Maestro Federer siegt als Außenseiter

Roger Federer ist der König von Melbourne und gewinnt einen Fünfsatz-Krimi gegen Rafael Nadal
© getty

Roger Federer ist als "Mozart des Tennis" beschrieben worden. Als Künstler, als "Poet der Centre Courts", als Genie, als Ästhet am Ball. Was viele nie in ihm sahen, einen der zähesten Wettkämpfer seines Sports, einen Mann der Standfestigkeit und mit eisernen Nehmerqualitäten - genau dieser Roger Federer trat am Sonntagabend, auf der Zielgeraden seiner verrücktesten Grand-Slam-Mission, in ganzer Pracht und Herrlichkeit auf.

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1:3 lag Federer im fünften Satz des "Gigantenkampfs von Melbourne" gegen Rafael Nadal bereits zurück, er schien geschlagen und zermürbt vom bulligen mallorquinischen Fighter. Doch so unverdrossen und leidenschaftlich, wie er sich zuletzt mit seinen 35 Jahren an das Comeback nach der längsten Verletzungspause seines Tennislebens gemacht hatte, so störrisch weigerte sich Federer auch in der Hitze des Gefechts, die scheinbar besiegelte Niederlage zu akzeptieren.

Und daher lieferte er schließlich auch die erstaunliche Schlusspointe dieses Turniers der Sensationen und unvorhersehbaren Drehs, war für den dramaturgischen Kniff im Nostalgie-Endspiel verantwortlich: Nicht nur die nächsten fünf Spiele gewann der beeindruckende Fighter Federer mit aller gebotenen Entschlossenheit in Folge, sondern auch die unvergesslichen Australian Open 2017 mit dem 6:4, 3:6, 6:1, 3:6 und 6:3-Sieg über Nadal. Grand Slam-Titel Nummer 18, dem er so lange als Favorit und Mitkandidat auf die Höchstpreise im Tennis nachgejagt war - nun holte er ihn als dezenter und doch unübersehbarer Außenseiter, als Nummer 17 der Welt.

"Tennis ist brutal, es gibt nur einen Sieger"

"Es ist eine unglaubliche Geschichte", sagte Federer nach seinem finalen Entfesselungsakt, den er im 100. Australian Open-Match auf dem Centre Court festschrieb. Rod Laver-Arena heißt dieser Hauptplatz in Melbourne offiziell, und jener Rod Laver, Australiens Legende und Federers Idol, war es auch, der den glückstrunkenen und zu Tränen gerührten Eidgenossen mit dem Siegerpokal beschenkte. Federer, ganz der Gentlemen, der er ist, vergaß in all seiner augenblicklichen Freude nicht den Mann, der dieses Finale zu einem Klassiker gemacht hatte, zu einer faszinierenden Leistungsschau der alten, ewigen Meister - Rafael Nadal: "Er hätte es genau so verdient gehabt", sagte Federer, "Tennis ist brutal, es gibt nur einen Sieger. Aber heute wäre ich auch mit einem Unentschieden zufrieden gewesen."

In den allerletzten Sekunden hatten sich Spannung und Aufregung noch einmal verdichtet: Federer vergab den ersten Matchball etwas leichtfertig, ehe dann beim zweiten Siegpunkt das "Hawk-eye"(das elektronische Linienüberwachungssystem) Schicksal spielte. Ein paar bange Augenblicke starrten alle auf die Anzeigetafeln, dann wurde Federers Schlag gut gegeben. Und dann war es auch um die Beherrschung des Magiers geschehen: Erst hob er zum Luftsprung ab, ballte danach die Fäuste und sank schließlich mit einem langgezogenen, lauten "Yeeeees" hinab auf die Erde - Bilder und Szenen des kompletten, vollständigen Glücks.

Dass er viereinhalb Jahre nach seinem letzten "Major"-Sieg noch einmal eine Grand-Slam-Anstrengung mit dem Pokaltriumph abschließen würde, hatten viele in der Branche Federer nicht mehr zugetraut - schon gar nicht, nachdem er in der Saison 2016 wie nie zuvor mit härtnäckigen Verletzungsproblemen konfrontiert war. Nach dem Wimbledon-Aus erwies sich Federer allerdings wieder einmal als heller strategischer Kopf - statt eines holprigen Weiter-So-Lavierens in dem verfluchten Tennisjahr machte der Maestro einen radikalen Schnitt und verfügte eine Zwangspause.

