"Vielleicht ist das mein Moment"

Drei Siege benötigt Kristina Mladenovic in Paris noch für den großen Coup
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Kristina Mladenovic steht unter den letzten acht Damen in Paris. Mit der Unterstützung des Publikums und einem Alleinstellungsmerkmal in den vorderen Regionen der WTA-Weltrangliste: ohne Coach.

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Wenn Kristina Mladenovic sagt, dass Roland Garros ihr "zweites Zuhause" sei, dann könnte man das als leicht abgedroschenes Pathos abtun. Vielleicht auch als übliche Anbiederung an die französischen Fan-Bataillone. Doch es ist schlicht und ergreifend die Wahrheit. Denn wenn die 24-jährige Blondine in diesen Grand-Slam-Tagen über die Turnieranlage im Westen von Paris marschiert, könnte sie es auch "mit verbundenen Augen tun", schließlich lebte und trainierte sie hier seit dem zwölften Lebensjahr als gefördertes Tenniskind, als Topjuniorin: "Ich kenne hier praktischen jeden Weg, jedes Sandkorn", sagt der neue Star der "Grande Nation". Jene Frau, die das kapriziöse Heimpublikum spätestens nach ihrem Achtelfinal-Erfolg über die letztjährige Pokalgewinnerin Garbine Muguruza wieder einmal von einem französischen Titel im Frauenwettbewerb träumen lässt.

Mladenovic, von allen nur Kiki genannt, könnte einer Siegerin nachfolgen, der sie im Habitus, im sportlichen Auftritt und der Ausstrahlung nicht unähnlich ist, nämlich der 2000er-Gewinnerin Mary Pierce. "Kiki ist eine echte Persönlichkeit. Eine Spielerin, die die Fans mitnimmt und magnetisch anzieht", sagt der neue französische Verbandspräsident Bernard Guidicelli. Am Dienstag trifft Mladenovic im Viertelfinale auf die starke Schweizerin Timea Bacsinszky, die nach einem Sieg über Venus Williams wie in den beiden Jahren zuvor in die Runde der letzten Acht vorstieß.

Sportliches Erbgut

Mladenovic, eine der schillerndsten Bühnenfiguren im Frauentennis der Gegenwart, auch mit leichtem Hang zum Diventum, stammt aus einer mehr als sportverrückten Familie. Ihr Vater Dragan gewann einst noch für Jugoslawien Olympia-Gold im Handball, ihre Mutter gehörte zu den besten Volleyballerinnen des Landes, und ihr jüngerer Bruder Luka spielt inzwischen Fußball für den französischen Viertligisten Calais RUFC. Doch die größten Ambitionen und Schlagzeilen gehören im Hier und Jetzt der aufstrebenden Kiki, die sich in einem offenen French Open-Feld plötzlich und tatsächlich ernsthafte Chancen auf den großen Coup ausrechnen darf. Nach dem Ausscheiden von Muguruza und Venus Williams ist keine Spielerin mehr im Tableau, die auf dem Terrain von Roland Garros schon einmal gesiegt hat. "Mit den Fans im Rücken ist Kiki alles zuzutrauen", sagt Tennislegende Martina Navratilova.

Auch die Schweizerin Bacsinszky wird zu spüren kommen, was es heißt, gegen eine geliebte Lokalmatadorin antreten zu müssen - so wie Muguruza, die vom Tennis-Chauvinismus der "Parisiens" so zermürbt wurde, dass sie später auch entnervt eine Pressekonferenz tränenreich abbrechen musste. Mladenovic, selten um Drama und klare Aussagen verlegen, ließ der Zusammenbruch der Titelverteidigerin indes kalt: "Das ist Teil des Sports. Als ich in Stuttgart im Finale gegen Laura Siegemund stand, war alles viel schlimmer. Aber ich habe mich nicht beklagt darüber." Mladenovic weiß und genießt, dass sie inzwischen auch international im Rampenlicht steht, genauer beobachtet wird, ganz nach dem Motto, das sie selbst so beschreibt: "Alle denken auf einmal: Warum nicht sie? Warum nicht Mladenovic als große Siegerin. Und das mag ich."

Emotionale Schütteltour

Mladenovic ist nicht nur eine Königin der Spannungsmomente, eine, die gern und andauernd alle Höhen und Tiefen durchmisst. Sie ist auch eine Spielerin, die mit dem Drama zu spielen scheint, die Thrill geradezu anzieht - auch dabei ganz in der Tradition der letzten heimischen Gewinnerin Mary Pierce. Die 24-jährige kostet jede Sekunde auf den großen Courts aus, allerdings wirkt sie dabei nicht so gestelzt und manieriert wie Vorgängerin Pierce. In der ersten Turnierwoche nahm Mladenovic ihre Fans schon auf eine reichlich nervenzehrende Achterbahnfahrt mit, eine emotionale Schütteltour der besonderen Art. In der ersten Runde korrigierte sie einen kaptalen Fehlstart gegen die Amerikanerin Jennifer Brady noch, siegte im dritten Satz mit 9:7. In Runde 3 schien bereits alles verloren, als Mladenovic gegen US-Girl Shelby Rogers im Entscheidungsakt mit 2:5 ins Hintertreffen geraten war. Aber wenig ist unmöglich für Le Kiki bei diesem Turnier, so schaffte sie nach einer fabelhaften Aufholjagd noch die 8:6-Wende, spielte sich damit zum Duell mit Muguruza vor. Und steht nun, nach einem weiteren Triumph, bereits im Viertelfinale. "Wer weiß, vielleicht kann das mein Turnier, mein Moment werden", sagt Mladenovic.

Bemerkenswert genug: Die 24-jährige kommt bei ihrer Titelmission ohne Trainer aus, zu Serienbeginn hatte sie sich von ihrem langjährigen Übungsleiter Georges Goven getrennt. Abgehalten hat sie das nicht von ihrer schon jetzt besten Karriere-Saison. Im Februar gewann sie ihren ersten Titel überhaupt, im russischen St. Petersburg. Außerdem erreichte sie die Finals in Acapulco, Stuttgart und Madrid. "Ich bin eine sehr anspruchsvolle Person, eine Perfektionistin", sagte sie kürzlich der "New York Times", "ich brauche nicht jemanden, der mir dauernd die gleichen Vorträge hält. Im Tennis weiß ich am besten über meine Stärken und Schwächen Bescheid." Auch in Paris ist sie nun als Solistin unterwegs, als Grand-Slam-Alleinunternehmerin. Aber dabei getragen von einer Welle der Sympathie der ganzen Tennis-Nation. Einer hungrigen Tennis-Nation, die endlich wieder einen großen Titel für eine Französin will. "Es wäre die Erfüllung meines größten Traums, wenn ich es schaffen könnte", sagt Mladenovic.

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