Tommy Haas: "Tennis in Sachen Druck eine der härtesten Sportarten"

Von Ulrike Weinrich
Tommy Haas
© getty

Tommy Haas spricht im exklusiven tennisnet-Interview über Druck, die Sperenzien von Cristiano Ronaldo, den Unterschied zwischen Tennis und Fußball sowie glorreiche Rasen-Zeiten.

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Von Ulrike Weinrich aus Wimbledon

tennisnet: "Tommy Haas, die deutsche Nationalmannschaft ist ausgeschieden, aber die WM läuft noch. Wie sehr schlägt Ihr Herz generell für den Fußball-Sport?"

Tommy Haas: "Es ist manchmal schwierig, das alles zu verfolgen, weil ich oft in den USA bin. Aber ich versuche, so viele Champions-League-Matches wie möglich zu schauen. Mich interessiert Bayern München - und ich bin als gebürtiger Hamburger natürlich auch ein bisschen HSV-Fan..."

tennisnet: "Da hatten Sie zuletzt nicht viel zu lachen..."

Tommy Haas: "Tja, der Abstieg - und dann zum ersten Mal. Aber es war auch irgendwie an der Zeit, wenn man bedenkt, wie viel Glück der HSV in den letzten Jahren hatte. Trotzdem ist es traurig."

Haas: "Ich hätte nie Fußballprofi werden können"

tennisnet: "Wie sehr fiebern Sie mit einzelnen Mannschaften mit?"

Tommy Haas: "Ich bin schon ein Sportfan und schaue mir viel an: Fußball, American Football, Basketball - auch gerne Golf. Allerdings bin ich kein verrückter Anhänger, der mit Jersey rumrennen müsste. Ich kenne andererseits auch ein paar Fußball-Nationalspieler, die tennisbegeistert sind.

tennisnet: "Bedauern Sie es, Tennisspieler geworden zu sein, wenn Sie die vollen Fußball-Stadien in der Bundesliga oder bei einer WM sehen?"

Tommy Haas: "Nein, bei mir war von Anfang an klar, dass ich Tennisprofi werden wollte. Das war immer mein Sport - und ich bin zufrieden, dass ich es gemacht habe. Ich spiele gerne Fußball, aber nicht so gut, als dass ich Profi hätte werden können."

"Tennis ist in Sachen Druck eine der härtesten Sportarten"

tennisnet: "Rafael Nadal ist als exzellenter Fußballer bekannt. Was glauben Sie, wie weit hätte er es als Profi bringen können, 2. Liga vielleicht?"

Tommy Haas: "Ich denke, Rafa hätte sogar höher spielen können. Wenn man seine Familie sieht, mit dem Onkel, der beim FC Barcelona aktiv war. Er hätte sicher auch diesen Weg einschlagen können, denn er ist ein Topathlet. Und viel Touch hat er ja, keine Frage."

tennisnet: "Wenn man den Druck vergleicht, der auf Tennisprofis und Fußballprofis lastet, wie fällt dann ihr Urteil aus?"

Tommy Haas: "Es ist ein anderer Druck. Jeder Sportler macht sich selbst Druck und will gewinnen und erfolgreich sein. Tennis ist in dieser Beziehung eine der härtesten Sportarten, die ich kenne. Ich glaube, da kann man nicht drumherum reden. Ich denke, es gibt keinen anderen Sport, ähnlich wie beim Boxen eben, wo du allein draußen bist und keinen Coach hast, keine Auszeit. Und wo man versuchen muss, seinen eigenen Weg zu finden, um zu gewinnen."

tennisnet: "Das hört sich logisch an..."

Tommy Haas: "Du kannst nicht auf Zeit spielen. Ich habe auch oft schon Matches gegen Topspieler geführt und konnte nicht sagen, wenn ich meinen Aufschlag einmal halte oder von den nächsten zehn Punkten acht gewinne, dann kommt der Abpfiff und ich habe gewonnen. Du musst auch den letzten Punkt machen."

"Im Tennis muss man extrem viel können, um gut zu sein"

tennisnet: "Tennis hält also viele Herausforderungen bereit...?"

Tommy Haas: "Ja. Auch was das Talent angeht oder von der Athletik her - und dem Ballgefühl. Du musst Rückhand, Vorhand und Aufschlag beherrschen. Du kannst nicht irgendwie nur in der Defensive spielen, das reicht nicht. Man muss extrem viel können, um gut zu sein. Klar gibt es auch andere anspruchsvolle Sportarten, und jeder ist seinem Sport ein Vollprofi, aber Tennis ist schon ganz weit oben."

tennisnet: "Jetzt die fußballerische Glaubensfrage: Cristiano Ronaldo oder Lionel Messi?"

