Barbara Rittner im tennisnet-Interview: "Ein deutsches Wimbledon-Finale wäre der Wahnsinn"

Von Ulrike Weinrich
Barbara Rittner, Wimbledon
© getty

Barbara Rittner, Head of Womens' Tennis im DTB, spricht im tennisnet-Interview über die Magie des heiligen Rasens, ein mögliches deutsches Wimbledon-Finale sowie die besonderen Eigenschaften von Angelique Kerber und Julia Görges.

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Von Ulrike Weinrich aus Wimbledon

tennisnet: "Wie überrascht sind Sie, dass in Wimbledon erstmals seit 1931 zwei deutsche Frauen im Halbfinale stehen?"

Barbara Rittner: "Ich bin super happy. Vor dem Turnier habe ich eine Einschätzung zu den Chancen von allen deutschen Spielerinnen abgegeben. Und über Angie und Jule habe ich gesagt, dass ich bei ihnen wirklich alles für möglich halte. Bei Angie sowieso, da hatte ich schon nach ihrem starken Saisonstart getippt, dass sie in diesem Jahr Wimbledon gewinnt. Bei Jule wusste ich auch: Sie kann auf jedem Belag gut spielen. Und die Zeit ist reif, dass sie belohnt wird und für sie bei einem Grand-Slam-Turnier einmal alles zusammenpasst. Also ganz nüchtern betrachtet und angesichts der momentanen Situation in der Damen-Szene bin ich gar nicht so überrascht, dass unsere Beiden da ganz vorne mitmischen."

Die Chancen auf ein deutsches Finale: "50:50"

tennisnet: "Julia Görges ist selbst ein wenig baff, dass ihr der ganz große Major-Durchbruch ausgerechnet in Wimbledon gelang, nachdem sie dort zuletzt fünf Erstrundenpleiten in Folge kassiert hatte. Sind Sie das auch?
Barbara Rittner: "Dass es bei Jule gerade in Wimbledon passiert ist, überrascht mich nicht wirklich. Obwohl die größte Wahrscheinlichkeit, weit zu kommen, wäre aus meiner Sicht in Paris gewesen. Weil ich finde, dass ihr Spiel mit dem starken Spin, den nicht viele beherrschen, auf Sand vielleicht noch wirkungsvoller ist. Aber nachdem Jule zuletzt schon so konstant gut aufgeschlagen hat und mittlerweile auch ihr Spiel auf Rasen gefunden hat, passt jetzt hier. Dazu kommt, dass sie ein super Netzspiel hat, was sie sich in all den Doppelpartien der letzten Jahre angeeignet hat."

tennisnet: "Wie hoch stehen die Chancen auf ein deutsches Finale?"
Barbara Rittner: "Ich würde sagen: 50:50. Jelena Ostapenko ist bisschen unberechenbar, aber da sehe ich Angie vorne. Beim anderen Halbfinale zwischen Serena Williams und Jule wird es darauf ankommen, wie sie mit der Situation klar kommt, auf dem Centre Court zu spielen. Dazu kommt das Bewusstsein, dass es das erste Halbfinale von Görges bei einem Grand-Slam-Turnier ist. Sie hat ja jetzt einen Tag Zeit, das zu verinnerlichen und darüber nachzudenken. Ich denke, es wird ein enges Match - und dann muss Jule in kritischen Situationen ausblenden, dass es wirklich um ein Wimbledon-Finale geht. Und ich finde, das ist das Schwierige an der Situation. Serena Williams hat ihr die Erfahrung voraus. Genau wie Kerber im Viertelfinale diese Portion mehr Erfahrung gegenüber Daria Kasatkina hatte."

"Sabine Lisicki war von den Emotionen im Finale 2013 überfordert"

tennisnet: "Was muss Julia Görges tun, um Serena Williams diesmal zu knacken?"

Barbara Rittner: "Ich glaube, dass Jule in der Form, in der sie momentan ist, nichts Besonderes machen muss. Sie sollte natürlich gut aufschlagen und ihr bestes Tennis spielen, aber das musste sie ab einem gewissen Stadium in diesem Turnier schon. Und sie hat es in beeindruckender Manier getan. Zum Beispiel im Achtelfinale gegen Barbora Strycova, das war ein hochklassiges Match. Und auch gegen Kiki Bertens im Viertelfinale, es war Wahnsinn. Dieses Niveau muss Jule halten."

tennisnet: "Welche Rolle spielt das Mentale?"

Barbara Rittner: "Entscheidend wird sein, dass sie mit dem Finale vor Augen trotzdem ruhig bleibt und nicht hektisch wird. Das ist der Schlüssel. Aber es ist einfacher gesagt als getan, denn diese Emotionen können einen schon einholen und erdrücken. Das war zum Beispiel bei Sabine Lisicki 2013 so, als sie im Finale von Wimbledon gegen Marion Bartoli gespielt hat. Von der Situation, so etwas noch nicht erlebt zu haben, war Sabine damals überfordert. Und damit konnte Bartoli besser mit umgehen."