Sechs Monate nahm er sich Zeit, um wieder zu Kräften zu kommen, um Körper, aber auch Geist aufzuladen. Relativ gelassen und ohne Entzugserscheinungen schaute er zu, wie seine Kollegen um die olympischen Medaillen, den US-Open- und später noch den WM-Titel spielten. "Hätte ich nicht so lange ausgesetzt, könnte ich jetzt wahrscheinlich keinen Topspieler mehr schlagen", sagte Federer in den letzten Tagen einmal in Melbourne, "es war harte Arbeit, dieses Comeback. Aber auch eine Kur für den Körper."

"Ich habe nie lähmenden Druck bei diesem Turnier verspürt"

Geschenkt wurde dem sentimentalen Publikumsfavoriten allerdings nichts. Zwei vergleichsweise angenehme Auftaktmatches gaben ihm Gelegenheit, seine Wettkampftauglichkeit abzuklären, Vertrauen in die Schläge und die körperliche Belastbarkeit zu finden. Doch bis zum Titelstreich hatte er Schwerstarbeit zu leisten, der Künstler und der Malocher in Federer waren gleichermaßen gefragt, als es gegen Top-10-Spieler wie Tomas Berdych, Kei Nishikori und erst recht seinen Landsmann Stan Wawrinka ging. Federer brillierte dabei auch alterslos und wie in Zeiten der größten Tennis-Dominanz in seiner Paraderolle - als Mann der Big Points, als einer, der in entscheidenden Momenten volles Risiko geht. Und nicht auf Fehler seines Gegenübers wartet. "Ich habe nie lähmenden Druck bei diesem Turnier verspürt", sagte Federer, "ich wäre ja auch glücklich gewesen, wenn ich zwei, drei Runden und etwas Selbstbewusstsein mitgenommen hätte."

Doch Federer musste seine Hoffnungen auf bessere Resultate, den Traum gar von spätem Grand-Slam-Ruhm erst gar nicht auf ein ungewisses Morgen vertagen. Er schaffte das eigentlich Unmögliche im Hier und Jetzt, in Melbourne, wo er schon vier Mal mit dem Titel im Gepäck nach Hause gefahren war. Nummer fünf bei den Australian Open - und damit Nummer 18 auf allen kostbaren Grand-Slam-Schauplätzen - hielt indes noch die für Federer stets heikelste Karriere-Aufgabe bereit, den Schlagabtausch mit Rafael Nadal, der Kampfmaschine aus Manacor.

Dessen Attitüde, nie, nie, niemals aufzugeben, führte Federer im Finale dann aber selbst in Perfektion vor - in jener Schlusssequenz vom 1:3 zum 6:3 im letzten Satz. Vielleicht war diese verblüffende Wendung auch der Grund dafür, dass Nadal später dieses Endspielfazit zog: "Roger hat es etwas mehr verdient als ich." Nadal, auch in der Niederlage wieder einmal ein Vorbild an Fairness und Charakterstärke, wirkte in diesen Minuten nach dem Knockout schwer angeschlagen, kaum jemals blickte er enttäuschter und grimmiger drein. Und auch Federers Worte, die Worte des nun ältesten Australian-Open-Siegers seit Ken Rosewall 1972, konnten ihn akut nicht trösten: "Ich bin sicher, dass Du noch große Siege feiern wirst. Mach weiter so, das Tennis braucht dich."

Aber das Tennis braucht auch noch Federer. Und er das Tennis. Bei seiner Schlussansprache ließ er aufhorchen, als er vom nächsten Turnier sprach, von Melbourne 2018. Er freue sich, zum Turnier zurückkehren, sagte Federer, fügte dann aber hinzu, "aber wenn nicht, dann war es eine herrliche Sache hier über all die Jahre." Das rückte er später, bei seinem Stafettenlauf durch Pressesäle und Fernsehstudios, aber wieder gerade und zurecht. Man wisse nie, "was alles geschieht", sagte Federer, "das habe ich im letzten Jahr ja mehr als einmal erlebt. Außerdem wird man ja nicht jünger." Allerdings sei seine Planung darauf ausgerichtet, noch zwei, drei Jahre zuspielen.

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