Tommy Haas: "Was Cristiano Ronaldo in den letzten Jahren geleistet hat, ist unglaublich, phänomenal. Dreimal in Folge die Champions League zu gewinnen, das ist groß. Auch seine Ausstrahlung und dieses Selbstbewusstsein, das ist Wahnsinn. Auch ein Messi ist ein Supertalent. Wenn ich mir als Trainer einen der Beiden als Neuzugang wünschen könnte, wäre ich schon zufrieden. Aber momentan würde ich wahrscheinlich Ronaldo nehmen."

"Die Art von Nadal auf dem Court kann man mögen - oder nicht"

tennisnet: "Nervt Sie das Gehabe von Ronaldo nicht - zum Beispiel, wie er sich vor den Freistößen aufplustert?"

Tommy Haas: "Man darf nicht vergessen, dass jeder seine Art hat, Fußball zu spielen und das Beste rauszuholen auf dem Platz. Die Art von Rafa Nadal auf dem Court kann man mögen oder nicht, aber er spielt einfach geniales Tennis. Und da schaut man gerne zu. Und wenn Ronaldo zum Freistoß hingeht oder irgendetwas macht...Fakt ist: Einen besseren Fußballer gibt es einfach im Moment nicht."

tennisnet: "Sie sehen ihm also die Sperenzien nach?"

Tommy Haas: "Es gibt eben gewisse Rituale, die ein Spieler hat. Und Ronaldo weiß dann auch selbst: 'Achtung, jetzt kommt wieder mein Markenzeichen. Und dann versuche ich diesen Ball reinzumachen'. Mit diesem Selbstbewusstsein und diesem Stolz gelingt ihm das - es ist schon unglaublich. Ich sehe das also eher so und frage mich nicht: Nervt das - oder nicht? Ich sehe, wie unfassbar gut er ist. Er ist ein 'Game Changer", und das gibt es nicht so oft."

Rasentennis? "Keiner kann sich vorstellen, wie schnell das mal war"

tennisnet: "Dürften Ihre beiden Töchter Fußball spielen?"

Tommy Haas: "Klar dürften sie das. In den USA ist Fußball bei den Mädchen sehr beliebt. Sie spielen schon einmal die Woche Tennis, gehen zur Gymnastik und tanzen."

tennisnet: "Ihr langjähriger Manager Edwin Weindorfer ist der Turnierdirektor beim Mercedes Cup und den Mallorca Open - beides sind Grasturniere. Derzeit schlägt das Tennisherz in Wimbledon. Was hat sich in Sachen Rasentennis in den vergangenen Jahren verändert?"

Tommy Haas: "Ich habe mich zuletzt erst mit Michael Stich bei den Gerry Weber Open in Halle/Westfalen darüber unterhalten. Es kann sich keiner vorstellen, wie schnell Rasentennis mal war. Wie ein Milos Raonic heute teilweise aufschlägt, den hätte zu Ivanisevic-Zeiten keiner breaken können. Das wäre früher fast unmöglich gewesen. Die Bälle sind so riesengroß mittlerweile, man kann auch gute Ralleys von der Grundlinie haben und noch vielen Bällen hinterherlaufen. In den Neunziger Jahren, als ich angefangen habe, da war es auf Rasen schon eine tolle Ralley, wenn du den Ball drei, viermal hin- und hergespielt hast."

"Bei den Becker/Ivanisevic/Edberg-Matches ging es schon richtig zur Sache"

tennisnet: "Hatte Rasentennis früher einen größeren Reiz?"

Tommy Haas: "Ich würde es gut finden, wenn es ein Turnier gäbe, bei dem es noch so wie früher ist. Einfach nur, damit man weiß: So war es damals. Eben so richtig schnell. Wenn der Return überhaupt zurückkam, war er schon gut. Wenn dann der Volley in die Ecke gespielt wurde, gab es keinen Weg mehr, ihn zurückzuspielen. Bei den Becker/Ivanisevic/Edberg-Matches ging es schon richtig zur Sache. Von hinten zu spielen, das war teilweise unmöglich. Die Bälle sind mittlerweile größer und langsamer geworden. Und durch den Rasen, den sie heute benutzen, wie sie ihn schneiden und verlegen...der Ball springt einfach viel höher ab."

tennisnet: "Sie sind seit ein paar Monaten Ratgeber von Lucas Pouille. Wie würden Sie Ihre Aufgabe beschreiben?"

Tommy Haas: "Ich bin eine Art Berater und eben einer, der seine gesammelten Erfahrungen an ihn weitergibt. Lucas hat ein gutes Potenzial, er war ja schonmal kurz in den Top Ten. Er kann sich noch stark verbessern. In den letzten Monaten hat Lucas nicht so gut gespielt und versucht momentan, wieder Anschluss zu finden. Und ich will ihm dabei helfen."

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