Bad Boy Gone Good

Von Linus Braunschweig
Evans hat eine 180-Grad-Wende hingelegt und ist nun britische Tennis-Hoffnung
© getty

Lange Zeit galt Daniel 'Evo' Evans als Musterbeispiel für verschwendetes Potenzial - inzwischen ist er eine der größten britischen Tennis-Hoffnungen. Der Birminghamer hat eine beachtliche Metamorphose hinter sich und knackte im Januar zum ersten Mal die Top 50 der Weltrangliste. Vor vier Jahren wäre das noch unvorstellbar gewesen. Eine Geschichte über Schimpftiraden, Wutausbrüche und einen steinigen Weg nach oben.

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20. Januar 2017, Melbourne. Dan Evans befindet sich im zweiten Satz gegen Lokalmatador Bernand Tomic. Durchgang eins ging an den Engländer, auch im Zweiten liegt er mit vorne. Evans will sein fünftes Spiel holen, Spielstand 40:30. Er steht an der Grundlinie und bringt einen Aufschlag auf das rechte Feld. Aus! Zeit für den zweiten Aufschlag.

Der Birminghamer setzt zum Ballwurf an, der Ball ist in der Luft, gerade will Evans den Ball servieren - doch dann hustet ein Fan in der dritten Reihe. Der 26-Jährige lässt den Ball fallen und lässt ein lautes "Oh, come on!" und anschließend ein schallendes "F*ck" erklingen. Evans bittet den Schiedsrichter, den Fan zu entfernen. Dieser habe schon das ganze Match über gehustet - prompt wird Evans ausgebuht. Der Offizielle beschwichtigt.

Der Fan bleibt, Evo beruhigt sich. Endlich schlägt er seinen zweiten Aufschlag, diesmal erfolgreich und den darauf folgenden Schlag donnert er hinten rechts auf die Grundlinie. Punkt für Evo, er erhöht auf 5:4. Der Engländer schaut in die Tribüne zu jenem unbeliebten, hustenden Fan und ballt die Faust zum Jubel. Der Kommentator bemerkt passend: "It wouldn't be a Dan-Evans-Match without some drama."

Der schmächtige Junge aus Birmingham

Die Ursprünge des 26-Jährigen sind aber alles andere als dramatisch oder besonders. Geboren wurde ‚Evo' am 26. Mai 1990 in Birmingham, seine Mutter war eine Krankenschwester und sein Vater ist Elektroniker. Ihm ist es zu verdanken, dass Daniel einen Tennisschläger in die Hände genommen hat: Er nahm seinen Sohn mit zum Squash, damals war dieser sieben Jahre alt.

Es dauerte nicht lange, da kam Evo von Squash auf Tennis - und schnell wurde klar, dass der Brummie ein Talent für den Sport hat. Mit zehn Jahren zog er nach Edgbaston Priory, um sein Training zu intensivieren, drei Jahre später fand er sich in der LTA-Academy der Loughborough University wieder und lebte bei einer Gastfamilie.

Über seinen Jugend-Werdegang verriet Evans gegenüber Birmingham Living: "Ich war nie der Beste mit 14 oder 15, im Gegenteil, ich war wahrscheinlich der Schlechteste. Ich war schmächtiger als die anderen und auch ein bisschen ein Spätzünder, aber ich habe immer gedacht, dass ich ziemlich gut bin und zum Schluss war ich der Beste." Evans hatte eine vielversprechende Zukunft vor sich.

Abwege statt vielversprechender Zukunft

Aber es sollte anders kommen. Mit 17 verließ Evans Loughborough ohne Schulabschluss. Anschließend pendelte er zwischen verschiedenen Trainingscentern und nahm an Turnieren in aller Welt teil. Sein Vater David glaubt, dass er genau in dieser Zeit den rechten Pfad verlor. "Er entgleiste in seinen späten Teenie-Jahren ein bisschen", erklärte Evans Senior 2014 gegenüber dem Telegraph.

Zurückblickend sieht auch Evo seine Fehler ein. "Mein Lebensstil war nicht gut. Ich ging nicht wenig aus. Ich wollte eine normale, junge Person sein. Ich verhielt mich zur falschen Zeit so und meine Leistungen waren nicht gut genug dafür" gestand er.

Eine junge normale Person. Mit Anfang 20 bedeutet das in Birmingham zu Fußballspielen von Aston Villa zu gehen, die zahlreichen Pubs unsicher zu machen und Diskotheken zu besuchen - zügelloser Spaß, statt diszipliniertem Training. Für den heimatverbundenem Evans war es schwer dabei nur zuzusehen.

"Wenn ich nach Hause gefahren bin, habe ich mich nicht ausgeruht und den Akku geladen, sondern alles nachgeholt, was ich so verpasst habe. Das war mir damals wichtiger als Tennis" so der 26-Jährige in einem Interview 2014. Diese Situation strapazierte nicht nur das Verhältnis zu seinen Eltern, die ihn stets (besonders finanziell) unterstützt hatten, sondern auch das zu seinem Trainer Julien Hoferlin.

Entzündung des Feuers

"Er hat das Potenzial, sich zu einem Top-60-Spieler zu machen, aber er bringt keine Opfer für seinen Sport. Er versteht nicht, dass Tennis seine Priorität sein muss. Für ihn ist es nur ein kurzes Zwischenspiel in seinem Leben", klagte Hoferlin beim Radiosender RTBF.

