Die Abschiedsreise des alten Matadors

Tommy Haas
© getty

Tommy Haas gewann trotz widriger Umstände sein Auftaktmatch beim ATP-Turnier in München. Wer an der Ernsthaftigkeit seiner Abschiedstournee zweifelte, wurde eines Besseren belehrt.

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Es war so bitterkalt auf dem Centre Court von München, dass einem an diesem Mai-Feiertag fast die Zehen einfroren. Der Wind peitschte über den Platz, über die Zuschauertribünen, es fehlte eigentlich nur noch ein ordentlicher Schneeschauer zum Abgewöhnen. Doch anders als in anderen Zeiten ließ sich der Mann, der im Sand-Kasten des TC Iphitos ackerte und rackerte, nicht aus der Ruhe bringen vom grauen, später auch regnerischen Schmuddelwetter. Tommy Haas, die Nummer 455 der ATP-Weltrangliste, kann und darf nicht wählerisch sein im Hier und Jetzt, es ist seine Abschiedstournee vom Profitennis, seine Goodbye-Reise.

Im Moment gastiert er in Deutschland, der alten Heimat, und wer ihn länger nicht mehr sah, den ewigen Pechvogel, den Dauerverletzten, der staunte in München: Der Immerwieder-Comebacker spielt starkes, verblüffend starkes Tennis. Er hat noch das große Spiel, die mächtigen Schläge. Er hält auch noch seine Nerven zusammen, wenn's drauf ankommt. Und er kann siegen, nach all dem Elend, das ihn auch in den späten Jahren seiner launischen Karriere verfolgte. Nach Auszeiten und Zwangspausen, die 99 Prozent seiner Kollegen längst zum Aufhören veranlasst hätten: "Ein Erfolg, ein umgedrehtes Match - es ist ein Gefühl, das immer noch der Wahnsinn ist", sagte Haas nach seinem 1:6, 6:3, 6:4-Auftakterfolg gegen den Ukrainer Sergiy Stakhovsky. Eine halbe Stunde lang schaute Haas paralysiert zu, wie sein Gegner ihn demütigte, ausspielte und mit gefühlt tausendundeinem Stopp vorführte. Niemand glaubte noch an Haas, doch in der beißenden Herbstkühle bewies der alte Matador dann, welche Moral, welche Leidenschaft noch in ihm stecken. "Siege sind der Lohn schlechthin der Lohn für alles, was man investiert. Für die Qual im Training", sagte Haas.

"Tommy ist positiv verrückt"

Als Turnierdirektor des Masters-Wettbewerb im kalifornischen Wüsten-Paradies Indian Wells machte Haas im März eine mehr als gute Figur, als geschätzter und respektierter Ansprechpartner von Sponsoren, Medien und Profikollegen. Doch in der Tiefe seines Herzens ist Haas vor allem noch eins: ein Spieler, einer, der sich innerlich noch nicht von der Bühne des Wanderzirkus verabschiedet hat. Haas ist jetzt nicht auf einer Larifari-Gastspielreise unterwegs, bei der er sich noch einmal auf dem Centre Court sehen lässt und artig ins Publikum zuwinkt - ohne sportlichen Wert, ohne Bedeutung. Der gebürtige Hamburger, der Mann mit deutschem und amerikanischem Pass, hat noch seine Ansprüche und seine Ehre. "Ich gehe raus, um ehrlichen Sport zu liefern, eine reelle Leistung zu zeigen", sagt der 39-Jährige. Das wird und will er nicht nur in München, sondern demnächst auch noch in Stuttgart und Halle zeigen, bei den Rasenturnieren vor dem Saison-Höhepunkt in Wimbledon. Auch am Hamburger Rothenbaum will er noch aufschlagen, er wird dort zu einem Schaukampf gegen Turnierboss Michael Stich antreten.

Wer an der Ernsthaftigkeit seiner Abschiedstournee zweifelte, wurde in München nicht nur direkt auf dem Centre Court eines Besseren belehrt. Denn am Rande der Spielstätte saß ein gewisser Thomas Högstedt, einer der gefragtesten, renommiertesten Coaches der Tennisszene, einer, der schon einmal mit Haas gearbeitet hatte, danach auch einmal in Diensten von Maria Sharapova stand. Nun hat Haas den kahlen Schweden für seinen "letzten Lauf" an seine Seite zurückgeholt, die alte Allianz soll wohl in jedem Fall bis zu den Rasen-Festspielen im Südwesten Londons wieder aufleben. "Als Tommy mich vor ein paar Wochen anrief, habe ich sofort zugesagt", erklärte Högstedt, "es ist immer noch ein Riesenspaß, mit ihm zusammen zu arbeiten." Als Högstedt miterlebte, wie Haas die Partie gegen Stakhovsky umdrehte, musste er ein ums andere Mal grinsen und den Kopf schütteln: "Tommy ist positiv verrückt. Er lebt für diese Einsätze da draußen, er hat auch das Zeug, noch so manchen Spieler zu ärgern."

"Furchtbar nervös"

Haas sagte, er sei "furchtbar nervös" gewesen vor dem Marsch auf den Münchner Court, nicht nur, weil die halbe Familie draußen saß, seine Schwestern, seine Eltern. Nein, es hat auch mit dem Moment zu tun, mit dieser Abschiedsreise: "Du weißt, dass jedes dieser Spiele immer auch das letzte an diesem Ort sein kann. Das musst du erst mal ausblenden." Aber diese Zweifel und Ängste niedergerungen zu haben, gibt einem wie Haas eben auch immer wieder neuen Antrieb: "Solche Gefühle sind einmalig. Man muss sich klarmachen, dass man die später bei einer anderen Arbeit nie wieder haben wird."

Monate, sogar Jahre hat Haas abgesessen, um noch einmal dieses letzte seiner werweißwievielten Comebacks zu starten. Er kassierte Rückschläge, scheinbare Knockouts, immer wieder war der eigene Körper sein größter Feind. Doch nun steht er auf dem Platz, er kann eine Gefahr sein für alte Weggefährten wie für "Young Guns" der Szene, vielleicht auch für den Westfalen Jan-Lennard Struff, der in der zweiten Runde auf ihn wartet. "Er ist ein guter deutscher Spieler, der sich zuletzt verbessert hat", sagt Haas. Aber er will das Duell gegen den Jüngeren gewinnen, Haas, der ewige Tommy.

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