "Meine Frau ist immer eine große Kämpferin gewesen", sagt Vater Zverev (58), der ehemalige russische Davis-Cup-Spieler. "Sie gab kein Match vor dem letzten Ball verloren. Und jetzt schauen sie sich Sascha an." Zverev (21), der neue Weltmeister, der erste deutsche Weltmeister seit Boris Becker, ist ein Zirkuskind gewesen, immer auf Achse mit den Eltern und mit dem älteren Bruder. Es gab kaum eine andere Möglichkeit, als ebenfalls eine Karriere in diesem Sport anzupeilen.

Von klein auf mit Tennis infiziert

Aber Zverev toppte dann noch den Ehrgeiz aller anderen Familienmitglieder, er war, wie sich Mama Irina erinnert, "von klein auf vom Tennis infiziert", und er war keiner, der das Verlieren mochte: "Wenn ich mit ihm Tennis gespielt habe oder auch mal ein Gesellschaftsspiel, dann musste ich ihn irgendwann gewinnen lassen. Sonst wäre die Stimmung kaputt gewesen." Vielleicht habe es auch damit zu tun, lächelt die Mutter, "dass ich Sascha schon vier Tage nach der Geburt zum ersten Mal auf einen Tenniscourt mitnahm."

Die Zverevs sind ein Phänomen der Tenniswelt. Denn etwas Vergleichbares wie die Hamburger Familie gab es im modernen Tourbetrieb noch nie, zwei Brüder, die sich bis in die absolute Weltspitze durchschlagen, ab und zu auf höchstem Niveau gegenineinander antreten. Und von denen der Jüngere, der außergewöhnlich Talentierte, nun sogar Weltmeister ist. "Es ist einfach verrückt, was diese Familie aufgebaut hat", sagt Boris Becker, der alte Tennismeister und gelegentliche Berater des Teams Zverev.

Alles den Eltern zu verdanken

Mutter Irina war stets Herz und Kopf der Tennis-Reisegesellschaft. Und Vater Alexander sr. war schließlich dafür verantwortlich, nach den Aufbaujahren beiden Söhnen den letzten Feinschliff zu geben. "Er ist für mich der beste Trainer der Welt überhaupt", sagte WM-König Alexander jr. am Sonntag gerührt. "Alles, was ich bin, habe ich meinen Eltern zu verdanken." Mutter und Vater hatten allerdings auch etwas mehr Gelassenheit und Toleranz gelernt, als es bei ihrem jüngeren Kind ernst wurde mit der Karriere im Profitennis. Denn den älteren Sohn Mischa hatten sie ein wenig zu hart an die Kandarre genommen.

Mischa profitierte zwar anfangs von der Disziplin, die ihm der Vater vermittelte. Aber später litt er eher unter dem väterlichen Reglement und Regiment, scheiterte zunächst am familiären wie öffentlichen Erwartungsdruck. Zverev, der Ältere, hatte das berühmte feine Händchen für alle Schläge auf dem Centre Court, aber seinem Spiel fehlte die Unbedingtheit des Willens, die nervliche Kühle auch. Mit Mitte 20 war Mischa dann sogar, nach einer Serie von schweren Verletzungen, fast soweit, früh den Schläger beiseite zu legen und "ein ganz anderes Leben, abseits des Tennis", zu beginnen.

Doch dann passierte etwas Verrücktes. Denn die Pointe in der Entwicklungsgeschichte dieser tennisbeseelten Familie war, dass ausgerechnet der jüngere Bruder den älteren wieder in die Erfolgsspur brachte, ihm wieder und wieder gut zuredete. Und dafür sorgte, dass er mit neuer Power und gewohnt viel Köpfchen so stark aufspielte wie kaum je zuvor.

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