"Jule kann Serena Williams schlagen"

tennisnet: "Ist Serena Williams nach ihrer Babypause und ihrem Comeback schon wieder die alte?"
Barbara Rittner: "Nein. Das kann sie noch nicht sein. Serena hat noch nicht wieder die Fitness, die sie einmal hatte. Aber das ist verständlich nach der Geburt ihrer Tochter im vergangenen September. Aber Williams hat sich gegenüber Paris schon wahnsinnig weiterentwickelt und einfach auf Rasen dieses durchschlagende Spiel. Sie lässt sich nicht auf lange Ballwechsel ein. Allerdings hat man gesehen, dass Serena im Viertelfinale gegen Camila Giorgi zu kämpfen hatte. Und Jule ist eine, die einen Tick besser aufschlagen kann. Sie muss ihr bestes Tennis spielen, dann kann sie eine Serena Williams schlagen."

tennisnet: "Für viele ist Angelique Kerber die Topfavoritin auf den Titel - für Sie auch?

Barbara Rittner: "In einem Match gegen Ostapenko kann vieles passieren. Wenn die junge Lettin einen Lauf hat, dann wird es für jede Gegnerin schwer. Wenn ich mich festlegen sollte, würde ich die Siegchance von Angie auf 70:30 beziffern. Diesmal nicht aufgrund der Erfahrung oder der Coolness, denn die hat Ostapenko als French-Open-Siegerin von 2017 auch. Sie ist sowieso eine relativ respektlose und kaltschnäuzige Dame. Aber Angie ist die solidere Rasenspielerin. Ich glaube, dass Kerber in zwei knappen Sätzen die Nase vorne haben wird."

"Für Angie ist Wimbledon das absolute Highlight"

tennisnet: "Welche Bedeutung hat aus Ihrer Sicht ein Titelgewinn in Wimbledon - im Vergleich zu einem in Melbourne, Paris oder New York?"

Barbara Rittner: "Wimbledon kennt irgendwie jeder. Auch wenn die vier Grand Slams vermeintlich auf einer Linie stehen, ist Wimbledon doch dieses besondere und herausstechende Turnier. Ich glaube, für Angie ist Wimbledon das absolute Highlight. Bei Jule war es immer so ein bisschen Paris. Ich glaube, Wimbledon ist einfach das traditionsreichste und weltweit bekannteste Tournament. Selbst die Leute, die nichts mit Tennis zu tun haben, kennen es."

tennisnet: "Welche Auswirkungen hätte ein deutsches Frauen-Finale?"
Barbara Rittner: "Es wäre der Wahnsinn, wenn das passiert. Ich persönlich könnte gar nicht hinschauen und hätte wahrscheinlich nonstop Gänsehaut. Es wäre für beide eine Riesenchance. Ich denke, Angie hätte ganz klar einen Vorteil, weil sie eben vor zwei Jahren schon einmal in einem Wimbledon-Endspiel stand. Und dort ein unglaublich gutes Match gegen Serena Williams gezeigt hat."

Ein rein deutsches Finale? "Das wäre für Jule und Angie schwierig"

tennisnet: "Wie herausfordernd wäre ein direktes Duell für Kerber und Görges, die gut befreundet sind?"

Barbara Rittner: "Es wäre für beide sicher schwierig, denn es wird kaum möglich sein, sich einzureden, dass es ein normales Spiel ist. Die Mädels respektieren und mögen sich, sie trainieren auch gerne miteinander. Jeder gönnt der anderen den Erfolg. Beide haben lange nicht gegeneinander gespielt, haben auch völlig verschiedene Spielanlagen. Jule lebt von ihrem dominanten Aufschlag, Angie von ihrem Konterspiel. Da spielt Selbstvertrauen und innere Ruhe eine Rolle. Auch da würde ich aufgrund der Erfahrung Angie normalerweise einen Tick vorne sehen."

tennisnet: "Sie kennen Kerber und Görges schon ziemlich lange. Haben Sie ein paar nette Anekdoten zu erzählen...?"
Barbara Rittner: "Wenn ich an meine erste Begegnung mit Angie denke, das war schon beeindruckend. 2004 war sie zu einem Sichtungslehrgang in Hannover eingeladen. Und sie kam später, weil sie noch bei einem 25.000er-Turnier im Finale stand. Ich selbst war damals noch ganz gut im Schlag. Ich dachte mir also: Okay, dann spiele ich mit Kerber allein. Aber Angie hat eine halbe Stunde keinen einzigen Fehler gemacht. Sie ist generell eine, die mir sehr nah ist. Ich mag ihr Trotzköpfchen, das manchmal durchkommt. Da haben wir eine gewisse Ähnlichkeit."

"Jule guckt, dass es den anderen gut geht"

tennisnet: "...und was zeichnet Julia Görges außerhalb des Courts aus?"

Barbara Rittner: "Jule ist einfach eine, die total hilfsbereit ist, die auch guckt, dass es den anderen gut geht. Und sie ist die Technikerin im Fed-Cup-Team. Wenn irgendwo ein Fernseher angeschlossen werden muss, Jule weiß, wie es geht. Mit ihr und Angie kann man offen und ehrlich diskutieren. Es sind zwei starke Persönlichkeiten, die sich beide weiterentwickelt haben. Das zu sehen, ist ganz toll. Sie sind immer professioneller geworden. Und beide können sagen: Wir haben das Beste rausgeholt. Und: Jules Mama macht den besten Schokokuchen."

tennisnet: "Was war Ihr prägendster Moment mit Kerber und Görges zusammen?"

Barbara Rittner: "Das war 2014, als wir im Fed-Cup-Halbfinale in Australien gewonnen haben. Damals waren auch noch Andrea Petkovic und Anna-Lena Grönefeld dabei. Wir haben alle zusammen in der Umkleide getanzt. Das war ein Moment, der mich schon sehr berührt hat."

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