Kriselnder Novak Djokovic bleibt Realist: "Am Ende zählen nur Siege"

Von Jörg Allmeroth
Novak Djokovic
© getty

Vor nicht allzu langer Zeit hätte Novak Djokovic an einem Turniermontag noch seine freie Zeit genossen. Zu den Privilegien der besten Spieler der Welt gehört schließlich, dass sie in den ersten Runden eines ATP-Masters ein Freilos erhalten, die Besten sollen auch einige Tage lang auch als PR-Lokomotiven für die Wettbewerbe wirken. Doch diese Zeiten sind für den "Djoker" erst einmal vorbei.

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Novak Djokovic war einmal einer der besten Spieler der Welt, sogar der beste auf dem Papier und auf allen Centre Courts rund um den Globus. Es gab den einen historischen, magischen Moment, in dem der "Djoker" alle vier Grand Slam-Titel gleichzeitig in seinem Besitz hielt, das war, als er 2016 zu guter Letzt auch die French Open gewonnen hatte. Das Turnier, das ihn jahrelang vor unüberwindbare Rätsel gestellt hatte.

"Nole" ist jetzt auch ein Mann für Montage

Dieser Spieler ist Novak Djokovic aber nicht mehr. Er ist nicht mehr der Seriensieger, der selbstbewusste Marathonkämpfer, der Gladiator, der seine Gegner mit unbarmherziger Konsequenz in Grund und Boden rannte und pro Saison 90 Prozent seiner Matches gewann.

Und deshalb ist Djokovic, der 30-jährige Belgrader, nun eben auch ein Mann, der an einem Montag spielen muss(te). Oder genereller: Der Mann, der sich schon in der ersten Runde stets in die Tennisduelle zu stürzen hat, gegen jeden möglichen Gegner. In Madrid, wo er diese Woche antritt, hätte ihm das Los zum Auftakt auch den Sandplatzmeister Rafael Nadal bescheren können, es wäre ein verrückter Wink des Schicksals gewesen.

Gegen Kei Nishikori glückte in Madrid ein Sieg

Aber richtig leicht hatte es Djokovic auch nicht, als ihm bei der Auslosung der langjährige japanische Top Ten-Spieler Kei Nishikori zugeordnet wurde. Djokovic gegen Nishikori, es hätte vor zwei, drei Jahren auch ein Grand Slam-Finale sein können. Aber nun, in den Wirren von Djokovics schleichendem Abstieg durch Motivationsprobleme und Verletzungspech, war es ein Erstrunden-Kracher - immerhin mit Happy-End für den früher so geschmeidigen und gewandten Serben (7:5, 6:4).

Djokovic, 2015 und teilweise auch noch 2016 die überlegenste Nummer 1, die das Tennis je hatte, steckt trotz dieses Ausrufezeichen-Sieges immer noch im Krisenmodus. Er hat eine Achterbahnfahrt ohne Beispiel hinter sich, bei der er sich nun möglicherweise endlich wieder vom Tiefpunkt wegbewegt.

Nach dem French-Open-Titel 2016 brach die Firma Djokovic zusammen

Eben war dieser Perfektionist noch der Chef eines florierenden Unternehmens, ein Boss, der jeden seiner Angestellten mit pedantischer Sorgsamkeit ausgesucht hatte. Boris Becker gehörte dazu, der langjährige Coach und Wegbegleiter Marijan Vajda, der österreichische Fitness- und Ernährungspapst Gebhard Gritsch, Spitzenköche zudem, die eigens für Grand Slam-Turniere eingeflogen wurden. Und natürlich noch wechselnde Top-Physiotherapeuten.

Doch dann, der French Open-Titel war gewonnen Anfang Juni 2016, da brach dieses Gesamtkunstwerk, die Firma Djoker und Co., mit einer Geschwindigkeit in sich zusammen, die jeden im Tenniszirkus verblüffte, die Spielerkollegen eingeschlossen. Djokovic fehlte schnell die Lust, die Krise seriös zu bearbeiten. Er verfiel einem spanischen Ex-Profi namens Pepe Imaz, der bald als Kuschel-Guru in den Schlagzeilen auftauchte, ein Mann, der eine ziemlich banale Friedens-und-Liebe-Theorie predigte. Er wollte ein besserer Mensch sein und werden, aber was er vor allem wurde, war: Ein schlechterer Tennisspieler.

Bei den Mutua Madrid Open vertraut der "Djoker" wieder Altbewährtem

Wer sich nun in Madrid umschaute, nach all den Turbulenzen um und mit Djokovic, der staunte nicht schlecht. Denn der einstige Anführer des Wanderzirkus, der erst sein starkes Tennis-Ego und dann all seine Getreuen verlor (oder feuerte) und der dann auch noch gewaltiges Verletzungspech hatte, dieser Djokovic war bei den Masters-Festspielen des Impresario Ion Tiriac wieder von der alten Belegschaft umgeben - ausgenommen Boris Becker, der sich momentan nicht mit der Mühsal eines knüppelharten Comebacks belasten will.

Aber Vajda, der Mann der ersten Stunde bei Djokovic, und auch Gritsch, der einprägsame Österreicher mit der poliert wirkenden Glatze und dem kantigen Profil, sie sind zurück. Es ist eigentlich ein unvorstellbares Bild, dieses wiedervereinte Team Djokovic - es scheint ja so, als wäre ein altes, vergilbtes Motiv aus dem Familienalbum wieder hervorgekramt worden.

Ex-Coach André Agassi ging eher im Zorn

Djokovic konnte sich einst zu Gute halten, gemeinsam mit elitärer Konkurrenz wie Federer und Nadal auch einer der hellsten Strategen der Tennis-Karawane zu sein. Aber dann geriet in der sportlichen Notlage und Bedrängnis viel durcheinander, Djokovic holte sich Andre Agassi an seine Seite - was nicht schlecht gewesen wäre, wenn man sich vorher über den Weg zu den erwünschten Zielen verständigt hätte.

So ging Agassi denn eher im Zorn, als klar wurde, dass sich nicht einmal in kleinen taktischen oder trainingsfachlichen Aspekten ein Miteinander entfaltete. Auch der Tscheche Radek Stepanek kam und ging wieder, ein weiterer Irrtum Djokovics, eine Personalie, die Experten die Köpfe schütteln ließ. Nun sollen es eben die einstigen Berater und Denker richten.

Djokovic gesteht: "Das Selbstvertrauen ist nicht sehr groß"

Djokovic ist aktuell die Nummer 12 der Welt, er sagt von sich, dass das "Selbstvertrauen nicht sehr groß" sei im Augenblick, nie sei die Herausforderung in seiner Karriere größer gewesen als in dieser Saison 2018. "Den Glauben an sich selbst zurückzufinden, das ist eine massive Aufgabe. Am Ende zählen nur Siege", sagt der Serbe, für den Siege früher selbstverständliches Tagesgeschäft waren.

2015 siegte er 82 mal, verlor nur sechs Spiele. Sein Sieg gegen Nishikori in Madrid war erst der vierte in diesem Jahr, bei drei Niederlagen. Djokovics Kampf, um wieder zu einem der Marktführer im Tennis zu werden, ist und bleibt eine der großen Geschichten dieser Saison. Mit komplett offenem Ausgang.

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