"Ich habe mich längst übertroffen hier"

Roger Federer steht bei den Australian Open 2017 im Halbfinale
© getty

Kaum hatte Roger Federer noch im alten Jahr australischen Boden betreten, da sagte er, der berühmteste aller Tennisprofis, der legendäre Maestro, einen bemerkenswerten Satz über seine kommende Mission down under: "Meine Gegner", so Federer, " wissen nicht, was sie von mir erwarten können." Das war richtig und falsch zugleich.

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Es war richtig, weil Federer nach einem halben Jahr Verletzungspause selbst ein wenig der Orientierung und der klaren Sicht beraubt war - und weil keiner seiner potenziellen Grand-Slam-Gegner es besser wissen konnte als der Meister höchstselbst. Es war aber auch falsch, weil Federer wusste, dass er sich ausreichend Zeit genommen hatte für seine Rückkehr. Und es war erst recht falsch für die Turnierphase der Australian Open, in der Federer sich jetzt befindet, tief drinnen in der zweiten Woche. In einem Moment, da die Umkleidekabinen leerer geworden sind und nur noch ein paar Cracks um den Jackpot spielen, den Gewinnerpokal.

"Jetzt wird es noch ein bisschen cooler"

Jetzt nämlich ist wieder auf Federer Verlass, den Championspieler, Verlass auf seine alten Instinkte, auf die Souveränität des Künstlers, der so oft wie kein zweiter die Bewährungsproben unter großem Druck gestemmt hat. Jetzt ist Federer einfach wieder Federer, sechs Monate Verletzungspause sind abgeschüttelt, vergessen und vorbei. Und mit alter Magie und neuer Centre-Court-Frische stürmte er am Dienstagabend in der Runde der letzten Acht auch an Mischa Zverev vorbei, dem deutschen Überraschungsmann der Australian Open des Jahres 2017.

"Es ist ein cooler Moment für mich. Und jetzt wird es noch ein bisschen cooler", sagte der Schweizer Ästhet nach dem ungefährdeten 6:1,-7:5,-6:2-Sieg, mit dem er zugleich ein rein schweizerisches Halbfinale gegen seinen Freund und Rivalen Stan Wawrinka festschrieb. Der, der vielbeschworene Stan, the Man, der Melbourne-Gewinner des Jahres 2014, untermauerte Titelträume seinerseits eindrucksvoll beim 7:6(2),-6:4,-6:3-Triumph über Frankreichs letzte Hoffnung Jo-Wilfried Tsonga.

Zverev, der Hamburger Junge, hatte seinen großen Tennismoment im Achtelfinale, als er den Frontmann Andy Murray mit einer strategischen Meisterleistung, einer perfekten Balance aus Kontrolle und Aggression, schachmatt setzte. Doch Federer erwies sich, in der Spätphase dieses "Majors", als ganz anderes Kaliber, der wiedererstarkte "Maestro" knallte Zverev serienweise pfeilschnelle Passierbälle um die Ohren - und preschte selbst, wann immer möglich, in die Offensive vor. Bis zum Matchende nach bloß 92 Minuten hatte Federer 65 Gewinnaufschläge aufaddiert, nur ganz wenige Schwächephasen leistete sich der vierfache Familienvater auf dem Weg in sein 41. Grand-Slam-Halbfinale und ins 13. Australian-Open-Halbfinale.

Wawrinkas Kampf gegen den eigenen Karriereunterstützer

Alter schützt vor Klasse und Erfolgen nicht im geringsten: Als betagtester Profi seit dem Amerikaner Arthur Ashe 1978 geht der unverwüstliche Federer nun in der Nachtshow des Donnerstags ins Rennen gegen Wawrinka - also jenen Mann, der in den letzten Jahren sportlich zwar aus Federers Schatten trat, mit jeweils einem Grand-Slam-Erfolg in den Spielzeiten 2014, 2015 und 2016. Der aber gleichwohl nicht heranragen kann (und will) an die Popularität und die charismatische Erscheinung des Älteren, der immer auch ein Idol für ihn geblieben ist. "Ich weiß, wie man Roger schlagen kann", sagte Wawrinka nach seinem selbstbewussten Viertelfinal-Auftritt, "aber ihn dann auch zu schlagen, ist immer noch eine ganz andere Sache."

Federer war über viele Jahre eine Art Aufbauhelfer für den sensiblen, oft zu komplizierten Wawrinka, der nicht den unbedingten, felsenfesten Glauben an den großen Durchbruch in die Weltspitze hatte. Auch seinen ersten bedeutenden Sieg feierte Wawrinka an Federers Seite, das war bei den Olympischen Spielen 2008 in Peking, bei der vergoldeten Olympia-Mission. Seine Beißhemmung gegen Federer konnte der bullige Athlet mit dem enormen Punch lange Zeit nicht überwinden, erst mit dem Viertelfinal-Sieg bei den French Open 2015 hatte er den Über-Vater des Schweizer Tennis einmal am Boden, den eigenen Karriereunterstützer.

"Freue mich, dass er jetzt sein Potenzial so richtig ausschöpft"

Es war ohnehin die Saison, in der einige bis dahin undenkbare Dinge geschahen: Bei der WM in London sorgte das sogenannte Mirka-Gate für Aufregung, damals hatte Federers Frau Wawrinka als "Heulsuse" gescholten, weil der sich über permanente Zwischenrufe aus der Box beschwert hatte. Trotz dieser undiplomatischen, aufsehenerregenden Verwicklungen zwischen den Häusern Federer und Wawrinka waren alle nur eine Woche später wieder ein Herz und eine Seele - beim historischen Davis-Cup-Sieg in Frankreich, dem vielleicht schönsten gemeinsamen Moment in den Karrieren der beiden Schweizer Stars.

Die Kräfteverhältnisse sind andere geworden in jüngster Vergangenheit, keine Frage. Wawrinka, der ewige Zweite, hat schwer aufgeholt gegen Federer, er war ja auch der, der den größten Anteil am Sieg im Mannschaftswettbewerb im Dezember des vorvergangenen Jahres hatte. Die etwas andere Machtbalance hat auch damit zu tun, dass Wawrinka inzwischen auch jene Stärke auszeichnet, die Federer schon immer besaß: In der entscheidenden Phase eines großen Turniers, auf der Bühne eines Grand-Slam-Centre-Courts im Viertelfinale, Halbfinale oder Endspiel, sein bestes Tennis zu spielen. Das Schicksal in die eigenen Hände nehmen, agieren statt zu reagieren und damit in der Verlosung für die Toptitel zu sein. "Er hat eine ganz andere Statur gewonnen", sagt Federer über Wawrinka, "ich freue mich, dass er jetzt sein Potenzial so richtig ausschöpft."

Wawrinka, der härteste Draufschläger des Tennis. Gegen Federer, den Meister der Flexibilität, Finten und Finessen. Es verspricht ein Klassiker zu werden, diese Night-Show am zehnten Turnierabend von Melbourne. Wer kann sein Spiel durchsetzen, wer behält die Nerven? Diese Antwort wird erst auf dem Platz der Rod-Laver-Arena geliefert, in einem Australian-Open-Traummatch, an das vorher niemand geglaubt hatte. Auch nicht Federer: "Ich habe mich längst übertroffen hier", sagt er.

Die Australian Open im Überblick