Auf der Suche nach Lösungen

Ratlos in Paris: Angelique Kerber
© getty

Angelique Kerber weiß, dass sich etwas ändern muss. Kann ihr ein Supercoach helfen? Boris Becker jedenfalls macht sich dafür stark und bringt erneut Steffi Graf ins Spiel.

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Es gab sie auch an diesem Tag, eine richtige Wohlfühl-Story auf dem Centre Court. Petra Kvitova, die Tschechin, war die Hauptperson dieser French Open-Geschichte, vor fünf Monaten war sie daheim in ihrer Wohnung überfallen worden, schwer mit einem Messer an der Hand verletzt hatte sie ein Einbrecher. Anfangs war sogar unsicher, ob sie je wieder Tennis würde spielen können.

Doch an diesem 28. Mai stand sie stolz und glücklich auf dem Roten Platz von Paris, als allererste der großen Namen, es war ein emotional aufgeladenes Comeback der ganz besonderen Art. Erst recht, weil Kvitova auch noch gegen die Amerikanerin Julia Boserup siegte, überzeugend in zwei Sätzen. Später sagte sie unter Tränen: "Wenn man Herz hat, ist alles möglich."

Paris 2017: Höhepunkt einer Krise

Danach schritt dann Angelique Kerber auf den Centre Court, im zweiten Tagesmatch. Und wer Kvitovas Worte noch im Kopf hatte, der dachte sich schon früh in der Partie der Deutschen gegen die Russin Elena Makarowa, dass mit Zweifeln und Beklemmungen vieles unmöglich ist. Kerber verlor am Ende eines überwiegend aussichtslosen Kampfes schließlich 2:6 und 2:6, wie im vorigen Jahr war der erste Auftritt unterm Eiffelturm auch schon der letzte.

Doch trotzdem war vieles anders bei dieser Vorstellung, bei dieser Roland Garros-Auflage. 2016 war der Pariser Fehlschlag ein Patzer, ein Ausrutscher, ein Schönheitsfehler in einer ansonsten großartigen Saison, selbst auf dem ungeliebten Sand hatte Kerber damals ein Achtungs- und Ausrufezeichen gesetzt, mit dem Heimsieg in der Stuttgarter Porsche Arena. Nun indes war der Erstrunden-Knockout der Höhepunkt einer Krise, die schon seit vielen Wochen und Monaten schwelt. "Ich bin in einem Tief, die Enttäuschung jetzt ist schon groß", befand Kerber.

Boris Becker: "Es muss etwas passieren"

Kerber hat in diesem Jahr noch kein Turnier gewinnen, trotzdem ist sie gerade wieder die Nummer 1 der manchmal seltsam anmutenden Weltrangliste. Aber diese Zahl, diese offizielle Position in der Hackordnung des Welttennis hat ja nichts mit dem zu tun, was die 29-jährige Kielerin zurzeit leistet. Kerber zehrt (noch) von den dicken Punktepolstern des Vorjahres, auch von der Finalteilnahme in Wimbledon oder dem US Open-Sieg.

Aber all das steht demnächst zur Verteidigung an, und bleibt es bei der Formkrise der Deutschen, dann wird zwangsläufig ein tiefer Sturz aus den Höhen der Rangliste folgen, hinaus vielleicht auch aus den Top Ten. "Es muss jetzt etwas passieren, so kann es nicht weitergehen bei ihr", sagte Experte Boris Becker in Paris, "wichtig ist jetzt: eine schonungslose Manöverkritik, man muss sich alles ins Gesicht sagen, was falsch läuft."

Kann ein Supercoach helfen?

Becker, der Eurosport-Kommentator, betrachtete sich das Geschehen am Eröffnungs-Sonntag mit ebenso geschultem wie unbarmherzigem Blick. Er sah eine Angelique Kerber, die einen Satz lang überhaupt keine Präsenz auf der Topbühne der French Open zeigte, ohne Mumm und Mut, ohne Leidenschaft und Courage. "Echte Hingabe sieht anders aus", mäkelte Becker. Erst im zweiten Satz, ganz am Ende, zeigte Kerber Haltung und Widerstand, sie hätte mit ein bisschen mehr Glück sogar noch etwas drehen und wenden können. Doch nach sieben vergebenen Breakbällen zum 3:5 war dann alles aus und vorbei, die Erstrunden-Pleite besiegelt.

Ein unwillkommen historisches Gastspiel war es auch: Denn nie zuvor in der modernen Turniergeschichte der French Open war eine Nummer 1 in Runde 1 ausgeschieden, überhaupt war das im Frauentennis erst fünf Mal in der Profiära bei einem Grand Slam-Turnier passiert. "Vielleicht braucht sie wirklich einen Supercoach, jemanden mit einer neuen Herangehensweise auch", sagte Becker und brachte noch einmal den Namen Steffi Graf ins Spiel, "ihr Mann ist ja auch wieder im Geschäft. Das paßt doch."

Auf der Suche nach der Leichtigkeit

Wobei ja immer noch die große Frage, das große Rätsel ist, was eigentlich Kerbers Problem ist. Eigentlich könnte sie eine der zufriedensten Menschen in diesem Wanderzirkus sein, sie hat im letzten Jahr einen formidablen Aufstieg erlebt und mehr gewonnen, als ihr die meisten, sie sich selbst eingeschlossen, jemals zugetraut hätten. Doch statt die Dinge gelassen anzugehen, im guten Gefühl des Erreichten, wirkt die Norddeutsche ständig so, als müsse sie noch immer aller Welt beweisen, dass ihre sportlichen Glanzmomente kein Zufall waren. Kerber sagt auch ständig, sie müsse niemandem mehr etwas beweisen. Und sie sagt auch, die Nummer 1 sei nicht mehr als eine Zahl vor ihrem Namen, also offenbar irgendwie irrelevant.

Aber nichts davon wirkt so recht schlüssig oder glaubhaft. Jedenfalls drückt sich das, was Kerber sagt, nicht ansatzweise in ihrem Spiel aus. "Es wird sich etwas ändern müssen", sagte Kerber am Sonntag in einem TV-Gespräch, "ich muss einfach sehen, dass ich mit meinen und den öffentlichen Erwartungen klar komme." Neue Leichtigkeit zu gewinnen, es wird schwer genug.

Die Ergebnisse der French Open bei den Damen

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