Der Coach sollte Recht behalten. Mit 19 befand sich Evo auf Rang 240 der Weltrangliste, drei Jahre später befand er sich immer noch, bzw. wieder, auf Platz 240. Ein Rumgegurke in den Tiefen des Rankings. Ohne die Aussicht auf größeren Erfolg wollten und konnten ihn seine Eltern nicht mehr finanziell unterstützen.

Alles sah nach einem Karriereende aus, bevor die Karriere überhaupt richtig begonnen hatte. Doch dann kam der Davis Cup. Und es machte Klick.

Kapitän Leon Smith nominierte Evans 2013 in letzter Sekunde für den Nationenwettbewerb nach. Die Briten lagen 0:2 hinten, gaben nicht auf und glichen zum 2:2 aus. Nun war Evans an der Reihe. Er hatte in seinem zweiten Einzel gegen die Nummer 80 der Welt, Evgeny Donskoy, die Chance das Unmögliche möglich zu machen. Und er tat es. Den Briten gelang das vielleicht größte Comeback ihrer Davis-Cup-Geschichte - Evans' Feuer war entfacht.

Auf und Ab

Smith überzeugte die Lawn Tennis Association, im gleichen Jahr die Finanzierung des umstrittenen Tennistalents wieder aufzunehmen und ihm Trainer an die Seite zu stellen. Evans war wieder in der Lage im Ausland zu trainieren und an größeren Turnieren teilzunehmen.

Den ersten Auslandswettbewerb im schwedischen Bastad gewann der damals 23-Jährige direkt. Der ehemalige Bad Boy war auf guten Weg und knackte das erste Mal die Top 150 der Weltrangliste. Sein neues Ziel: die Top 100.

Doch schurstracks geradeaus ging es für einen Evans nie. Das folgende Jahr, 2014, war geprägt von Aufs und Abs. Mal schlug er einen Philipp Kohlschreiber und zog mit dem Sieg erstmals in ein ATP-Halbfinale ein, mal scheiterte er bereits in der ersten Runde von Wimbledon. Ein klares Motivationsproblem, monierte Trainer Hoferlin Evos Einstellung anschließend.

Doch nicht nur das: Evans verletzte er sich am Knie und musste monatelang pausieren. Er fiel bis auf Platz 772 der Weltrangliste zurück. Doch Aufgeben kam nicht in Frage. Auch wenn er fast wieder bei null anfangen musste. "Es war nicht schön. In Ägypten spielen, wo die Plätze quasi in Trümmern liegen. Ich würde das kaum Tennis nennen. Das ist grenzwertig", erklärte Evans.

Neuanfang und Wendepunkt

Doch anstatt den Kopf hängen zu lassen, wollte er richtig durchstarten. Der erste Schritt war öffentliche Eigenkritik, in der er Hoferlins Aussagen selbst bestätigte: "Ich trainiere nicht hart genug und ich arbeite nicht hart genug. Ich bin schlecht, in dem was ich tue."

Seine Rückkehr verlief anfangs schleppend, schließlich kam er aber in Fahrt. Er gewann 29 von 33 Spielen und holte vier Futures-Titel. Dadurch schwang er sich zurück auf Rang 300 und wurde überraschend ins Davis-Cup-Team zurückgeholt. Angeführt von Andy Murray gewann Großbritannien das Finale. Und obwohl Evans nicht zum Einsatz kam, erhielt auch er eine Medaille.

Angefixt von diesem Erfolg marschierte der nun endlich im Profisport angekommene Rechtshänder Weltranglistenplatz für Weltranglistenplatz nach oben. Mit der Teilnahme an der Hauptrunde der Australian Open, dem Finale eines Challenger-Turniers und der erneuten Berufung ins David-Cup-Team knackte er 2016 zum ersten Mal die Top 100.

Vom verschwendeten Talent zur britischen Hoffnung

Sein größter Erfolg war für ihn jedoch der Sieg über Alexander Zverev bei den US Open. Dieses Match zeigte, wie sehr Evans als Spieler und Mensch gewachsen war. Zverev war derjenige, der frustriert jede Schiedsrichterentscheidung anfocht und seinen Schläger aus Wut zerstörte - nicht Evans.

Auch in der aktuellen Saison sieht es bislang gut aus. Mit Triumphen über Top-10-Spieler Dominic Thiem, Marin Cilic und Tomic bei den Australian Open manövrierte sich Evans erstmals in die Top 50 der Welt.

Im Moment seines bislang besten Standings bedankte er sich bei seinem ehemaligen Trainer Hoferlin, der 2016 an einem Hirntumor starb. "Es ist eine Schande, dass er nicht hier ist", sagte Evans in Melbourne unter Tränen: "Ich glaube, er hat mal gesagt, das Tennis für mich nur ein Zwischenspiel ist. Damals hatte er wohl Recht. Wenn man älter wird, erkennt man so etwas. Ich bin sicher, er sieht das alles hier von irgendwo."

Ob Dan Evans seinen Kurs beibehalten und seine Metamorphose vom verschwendetem Talent zur britischen Tennis Hoffnung beibehalten kann, wird die Zukunft zeigen. Der heimatverbundene Brummie scheint jedenfalls bereit für den nächsten Schritt zu sein: "Ich kann jetzt guten Geistes aus Birmingham wegziehen. Ich habe immer gesagt, ich würde das nie machen, aber es ist klar geworden, dass es für mein Tennis besser ist"

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